Aktien

Ein Bärendienst

Oft heißt es, dass die Corona-Pandemie auch positive Begleiterscheinungen mit sich bringt - wenn auch nicht viele. Am häufigsten ist dabei wohl in der Wirtschaftswelt zu hören, dass sie die Digitalisierung beschleunigt habe und nun alles viel schneller gehe. In der Tat haben gerade auch die Banken davon profitiert. Viele Kunden, die zuvor dem digitalen Zugangsweg nicht aufgeschlossen waren, mussten ihn zwangsweise testen und haben dabei gemerkt, dass dieser sogar viel einfacher, schneller und effizienter sein kann. Das hilft den Instituten enorm, erleichtert es doch die angespannte Kostenstruktur durch ausgewählte zusätzliche Filialschließungen zu straffen.

Doch nicht nur die Banken waren zu mehr Digitalisierung gezwungen. Eine altehrwürdige Institution der Mitbestimmung musste urplötzlich und aus dem Stand ebenfalls digital abgehalten werden: die Hauptversammlung (HV) der Aktiengesellschaften. Der Staat hatte zuvor mit seiner Covid-19-Notfallsgesetzgebung die virtuelle Hauptversammlung erst möglich gemacht. Vorbei mit dem meist guten Essen für Aktionäre, die tatsächlich auch die Mühen auf sich genommen haben, um an einer Hauptversammlung teilzunehmen. Vorbei mit dem Austausch der Aktionäre untereinander. Und vor allem: Vorbei mit der Mitbestimmung? Natürlich durfte auch virtuell abgestimmt werden. Allerdings ist das Rederecht - das manchmal durchaus nervenstrapazierend lange und nicht immer zielführend ausgekostet wurde -reduziert worden in dieser Hauptversammlungssaison. Zumindest am Anfang. In einer im Dezember 2020 angepassten Regelung wurde immerhin aus einer Fragemöglichkeit für Aktionäre ein Fragerecht.

Doch all das - dieses Mantra ist derzeit oft zu hören, wenn Durchhalteparolen den Verzicht auf Freiheit und Grundrechte etwas weniger schmerzhaft erscheinen lassen sollen - sei ja nur vorübergehend. Aber ist es das tatsächlich? Zumindest beim Thema Hauptversammlung möchte das wohl nicht jeder so haben. In einer Studie des Deutschen Aktieninstituts (DAI) kommen viele Vorstände von Aktiengesellschaften zu Wort, so auch einleitend Dr. Hans-Ulrich Engel, seines Zeichens der Präsident des DAI und Finanzvorstand der BASF. Dort schließt er mit den Worten, dass virtuelle Hauptversammlungen eine Option bleiben und nicht zu einem Intermezzo der Pandemie werden sollten.

Als Notlösung für Pandemien sollten Konzepte selbstverständlich in der Schublade bleiben. Aber: Für die viel beschworene Aktienkultur wäre das ein schwerer Schlag! Nicht nur weil vor allem ältere Menschen - die aber nun mal den Löwenanteil der Aktionäre stellen - sich oftmals schwertun mit den entsprechenden Kanälen würde das der Debattenkultur schaden und die Zahl der Redebeiträge reduzieren. Auch der schon angesprochene Austausch zwischen Aktionären ist wichtig für die Aktienkultur. Es scheint, als habe Engel hier vor allem in seiner Rolle als Finanzvorstand geschrieben. Natürlich ist die virtuelle Variante der Hauptversammlung günstiger für die Aktiengesellschaft, allein schon wegen fehlenden Raummieten und dem Wegfall des Caterings. Und aus den schon angesprochenen Gründen würde es auch insgesamt in der Breite weniger Kritik für die Vorstände bedeuten. Doch der Aktienkultur, dessen Förderung sich das DAI zu Recht auf die Fahne schreibt, wäre bei einer anhaltenden Virtualisierung der Institution schwer geschadet. Engel erweist dem DAI, aber am Ende damit auch sich als Vertreter einer Aktiengesellschaft einen Bärendienst. Denn weniger Aktienkultur wird am Ende auch weniger Interesse am Aktienmarkt bedeuten.

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