Standortwettbewerb

Angemessener Offensivdrang gesucht

Ein Verzicht auf die Gültigkeit des AGB-Rechts im kaufmännischen Geschäftsverkehr, das aus seiner Sicht wettbewerbsverzerrende steuerliche Abzugsverbot für die Bankenabgabe, die immer noch drohende Finanztransaktionssteuer, die Sicherstellung einer transparenten Besteuerung von Private-Equity-Investoren sowie die Einführung eines befreienden IFRS-Einzelabschlusses: All das sind Forderungen des Bundesverbandes der privaten Banken, die nicht neu klingen. Dass sie während der politischen Sommerpause in Berlin als Appell an die Bundesregierung formuliert wurden, um die Chancen des Finanzplatzes Frankfurt im Zuge der Umsetzung des Brexit-Votums zu erhöhen, klingt nachvollziehbar. Zu einem wirklich offensiven Standortmarketing der Bundesregierung für Frankfurt haben sie aber auch nach der Sommerpause nicht beigetragen - zumindest nicht vor dem dieser Tage stattfindenden Gipfel der EU-Regierungschefs in Bratislava. Allein die Ansiedlung der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde EBA in Frankfurt wird von der hessischen wie der Berliner Politik sowie diversen Wirtschaftsverbänden mit gewisser Penetranz vorgetragen.

Eher zwiespältig zurückhaltend reagieren seit fast drei Monaten die hiesigen Finanzplatzlobbyisten wie auch die Bundespolitik auf die seinerzeit für viele doch überraschende Brexit-Entscheidung in Großbritannien. Oberstes Gebot zum Einstieg in die seither laufende Standortdebatte bleibt fast immer der besorgte Hinweis auf die insgesamt wohl eher kontraproduktiven Gesamtwirkungen des britischen Votums auf den Wohlstand in der Eurozone und ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Weltregionen. Angesichts des recht knappen Ergebnisses mit mehr oder weniger deutlichen Mehrheiten für einen Verbleib in Schottland, Nordirland und der Finanzmetropole London sowie nicht zuletzt der enormen Unterschiede im Wählerverhalten der Altersgruppen wird allgemein mit einem äußerst zähen Verhandlungsprozess zur Umsetzung der Entscheidung gerechnet. Schon die Phase bis zum Austrittsantrag könnte sich noch quälend lange hinziehen. Selbst wenn sich die konkreten Verhandlungen dann in dem vorgesehenen Zeitraum von maximal zwei Jahren zu Ende bringen ließen, könnte sich die Unsicherheit leicht bis zum Beginn des Jahres 2019 oder gar noch länger hinziehen.

Wie so viele Interessenverbände positioniert sich der BdB versöhnlich. Hauptgeschäftsführer Michael Kemmer hält es zu Recht für unklug, aus Sicht der EU den Beleidigten zu spielen und sich an den Verhandlungsführern des UK für das Abstimmungsergebnis rächen zu wollen. Er will auch nach dem Austritt eine möglichst enge Beziehung zwischen Euroland und dem UK erhalten, will dabei möglichst einem Level Playing Field und dem Grundsatz der Reziprozität zur Geltung verhelfen und will nicht zuletzt Frankfurt als kontinentalen EU-Partner von London etablieren. Auf diesem Abstraktionsniveau klingt das alles irgendwie danach, als könnten alle Seiten im anstehenden Verhandlungsmarathon profitieren. Doch das dürfte Wunschdenken bleiben. Auch die BdB-Spitze weiß nur zu gut, dass es für Großbritannien kein Rosinenpicken geben darf. Mehr noch: Aufgrund der neuen Lastenverteilung im EU-Haushalt muss der EU-Bevölkerung der Tendenz nach der glaubhafte Eindruck vermittelt werden, Europa bringt Vorteile, ein Austritt lohnt sich nicht.

Für die Finanzdienstleister ist und bleibt die künftige Interpretation des EU-Passes eines der Schlüsselthemen. Von dessen Grundpfeilern, nämlich einer Anwendung einheitlicher Regeln und der Ausübung eines vergleichbaren Aufsichtsregimes werden die EU-Staaten bei aller Einigungsbereitschaft gegenüber Großbritannien nicht abweichen können. Und wieso sollte das UK in dieser wie in anderen Fragen als Nichtmitglied gegenüber anderen Drittstaaten wie der Schweiz oder Norwegen Vorteile haben? Vermutlich wird die europäische Öffentlichkeit mit Argusaugen drauf achten, eine regulatorische Standortarbitrage zu vermeiden. Angesichts der großen öffentlichen Aufmerksamkeit, mit der seit vielen Jahren die Praktiken von Unternehmenssteuervermeidung, von Briefkastenfirmen und Transfers von Vermögenswerten ins Ausland beäugt und von der hiesigen wie der europäischen Politik als Missstand gebrandmarkt werden, darf man bezweifeln, dass sich eine mögliche Steuer- und Regulierungsoase London auf eine reibungslose Zusammenarbeit mit Kontinentaleuropa freuen kann.

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