Wettbewerb der Systeme - für mehr Freiheit, Wohlstand und Nachhaltigkeit

Dr. Jan Cernicky, Foto: J. Cernicky

Es ist ein nun schon sehr altes Lied: Wie viel Freiheit ist möglich, um ein Land und dessen Wirtschaft aufblühen zu lassen und wie viel staatliche Kontrolle ist nötig, um unerwünschte oder gar schädliche Blüten möglichst zurückzuhalten? Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion schien die Frage eigentlich beantwortet: Die Systeme des Westens, welche Freiheiten des Individuums vor das Kollektiv stellen, hatten sich als widerstandsfähiger herausgestellt. Doch dieser Tage begehrt wieder ein System auf, in dem staatliche Lenkung die bestimmenden Treiber von Wohlstand und Innovation zu sein scheinen: China und dessen Staatskapitalismus haben nicht weniger als den Anspruch, die USA als führende Weltmacht abzusetzen. Zwischen diesen beiden Spielern steht Europa, wo Länder versuchen, eine Balance zwischen Freiheit und staatlichen Eingriffen zu schaffen. Wo nach heutigem Stand die beste Balance zwischen Freiheit, Wohlstand und Nachhaltigkeit herrscht, erörtern die Autoren im vorliegenden Beitrag. (Red.)

Dreißig Jahre nach Ende des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat der Aufstieg Chinas einen neuen Systemwettbewerb entfacht. Während sich der Wettbewerb nach dem zunächst proklamierten "Ende der Geschichte"1) auf die demokratischen Staaten mit unterschiedlich ausgestalteten Marktwirtschaften zu beschränken schien, fordert inzwischen der autoritäre Staatskapitalismus Chinas die Demokratien heraus. Der Handelskonflikt zwischen den USA und China und der Umgang mit der Corona-Pandemie sind Schauplätze eines neuen Systemwettbewerbs, auf der einen Seite mit der Sozialen Marktwirtschaft und der angelsächsischen Ausprägung der Marktwirtschaft zwei unterschiedliche Ausprägungen westlich-liberaler Systeme, auf der anderen das staatskapitalistische System in China. Welches der Modelle verspricht nachhaltigen Wohlstand, der ökologisch und sozial tragfähig ist? Und in welchem Verhältnis stehen Freiheit, Wohlstand und Nachhaltigkeit jeweils zueinander?

Chinas Staatskapitalismus

Obwohl alle drei Modelle mehr oder weniger marktwirtschaftlich organisiert sind, unterscheiden sie sich wesentlich: in der Rolle des Staates sowie in der Art und dem Ausmaß staatlicher Eingriffe in die Wirtschaft und in ihrer Einflussnahme auf die Wirtschaft und den Sozial- beziehungsweise Wohlfahrtsstaat.

Während die westlichen Systeme das Individuum in den Mittelpunkt stellen, basiert das moderne chinesische Wirtschaftssystem auf dem Staat. Im Zuge der Reformen Deng Xiaopings ab Ende der siebziger Jahre öffnete sich das System und ermöglichte in beschränktem Maße auch privatwirtschaftliche Initiativen. Im Wirtschaftssystem Chinas der Jetztzeit gibt es eine Reihe privater Unternehmen; sie stehen jedoch in Konkurrenz zu den Staatsbetrieben, die die meisten Wirtschaftsbereiche dominieren. Etwa die Hälfte der 500 größten Unternehmen Chinas ist im Staatsbesitz, ein weiterer großer Teil gehört Provinzregierungen oder Kommunen.

Auch private Unternehmen sind auf der Makroebene der Wirtschaft der staatlichen Planung unterworfen: ein klassisch prozesspolitischer Ansatz. Sie umfasst unter anderem das BIP-Wachstum oder die Priorisierung von Sektoren. Das aktuelle Programm "Made in China 2025" definiert zehn solcher Sektoren. In dreien davon - Telekommunikation, Eisenbahnen und elektrische Stromversorgung - strebt China bis 2025 die weltweite Technologieführerschaft an. Aber auch weniger klassische, innovative Sektoren wie neue Materialien, Elektromobilität und Robotik wurden priorisiert. Die Kommunistische Partei (KP) definiert also sehr konkret, in welchen Bereichen Innovationen erwünscht sind und wohin die Ressourcen geleitet werden.

Spätestens seit der Finanzkrise 2007/8 hat China seine Ambition aufgegeben, sich zu einer Marktwirtschaft zu entwickeln, und verstärkt die Einflussnahme des Staates auf die Wirtschaft. So ist der Markt zwar - offiziell - weiterhin der primäre Allokationsmechanismus für Rohstoffe und Kapital. Die Kreditvergabe der dominierenden staatlichen Banken unterminiert das jedoch: Kredite werden vor allem an Staatsunternehmen vergeben.

Unterschiedliche Handlungsspielräume

Hinzu kommt, dass auch private Unternehmen gezwungen werden, Parteigremien aufzubauen. Sie greifen bisher noch nicht massiv in die alltägliche Steuerung der Unternehmen ein, verhindern jedoch, dass ein politisch unabhängiges Unternehmertum entsteht. Die Unternehmen bleiben politisch auf Linie. Und schließlich bezieht das Social-Credits-System auch Unternehmen ein: ein wirksamer Sanktions- und Steuerungsmechanismus für Privatunternehmen. So kann das System Anreize setzen, keine Zulieferer aus kritischen Staaten zu nutzen - andernfalls verschlechterten sich etwa Kreditbedingungen. Die Parteigremien in den Unternehmen tragen dafür Sorge, dass keine Falschangaben gemacht werden. So wird die Ressourcenallokation durch die Hintertür zentral gesteuert.

China hat zudem die Absicht proklamiert, mittelfristig zwei unterschiedliche Wirtschaftskreisläufe aufzubauen: einen geschlossenen für Waren, die ausschließlich in China produziert und konsumiert werden, und einen externen Kreislauf für Exportgüter. Dieser merkantilistische Ansatz widerspricht einer Freihandelsorientierung und der bisher propagierten Öffnung des Marktes für Investoren und Handel. Es ist davon auszugehen, dass China unter Xi Jinping, der aller Voraussicht nach noch lange an der Macht sein wird, seine Wirtschaft deutlich stärker staatlich lenken wird.

Sowohl in der angelsächsischen Ausprägung der Marktwirtschaft als auch in der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland und Europa2) basiert dagegen das Staatsverständnis auf dem Individuum, dessen Freiheit und Eigenverantwortung der Staat ermöglicht und schützt, es aber zugleich begrenzt: Ein demokratisch verfasster Staat will verhindern, dass die freien Entscheidungen des Einzelnen andere schädigen.

In der sozialen Marktwirtschaft nimmt der Staat traditionell eine wesentlich stärkere Rolle ein als in der angloamerikanischen Ausprägung. Der Ordoliberalismus der Freiburger Schule vertrat die Überzeugung, dass ein funktionsfähiger Kapitalismus einen starken Staat erfordert, der den Ordnungsrahmen für den Markt vorgibt und für dessen Einhaltung sorgt ("Schiedsrichterstaat"). Walter Euckens konstituierende Prinzipien der Wettbewerbsordnung legten den Grundstein für eine funktionierende Wettbewerbsordnung, die Wohlstand schafft, während die regulierenden Prinzipien, im Falle von Marktversagen oder Wettbewerbsverzerrungen, Anlässe und Regeln für staatliche Eingriffe vorgeben.3)

Staatliche Absicherung im Vergleich

Der Staat in der Marktwirtschaft der USA hat sich inzwischen einen Teil dieser Aufgaben zu eigen gemacht, etwa den Schutz des Wettbewerbs und der Konsumenten. Sowohl in Deutschland und Europa als auch in den USA setzt der Staat darauf, gesellschaftlich wünschenswerte, nicht jedoch spezifische, Ergebnisse ordnungspolitisch herbeizuführen. Prozesspolitische Eingriffe des Staates in den laufenden Wirtschaftsprozess sind in beiden Wirtschaftssystemen nicht vorgesehen.

Und doch wird in die tatsächliche Ausgestaltung von Wirtschaftsprozessen in den USA deutlich weniger eingegriffen als in Deutschland und Europa. In Krisenzeiten gab es jedoch oft umfassende Interventionen seitens der US-Regierung. Zudem treiben staatliche Agenturen mit massiver finanzieller Unterstützung von Forschung und Entwicklung wissenschaftliche Entwicklungen in erwünschte Richtungen voran. Nimmt man die Staatsquote als Indiz für die Einmischung des Staates, so beträgt sie in den USA etwa 35 Prozent und ist damit deutlich niedriger als in Europa, wo sie in vielen Staaten über 50 Prozent und in Deutschland bei 45 Prozent liegt.4)

Die unterschiedlichen Staatsquoten sind vornehmlich auf die jeweiligen Sozialstaatsmodelle zurückzuführen. Die soziale Marktwirtschaft setzt auf ein soziales Sicherungsnetz und einen Sozialstaat, der diejenigen unterstützt, die sich und ihre Familien nicht selbst versorgen können. Das deutsche Wohlfahrtsstaatsmodell, geprägt vom Bismarck'schen Sozialversicherungssystem, gründet wesentlich auf Versicherungsleistungen. Weitere Charakteristika sind die starke Verbindung von Lohnarbeit und sozialen Ansprüchen und die eher geringe Umverteilungswirkung der Sozialleistungen.5)

Das amerikanische beziehungsweise angelsächsische Sozialstaatsmodell betont die Rolle des freien Marktes und der Familie. Die überwiegend steuerfinanzierten Leistungen sind in der Regel bedürftigkeitsgeprüft und bei hohen Anspruchsvoraussetzungen relativ niedrig.6) Leistungen, die von den Vereinigten Staaten beziehungsweise ihren Bundestaaten bereitgestellt werden, fallen deutlich geringer aus als in den europäischen Wohlfahrtstaaten. So sind Kinder- und Erziehungsgeld, Lohnfortzahlung oder Krankenversicherung keine staatlichen Leistungen; auch die staatlichen Renten- und Arbeitslosenversicherungen liegen auf deutlich niedrigerem Niveau.

In allen Fällen stellt der Staat nicht mehr als das absolut Notwendige bereit. Wer darüber hinausgehende Leistungen beziehen möchte, muss privat vorsorgen. Gleiches gilt für das Bildungssystem, das im teuren privat finanzierten Bereich Weltspitze ist, im öffentlich finanzierten Bereich dagegen oft nur das Minimum leistet. Folglich liegt die Abgabenquote in den Vereinigten Staaten von Amerika mit circa 25 Prozent sehr viel niedriger als etwa in Deutschland mit fast 40 Prozent.7)

Welches System verspricht mehr?

Auf Grundlage der obigen Analyse liegt der Schluss nahe, dass das amerikanische Modell die meisten Freiheiten gewährt und das chinesische System die wenigsten. Die nähere Betrachtung und die Unterscheidung zwischen negativer und positiver Freiheit8) bestätigen diesen Eindruck nur bedingt.

Negative Freiheit meint die "Freiheit von" äußeren Zwängen. Sie ist in den USA in der Tat am höchsten: So ist die Abgabenquote - wie bereits erwähnt - geringer als in Deutschland und Europa. Auch im renommierten Index of Economic Freedom schneiden die USA (76,6) besser ab als Deutschland (73,5) und China (59,5).9) In China gibt es zwar in einigen Bereichen eine gewisse, punktuelle wirtschaftliche Freiheit, sie ist allerdings eher die Ausnahme als die Regel. Auch die Freiheit von existenziellen Nöten wie Hunger hat sich in den letzten Dekaden unbestritten deutlich verbessert.

Betrachten wir die positive Freiheit, liegt allerdings ein anderer Schluss nahe.10) Sie beschreibt die "Freiheit zu" etwas - etwa die Möglichkeiten, seine Freiheit auszuleben, sich zu verwirklichen und Chancen wahrzunehmen. Die soziale Marktwirtschaft und ihre umfassenderen staatlichen Leistungen scheinen hier am besten abzuschneiden. Das belegt nicht nur die Qualität staatlicher Bildung und öffentlicher Infrastruktur, sondern auch der Sozialschutz. Berücksichtigt man die Komponenten negativer und positiver Freiheit, verspricht die soziale Marktwirtschaft von allen drei Modellen die meiste Freiheit.

Unter Berücksichtigung des Freiheitsbegriffs, wie er oben skizziert wurde, schneidet das chinesische System am schlechtesten ab. Ganz besonders in der Kategorie der negativen Freiheit, gab es doch in der letzten Dekade eine Tendenz zu noch umfassenderer Kontrolle des Individuums und Eingriffen in unternehmerische Freiheiten.

Die Schere

Ein ähnliches Bild ergibt sich bei Betrachtung der Wohlstandskriterien. Traditionell wird Wohlstand über das BIP pro Kopf bemessen. Die Vereinigten Staaten verfügen auch kaufkraftbereinigt über das höchste BIP pro Kopf aller größeren Staaten der Welt. Mit 63 050 US-Dollar liegen die USA hier über dem deutschen Wert von knapp 53 570 US-Dollar und deutlich über dem chinesischen Wert von 17 210 US-Dollar.11)

Der Wohlstand ist allerdings recht ungleich verteilt: Im Gini-Index der Netto-Einkommen hat Deutschland eine wesentlich bessere Verteilung (0,29) als die USA (0,378) und China (0,51).12) Erstaunlich ist daher nicht, dass die Armutsquote, die ja ein Indikator für die Verteilung des Wohlstands ist, in den USA mit 16,8 Prozent deutlich höher ist als in China (12,1 Prozent) und Deutschland (9,5 Prozent).13) Das kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass in China 400 Millionen Menschen in absoluter Armut leben.14) 25 Millionen Menschen leben weiterhin in extremer Armut. Die USA haben zwar den höchsten Wohlstand pro Kopf - das Versprechen von "Wohlstand für alle" wird allerdings in Deutschland am besten eingehalten.

Wie zukunftsfähig der Wohlstand in den USA, China und Deutschland ist, lässt sich am besten an der Innovationsfähigkeit messen. Laut Global Innovation Index liegen die USA (Platz 3) vor Deutschland (Platz 9) und China (Platz 14).15) Alle drei Staaten sind bei Patenten weltweit führend, wobei sich die Rankings je nach Bemessungsgrundlage unterscheiden (Patentanmeldungen pro Kopf et cetera). Nimmt man etwa die Patentanmeldungen an nationalen Patentämtern, liegt China nach offiziellen Angaben an der Spitze.16) In China gibt es Wirtschaftsbereiche, die kaum reguliert werden und es Fachkräften aus den Innovationszentren der Welt ermöglicht wird, unter großzügigen Bedingungen an neuen Produkten zu arbeiten. Auch europäische Manager und Experten haben sich von der chinesischen Innovationsfreudigkeit beeindruckt gezeigt und dort aktiv und motiviert Innovationen erarbeitet.

Sobald der betroffene Sektor jedoch an Bedeutung gewinnt, nimmt der Einfluss des Staates deutlich zu. Das innovationsfreundliche Klima schwindet und die Ergebnisse gehen in großen staatlich beherrschten Konglomeraten auf. Grundsätzlich sind alle drei Systeme innovativ. Der Trend zu immer stärkeren Staatseingriffen kann jedoch die Innovationsfähigkeit Chinas bedrohen. Noch mag China das Problem durch die Größe seines Marktes und die hohe Steuerungsfähigkeit der Behörden kompensieren. Langfristig ist aber ein auf Weltniveau innovatives Wirtschaftssystem ohne zumindest punktuelle Freiheiten nur schwer vorstellbar.

Weitere Kriterien für die Zukunftsfähigkeit des Wohlstands sind die ökologische Tragfähigkeit und die soziale Verträglichkeit des Wirtschaftens - also die Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit beschreibt ein Ziel: auch in Zukunft gesund und wohlhabend in einer intakten Umwelt zu leben. Das Konzept Nachhaltigkeit sollte daher immer aus drei Blickwinkeln betrachtet werden: ökonomische Effizienz, ökologische Effektivität und soziale Verträglichkeit.

Erfolg auch in Zukunft

Nachhaltigkeit benötigt also ein hohes Maß an Innovationsfähigkeit unter Berücksichtigung sozialer und ökologischer Aspekte. Die beiden letztgenannten Aspekte sind in der Vergangenheit von China und den Vereinigten Staaten vernachlässigt worden, wie Daten zur Umweltverschmutzung in China oder zur Armutsquote in den USA belegen. Die soziale Marktwirtschaft scheint auch hier am besten aufgestellt. Deutschland gilt als hochgradig innovationsfähig und, trotz aller Ineffizienzen, als Vorreiter sowohl im Klimaschutz als auch in den sozialen Dienstleistungen.

Eine gesunde Mischung

Der sozialen Marktwirtschaft als Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung gelingt es im Vergleich der drei Systeme am besten, die Balance aus Freiheit, Wohlstand und Nachhaltigkeit herzustellen. Besonders in Sachen Innovationsfähigkeit, die Freiheit erfordert und nachhaltigen Wohlstand sichert, erweist sich die Anpassungsfähigkeit und Flexibilität der sozialen Marktwirtschaft entgegen aller Kritik als großer Vorteil: Gerade in Umbruchphasen bietet die soziale Marktwirtschaft die Chance, eine geänderte Ausrichtung der Wirtschaft mit politischen Vorgaben zu begleiten, die Ausgestaltung im Detail jedoch den Marktkräften zu überlassen. So können sich gewünschte - aber auch unvorhersehbare - Innovationen entwickeln, die Herausforderungen wie den Klimawandel am effizientesten adressieren.

Ein noch so geschickt aufgebautes autoritäres System ist nur innovativ, wenn zukünftige Entwicklungen planbar sind, die Ressourcen dorthin kanalisiert werden, wo sie gebraucht werden, und Fördermaßnahmen anderer Staaten einen Markt und eine entsprechende Nachfrage sichern. Es kann gut sein, dass China mit dem Versuch, Innovationen zu planen, in einer technologischen Sackgasse landet. Die oben beschriebenen merkantilistischen Tendenzen der chinesischen Regierung würden dem Land die bisher genutzte Möglichkeit verbauen, mittels internationaler Kooperationen Zugang zu dringend benötigten Innovationen zu erlangen.

Ein Wirtschafts- und Gesellschaftssystem wie in den USA, in dem der staatliche Einfluss sehr gering ist, steht vor Problemen, wenn es um langfristige Veränderungen geht, da sie oft nicht kurzfristig monetarisierbar sind. Ohne kurz- oder mittelfristige Gewinnchancen in einem bestimmten Sektor wird kein privates Unternehmen investieren: Der in den USA von niedrigen Preisen für fossile Energieträger geprägte Strommarkt sei als Beispiel genannt. Um Veränderungen anzustoßen und Innovationen zu initiieren, braucht es hier staatliche Rahmenbedingungen. Den USA ist das in den vergangenen Jahrzehnten nur unzureichend gelungen - so liegen amerikanische Firmen bei erneuerbaren Energien weit unter dem für US-Unternehmen sonst üblichen Niveau an Innovation.

Deutsche Firmen sind oftmals sehr innovativ. Es gab jedoch immer wieder Probleme, wenn von staatlichen Programmen profitierende Firmen sich in späteren Phasen auf dem Weltmarkt behaupten mussten (etwa im Bereich erneuerbarer Energien). Das ist jedoch kein Versagen der sozialen Marktwirtschaft, sondern belegt nur, dass der Staatseingriff - hier in Form von Subventionen - nicht wie gewünscht funktioniert hat. Deutschland sollte daher nicht den Fehler begehen, China nachzueifern und die Entwicklung ganzer Wirtschaftsbereiche prozesspolitisch zu planen und umzusetzen. Das kann China aufgrund der höheren Durchgriffsfähigkeiten des Staates viel gezielter und mit deutlich höheren Ressourcen.

Hier lautet die Devise: Nerven bewahren und sich auf die Stärken der sozialen Marktwirtschaft besinnen - also klare und belastbare Rahmenbedingungen zu setzen und die Wirtschaft innerhalb des Ordnungsrahmens gewähren zu lassen. So sichert man in einem kongruenten Ansatz Freiheit, Wohlstand und Nachhaltigkeit - und damit Wohlstand für alle.

Fußnoten

1) Vgl. Fukuyama, F. (1992) Das Ende der Geschichte: wo stehen wir? (München: Kindler).

2) Obwohl es in Europa verschiedene marktwirtschaftliche und sozialstaatliche Modelle gibt (vgl. bspw. C. Ullrich [2005], Soziologie des Wohlfahrtsstaates: Eine Einführung [Frankfurt/ Main: Campus Verlag GmbH]), definiert der Vertrag von Lissabon in Artikel 3 (3) "eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft" als ein Ziel des europäischen Binnenmarktes. Daher wird sich dieser Beitrag auf die soziale Marktwirtschaft in Deutschland fokussieren.

3) Für eine ausführliche Erklärung siehe M. Schebesta (2018) Monitor Ordnungspolitik: Grundlagen (Berlin: Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.). https://www.kas.de/documents/252038/253252/7_dokument_dok_pdf_52829_1.pdf/542e0117-7bd4-cdfc-1bd3-639e5bfab04c?version=1.0&t=1539647304933 (aufgerufen am 06.11.2020).

4) Statista/ IMF (2020) Staatsquoten in den wichtigsten Industrie- und Schwellenländern von 2009 bis 2019. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/329446/umfrage/staatsquoten-in-industrie-undschwellenlaendern/ (zuletzt aufgerufen am 25.11.2020).

5) Oschmiansky, F. & J. Berthold (2020), "Wohlfahrtsstaatliche Grundmodelle", in: Bundeszentrale für politische Bildung, Dossier Arbeitsmarktpolitik. https://www.bpb.de/politik/innenpolitik/arbeitsmarktpolitik/305930/wohlfahrtsstaatliche-grundmodelle (zuletzt aufgerufen am 6.11.2020).

6) Ibid.

7) Statista/ OECD (2019) OECD: Abgabenquoten in den Mitgliedsstaaten im Jahr 2018. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/157383/umfrage/abgabenquoten-ausgewaehlter-staaten/ (zuletzt aufgerufen am 25.11.2020).

8) In Anlehnung an Isaiah Berlin (1969) "Two Concepts of Liberty", in: I. Berlin (1969) Four Essays on Liberty (London: Oxford University Press).

9) Vgl. Heritage Foundation (2020) 2020 Index of Economic Freedom: Country Rankings. https://www.heritage.org/index/ranking (zuletzt aufgerufen am 24.11.2020).

10) Einen Index, der die positive Freiheit misst, gibt es momentan nicht. Allerdings führt bspw. Catos Human Freedom Index trotz eines eindeutigen Bezugs zu negativer Freiheit Kriterien auf, die auch der positiven Freiheit zugerechnet werden können. In diesem Index liegt Deutschland (8,53) sogar vor den USA (8,46). Vgl. Cato Institute (2019) Human Freedom Index. https://www.cato.org/human-freedom-index-new (zuletzt aufgerufen am 25.11.2020).

11) International Monetary Fund (2020) GDP per capita, current prices. https://www.imf.org/external/datamapper/PPPPC@WEO/USA/DEU/CHN (zuletzt aufgerufen am 24.11.2020).

12) World Economic Forum, The Inclusive Development Index 2018. http://www3.weforum.org/docs/WEF_Forum_IncGrwth_2018.pdf (zuletzt aufgerufen am 24.11.2020).

13) Ibid.

14) Weniger als 5,50 US-Dollar pro Tag verfügbares Einkommen lt. Definition der Weltbank für Staaten mit mittlerem Einkommen. Extreme Armut ist definiert als verfügbares Einkommen unter 1,90 US-Dollar pro Tag.

15) Global Innovation Index (2020). https://www.globalinnovationindex.org/about-gii#keyfindings (zuletzt aufgerufen am 25.11.2020).

16) WIPO (2019) World Intellectual Property Indicators 2019. https://www.wipo.int/edocs/pubdocs/en/wipo_pub_941_2019.pdf (zuletzt aufgerufen am 25.11.2020).

Dr. Jan Cernicky Internationaler Handel und Wirtschaft, Hauptabteilung Analyse und Beratung, Konrad-Adenauer-Stiftung, Berlin
Martin Schebesta Grundsatzfragen der Ordnungspolitik und Soziale Marktwirtschaft, Hauptabteilung Analyse und Beratung, Konrad-Adenauer-Stiftung, Berlin
Dr. Jan Cernicky , Internationaler Handel und Wirtschaft, Hauptabteilung Analyse und Beratung, Konrad-Adenauer-Stiftung, Berlin
Martin Schebesta , Grundsatzfragen der Ordnungspolitik und Soziale Marktwirtschaft, Hauptabteilung Analyse und Beratung, Konrad-Adenauer-Stiftung, Berlin

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