Weniger Stolpersteine für die freiheitliche Wirtschaftsordnung

Anton F. Börner, Foto: BGA e.V. (Annett Melzer)

Mit Beteiligungen, Hilfen, Regularien, Anforderungen, Empfehlungen und weiteren Instrumenten greift der Staat dieser Tage in das wirtschaftliche Geschehen des Landes ein, wie selten zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Die zentrale Lenkung unter den guten Vorsätzen des nachhaltigen, digitalen und sozial verträglichen Neustarts und damit des gemeinschaftlichen Interesses gewinnt immer mehr Fahrt. Der Autor des vorliegenden Beitrags richtet einen Appell an den immer größer werdenden Staat und verlangt eine Rückbesinnung auf schlankere Strukturen und motivierende Rahmenwerke, die Unternehmern Bewegungsfreiheiten schaffen sowie Innovationen und die Entwicklung eigenmächtiger Lösungsansätze für die strukturellen Probleme unserer Zeit entfesseln. Kurzfristig ist dies die Bewältigung der Pandemie. Langfristig benötigt es aber auch gute Voraussetzungen, um eine solide Lebensgrundlage für kommende Generationen schaffen zu können. Hand in Hand könnten Banken und Unternehmen einen wertvollen Beitrag zum Weg aus der Krise bahnen, wenn der Staat sie nur ließe. (Red.)

Bis zum 26. September wird der Kampf gegen die Pandemie sicherlich den Wahlkampf beherrschen. Der neue Bundestag muss aber insbesondere die langfristigen Folgen und Auswirkungen der Corona-Krise in den Fokus rücken und über die akute Bekämpfung hinausdenken. Denn die großen Hilfspakete helfen in der akuten Krise, führen aber auch zu riesigen Schuldenbergen, die zurückgezahlt werden müssen. Und das neben den weiteren Zukunftsversprechen, die die Politik bereits gegeben hat, etwa bei Pensionen und Renten, aber auch zum Umweltschutz.

Wir sind den nachfolgenden Generationen nachhaltiges Wirtschaften schuldig, und das gilt eben nicht nur für Umwelt und Klima, sondern auch für Wirtschaft, Soziales und Finanzen. In den vergangenen Jahren ist die Schuldenbremse Garant gewesen, dass die Leistungsversprechen der Politik nicht maßlos in den Himmel gewachsen sind. Sie aufzugeben, gerade nachdem sie sich bewährt hat, wäre das falsche Signal.

Die Tilgung der gigantischen Schuldenberge ist eine langfristige Aufgabe, die ohne stabiles Wachstum nicht zu schaffen sein wird. Ein schnelles konjunkturelles Hochfahren allein genügt nicht - Deutschland braucht eine langfristig stabile Wachstumspolitik.

Das Land steht vor einer Richtungswahl: Brauchen wir dazu einen starken Staat oder eine starke Wirtschaft? Die Antwort lautet: Wir brauchen beides! Allerdings wird der Staat nur dann stark sein, wenn er sich auf seine Kernaufgaben beschränkt und der Wirtschaft die nötigen Freiräume lässt. Immerhin haben die Unternehmen seit der Agenda 2010 eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass sie breiten Wohlstand schaffen können, wenn man sie lässt.

Zwischen starkem Staat und starker Wirtschaft

Umgekehrt hat der Staat in den letzten zwölf Monaten wieder einmal gezeigt, dass er Management nicht beherrscht und die Strukturen nicht geeignet sind, um mit echten Katastrophen schnell und effizient umzugehen. Was wir erleben, ist ein exogener Schock, auf den unsere Rechtsordnung, unsere staatliche und gesellschaftliche Verfassung nicht vorbereitet ist.

Mit solchen Katastrophen können nur Menschen umgehen, deren täglicher Job es ist und die dazu ausgebildet wurden, mit Unsicherheiten fertig zu werden und auf Basis von Analysen effizient zu einer Lösung zu kommen. Man muss die Fachleute der Wirtschaft an den entscheidenden Stellen mit einbinden. Das macht man mit Virologen ja auch. In die Gremien gehört gleichberechtigt eine Gruppe von Managern, die sich mit Beschaffung, Logistik und Distribution auskennen.

Wenig hilfreich sind auch die andauernden Versuche, trotz der gewaltigen Schäden für Wirtschaft und Gesellschaft durch die Krise, ganze Politikfelder unter Verweis auf Grundsätze von der Seuchenbekämpfung auszunehmen. Namentlich etwa den Datenschutz, dessen strikte Beachtung die von der Regierung in Auftrag gegebene Corona-Warn-App weitgehend wirkungslos gemacht hat. Unzweifelhaft ist die Bewältigung der Corona-Pandemie Voraussetzung für die Rückkehr zur "Normalität". Wobei die Frage sein wird, wie diese "Normalität" nach Corona ausschauen wird. Denn Leben, Arbeiten und Wirtschaften wird nach der Krise unter veränderten Vorzeichen zu sehen sein. Nicht zuletzt stellt sich die Frage, wie können wir künftige Pandemien frühzeitig erkennen und vorbeugend handeln. Wirtschaftspolitisch gilt es, die Weichen so zu stellen, dass die Unternehmen sich sowohl auf dem heimischen als auch auf den internationalen Märkten sich mit ihren Produkten und Dienstleistungen gegenüber der globalen Konkurrenz behaupten können - auch auf den digitalen Märken. Eine Antwort hierauf ist, mehr in Forschung und Entwicklung sowie in das Know-how der Mitarbeiter zu investieren, aber auch, sich auf ein sicheres und verlässliches Sourcing stützen zu können. Krisenresilienz wird in den Unternehmensplanungen auf der Agenda nach oben rücken.

Wachsende Gefahren durch Bevormundung und Regularien

Für mehr Resilienz müssen wir die internationalen Lieferketten stärker diversifizieren. Durch Protektionismus, die Nichtumsetzung von Freihandelsabkommen wie CETA sowie Mercosur und nicht zuletzt mit Initiativen, wie dem aktuellen Lieferkettengesetz in seiner jetzigen Form, wird jedoch genau das Gegenteil bewirkt. Unternehmen werden Pflichten für die gesamte Lieferkette auferlegt. Eine Beschränkung auf die erste Zulieferstufe findet genauso wenig statt wie eine Beschränkung auf unmittelbare Zulieferer. Die Lieferkette wird sogar auf Dienstleistungen, die zur Produkterstellung erforderlich sind, und somit auch auf Finanzdienstleistungen, Wiederverwertung oder Entsorgung ausgeweitet.

Dies sieht der BGA überaus kritisch, da Finanzdienstleister viel zu weit weg sind vom Grundgeschäft. Vielmehr läuft der Gesetzgeber Gefahr, dass Finanzierungen für Risikoländer und Risikosektoren nicht mehr angeboten werden. Schon jetzt erleben wir Engpässe insbesondere bei kleineren Volumina in der Außenhandelsfinanzierung.

Eine der wichtigsten langfristigen Herausforderung ist die Sicherung von Freiheit und Wettbewerb. Nicht ob, sondern wie wir angesichts knapper Ressourcen mit Rohstoffen, Umwelt und Energie schonend und effizient umgehen, wird entscheidend dafür sein, dass auch kommende Generationen solide Lebensgrundlagen haben. Doch es gibt zu viele Hemmnisse. Damit sind nicht die schnell und dringend benötigten Entscheidungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie gemeint. Aber die mit digitaler Transformation sowie den Anforderungen aus Umwelt- und Klimaschutz, Transparenz und Compliance verbundenen Herausforderungen sind enorm. Wie viel Regulierung, Bürokratie und Bevormundung können und wollen wir uns leisten bei den strukturellen Herausforderungen von Ressourcenschonung, Energieversorgung und Umweltschutz sowie sozialer Sicherheit?

Von Legislaturperiode zu Legislaturperiode werden mehr und mehr Gesetze und Verordnungen durch die Parlamente verabschiedet. Die Ziele werden immer ehrgeiziger, zugleich werden Regelungen immer widersprüchlicher und unübersichtlicher. Bürger und Unternehmen drohen vollends überfordert zu werden. Initiativen wie das Lieferkettengesetz machen unternehmerisches Handeln mit ständig neuen und mehr Auflagen und Vorgaben immer schwieriger und komplexer.

Daher kann es nicht verwundern, dass immer mehr Unternehmen vom Markt verschwinden oder in anderen Unternehmen aufgehen, obwohl mehr Unternehmertum nötig wäre. Wir brauchen Gründer und Nachfolger in allen Sektoren der Wirtschaft, auch in klassischen Bereichen. Dazu müssen wir uns wieder mehr auf ein attraktives und motivierendes Rahmenwerk fokussieren, sodass auch kommende Unternehmensgenerationen bereit sind, Verantwortung und Risiko zu übernehmen.

Schulden reduzieren die Handlungsfähigkeit

Jedenfalls sollten die durch die Corona-Pandemie eingeplanten neuen Schulden in einer Größenordnung von rund 450 Milliarden Euro der jungen Generation mindestens genauso viele Sorgenfalten bereiten wie der Klimaschutz. Denn auf ihren Schultern wird die Last ruhen, wenn die Politik wegen fehlender gesellschaftlicher Unterstützung jetzt den Mut zu Reformen und Einsparungen im immer dichter und größer werdenden sozialen Netz nicht aufbringt. Nicht übersehen werden darf, dass zwar die "sichtbare" Schuldenquote in den vergangenen Jahren auf knapp unter 60 Prozent gesunken ist, der absolute Schuldenberg jedoch nur geringfügig und immer noch bei über 2 000 Milliarden Euro liegt. Auch wurde der überwiegende Teil der sprudelnden Steuereinnahmen in den weiteren Ausbau des Sozialstaates gesteckt.

Zu befürchten ist, dass Bürgerinnen und Bürger - so wichtig auch Investitionen, Energiewende und Umweltschutz sind - nach der Bundestagswahl unsanft wach gerüttelt werden und sie mit der finanziellen Aufarbeitung der hohen Krisenkosten konfrontiert werden. Natürlich reduzieren die Schulden die Handlungsspielräume für die Bewältigung kommender Herausforderungen. Gelddrucken und neue Schulden sind jedoch keine Lösung, sondern verschärfen die Probleme noch. Und steuerliche Sozialneidpolitik bei Vermögen, Erbschaften und Reichenbesteuerung helfen nicht weiter, sondern führen vielmehr in die Sackgasse. Dringend angeraten ist, die Schuldenbremse nicht zu lockern, sondern wieder konsequent einzuhalten, Impulse für die Beschleunigung des Wandels zu setzen und in die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland zu investieren.

Marktwirtschaftliche Prinzipien sorgen für Dynamik

Die Corona-Pandemie ist eine enorme Herausforderung für Politik und Gesellschaft, gerade auch für viele Unternehmen, manchem steht inzwischen wirtschaftlich das Wasser bis zum Hals. Bürger und Unternehmen haben den Eindämmungskurs der Politik mit Schließen und Lockern in Abhängigkeit vom Infektionsgeschehen lange unterstützt.

Der Unmut wächst und die politische Akzeptanz massiver Eingriffe in das Leben der Menschen und der Wirtschaft sinkt angesichts vermeidbarer Pannen. Die deutsche Wirtschaft kann Krisen lösen, sie tut es jeden Tag auf der ganzen Welt. Dass sie nicht in das Corona-Krisen-Management der EU, der Bundesregierung und der Bundesländer einbezogen wird, ist skandalös. Die Wirtschaft könnte helfen, aber ihr Know-how wird nicht eingebunden. Derweil scheitert der Staat mit einer planwirtschaftlichen Intervention nach der anderen. Probleme sollen wegverwaltet und mit immer neuen Verordnungen bekämpft werden, statt sich der Lösung des Problems zu nähern.

Wir dürfen uns nicht damit zufriedengeben, die Unternehmen mit Überbrückungshilfen irgendwie durch die Krise zu bringen. Es gilt auch die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Neustart zu schaffen. Bislang tragen die vielfältigen Finanzhilfen und Schutzschirme zu einer Überbrückung der schwierigen Situation bei. Ein massiver Anstieg von Insolvenzen blieb dadurch aus und ist auch künftig wenig wahrscheinlich, wenn die Eindämmung der Pandemie durch Testen und Impfen nun schnell vorankommen sollte. Lieferanten- und kundenseitig deutet die Lage im Großhandel insgesamt zumindest nicht darauf hin, dass sich eine große Insolvenzwelle abzeichnet. Vielmehr erhalten wir klare Signale, dass die Unternehmensbeziehungen verlässlich und stabil sind.

Wenn die Konjunktur wieder anzieht, ist es daher nicht nur vertretbar, sondern gar geboten, die Rettungsschirme wieder einzufahren, damit marktwirtschaftliche Prinzipien wieder für wirtschaftliche Dynamik sorgen können. So flankiert beispielsweise der Schutzschirm bei der Warenkreditversicherung viele Warenlieferungen, aber er entbindet Unternehmen nicht aus der Verantwortung, eigene Maßnahmen zu ergreifen, um sich auf ein Auslaufen des Schutzschirms vorzubereiten, wie zum Beispiel durch eine Ausweitung der Finanzkommunikation mit dem Warenkreditversicherer. Der BGA hat in den eigenen Reihen im Zuge seiner Gespräche mit den Versicherern über eine Verlängerung des Schutzschirms auch frühzeitig für flankierende Maßnahmen in den Mitgliedsunternehmen geworben. Als Wirtschaft können wir nicht für mehr Freiheit und Markt eintreten und zugleich ein Höchstmaß an Absicherung dauerhaft beibehalten.

Finanzsektor muss verlässlicher Partner bleiben

Vor diesem Hintergrund besteht perspektivisch ein drückendes Risiko für die Unternehmen, dass die Anschlussfinanzierung des Neustartes bei der Beschaffung neuer Waren und Vorräte unter Druck gerät. Denn die finanziellen Ressourcen sind angegriffen und die Bilanzen fallen krisenbedingt schlecht aus, wodurch ein verschlechtertes Unternehmensrating und damit eine Verteuerung von Finanzierungen drohen. Deswegen kommt es darauf an, dass Banken und Versicherer auch nach der Krise wichtige und verlässliche Partner bleiben. Kreditfinanzierungen sind die zentralen Säulen der Finanzierung, auch wenn alternative Finanzierungsformen wie Factoring und Leasing in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen haben. Attraktive Finanzierungsinstrumente und -konditionen sind daher für die Unternehmen weiterhin maßgeblich. Insbesondere wenn die geschäftlichen Aktivitäten wieder hochgefahren werden, wird es auf maßgeschneiderte Lösungen ankommen. Wichtig wird hierbei eine ausgeweitete Finanzkommunikation unternehmensseitig sein, die die Perspektiven des Unternehmens aufzeigen.

Nicht zuletzt müssen wir in allen Lebensbereichen viel mehr in Forschung und Entwicklung investieren, denn nicht nur werden uns die Virus-Mutationen weiterhin begleiten. Dies gilt auch für den Finanzsektor. Zu begrüßen sind beispielsweise die Ansätze von Blockchain-basiertem Trade Finance. Allerdings gibt es derzeit zu viele divergierende Standards. Hier benötigt die Wirtschaft ein einheitliches Angebot von der Finanzwirtschaft. Ferner konzentrieren sich die derzeitigen Ansätze bislang weniger auf kurzfristiges Handelsgeschäft, sondern eher auf mittel- und langfristiges Geschäft. Auch gibt es noch viel zu tun, da die Exportfinanzierung ja gerade durch einen hohen Grad von Individualisierung geprägt ist, um auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Kunden und Märkte einzugehen.

Seit Langem drängt der BGA auch darauf, dass die EU-Regulatorik für die Eigenkapitalunterlegung generell evaluiert und so fortentwickelt wird, dass sie auch in Krisenzeiten Banken und Unternehmen Luft zum Atmen lässt, damit die Unternehmensfinanzierung nicht abreißt. Die Aussetzung einzelner Facetten der Regulatorik im vergangenen Jahr zu Beginn der Corona-Krise durch die EU unterstreicht, dass die Regulierung nicht immer zu mehr Stabilität führt, sondern sie auch erheblich gefährden kann. Die Politik täte daher gut daran, dass die nationalen und europäischen Regulierungen kein Eigenleben führen, sondern verständlich und nachvollziehbar bleiben und in enger Zusammenarbeit mit Banken und Realwirtschaft ausgestaltet werden.

Regulierung nimmt die Luft zum Atmen

Wenig Verständnis findet deshalb bislang auch, wenn Banken und Versicherungen staatlich vorgegeben werden soll, zu beurteilen, ob eine Investitionsfinanzierung von Unternehmen im Sinne der ESG-Ziele "gut" oder "schlecht" ist und dementsprechend die Finanzierung erschwert wird. Wenn die Politik ökologische und soziale Ziele stärker voranbringen will, so unterstützen wir diese Zielsetzung, plädieren zugleich dafür, dies durch positive Anreize und Instrumente zu fördern. Eines sollte nach den Ereignissen der vergangenen Monate klar geworden sein: Wir brauchen mehr Beweglichkeit, nicht nur in der Pandemie, sondern auch unabhängig vom Virus. Wir müssen aus der Pandemie den Schluss ziehen, mehr Markt zuzulassen.

Anton F. Börner Präsident, Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen e.V., Berlin
Anton F. Börner , Präsident, Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen e.V., Berlin
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