Wunderdroge Helikoptergeld?

Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Otmar Issing, Foto: Center für Financial Studies (CFS)

Die Corona-Krise hat ein bisher unbekanntes Ausmaß angenommen. Selbst die in der Finanzkrise gespannten Rettungsschirme wirken gegen die aktuellen Zahlen überschaubar. Kein Wunder, denn die Folgen der politischen Entscheidung des Shutdowns werden enorm sein. Um sie bestmöglich abzumildern, gewinnen in der aktuellen Diskussion auch alternative ökonomische Konzepte plötzlich wieder an Bedeutung. So fällt jüngst immer wieder der Begriff "Helikoptergeld". Otmar Issing legt in diesem Beitrag seine Sicht dar, warum dieses auch in einer solchen Krise kein geeignetes Instrument sein kann. Seiner Einschätzung nach würde Helikoptergeld immer zu einem Verlust der Geldwertstabilität führen. Das Argument der Anhänger der New Monetary Theory, dass durch Anhebung der Steuern Geld wieder entzogen werden könnte, hält er für reichlich naiv, da dies politisch nur schwer durchsetzbar wäre. Issing sieht im Helikoptergeld ein für die Volkswirtschaft gefährliches Suchtmittel. (Red.)

Als Antwort auf den durch die Corona-Krise verursachten Wirtschaftseinbruch erhalten erwachsene US-Bürger mit niedrigem und mittlerem Einkommen von der Regierung einen Scheck über 1200 US-Dollar plus 500 US-Dollar für jedes Kind. Dieser Vorgang wird weithin als Helikoptergeld bezeichnet. Die Vorstellung erinnert an das Manna, das nach dem Bericht der Bibel einst vom Himmel fiel zur Rettung der Israelis vor dem Hungertod auf ihrem Zug durch die Wüste.

Um mögliche Verwirrungen zu vermeiden, sollte man den Begriff jedoch nur im ursprünglich gedachten Sinn verwenden. Danach versteht man unter Helikoptergeld von der Notenbank geschaffenes und verteiltes Geld ohne Pflicht zur Rückzahlung. Die Gratisschecks in den USA sind also ein Geschenk der Regierung, aber kein Helikoptergeld.

Als Vater dieser Idee wird meist Milton Friedman genannt. Dieser hat in seinem Werk "The Optimum Quantity of Money" ein hypothetisches Beispiel gebracht, in dem ein Hubschrauber Geld in einem Betrag abwirft, der genau der bereits umlaufenden Geldmenge entspricht.1) Unter der Annahme eines Gleichgewichts mit Vollbeschäftigung und ausgelasteten Kapazitäten führen die zusätzlichen Ausgaben der Bevölkerung lediglich zu Preissteigerungen. Am Ende des Prozesses haben sich die Preise verdoppelt, sonst hat sich nichts geändert. Diese vereinfachte Darstellung der Quantitätstheorie geht zurück auf David Hume, der schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ganz ähnlich argumentiert hat. Während Hume natürlich nicht an die Möglichkeit der Verteilung von Geld per Hubschrauber dachte, hat Ben Bernanke, der spätere Chairman der Fed, diese Möglichkeit diskutiert.

Von Helikoptergeld spricht man also, wenn Geld tatsächlich auf welchem Wege auch immer, per Hubschrauber, Scheck oder Gutschrift auf einem Konto bei der Notenbank an den Staat oder direkt an die privaten Haushalte oder wen auch immer ohne Pflicht zur Rückzahlung verteilt wird. In einem Beitrag zur Analyse der Geldpolitik der Bank von Japan spricht Bernanke nicht von einem Gedankenexperiment, sondern diskutiert ernsthaft die Vorteile der direkten Verteilung von Geld.2) Das einzige Argument gegen diese Maßnahme läge nach seiner Ansicht in der Befürchtung der Bürger, die Regierung könnte später über eine Kopfsteuer den Betrag wieder zurückfordern. Als Folge dieser Sorge würden die Haushalte das zusätzliche Geld nicht ausgeben, sondern sparen.

Es gäbe jedoch keinen Grund, diese Option ernst zu nehmen, oder anders gesagt, die Bürger würden mit dem zusätzlichen Geld tatsächlich verstärkt Güter und Dienste nachfragen. Warum also überhaupt den unsicheren Weg etwa über das "quantitative easing", also den Kauf von Anleihen durch die Notenbank gehen und nicht zusätzliches Geld, auf welchem Wege auch immer, direkt verteilen? Es geht also nicht darum, dass Regierungen Schecks an die Bevölkerung verschenken. Wohltaten dieser Art in den verschiedensten Formen gehören zum Alltagsgeschäft der Politik.

Regierung oder Notenbank?

Helikoptergeld liegt dagegen vor, wenn die Notenbank einen Scheck ausstellt oder eine Überweisung auf das Konto eines Begünstigten vornimmt - ohne Verpflichtung zur Rückzahlung. Im Falle der USA könnte also der Scheck direkt von der Notenbank kommen oder die Fed würde die Regierung oder eine andere Institution, wie etwa die Post, als Agentur zur Verteilung des Geldes einsetzen. Entscheidend ist die Betätigung der Notenpresse beziehungsweise eine entsprechende Gutschrift auf ein Konto bei der Notenbank. Es wird also die Geldmenge in den Händen von Nichtbanken direkt erhöht. Normalerweise verläuft der Geldschöpfungsprozess über das Bankensystem. Die Banken üben dann einen wesentlichen Einfluss auf das gesamtwirtschaftliche Geldangebot aus. Erhöht die Notenbank die Zentralbankgeldmenge, halten die Banken aber etwa aus Liquiditätsgründen das zusätzliche Zentralbankgeld auf Guthaben bei der Notenbank, dann verpufft insoweit der von der Notenbank intendierte expansive geldpolitische Impuls.3)

Linke Systemgegner argumentieren, man sollte den Geldschöpfungsprozess nicht den Entscheidungen privater Banken und deren Profitinteressen überlassen. Es wäre zielgerichteter, wegen des Mitteleinsatzes nach politischen Prioritäten der allgemeinen Wohlfahrt zuträglich und zudem billiger, die Geldschöpfung durch die direkte Finanzierung der Staatsausgaben an den Banken vorbei zu organisieren.

Direkte Staatsfinanzierung

Die sogenannte New Monetary Theory (NMT)4) stellt eine Variante des Helikoptergeldes dar. Im Kern zielt der Vorschlag darauf, dass die Notenbank die Ausgaben der Regierung direkt finanziert. Der Scheck beziehungsweise die Gutschrift geht also nicht an Private, sondern an die Regierung. Diese kann dann ihre Ausgaben ohne Budgetbeschränkung finanzieren. Eine wohlmeinende Politik kann dann endlich wichtige soziale Projekte verfolgen, die bisher an den Grenzen der Aufnahme von Schulden gescheitert sind. So könnte die Regierung nach Auffassung der Vertreter der NMT die Ausgaben so lange erhöhen, bis Vollbeschäftigung erreicht ist. Die Anhänger der NMT in den USA sind politisch (überwiegend) dem linken Lager zuzuordnen. Auf der Wunschliste der Aufgaben, die dank der kostenlosen Finanzierung verwirklicht werden könnten, finden sich soziale Projekte aller Art. Wie sähe aber dieses Argument aus, wenn der Präsident "Trump" hieße und jetzt endlich den Bau der Mauer an der Grenze zu Mexiko kostenlos finanzieren könnte?

Verfügt der Staat über eine eigene Währung, kann er nach der NMT seine Ausgaben beliebig erhöhen - ein Bankrott in der eigenen Währung, für die es keine Einlösungspflicht gibt, ist ausgeschlossen.

Existiert keine Budgetbeschränkung für öffentliche Ausgaben, gibt es auch kaum eine Grenze für Ausgabenwünsche - an Argumenten warum dieses oder jenes und am Ende alle Projekte wünschenswert und wichtig sind, wird es nicht mangeln. Mit zunehmenden durch die Notenpresse finanzierten Ausgaben wächst die Gefahr der Inflation. Nachdem die Notenbank die Kontrolle über die Geldschöpfung verloren hat, muss der Staat nun auch handeln, wenn es zu unerwünschten Preissteigerungen kommt. Darauf hat die NMT eine einfache Antwort: Der Staat erhöht die Steuern und zieht auf diesem Wege überschüssiges Geld aus dem Verkehr.

Allenthalben wird die durch die Pandemie ausgelöste Krise als Notsituation betrachtet, in der Regeln der Vergangenheit obsolet geworden sind. In der Tat kennen wir aus der Geschichte Situationen, in denen die Politik durch die Umstände gezwungen war, sich über das bisherige institutionelle Reglement hinwegzusetzen. Man denke etwa an die Lage in Deutschland nach dem Ende des Ersten Weltkriegs: Die Wirtschaft lag am Boden, die Steuereinnahen waren zusammengebrochen, allenthalben blanke Not. Dazu mussten die Kriegsheimkehrer, viele schwer verwundet, versorgt werden. Zudem drohte der Bürgerkrieg. Um den völligen Zusammenbruch des Staates und der Gesellschaft zu verhindern, gab es zur Finanzierung der öffentlichen Ausgaben durch die Notenbank keine Alternative. Bekanntlich endete diese Politik in der Hyperinflation von 1922/23.

Die Lehre aus der Geschichte ist eindeutig: Die Hürden für das Ausrufen des Ausnahmezustands sind extrem hoch anzusetzen. Das gilt umso mehr, als die Schwere der Krise nichts an den anschließenden Inflationsgefahren ändert. Trotz des schweren Wirtschaftseinbruchs durch die Pandemie kann man nur davor warnen, den Ausnahmezustand auszurufen und nach dem Helikoptergeld zu rufen. Als Folge der Pandemie wird die Inflation aller Wahrscheinlichkeit nach zunächst zurückgehen. Die negativen Auswirkungen des Öffnens der Schleusen der Notenbankfinanzierung würden sich erst im Laufe der Zeit offenbaren.

Wachsende Gefahr der Inflation

Im Modell, sozusagen auf dem Papier, ist die Idee der NMT so einfach wie wirksam. Es bedarf jedoch eines ungewöhnlichen Maßes an politischer Naivität darauf zu vertrauen, dass die Regierung rechtzeitig auf den Preisanstieg reagieren wird. Es kommt im Übrigen entscheidend darauf an, mit dem Abschöpfen von Geld zu beginnen, bevor die "Inflation ins Laufen" kommt. Je später die Regierung handelt, desto schwieriger und gesamtwirtschaftlich kostspieliger wird es, den Preissteigerungsprozess zu stoppen. Selbst einer so auf die Erhaltung des Geldwertes fokussierten Institution wie der Deutschen Bundesbank gelang die Bekämpfung der Inflation mehrfach nur nach Phasen nicht unerheblicher Preissteigerungen. Und jedes Mal war es ihre Unabhängigkeit, die es ihr ermöglichte, den notwendigen restriktiven geldpolitischen Kurs gegen Kritik und politischen Druck einzuleiten und durchzuhalten.

Wie soll man eine adäquate, auf die Preisstabilität ausgerichtete Politik von einer Regierung und einem Parlament erwarten, die sich vorher der getätigten Wohltaten gerühmt haben und jetzt nicht nur den Geldhahn zudrehen, sondern die Bürger mit zusätzlichem Steuern belasten sollen?

Welche Regeln auch immer erdacht werden: Es ist politisch schlichtweg nicht damit zu rechnen, dass die Regierung rechtzeitig den Schalter von Geldausgeben auf Steuererhöhungen umstellen wird. Prinzipiell nicht viel anders läge die Situation, wenn man die Notenbank mit der Aufgabe betraute, dem Staat immer nur so viel Geld zu überweisen, wie es mit Geldwertstabilität vereinbar wäre. Kann man sich wirklich vorstellen, die Notenbank würde laufend Geld verschenken und dennoch Herrin einer auf Preisstabilität ausgerichteten Geldschöpfung bleiben? Tausend Gründe höchster Dringlichkeit werden die Notenbank so unter Druck setzen, dass das Stoppen der Notenpresse rechtzeitig, das heißt vor dem Ausbruch der Inflation kaum gelingen dürfte. Nach der NMT ist die Notenbank ohnehin Teil der Regierung.

Geldwertstabilität in Gefahr

Die Politisierung der Geldschöpfung wird nach allen Erfahrungen der Geschichte in der Aushöhlung des Geldwertes enden. "Denn überall in der Welt haben Herrscher und unabhängige Staaten in ihrer Habsucht und Ungerechtigkeit das Vertrauen der Menschen missbraucht, indem sie nach und nach den ursprünglichen Metallgehalt ihrer Münzen herabgesetzt haben."5) Seitdem hat sich an dieser Erfahrung nichts geändert, nur die Art der Inflation ist im Papierwährungssystem eine andere. Eine inzwischen unüberschaubare Zahl von theoretischen und empirischen Untersuchungen bringt den eindeutigen Befund: Je unabhängiger die Notenbank eines Landes, desto geringer die Inflation. 6) Die Währungsgeschichte ist von einem Auf und Ab im Ringen um gutes Geld gekennzeichnet.7) Es bedürfte wohl nicht vieler Experimente, um den Beweis zu liefern: Wenn der Staat seine Aufgaben mittels der Notenpresse finanzieren kann, wird es unvermeidlich zu Inflation kommen.

Helikoptergeld ist keine Wunderdroge, sondern ein für die Geldwertstabilität und damit am Ende auch für die gesamte Volkswirtschaft gefährliches und schädliches Suchtmittel.

Fußnoten

1) Friedman, M., The Optimum Quantity of Money and other Essays, London 1969.

2) Bernanke, B. S., Some Thoughts on Monetary Policy in Japan, Tokyo, May 2003.

3) Nach Turner erzeugt der traditionelle Geldschöpfungsprozess unvermeidlich gravierende Verzerrungen im Wirtschaftssystem, vor allem wegen des dominanten Einflusses der Zinspolitik auf die Bautätigkeit. Diese negative Begleiterscheinung der Geldschöpfung kann vermieden werden, wenn die Notenbank unter Umgehung der Banken das Zentralbankgeld direkt der Regierung überweist. Turner, A., Between Debt and the Devil, Princeton 2016.

4) Sogenannt deshalb, weil der Gedanke alles andere als neu ist. In den 1940er Jahren hat A. P. Lerner bereits die Theorie der "functional finance" propagiert mit dem gleichen Inhalt.

5) Smith, A., Der Wohlstand der Nationen, München 1974, S. 26.

6) Masciandaro, D. and Romelli, D., The Evolution of Central Bank Independence and Inflation: Causal Evidence from Dynamic Indices, Bocconi University, March 2017.

7) Issing, O., Stabiles Geld - eine Illusion? Walter Eucken Institut, Beiträge zur Ordnungstheorie und Ordnungspolitik 180, Tübingen 2019.

Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Otmar Issing Präsident, Center für Financial Studies, Goethe-Universität, Frankfurt am Main
Otmar Issing , Präsident, Center für Financial Studies, Goethe-Universität, Frankfurt am Main
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