Zentralbanken

Gesucht: eine Handschrift für den Euro

Nach 100 Tagen im Amt wird es jetzt für Christine Lagarde ernst. Die Schonfrist ist vorbei, das wurde schon bei der EZB-Ratssitzung Ende Januar deutlich. Bisher hat man sich mit Kritik an ihr zurückgehalten, zu unsicher sind die Zeiten und zudem richtete sich der Blick auf die neuen Direktoriumsmitglieder Isabell Schnabel und Fabio Panetta. Als ehemalige Finanzpolitikerin weiß Lagarde, dass sie das, was die Politik der EZB antreibt und bewirkt, wird stärker erklären müssen. Gerade für Deutschland sind das weit mehr als die vielgescholtenen Niedrig- und Negativzinsen: Lagarde hat in einem Interview die positive Bilanz für das größte Euroland unterstrichen - ein im Jahresvergleich über 24 Quartale angestiegenes Wirtschaftswachstum, die geringste Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung und damit die geringste Quote in Europa, auch bei der Jugendarbeitslosigkeit, ein Lohnanstieg, der den Konsum unterstützte.

Kann Lagarde Geldpolitik? Paul Krugman verweist gerne darauf, dass Mario Draghi, der ehemalige Chefökonom des IWF Olivier Blanchard und er schon in den Siebzigerjahren in Harvard oder am MIT zusammen waren und "beim Mittagessen in der Mensa Argumente ausgetauscht" hätten. In diesen Kreis gehört die Juristin Lagarde nicht. Aber sie war während der Finanz- und Eurokrise an der Spitze des französischen Finanzministeriums beziehungsweise des IWF und ist geübt darin, unter Druck Ziele zu formulieren und sie umzusetzen. Niemand unterschätzt sie, gerade wenn sie sich bemüht, auch innerhalb der EZB eine gute Kommunikatorin zu sein: Aus der Mensa wurde ein informelles Abendessen des EZB-Rates im Schlosshotel Kronberg. Denn Teambuilding ist angesagt - was Lagarde angekündigt hat, eine Überprüfung der geldpolitischen Strategie der EZB, bedeutet, dass man sich im Rat wird darüber verständigen müssen, wie die Geldpolitik in den nächsten Jahren aussehen soll. Soll zum Beispiel die EZB zu einem symmetrischen Inflationsziel übergehen, wie Draghi das noch zuletzt befürwortete? Dies würde auf eine Erhöhung des Inflationszieles hinauslaufen. Möglich wäre auch eine Spanne von 1 bis 3 Prozent, mit einem mittleren "Anker", womit die geldpolitischen Spielräume ausgeweitet und die EZB auf Beibehaltung der derzeitigen Niedrigzinspolitik für längere Zeit festlegt würde.

Andere wiederum sehen eine Inflation von einem bis anderthalb Prozent als ein gutes Zeichen und fragen, warum es eine höhere Teuerungsrate geben solle, wenn man eine niedrige haben könne. Und wiederum andere plädieren für eine Abänderung des harmonisierten Verbraucherpreisindex, indem zum Beispiel volatile Energie- und Nahrungsmittelpreise herausfallen und Wohnkosten und Assetpreise hinzugenommen werden. Dies würde der Geldpolitik vermutlich in Richtung Zinsanstieg zügigere Spielräume eröffnen.

Es wird spannend sein zu sehen, wie sich die sogenannten Tauben und Falken im EZB-Rat äußern. Lagarde hat sich als Eule bezeichnet, diese seien sehr "weise" Tiere. Die EZB-Präsidentin wird darauf achten, dass im Ergebnis ihre geldpolitische Handschrift in der Strategie sichtbar ist. Derzeit sieht es nicht danach aus, dass sie auf Dauer eine wesentlich unter dem bisherigen Standard liegende Inflation für sinnvoll hält. Lagarde hat eine enorme Selbstdisziplin und hat diese schon vom EZB-Rat eingefordert - vorheriger Dissens soll nach getroffenen Entscheidungen nicht nach außen getragen werden. Und sie wird, das ist sie sich und ihrer Vita schuldig, auch weiterhin die gut aufgestellten Euroländer und Europa als Ganzes zu mehr Investitionen aufrufen, weil sie glaubt, dass sie etwas bewegen können und weiß, wie viel bisher an Zinsaufwendungen gespart wurde. Und schließlich wird darüber diskutiert, ob im Rahmen der Anleihekäufe bei Unternehmensbonds auch Kriterien des Klimawandels berücksichtigt werden sollen. Eine deutsche Spitzenbankerin über Lagarde: "Ich erwarte Kontinuität, noch mehr Intelligenz und die Beschäftigung mit der Frage, wie bekomme ich Politiker dahin, zu tun, was zu tun ist?".

Dr. Bettina Wieß

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