Ist die US-Dollar-Dominanz am Ende?

Ulrich Leuchtmann, Foto: Commerzbank AG

In dem vorliegenden Beitrag versucht der Autor die Frage zu klären, ob die Rolle des US-Dollars als Weltleitwährung in Gefahr ist. Dafür klärt Leuchtmann zunächst die Frage, was überhaupt eine Weltleitwährung ist und wie der US-Dollar in diese Rolle kam. Ursächlich dafür ist laut Autor die Tatsache, dass der Greenback der Dreh- und Angelpunkt des Bretton-Woods-Systems war. Allerdings sei dieses System schon vor einem halben Jahrhundert zusammengebrochen, der US-Dollar ist aber dennoch weiterhin Weltleitwährung. Der Autor diskutiert weiterhin die Frage, ob es nicht effizienter wäre, mehrere Leitwährungen zu haben. Das hält er in der Tat für möglich, doch sei der US-Dollar vor allem schon aus Gewohnheit weiterhin Leitwährung. Das hänge auch damit zusammen, dass die Kosten für frühe Abweichler relativ hoch wären und somit ein Shift zu anderen Währungen gar nicht erst zustande kommt. Er sieht auch Bestrebungen in der EU, dass der Euro den US-Dollar ablösen solle. Doch Leuchtmann warnt davor, dass das für die Eurozone mehr Nach- als Vorteile hätte. (Red.)

Jetzt ist es wieder soweit, das Thema ist mal wieder aktuell: die Dominanz des US-Dollars im globalen Währungssystem und ihr angeblich drohendes Ende. Stanley Druckenmiller, der schillernde Hedgefonds-Manager, orakelt, dass die gegenwärtige Geldpolitik der US-Notenbank Fed die Dominanz des US-Dollars gefährden würde. Nun sind solche Vorhersagen keineswegs neu. Von französischen Finanzministern in den 1960er Jahren über chinesische und russische Präsidenten 2009 bis zu Berkely-Ökonom Barry Eichengreen in einem vielbeachteten Buch im Jahr 2010: Vor Druckenmiller haben schon viele das Ende der US-Dollar-Dominanz prophezeit. In der Tat gibt es mit den sogenannten "Deklinisten" eine ganze ökonomische Schule, die dieser Prognose anhängt.

Dominante Sonderstellung

Bevor deren Position diskutiert wird, sollte man sich erst einmal vergegenwärtigen, was "US-Dollar-Dominanz" überhaupt heißt. Vom Ende des zweiten Weltkrieges bis Anfang der 1970er Jahre war das einfach: Der US-Dollar war Drehund Angelpunkt des Währungssystems von Bretton Woods. Nur der US-Dollar war mit Gold gedeckt, seine Golddeckung wurde quasi von anderen Währungen geerbt, indem diese zu festen Wechselkursen an den US-Dollar gebunden waren. Nun ist es aber bereits ein halbes Jahrhundert her, dass das Bretton-Woods-System zusammenbrach. Dennoch nimmt der US-Dollar in einiger Hinsicht weiter eine dominante Sonderstellung ein. Insbesondere gilt:

  • Er dient als Numéraire im Devisenhandel. Laut der letzten BIS-Statistik sind 88 Prozent der Geschäfte am Devisenmarkt Käufe oder Verkäufe einer anderen Währung gegenüber dem US-Dollar. Der Euro auf Platz zwei mit 32 Prozent ist in dieser Hinsicht weit abgeschlagen.
  • Der US-Dollar ist die dominierende Währung im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr. SWIFT, das Kommunikations system, über welches solche Zahlungen größtenteils abgewickelt werden, berichtet, dass 40 Prozent der grenzüberschreitenden Transaktionen (ohne Transaktionen zwischen Euroraum-Mitgliedsländern) in US-Dollar denominiert sind. Auch in dieser Hinsicht ist der Euro (mit 36 Prozent der Transaktionen) die Nummer zwei. Andere Währungen spielen keine nennenswerte Rolle.
  • Der US-Dollar ist die dominierende Reservewährung. 61 Prozent der Reserven, die Zentralbanken weltweit halten, sind in US-Dollar denominiert. Und wieder: Der Euro liegt an zweiter Stelle. Mit 21 Prozent diesmal allerdings deutlich abgeschlagen.

Allerdings, die ökonomische Relevanz dieser Dimensionen von US-Dollar-Dominanz ist unterschiedlich hoch. So vereinfacht der Numéraire-Status des US-Dollars den Market Maker am Devisenmarkt sicherlich das Management ihrer Positionen. Jedoch hat dieser Umstand wenig ökonomische Konsequenzen. Ein Beispiel: Obwohl der Umsatz in US-Dollar/schwedische Krone den in Euro/schwedische Krone fast um das Zweieinhalbfache übersteigt, bewegen sich die Wechselkurse der schwedischen Krone in viel engerem Gleichlauf mit dem Euro als mit dem US-Dollar. Das macht aus makroökonomischer Sicht Sinn: Schwedens Konjunktur und Inflation weisen typischerweise einen hohen Gleichlauf mit der des Euroraumes auf, die Handelsbeziehungen sind weitaus enger als mit den USA. Und offensichtlich führt der Usus der Devisenhändler nicht zu Ineffizienzen, die das fundamental gerechtfertigte Muster zerstören.

Reservebestände als Resultat von Interventionen

Und der Status des US-Dollars als Reservewährung? Um diesen zu beurteilen, muss man sich vergegenwärtigen, warum Zentralbanken Devisenreserven halten: Zum einen sind diese Reservebestände Resultat von Eingriffen am Devisenmarkt. Zum anderen dienen Devisenreserven aber auch der Abfederung von Zahlungsbilanz- oder Währungskrisen.

In solchen Krisen fällt es häufig dem Finanzsystem eines Landes schwer, die zur Finanzierung der Importe nötige Fremdwährungsliquidität bereitzustellen. Die Zentralbanken können in solch einer Situation mit ihren Fremdwährungsbeständen zumindest temporär aushelfen. Dazu ist es aber sinnvoll, Fremdwährungsreserven in der Währung zu halten, in der die Importe abgewickelt werden. Daher macht es Sinn, zumindest die Reserven, die aus solchen Motiven gehalten werden, in der Währung zu halten, in der die Importe größtenteils abgewickelt werden. Zumindest langfristig ist daher die Dominanz des US-Dollars als Transaktionswährung eine wesentliche Ursache für seine Dominanz als Reservewährung.

Kein Wunder, dass die US-Dollar-Funktion als dominierende Transaktionswährung daher von vielen als Dreh- und Angelpunkt der US-Dollar-Dominanz betrachtet wird. Und diese Dominanz ist gar nicht einfach erklärbar. So wundert sich Eichengreen in seinem Buch darüber, warum zum Beispiel ein chilenischer Winzer einem Kunden in Japan seinen Cabernet häufig in US-Dollar abrechnet. Schließlich sind für dieses Geschäft zwei Transaktionen nötig: Der japanische Kunde muss Yen in US-Dollar tauschen, der Winzer US-Dollar in Peso. Wäre es nicht viel effizienter, das Geschäft in Yen oder Peso abzuwickeln?

Allerdings ist davon auszugehen, dass man einen methodischen Fehler begehen würde, wenn man aus der scheinbaren Ineffizienz des Status quo ableiten würde, dass die US-Dollar-Dominanz endet. Schließlich zwingt niemand den Winzer und den Weinhändler, sich auf die US-Währung als Transaktionswährung zu einigen. Devisenverkehrskontrollen und Bretton Woods liegen lange hinter uns - nicht nur in den entwickelten Volkswirtschaften, sondern weitgehend auch in Schwellenländern. Dass der US-Dollar trotzdem in grenzüberschreitenden Transaktionen von Wirtschaftssubjekten weltweit so häufig genutzt wird, muss Effizienzvorteile haben.

Und in der Tat, die sind nicht schwer zu identifizieren. Um beim Beispiel zu bleiben. Will der chilenische Winzer Wechselkursrisiken absichern, ist seine Aufgabe im derzeitigen US-Dollar-zentristischen System schon schwer genug: Er muss abschätzen, wie viel er ernten wird und muss den Weltmarktpreis für seinen Cabernet prognostizieren. Würde er aber mit seinen japanischen Kunden in Yen abrechnen, mit seinen russischen Kunden in Rubel und mit seinen britischen Kunden in Pfund, müsste er zusätzlich prognostizieren, wie viel Wein er in Japan, Russland und dem Vereinigten Königreich absetzen kann. Das Resultat wäre klar: Seine Absicherung wäre weniger genau. Das heißt: Er würde zumindest höhere Volatilität seiner Absatz-Erträge in lokaler Währung erwarten müssen. Um die abzufedern, müsste er Kapital zur Seite legen und deshalb für seinen Cabernet höhere Preise verlangen.

Man sieht an diesem Beispiel: Es macht Sinn, sich im internationalen Handel auf wenige Transaktionswährungen zu einigen. Es ist - im Gegensatz zur Ineffizienz, die Eichengreen behauptet effizienter als ein multipolares Weltwährungssystem.

Regionale Währungsräume

In der Tat könnte man aus oben Gesagtem schließen, dass es zumindest langfristig nur eine dominierende Transaktionswährung geben kann. Die Wirtschaftsgeschichte scheint diese Sicht zu unterstützen. Bis zum Ersten Weltkrieg war das britische Pfund Weltleitwährung. In der Phase zwischen den Weltkriegen (übrigens eine Zeit rückläufigen Welthandels!) konkurrierten Pfund und US-Dollar um diesen Status, doch seit Ende des Zweiten Weltkrieges hat der US-Dollar unangefochten diesen Status erobert. Es hat den Anschein, dass außerhalb von ineffizienten Übergangsphasen immer nur eine Währung im Welthandel Verwendung finden kann.

Jedoch, dem ist nicht so. Volkswirtschaften, die einen großen Teil ihres Handels untereinander betreiben, sind durch diesen Handel in ihrer konjunkturellen Entwicklung weitgehend synchronisiert. Und damit haben die Wechselkurse der Währungen dieser Länder untereinander geringere Schwankungsintensität als gegenüber Währungen von Drittländern. Für den Handel innerhalb solch einer Region macht es keinen Sinn, sich der Währung eines Drittlandes zu bedienen. Denn es ist auch wenig effizient, sich auf eine schwankungsintensive Transaktionswährung im Außenhandel zu einigen. In solch einer Region kann sich folglich eine Transaktionswährung etablieren, die eine andere ist als in anderen Regionen oder zwischen solchen Regionen.

Multipolares Weltwährungssystem denkbar

Es darf daher nicht verwundern, wenn im Handel des Euroraumes (der in dieser Hinsicht als eine Volkswirtschaft betrachtet werden muss) und seinen EU-Nachbarn (sowie weiteren Nachbarländern mit intensiven Handelsbeziehungen zur EU) der Euro anstatt dem US-Dollar als Transaktionswährung dominiert. Genauso kann man vermuten, dass in Ostasien der chinesische Renminbi sich als dominierende Transaktionswährung etablieren würde, wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt wären (siehe unten).

Regional enge Handelsbeziehungen können also lokale Sonderlösungen begünstigen. In dieser Hinsicht ist ein multipolares Weltwährungssystem nicht nur denkbar, sondern im Fall Europas längst Realität. Für Transaktionen zwischen Wirtschaftsregionen und für den Außenhandel von diesbezüglich diversifizierten Volkswirtschaften (oder unserem chilenischen Winzer im Beispiel) gilt aber, dass eine Transaktionswährung effizienter ist als mehrere. Ein in diesem Sinne multipolares weltweites Währungssystem wäre ineffizient.

Großes Beharrungsvermögen

Nun mag man argumentieren, dass zwar vielleicht eine Weltleitwährung effizienter ist als mehrere, dass aber der US-Dollar eine schlechte Wahl ist und es günstiger wäre, sich auf eine andere Währung zu einigen. Druckenmillers oben zitierte Prophezeiung scheint zum Beispiel dieser Logik zu folgen.

Das mag sein. Doch sollte man nicht das Beharrungsvermögen einer Leitwährung unterschätzen. Worauf beruht dieses Beharrungsvermögen? Frühe Dissidenten vom US-Dollar-zentristischen Währungssystem haben einen hohen Preis zu zahlen. Um weiterhin beim Beispiel des chilenischen Winzers zu bleiben: Wenn sein japanischer Handelspartner darauf besteht, in Euro, Renminbi, Bitcoin oder sonst einer anderen Währung abzurechnen, erzeugt das wie gezeigt für unseren Winzer Ineffizienzen. Er wird von diesem Dissidenten also höhere Preise verlangen. Unser japanischer Weinhändler wird also nur dann eine andere Transaktionswährung wählen, wenn die Nachteile des US-Dollars die Effizienznachteile eines frühen Dissidenten übersteigen.

Man beachte: Es kann sein, dass Welthandel und Kapitalmärkte besser funktionieren würden, wenn es morgen einen Knall gäbe und plötzlich alle Welt den Euro oder eine andere Währung für grenzüberschreitende Transaktionen verwenden würde. Solch kontrafaktische Überlegungen sagen aber wenig darüber aus, ob der US-Dollar seine Dominanz verliert. Es kommt nicht darauf an, welches System das Beste wäre. Es kommt vielmehr darauf an, ob die Nachteile des US-Dollars für hinreichend viele frühe Abweichler die Effizienzvorteile des US Dollar-zentristischen Systems aufwiegen.

Die Erfahrung lehrt, dass die Hürde dafür hoch liegt. Die hohen US Inflationsraten Ende der 1970er Jahre (in der Spitze Anfang 1980 mehr als 14 Prozent), die mehr als 50-prozentige US-Dollar-Aufwertung in den Jahren danach ("Reagan-Dollar"), dann die fast 40-prozentige Abwertung des US-Dollars (Plaza-Akkord), die hohen Leistungsbilanzdefizite der USA Anfang der 2000er und schließlich die unkonventionelle Geldpolitik der Fed nach 2008: Man hat in der Vergangenheit viele Ereignisse gesehen, die Argumente lieferten, dass der US-Dollar vielleicht nicht die optimale Weltleitwährung ist. All das hat die US-Dollar-Dominanz nicht erschüttert. Denn das Beharrungsvermögen war stärker. Man kann wohl sagen: Der US-Dollar ist vor allem deshalb Weltleitwährung, weil er es schon immer (genauer: seit dem Bretton-Woods-System) war. Und er wird es bleiben, wenn nicht dramatische Dinge passieren. Dass er seinen Leitwährungsstatus nur deshalb verliert, weil die Fed für einige Zeit eine etwas höhere Inflation akzeptiert (wie Druckenmiller behauptet), ist extrem unwahrscheinlich.

Neue Risiken

Die USA benutzen unter anderem den Status des US-Dollars als Weltleitwährung, um ihre Sanktionspolitik weltweit zu erzwingen. Das war früher nicht so. Bis Anfang dieses Jahrhunderts hat sich keine US-Administration darum gekümmert, zu welchem Zweck der US-Dollar außerhalb der USA verwendet wurde. So entstand in den 1950er Jahren auch deshalb außerhalb der USA ein US-Dollar-Markt (aus heutiger Sicht verwirrend als "Eurodollar-Markt" bezeichnet), weil die UdSSR ihre US-Dollar-Bestände von US-Banken abzog, um sie dem möglichen Zugriff von US-Sanktionen zu entziehen.

Der "Krieg gegen den Terror" hat nach dem 11. September 2001 in dieser Hinsicht einen Politikwechsel bewirkt. US-Dollar-Zahlungsströme werden in der Regel über US-Banken abgewickelt. Seit die US-Behörden (circa seit 2008/09) verlangen, dass bei diesen Transaktionen der wirtschaftlich Begünstigte offengelegt wird, haben die US-Behörden Zugriff auf Daten, die darlegen, wer weltweit US-Dollar-Geschäfte tätigt. So können sie auch außerhalb der USA beheimatete Finanzinstitute sanktionieren, die Geschäfte mit Personen oder Organisationen tätigen, die von US-Sanktionen betroffen sind - auch wenn in der Jurisdiktion, der das betreffende Finanzinstitut unterliegt, diese Sanktionen nicht gelten. Verstöße werden mit Strafen geahndet, die für die betreffenden Finanzinstitute äußerst schmerzhafte Höhe erreichen können. Schlimmer noch: Im Fall einer französischen Bank drohten die US-Behörden an, diese von der US-Dollar-Zahlungsabwicklung dauerhaft auszuschließen. Damit sind Verstöße gegen US-Sanktionen für Finanzinstitute potenziell lebensbedrohlich geworden. Diese Politik bewirkt, dass US-Sanktionen de facto auch dort angewendet werden, wo sie nicht heimischer Politik entsprechen.

Risse in der Einigkeit zwischen USA und Europa

Das war so lange kein materieller Nachteil, wie die Sanktionspolitiken der anderen großen Industrienationen mit denen der USA übereinstimmten. Jedoch haben sich in den vergangenen Jahren Risse in der früheren Einigkeit gezeigt. Im Fall der Iran-Sanktionen verfolgte die EU eine andere Linie als die damalige US-Administration. Doch gelang es ihr nicht, die Anwendung von US-Sanktionen innerhalb der EU zu verhindern. Nun mag man argumentieren, dass der Iran-Außenhandel für Europa zu gering ist, als dass daraus eine ernsthafte Gefahr für die US-Dollar-Dominanz entstehen könnte.

Doch auch gegenüber Russland sind sich Europa und die jetzige US-Administration nicht einig, ob beziehungsweise welche Sanktionspolitik verfolgt werden soll. Natürlich, die jetzige US-Administration setzt auch im Bereich der Sanktionspolitik weitaus mehr auf internationale Koordination als die Vorgängerregierung. Doch heißt das nicht, dass nicht wieder Sonderwege möglich sind. Zwei Argumente sprechen gegen zu viel Optimismus:

  • Administrationen kommen und gehen. Nicht erst seit der Trump-Administration ist die Kiste der Pandora geöffnet. Es fällt schwer, sich vorzustellen, dass künftige US-Administrationen diese Politik nachhaltig und irreversibel beenden.
  • Man sollte die jetzige US-Administration nicht missverstehen. Dass sie auf internationale Politik-Koordination setzt, ist Mittel zum Zweck, nicht Wert an sich. Sie rechnet sich bei mit Verbündeten koordinierter Politik höhere Erfolgschancen aus als bei Sonderwegen. Funktioniert das nicht hinreichend, ist jederzeit ein Rückfall in nationale Sonderwege möglich. Inklusive der Sanktionspolitik, die dann wieder in Widerspruch zu den Sanktionspolitiken anderer Industrieländer geraten könnte.

Abkehr vom US-Dollar unwahrscheinlich

Das Problem ist nur: Wollten andere Länder sich dem Zwang, US-Sanktionen anzuwenden, entziehen, reicht es nicht, sich im Außenhandel auf eine andere Transaktionswährung zu einigen. Denn mittlerweile haben die USA das Instrumentarium, mit dem sie ihre Sanktionen extraterritorial erzwingen, erweitert. Mit Sekundärsanktionen belegen sie auch Unternehmen mit Sanktionen, die nicht US-Sanktionen gegen Drittländer umsetzen. Die Europäische Union hat schmerzhaft erfahren müssen, dass es, seit Sekundärsanktionen drohen, nicht ausreicht, sich vom US-Dollar als Transaktionswährung zu verabschieden. Das Spezialinstitut, welches sie zur Durchführung von Iran-Geschäften gründeten, scheiterte, weil kein Finanzinstitut aus Angst vor solchen Sekundärsanktionen wagen kann, mit diesem Geschäfte zu tätigen.

Das heißt: Eine Abkehr vom US-Dollar als Transaktionswährung ist zur Vermeidung von extraterritorialen US-Sanktionen nicht mehr ausreichend. Und damit ist eine Abkehr vom US-Dollar aus diesen Motiven wenig wahrscheinlich.

Das "exorbitante Privileg"

Genießen die USA einen ökonomischen Vorteil aus der Tatsache, dass ihre nationale Währung Weltleitwährung ist? Man kann das vermuten. Schließlich hält alle Welt einen nicht unerheblichen US-Dollar-Bestand zu Transaktionszwecken und als Währungsreserven.

Allerdings ist nicht sicher, ob das den USA einen nennenswerten dauerhaften Vorteil einbringt. So wuchs in den letzten Jahren die Nettoauslandsverschuldung der US-Volkswirtschaft schneller als die Leistungsbilanzdefizite nahelegen. Offensichtlich genießen die USA nicht einen so erheblichen Renditevorteil, dass sie damit dauerhaft hohe Nettoverbindlichkeiten "aus dem Nichts" finanzieren könnten. Im Gegenteil. Wenn die US-Nettoverbindlichkeiten schneller anwachsen als die kumulierten Leistungsbilanzdefizite, heißt das, dass die US-Volkswirtschaft auf ihre Verbindlichkeiten einen höheren Schuldendienst leisten müssen, als sie für Anlagen im Rest der Welt erhalten. Ein "exorbitantes Privileg" ist zumindest in den letzten Jahren nicht zu beobachten.

Freilich, in Extremszenarien (wie nach der Lehman-Pleite 2008 oder zu Beginn der Corona-Krise 2020) wird die US-Dollar-denominierte Finanzierung zu einem Problem. Wenn die US-Dollar-Kreditschöp fung von Banken (inner- und außerhalb der USA) versiegt, können US-Dollar-Kreditnehmer außerhalb der USA nicht auf die Fed als "Lender of last Resort" hoffen. Es entstehen Knappheiten bei der Refinanzierung von US-Dollar-Verbindlichkeiten.

2008 und 2020 konnten diese US-Dollar-Klemmen beseitigt werden, indem die Fed ausländischen Notenbanken Swap-Linien eingeräumt hat, sodass diese in die Lage versetzt wurden, ihren heimischen Kreditinstituten US-Dollar-Liquidität zur Verfügung zu stellen. Sowohl 2008 als auch 2020 konnte so die US-Dollar-Kreditklemme schnell beseitigt werden. Allerdings ist dieses System nicht perfekt. Die Fed stellt nur einigen ausländischen Zentralbanken Swap-Linien zur Verfügung. Insbesondere darf angenommen werden, dass bei der Vergabe auch politische Kriterien eine Rolle spielen. Damit bestehen Risiken für einige Volkswirtschaften.

Gibt es Alternativen?

Es wurde dargelegt, dass eine attraktive Alternative zum US-Dollar als Weltleitwährung nicht garantiert, dass der US-Dollar in seiner Rolle abgelöst wird. Die Existenz einer attraktiven Alternative ist also eher notwendige statt hinreichende Bedingung für ein Ende der US-Dollar-Dominanz. Ist diese notwendige Bedingung erfüllt? Gibt es eine Alternative zum US-Dollar?

Häufig wird der chinesische Renminbi genannt. Chinas Politik hat in den 2000er Jahren viel getan, um den Renminbi als international übliche Währung zu etablieren. Der Erfolg ist allerdings mager: Nur 4 Prozent der Devisentransaktionen finden in Renminbi statt, weniger als 2 Prozent der grenzüberschreitenden SWIFT-Transaktionen ist in Renminbi denominiert und nur 2 Prozent der Devisenreserven werden in Renminbi gehalten. Insbesondere seine geringe Verwendung bei grenzüberschreitenden Transaktionen ist ein vernichtendes Urteil, ist China doch die Volkswirtschaft mit dem größten Außenhandel.

Das heißt: Derzeit deutet nichts darauf hin, dass der Renminbi die geringste Chance haben dürfte, auf absehbare Zeit in dieser Hinsicht dem US-Dollar Konkurrenz zu machen. Die einzige derzeit halbwegs realistische Alternative ist der Euro. Er ist in allen drei Dimensionen die Nummer zwei hinter dem US-Dollar (siehe oben). Und in der Tat, immer wieder hört man EU-Politiker, die davon träumen, dass der Euro dem US-Dollar die Rolle als Weltleitwährung streitig machen könnte. Offensichtlich schielen sie auf ähnlich "exorbitante Privilegien", wie dem US-Dollar zugesprochen werden.

Jedoch hat der Euro einen entscheidenden Nachteil gegenüber dem US-Dollar. Im Gegensatz zu den USA verzeichnet die Leistungsbilanz des Euroraumes kein dauerhaftes Leistungsbilanzdefizit. Durch das US Leistungsbilanzdefizit (welches die US Volkswirtschaft großenteils in US-Dollar vergütet) fließt dem Rest der Welt ständig neue US-Dollar-Liquidität zu. Damit kann steigender Bedarf an Transaktions- und Reservewährung befriedigt werden.

Übertriebene Euro-Aufwertung als Folge

Würde der Euro Weltleitwährung, würde das Gegenteil stattfinden: Der Leistungsbilanzüberschuss Europas würde die Leitwährung aus dem Rest der Welt abziehen. Bis zu einem gewissen Grad könnte das durch Euro-Kreditvergabe ausländischer Banken kompensiert werden, aber nicht unendlich. Die Folge wäre eine Aufwertung des Euro über das Maß hinaus, welches fundamental gerechtfertigt wäre und für den Euroraum realwirtschaftlich verkraftbar wäre. In den 1960er Jahren (als die US-Leistungsbilanz noch ausgeglichen war) befürchtete man (unter dem Schlagwort "TriffinDilemma") ähnliches für den US-Dollar.

Klar, man mag auf ein signifikantes exorbitantes Privileg hoffen, das es dem Euroraum ermöglichen würde, dauerhafte Leistungsbilanzdefizite zu fahren. Nur: Den USA gelingen dauerhafte Leistungsbilanzdefizite auch ohne diese Mehrerträge. Warum das für den Euroraum gelingen sollte, ist unklar. Damit bestände zumindest die Gefahr internationaler Euro-Knappheit und ruinöser Euro-Aufwertung.

Mehr Nachteile als Vorteile

Insgesamt gilt: Der US-Dollar wird - wenn nichts Dramatisches passiert - schon allein deshalb Leitwährung bleiben, weil er es schon immer war. Auch wenn das Dollar-zentristische Weltwährungssystem nicht perfekt ist, wäre es für frühe potenzielle Dissidenten zu kostspielig, abzuweichen.

Als Alternative stände nur der Euro zur Verfügung, der bereits heute regional eine ähnliche Bedeutung hat. Allerdings ist seine Eignung in dieser Rolle fraglich. Schlimmstenfalls hätte der Euroraum mehr Nachteile als Vorteile.

Fußnoten

1) https://www.cnbc.com/2021/05/11/stanley-druckenmiller-says-the-fed-is-endangering-the-dollars-global-reserve-status.html.

2) Barry Eichengreen, Exorbitant Privilege: The Rise and the Fall of the Dollar and the Future of the International Monetary System, Oxford University Press, 2010.

3) BIS, Triennial Report, 2019.

4) https://www.swift.com/our-solutions/compliance-and-shared-services/business-intelligence/renminbi/rmb-tracker/rmb-tracker-document-centre.

Ulrich Leuchtmann Leiter Devisen-Research, Commerzbank AG, Frankfurt am Main
Ulrich Leuchtmann , Leiter Devisen-Research, Commerzbank AG, Frankfurt am Main
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