Rechtsfragen

BGH: Diebstahl am Geldautomaten?

Dr. Claus Steiner, Foto: privat

Frage: Wessen "Gewahrsam" im Sinne § 242 unseres Strafgesetzbuchs (Diebstahl) wird "gebrochen", wenn eine Kundin am Geldautomaten ihrer Bank den abzuhebenden Betrag und die PIN eingegeben hat, sodann die angeforderten Geldscheine in das Ausgabefach gelangen, aber dort nicht von der Kundin entnommen werden können, weil eine neben ihr stehende Person die Scheine unberechtigt ergreift und sich mit ihnen aus dem Staube macht? Der 4. Strafsenat des BGH hatte über diese - dem Nichtjuristen vermutlich wenig einsichtige - aber rechtlich wesentliche Frage in seinem Beschluss vom 3. März 2021 zu entscheiden und dabei frühere Judikate anderer Senate zu berücksichtigen (AZ 4 StR 338/20).

Die Frage beruht auf dem rechtsstaatlichen Grundsatz, dass wegen eines Delikts nur Strafe verhängt werden darf, wenn es ein diese Strafe androhendes Gesetz mit der Beschreibung der objektiven und subjektiven Tatbestandskomponenten des Delikts gibt, die dem Beschuldigten im konkreten Fall rechtsförmig nachgewiesen werden müssen. So ist Voraussetzung für die Bestrafung wegen Diebstahls gemäß § 242 StGB, dass bei der "Wegnahme" einer "fremden beweglichen Sache" der Täter im Zuge seiner Tat den "Gewahrsam", dass heißt die Sachherrschaft einer Person über das zu stehlende Gut, "gebrochen" und "eigenen Gewahrsam" daran begründet hat.

Der BGH hatte deshalb für den hier geschilderten Sachverhalt zu prüfen, ob in dem Augenblick, als der Täter die Geldscheine aus dem Ausgabefach an sich nahm, die Bank noch "Gewahrsam" an diesen Scheinen hatte oder ob die Kundin, die die Voraussetzungen für deren Ausgabe erfüllt hatte nicht schon Gewahrsamsträgerin war, obwohl sie die Scheine gar nicht in Besitz nehmen konnte, weil der Täter sie schon zuvor ergriffen, "weggenommen" und in seinen "Gewahrsam" gebracht hatte. Oder hatten vielleicht in einer "juristischen Sekunde" weder die Bank noch ihre Kundin den Gewahrsam, sodass der Täter mangels Bruchs eines solchen gar nicht strafbar wäre?

Der folgende Satz aus der Begründung des BGH zeigt die formalen juristischen Schwierigkeiten bei der Wertung der unberechtigten Wegnahme von Geldscheinen aus dem Ausgabefach als Diebstahl. Er lautet: "... die Frage, ob die Herausnahme von Bargeld, das ein Geldautomat nach äußerlich ordnungsgemäßer Bedienung ausgibt, den Bruch des (gelockert fortbestehenden) Gewahrsams des ... Geldinstituts ... darstellt, oder ob die Freigabe des Geldes als willentliche Aufgabe des Gewahrsams zu werten ist, ist umstritten". Der BGH selbst hatte diese Frage in der Vergangenheit unterschiedlich beantwortet. Ein Senat nahm an, dass mit der Zuführung der Geldscheine in das Ausgabefach der Gewahrsam der Bank ende, sodass dieser auch nicht mehr "gebrochen" werden könne. Ein anderer Senat meinte, der Gewahrsam der Bank bestehe darüber hinaus fort, weil nach dem Willen der Bank der Gewahrsam nur an die Person übertragen werden sollte, die den Geldautomaten ordnungsgemäß bedient habe.

Nach umfänglichen - positivistisch wirkenden - Überlegungen kommt der BGH zu dem nun hoffentlich endgültigen Ergebnis, dass der Gewahrsam ein "faktisches Herrschaftsverhältnis über eine Sache (sei), dessen Bestehen oder Nichtbestehen sich auch danach (beurteile), ob Regeln der sozialen Anschauung bestehen, nach denen die Sache einer bestimmten, ihr nicht unbedingt körperlich am nächsten stehenden Person zugeordnet (werde)". Die Redaktion der ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht hat die Erkenntnisse des BGH in dem Leitsatz zutreffend so formuliert: "Bargeld, das ein Geldautomat am Ende eines ordnungsgemäßen Abhebevorgangs ausgibt, steht mit der Bereitstellung im Ausgabefach und der hierdurch eröffneten Zugriffsmöglichkeit regelmäßig (auch) im Gewahrsam desjenigen, der diesen Vorgang durch Eingabe der Bankkarte und der PIN in Gang gesetzt hat."

Die juristische Analyse des BGH in der Begründung seines Beschlusses hat trotz ihrer positivistisch geprägten Formulierungen gleichwohl und letztlich auch den gesunden Menschenverstand bestätigt, der zu rechtswidriger Wegnahme fremden Geldes aus dem Geldautomaten vermutlich sagen würde: "Wer Bargeld, das ihm nicht zusteht, ohne Berechtigung aus dem Ausgabefach eines Geldautomaten wegnimmt, ist ein Dieb, ganz unabhängig davon, wer bis dahin den Gewahrsam über dieses Geld innehatte oder ob und wann dieser Gewahrsam an den das Geld abhebenden Kunden übergehen würde. Im Ergebnis also ein sonst nicht immer gegebener Idealfall von übereinstimmender Beurteilung eines Sachverhaltes einerseits nach juristischem Sach- und andererseits nach gesundem Menschenverstand!

Dr. Claus Steiner , Rechtsanwalt, Wiesbaden
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