Die Umsetzung der Restrukturierungs- und Insolvenzrichtlinie

Christine Lambrecht, Foto: Thomas Köhler/photothek

Deutschland muss sein Insolvenzrecht an europäische Vorgaben anpassen, ohne dabei seine Grundsätze der Insolvenzrechts aufgeben zu müssen. Eine Anpassung hält die Bundesjustizministerin schon unabhängig von der europäischen Richtlinie für nötig. Sie will die Richtlinie in drei Paketen umsetzen. So sollen künftig natürliche Personen früher als in Deutschland üblich eine Restschuldbefreiung bekommen können. Zudem soll es dafür künftig nicht mehr nötig sein, die Mindestrückzahlungsquote von 35 Prozent zu erfüllen. Das zweite Paket besteht laut der Ministerin darin, einen präventiven Restrukturierungsrahmen zu schaffen. Das ist wiederum neu für das deutsche Insolvenzrecht, wo bislang eine Sanierung erst im Insolvenzverfahren möglich ist. Der dritte Teil der Maßnahmen soll sich auf die institutionellen Rahmenbedingungen des Insolvenzwesens konzentrieren. Das Justizministerium will die umfangreichen Anpassungen in einem ambitionierten Zeitplan umsetzen (Red.)

Am 16. Juli 2019 ist die Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz in Kraft getreten. Sie gibt Anlass, das deutsche Insolvenzrecht an die neuen europäischen Vorgaben anzupassen. Dabei kann Deutschland die Grundsätze seines Insolvenzrechts jedoch beibehalten. Die Richtlinie entspricht wichtigen Grundentscheidungen des deutschen Insolvenzrechts und lässt einen weiten Umsetzungsspielraum. Die erforderlichen Anpassungen sind zu begrüßen. Denn eine Evaluation, die schon im letzten Jahr abgeschlossen wurde, hat gezeigt: Deutschland muss das Insolvenzrecht - auch unabhängig von der europäischen Richtlinie - überarbeiten.

Gestaltungsspielräume bewahren

In der deutschen Diskussion um die Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz geht es vor allem um drei Punkte: erstens, das Recht der Restschuldbefreiung, zweitens, den präventiven Restrukturierungsrahmen und drittens, die institutionellen Rahmenbedingungen für das Insolvenzwesen. Bei den Verhandlungen über die Richtlinie war dem Justizministerium eines besonders wichtig: Gestaltungsspielräume sollten bewahrt werden, um bei der Umsetzung einerseits die hiesige Diskussion zum präventiven Restrukturierungsverfahren berücksichtigen zu können und andererseits vermeiden zu können, dass sich infolge der Umsetzung Missbrauchsmöglichkeiten eröffnen. Bei der Restschuldbefreiung war es dem Bundesministerium zudem wichtig, den verfahrensrechtlichen Ansatz mit seinem wohl austarierten System von Sperrfristen, Versagungs- und Widerrufsgründen sowie ausgenommenen Forderungen beibehalten zu können.

Die Bundesjustizministerin plant, die Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz in drei "Paketen" umzusetzen.

Paket 1 - Restschuldbefreiung zugunsten natürlicher Personen: Das erste Paket betrifft die Restschuldbefreiung bei natürlichen Personen. Die Richtlinie verlangt, dass unternehmerisch tätige Schuldnerinnen und Schuldner innerhalb eines Zeitraums von höchstens drei Jahren von ihrer Restschuld befreit werden. Die Befreiung darf nicht davon abhängig sein, dass die Schuldnerinnen und Schuldner eine Mindestquote ihrer Schuld befriedigen. Die im geltenden deutschen Recht verankerte Quote von 35 Prozent muss Deutschland daher fallen lassen. Das ist auch sinnvoll: Die angesprochene Evaluation ergab, dass diese Quote prohibitiv hoch ist und kaum jemals zu einer frühzeitigen Restschuldbefreiung nach drei Jahren führt. Nach der Auffassung des Justizministeriums sollte die Restschuldbefreiung auch nicht davon abhängen, dass die Verfahrenskosten gedeckt sind. Denn schon hieran scheitert in aller Regel eine frühzeitige Restschuldbefreiung. Lange Verfahrensdauern aber binden bei den Insolvenzgerichten viel Personal und erzeugen weitere Kosten. Dies sollte vermieden werden. Die Interessen des Justizfiskus können gewahrt werden, indem die Nachhaftung für gestundete Verfahrenskosten beibehalten werden.

Auch zukünftig soll das Verfahren der Restschuldbefreiung allen natürlichen Personen offenstehen. Zwischen unternehmerisch und nichtunternehmerisch tätigen Personen zu unterscheiden, würde mit dem bewährten Ansatz grundlos brechen und schwierige Abgrenzungsprobleme verursachen.

Länge der Restschuldbefreiungsfrist sinkt sukzessive

Und auch weiterhin wird gelten: Wer Schulden gemacht hat und von der Restschuldbefreiung profitieren möchte, muss an dem Verfahren mitwirken und kooperieren. Insbesondere müssen Schuldnerinnen und Schuldner weiterhin das pfändungsfreie Einkommen an eine Treuhänderin oder einen Treuhänder abtreten und sich nach Kräften um Einkommen bemühen, um ihre Schulden so weit wie möglich zu tilgen. Unlauteres Verhalten, mangelnde Mitwirkung und erhebliche Pflichtverletzungen führen unter den gleichen Bedingungen wie bisher dazu, dass die Restschuldbefreiung versagt wird.

Für die Umstellung von der sechsjährigen Frist, nach der die Restschuldbefreiung im gesetzlichen Regelfall bisher greift, auf die neue dreijährige Frist, plant das Justizministerium keinen starren Stichtag, sondern einen gleitenden Übergang. So werden Ungerechtigkeiten, Zufallsergebnisse und der Anreiz, die Insolvenz bis zu einem Stichtag zu verschleppen, vermieden.

Ein umfangreiches Programm für das Bundesjustizministerium

Die Länge der Restschuldbefreiungsfrist soll sich daher ab dem 17. Dezember 2019 jeden Monat um je einen Monat verringern, wobei die Frist anfänglich fünf Jahre und sieben Monate beträgt. Wer seinen Antrag in der Übergangszeit einen Monat später stellt, für den wird auch nur eine um einen Monat kürzere Befreiungsfrist gelten. Paket 2 - Schaffung eines präventiven Restrukturierungsrahmens: Im Mittelpunkt des zweiten, vergleichsweise umfangreichen Pakets werden die Vorgaben der Richtlinie für einen präventiven Restrukturierungsrahmen stehen. Dass Verfahren zur Restrukturierung bereits vor einer drohenden Insolvenz greifen, um eine Insolvenz gar nicht erst eintreten zu lassen, ist aus deutscher Sicht neu. Sanierungslösungen bietet das geltende Recht in Deutschland allein im laufenden Insolvenzverfahren an. Allerdings wurde in Verhandlungen über die Richtlinie darauf geachtet, dass die Unterschiede gering ausfallen.

Potenzial für Flexibilisierung besteht dort, wo sich ausschließlich institutionelle und andere professionelle Kreditgeberinnen und -geber gegenüberstehen. Hier ist das Insolvenzverfahren, das alle Gläubigerinnen und Gläubiger, das gesamte Vermögen und alle Vertragsbeziehungen erfasst, oftmals die sprichwörtliche Kanone, die auf Spatzen schießt. Insbesondere will das Justizministerium aussichtslose Sanierungsversuche unterbinden. Die bereits angesprochene Evaluation ist in dieser Hinsicht sehr aufschlussreich. Insgesamt wird eine Lösung angestrebt, welche die Grundprinzipien des geltenden Rechts fortdenkt und fortentwickelt, nicht aber aufgibt. Dabei ist klar: Der künftige Restrukturierungsrahmen wird das Insolvenzverfahren nicht verdrängen. Sobald faktisch Zahlungsunfähigkeit eintritt, geht das Insolvenzverfahren vor.

Bei der Umsetzung der Richtlinie behält das Ministerium auch die Diskussion zur Zukunft des Insolvenzgrundes der Überschuldung im Auge, die in der Fachöffentlichkeit gerade sehr intensiv geführt wird. Auch wird geprüft, ob und wie die Vergütungsregelungen für die Insolvenzverwalterinnen und Insolvenzverwalter angepasst werden können, die in ihrem Kern seit rund 20 Jahren unverändert sind.

Paket 3 - Institutionelle Rahmenbedingungen: Das dritte Paket wird den institutionellen Rahmenbedingungen des Insolvenzwesens gelten. Es soll insbesondere Regelungen zum Berufsrecht der Insolvenzverwalterinnen und Insolvenzverwalter enthalten. Das Justizministerium beobachtet dabei auch die Diskussionen, die hierzu in der Verbandslandschaft geführt werden.

Es wäre begrüßenswert, wenn sich zumindest über bestimmte Eckpunkte ein Konsens erzielen ließe. Das Bundesjustizministerium will aber unabhängig hiervon einen Vorschlag zu den Berufszugangsvoraussetzungen und der Berufszulassung unterbreiten. Dass die einzelnen Insolvenzgerichte die Vorauswahllisten bisher dezentral führen, ist nicht unproblematisch und passt nicht dazu, dass sich Insolvenzen zunehmend überregional auswirken.

Schon dieser kurze Überblick über die anstehenden Aufgaben im Insolvenz- und Restrukturierungsrecht zeigt, wie umfangreich und vielschichtig das Programm für das Justizministerium ist. Diese Herausforderung nimmt das Ministerium an und hat sich dabei einen ambitionierten Zeitplan gesetzt. Die Justizministerin ist aber sehr zuversichtlich, dass ein ausgewogenes Gesamtpaket auf die Beine gestellt wird, mit dem Deutschland im Wettbewerb der Rechtsordnungen bestehen wird und auch für Zeiten schlechter Konjunktur gerüstet ist.

Christine Lambrecht MdB, Bundesjustizministerin, Berlin
Christine Lambrecht , MdB, Bundesjustizministerin, Berlin
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