Zinswende - kein Ende der Herausforderungen für Banken

Geldpolitik extrem? 10-jährige Bundesanleihe, 3-Monats-Geldmarktzinssatz bezüglich Inflationsrate in Deutschland, Quelle: Deutsche Bundesbank

Dr. Ulrich Kater, Chefvolkswirt, DekaBank Deutsche Girozentrale Anstalt des öffentlichen Rechts, Frankfurt am Main - Nach dem Abflauen der akuten Vertrauenskrise im Finanzsystem und den ärgsten Turbulenzen im Euro-Währungsraum registriert der Autor ein zunehmendes Auseinanderdriften der Meinungen über die Angemessenheit der unkonventionellen Geldpolitik. Auf der einen Seite sieht er die Verfechter einer Normalisierung des Inflationsgeschehens und auf der Gegenseite die warnenden Stimmen vor negativen Begleiterscheinungen - angefangen bei Verteilungseffekten und Fehlallokationen bis hin zu Verschleppungen von Bilanzreparaturen und wirtschaftspolitischen Reformen. Er selbst hält eine Normalisierung der Geldpolitik in diesem letzteren Sinne für das wahrscheinlichste Szenario. Zwar stuft er die Geldpolitik des Euro inzwischen für wesentlich unabhängiger von der Fed als die von kleinen Staaten wie der Schweiz ein, für die kommenden Jahre erwartet er gleichwohl auch im Euroraum eine zeitverzögerte Entwicklung wie in den USA. Für die deutschen und europäischen Banken prognostiziert er somit anhaltenden Druck auf die Geschäftsmodelle - insbesondere einen Schrumpfungsprozess der Kreditkapazitäten. (Red.)

Lange Zeit sah es so aus, als würde sich niemals mehr etwas bewegen in der Geldpolitik. Und wenn, dann nur in eine Richtung. Immer neue Programme haben sich die großen Notenbanken Fed und EZB in den vergangenen Jahren ausgedacht, um die Geldpolitik noch expansiver zu gestalten, nachdem die Nullzinsgrenze beim Notenbankzins bereits in den Jahren 2010 (Fed) und 2013 (EZB) erreicht worden war. Der Fantasie waren (und sind) keine Grenzen gesetzt. Von neuen Kommunikationsinstrumenten, die die Märkte auf eine nie gekannte Expansionsphase einschwören sollten, über raffinierte Anreizsysteme zur Kreditvergabe für Banken bis hin zu Ankaufsprogrammen aller Art zur Vergrößerung der Zentralbankbilanz reichten die Anstrengungen.

Zentralbanken als lender of last resort

Das Ziel wie die dahinter stehende geldpolitische Philosophie war überall gleich: In einer Vertrauenskrise des Finanzsystems wie in den Jahren 2007 ff. ist die Zentralbank als lender of last resort die einzige Instanz, die Panikreaktionen im Finanzsektor stoppen und damit stabilisierend wirken kann. Hierzu haben die Notenbanken in den vergangenen Jahren den über weite Teile aus Vertrauensmangel zwischen den Banken zusammengebrochenen Interbankenmarkt durch die eigene Bilanz ersetzt.

Neben der Liquiditätsbereitstellung sind Zinssenkungen das Hauptinstrument der Notenbanken gewesen. Zum einen stabilisieren niedrige Zinsen hoch verschuldete Sektoren von Volkswirtschaften, seien es Konsumenten, Unternehmen oder der Staat. Zum anderen soll die Geldpolitik auch die allgemeine wirtschaftliche Aktivität und damit die Auslastungsgrade der Volkswirtschaften beeinflussen, um hohe Einkommen zu generieren, die bei hohen Schuldenständen unabdingbar für die finanzielle Stabilität sind. Hierbei stellen Zinsen das Hauptscharnier zwischen monetären Impulsen und realwirtschaftlichen Wirkungen dar.

Genau dies ist weltweit versucht worden, angeführt von den wenigen Notenbanken, die aufgrund ihrer Größe überhaupt eine eigenständige Geldpolitik machen können, nämlich der Fed, der EZB und der Bank of Japan. Insofern haben alle Notenbanken gleich gehandelt, von Unterschieden aufgrund institutioneller Besonderheiten der jeweiligen Finanzsysteme einmal abgesehen. Ungleichgewichte hat es somit in den vergangenen Jahren weniger zwischen den Volkswirtschaften gegeben als vielmehr innerhalb ihrer finanziellen Sektoren.

Weltweites Ungleichgewicht zwischen Industrie- und Schwellenländern

Ein weltweites Ungleichgewicht hat sich in den Jahren nach der Finanzkrise noch einmal aufgebaut zwischen den krisengeplagten Industrieländern und den Schwellenländern: hohe Kapitalzuflüsse und extrem günstige Verschuldungskonditionen wurden dort zum Anlass für eine stärkere Verschuldung von Unternehmen und Staaten genommen. Auch in den Schwellenländern lief die wirtschaftliche Entwicklung nach der Finanzkrise nur schleppend, weil die Nachfrage der Industrieländer nach Industriegütern sehr verhalten ausfiel. Ob der hierdurch finanzierte Investitionszyklus in den Schwellenländern nachhaltig ausgefallen ist, wird das Jahr 2016 beantworten, wenn hohe Volumina - auch in harten Währungen - zur Anschlussfinanzierung anstehen. Insgesamt sind jedoch in den vergangenen Jahren die weltweiten Ungleichgewichte eher zurückgegangen: Die weltweiten Leistungsbilanzsalden schrumpf ten ebenso wie die damit verbundenen Netto-Kapitalströme. Die Weltfinanzmärkte haben sich etwas stärker voneinander abgeschlossen.

In einem technischen Sinn war jedoch die außergewöhnliche Geldpolitik sehr erfolgreich. Es ist den Notenbanken gelungen, sowohl kurzfristige als auch langfristige Zinssätze für lange Zeit auf extrem niedrige Niveaus zu schleusen. Das hat - außerhalb Japans - bei gleichzeitig zwar geringen, aber weiterhin positiven Inflationsraten zu den gewünschten negativen Realzinsen geführt, von denen man sich die belebenden Effekte auf die gesamtwirtschaftliche Aktivität verspricht (Abbildung). Die Absenkung des Zinsniveaus vollzog sich in der gesamten Breite von Assetklassen und Laufzeiten. In Europa sind sogar negative Renditen erzeugt worden, in einem Ausmaß, welches manchen Marktteilnehmer überrascht hat. Erfahrungen mit negativen Zinsen lagen vorher erst wenig vor, sodass in den vergangenen Jahren geldpolitisches Neuland erst erkundet werden musste.

Meinungsstreit über die unkonventionelle Geldpolitik

Der EZB gelang es sogar, die Unvollkommenheiten des Maastricht-Regelwerkes für den Betrieb der Euro-Währungsunion zu übertünchen, indem sie Staatsanleihenprogramme aufstellte, die weit in das Gebiet der Finanzpolitik hineinreichen, womit sie quasibundesstaatliche Finanzpolitik-Funktionen auf europäischer Ebene vorwegnimmt. Somit kamen auch die fiskalisch schlechter aufgestellten Regionen der Währungsunion in den Genuss dieser ultraniedrigen Zinssätze. Da alle Notenbanken in die gleiche Richtung agiert hatten, blieben die Wechselkurseffekte noch überschaubar, obwohl die Schwankungen etwa des Euro-Dollar-Kurses von 2008 an beträchtlich gewesen sind. Erst nach dem Jahr 2014, als sich herauskristallisierte, dass die Fed wohl die erste Notenbank sein würde, die den geldpolitischen Kurs auch wieder ändern würde, schwächte sich der Euro deutlich und dauerhaft gegenüber dem US-Dollar ab. Nach dem Abflauen der akuten Vertrauenskrise im Finanzsystem ab 2010 und im Euro-Währungsraum ab 2012 gehen nun die Meinungen über die Angemessenheit der unkonventionellen Geldpolitik mehr und mehr auseinander. Auf der einen Seite steht die Meinung, dass der Rettungsauftrag der Geldpolitik solange nicht erfüllt ist, bis das Inflationsgeschehen sich wieder normalisiert hat. Ausgehend vom extremen Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage in der großen Rezession von (2009/10) in den Krisenländern waren die Inflationsraten deutlich und lang anhaltend unter die Inflationsziele der Geldpolitik abgesunken. Zwar kann man über verschiedene Finanzmarktindikatoren zeigen, dass die langfristigen Inflationserwartungen der Marktteilnehmer immer noch höher ausfallen. Aber auch diese Inflationserwartungen haben sich, insbesondere in Euroland, in den vergangenen beiden Jahren deutlich unter die Zielvorstellung der EZB von "unter, aber nahe zwei Prozent" begeben. Ihrem gesetzlichen Auftrag verpflichtet, können die Notenbanken in einer solchen Situation nicht anders, als fortgesetzt mit einem massiven Instrumenteneinsatz reagieren, um eine dauerhafte Entankerung der Inflationserwartungen zu verhindern.

Die Gegenmeinung stellt die negativen Begleiteffekte der unkonventionellen Geldpolitik in den Vordergrund. Verteilungseffekte, Fehlallokationen, Verschleppungen von Bilanzreparaturen ebenso wie von wirtschaftspolitischen Reformen: Die Liste ließe sich fortsetzen. Es wird anerkannt, dass viele Volkswirtschaften seit einigen Jahren vor neue Probleme gestellt sind. Hierzu zählen schwache Investitionen, eine schwache Produktivitätsentwicklung und sich verschlechternde Finanzkennziffern von Staaten und Altersvorsorgesystemen vor dem Hintergrund ungünstiger demografischer Rahmenbedingungen. Diese Probleme werden jedoch nicht allein in der monetären Sphäre gelöst, sondern sind eher realwirtschaftliche Probleme. Die Frage, ob die Preisentwicklung in einer solchen Phase auch einmal leicht unter null fällt, spielt dabei keine große Rolle.

Hinweise auf eine Normalisierung der Geldpolitik

Um eine Reihe von Nebenwirkungen zumindest abzudämpfen und weil die positiven Effekte der Geldpolitik bei der Behebung dieser Probleme nicht als substanziell eingeschätzt werden, plädiert diese Fraktion für eine Beendigung der ultraniedrigen Zinspolitik und ihrer kleinen Schwester, der quantitativen Anleihekaufpolitik. Aber auch hier herrscht die Meinung vor, dass selbst eine "normalisierte" Geldpolitik auf absehbare Zeit nicht wieder solche Realzinsen hervorbringen wird wie in den vergangenen Jahrzehnten.

Einiges deutet darauf hin, dass eine Normalisierung der Geldpolitik in diesem Sinne das für die kommenden Jahre wahrscheinlichste Szenario darstellt. Natürlich ist hier das Beispiel, das die US-amerikanische Notenbank vorgibt, der stärkste Hinweis. Nach sechs Jahren stetigen Wachstums sind die Auslastungslücken in der US-Wirtschaft, die auch hier nach der großen Rezession 2009/10 enorm waren, aufgefüllt worden. Sichtbarster Beleg ist der Arbeitsmarkt. Bereits im Jahr 2014 wurde erstmals wieder ein neues Allzeithoch beim Beschäftigungsniveau erreicht und mit 5,0 Prozent liegt die Arbeitslosenquote derzeit im Bereich der Vollbeschäftigung. Aufräumarbeiten bei Verschuldung und im Immobiliensektor sind vorangeschritten: Die Verschuldung der privaten Haushalte in Relation zum verfügbaren Einkommen ist vom einsamen Spitzenwert mit 130 Prozent der verfügbaren Einkommen auf 100 Prozent wieder auf einem unauffälligen Niveau gelandet.

Für Euroland hat dies zunächst wenig direkte Konsequenzen. Der Wechselkurs des Euro zum US-Dollar spiegelt Perspektiven einer größeren geldpolitischen Divergenz mittlerweile wider. Die Geldpolitik der EZB ist unabhängig von der Fed oder höchstens indirekt abhängig, als realwirtschaftliche Entwicklungen der US-Wirtschaft sich auf die Euroland-Wirtschaft übertragen und zeitverzögert eine ähnliche geldpolitische Reaktion notwendig machen. Allerdings ist mit der Gründung des Euro ein Währungsgebiet entstanden, das wesentlich stärker auf seine eigene binnenwirtschaftliche Entwicklung angewiesen ist als auf äußere Impulse.

Schrumpfungsprozess der Kreditkapazitäten im Bankensystem

Insofern ist auch die Geldpolitik des Euro wesentlich unabhängiger als die Geldpolitik eines kleinen Landes wie etwa der Schweiz. Allenfalls dürfte sich die Entwicklung in den Vereinigten Staaten zeitverzögert auch in Euroland abspielen: Sollten keine europolitischen Schocks dazwischenkommen, ist für die kommenden Jahre eine weitere kontinuierliche wirtschaftliche Aufwärtsbewegung vorgezeichnet, welche die EZB ebenso wie die Fed zunächst zu einer Beendigung der Anleihekäufe und danach ebenfalls zu leichten Zinssteigerungen veranlassen sollte.

All das darf jedoch nicht vergessen machen, dass der Weg dahin insbesondere in Euroland noch weit ist und das Zinsniveau in den kommenden Jahren weiterhin extrem niedrig bleiben wird. Der Druck auf Geschäftsmodelle und Bankensystem in Euroland wird daher weiter anhalten. Selbst wenn man annimmt, dass das Ausmaß an Niedrigzinsen durch die EZB künstlich übertrieben ist, so sprechen doch viele Hinweise dafür, dass der angemessene "natürliche" Zinssatz in Euroland recht flach ausfällt. Er ist insbesondere Ausdruck eines neuen Verhältnisses von (reichlichen) Ersparnissen und (geringeren) Investitionen in einer demografisch belasteten Welt.

Die Möglichkeit zur Erzeugung von Krediten im Bankensystem hängt - neben der bereits einschränkenden Regulierung - insbesondere von der Nachfrage nach Krediten ab. Diese richtet sich nach dem Volumen von lohnenden Investitionsprojekten und dieses Volumen entwickelt sich selbst bei niedrigsten Zinsen nicht sehr dynamisch. Insofern kann man den jetzt zu erwartenden Schrumpfungsprozess der Kreditkapazitäten im europäischen Bankensystem auch als Anpassung der Kreditschöpfungskapazitäten an eine verminderte Nachfrage verstehen. An einer solchen Anpassung kommt das Bankensystem wohl nicht vorbei - trotz der Hoffnung auf wieder etwas mehr Normalität.

Dr. Ulrich Kater , Chefvolkswirt , DekaBank - Deutsche Girozentrale, Frankfurt am Main
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