Wirtschaftspolitik

Das Diktat Europas?

Der Streit um Italiens Haushaltsentwurf könnte zur Gretchenfrage Europas werden. Sind die Regierungen der Länder bereit, sich den gemeinsam vereinbarten europäischen Regeln zu unterwerfen? Gilt das auch für die vielen Newcomer auf der politischen Bühne, die wortgewaltig und meinungsstark, aber eben ohne allzu große Erfahrung auftreten? Ist die EU-Kommission bereit, von ihren Instrumenten Gebrauch zu machen, um geltendes Recht durchzusetzen? Und wird sie das auch bei großen Volkswirtschaften des Kontinents tun?

Die neu gewählte Regierung in Italien möchte mit den Versprechungen ihrer Vorgängerregierung nichts zu tun haben. Immerhin ist diese abgewählt worden. Und immerhin ist man mit nationalistischen und sozial wohltätigeren Wahlversprechen an die Macht gekommen. Diesen und damit auch den italienischen Wählern, die das Bündnis aus der gerade einmal zehn Jahre alten MoVimento 5 Stelle (M5S) und der rechtspopulistischen Lega gewählt haben, möchte man nun gerecht werden. Dabei sorgt vor allem der Haushaltsentwurf für Streit. Mit einer geplanten Neuverschuldung übersteigt er den der Vorgängerregierung deutlich, die angesichts der (er)drückenden Schuldenlast lediglich 0,8 Prozent angepeilt haben. Entsprechend flatterte den Italienern ein blauer Brief aus Brüssel ins Haus.

Zu Recht? Der Haushaltsentwurf liegt mit einem Budgetdefizit von 2,4 Prozent doch unter dem im Stabilitäts- und Wachstumspakt festgelegten Defizitkriterium von 3 Prozent. Und erst im vergangenen Jahr wurde es den Franzosen gestattet, sich mit 2,7 Prozent des BIP zu verschulden. Wird hier also mit zweierlei Maß gemessen? Und straft die EU-Kommission kleinere Länder wie Griechenland oder Portugal härter ab als die großen Volkswirtschaften? Gut, die gesamtstaatliche Verschuldung in Italien liegt bei über 130 Prozent zur Wirtschaftskraft und damit über dem 60 Prozentkriterium des Amsterdamer Vertrags, doch auch Frankreich, Spanien und selbst Deutschland liegen darüber. Das allein kann also keine Rechtfertigung für das Brüsseler Vorgehen sein.

Vergessen wird dabei aber häufig der 2012 von allen Euro-Mitgliedsstaaten sowie Dänemark, Bulgarien, Rumänien unterzeichnete Europäische Fiskalpakt. Dieser verschärft die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes erheblich, heißt es doch: "Der allgemeine Staatshaushalt muss ausgeglichen sein oder einen Überschuss aufweisen (Art. 3 Abs. 1 Buchst. a). Das gilt bereits dann als erreicht, wenn der konjunkturbereinigte jährliche Saldo ohne Anrechnung einmaliger und befristeter Maßnahmen (Art. 3 Abs. 3 Buchst. a) in seinem länderspezifischen mittelfristigen Ziel (gemäß dem geänderten Stabilitäts- und Wachstumspakt) nicht höher als 0,5 Prozent des nominalen BIP ist (Art. 3 Abs. 1 Buchst. b); er kann bis zu 1,0 Prozent des BIP betragen, wenn der Schuldenstand erheblich unter 60 Prozent des BIP liegt (Art. 3 Abs. 1 Buchst. b und d SKSV)." Diese Schuldenbremse ist Vertragsgrundlage des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM. Und wird nun von Italien gebrochen. Das können die übrigen Euroländer nicht durchgehen lassen. Gerade die nicht, die sich um die Regeln zu erfüllen mit unpopulistischen Maßnahmen bei der eigenen Bevölkerung unbeliebt machen. Es darf keine Allianz der Brüssel-Gegner geben, bei allem Verständnis für diejenigen, die ein Diktat Europas ablehnen.

Der ESM-Vertrag und der Fiskalvertrag sind völkerrechtliche Verträge. Sollten diese nun bewusst von einem Vertragspartner gebrochen werden, entfallen wesentliche Voraussetzungen für ein solches Regelwerk. Deutschland und auch andere Länder könnten dies zum Anlass nehmen, die Verträge zu kündigen. Für den Euro und ein einheitliches Europa wäre dies wohl der Todesstoß.

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