Rechtsfragen

Bereitstellungszins höher als Darlehenszins - sittenwidrig?

Dr. Claus Steiner, Foto: privat

Bei der Finanzierung insbesondere von Bauvorhaben mit Teilauszahlungen nach Baufortschritt erheben Banken traditionell für langfristige Tilgungsdarlehen nicht nur einen Festzins, sondern auch einen "Bereitstellungszins", der bis zur Auszahlungsreife des Darlehens beziehungsweise seiner Teilbeträge zu zahlen ist. Bei zeit- und fristenkongruenter Refinanzierung solcher Darlehen entstehen für die Banken Zinskosten, die sie mit dem Bereitstellungszins und dem (etwaigen) Zinsertrag aus der Zwischenanlage dieser Mittel zu decken versuchen. Als der Bereitstellungszins vor langer Zeit "erfunden" wurde, bewegten sich die Darlehenszinsen allerdings im Bereich zwischen 6 und 10 Prozent per annum. Und die Refinanzierungszinsen lagen um 0,5 bis 1 Prozentpunkte darunter.

Als die langfristigen Darlehenszinsen dann aber unter die 3-Prozent-Marke sanken und sowohl der Refinanzierungs- als auch der Zwischenzins für die Banken sogar negativ wurde, wäre auch eine Anpassung der Bereitstellungszinsen angezeigt gewesen. Sie erfolgte jedoch nicht durchgängig. Dieses Verhalten veranlasste einen Verbraucherverband, einer Bank gerichtlich verbieten zu lassen, in ihren Verbraucher-Darlehensverträgen (§ 491 Abs. 3 BGB) formularmäßig Bereitstellungszinsen von 0,25 Prozent pro Monat, was einer Verzinsung von 3 Prozent per annum entspricht, für noch nicht ausgezahlte Darlehensbeträge zu erheben. Der bei Klagerhebung aktuelle Darlehenszins der beklagten Bank betrug 1,22 Prozent pro Jahr. Dementsprechend hielt der Verband einen Bereitstellungszins in Höhe von 0,25 Prozent pro Monat für rechtswidrig, weil dieser der Inhaltskontrolle nach §§ 307-309 BGB nicht standhalte und zudem im Sinne des § 138 BGB sittenwidrig sei.

Das LG Mannheim in erster sowie das OLG Karlsruhe in zweiter Instanz sahen das jedoch anders und wiesen die Unterlassungsklage ab (OLG Karlsruhe Urteil vom 12.10.2021 AZ 17 U 545/20 - abgedruckt in ZIP 2021 S. 2272). Ob der Verband Revision zum BGH eingelegt hat, ist derzeit nicht bekannt; im Interesse der Rechtsklarheit wäre dies aber in jedem Fall wünschenswert. Dem OLG ist darin zuzustimmen, dass die Vereinbarung eines Entgelts für die Bereitstellung eines Darlehens rechtlich eine Preisabrede ist, die der Inhaltskontrolle der §§ 307-309 BGB entzogen ist. Damit werde eine Sonderleistung der Bank für die Bereitstellung des Darlehens bepreist, die weder kontrollfähig sei noch gegen das Transparenzgebot verstoße. Über die Auffassung des OLG, die Bank verstoße mit ihrem Bereitstellungszins auch nicht gegen die "guten Sitten" im Sinne des § 138 BGB, wenn dieser das 2,5- Fache des Darlehenszinses ausmache, kann dagegen trefflich diskutiert werden.

Das OLG beruft sich in seiner Einschätzung auf die ständige Praxis des BGH, dass ein für den "Sittenverstoß" auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung erst dann bestehe, wenn der effektive Vertragszins den marktüblichen Effektivzins relativ zu mehr als 100 Prozent überschreite und weitere subjektive Merkmale hinzukämen. In diesem Falle könne der Vertragszins des Darlehens (1,22 Prozent per annum) nicht mit dem Bereitstellungszins (3 Prozent per annum) verglichen werden, weil diese Zinsen unterschiedliche Leistungen der Bank bepreisen. Die Bereitstellungszinsen seien nur mit den dafür marktüblichen Sätzen vergleichbar. Das OLG kommt dann noch zu der schlichten Feststellung, die Banken hätten derzeit für das "Parken" der refinanzierten, aber noch nicht auszahlungsreifen Darlehensmittel negative Zinsen an die Zentralbank zu zahlen. Dabei blieb aber unerwähnt, dass die Banken in aller Regel nur einen (kleineren) Teil ihrer Mittel bei der Zentralbank "parken", und dass ein ansehnlicher Teilbetrag davon von Negativzinsen befreit ist.

Ebenso ist die weitere Feststellung des OLG diskutabel, dass die 100-Prozent-Grenze des BGH nicht "starr", sondern nur ein Orientierungsmaßstab sei, weil sonst zum Beispiel in einer Niedrigzinsphase ein Darlehenszins von 0,6 Prozent schon bei einer Marktüblichkeit von 0,3 Prozent für "sittenwidrig" zu halten sei. Dagegen ist die Aussage des OLG zutreffend, dass in einer Niedrigzinsphase, spiegelbildlich zu Hochzinsphasen eine "absolute Abweichung" des Vertragszinses vom marktüblichen Satz" für die Abgrenzung zur Sittenwidrigkeit maßgeblich sein müsse. Dafür setzt das OLG auch bei einem Vergleich zwischen Bereitstellungszins und dem Vertragszins des Darlehens einen Spread von 3 Prozent per annum an, sodass folgerichtig ein Sittenverstoß in Bezug auf den Ansatz der Bereitstellungszinsen mit 3 Prozent per annum zu verneinen war. Allerdings sollten Banken, die dieses Urteil des OLG sicherlich begrüßen, durchaus auch damit rechnen, dass der BGH davon abweichend entscheiden und damit eine Diskussion über die künftige Gestaltung von Bereitstellungszinsen auslösen könnte.

RA Dr. Claus Steiner, Wiesbaden

Dr. Claus Steiner , Rechtsanwalt, Wiesbaden
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