Kapitalmarkt

Die Gunst der Stunde

Ende September veröffentlichte die EU-Kommission ihren "neuen Aktionsplan" zur weiteren Vorgehensweise bei der europäischen Kapitalmarktunion, welcher nun mit dem EU-Parlament und dem Rat der EU diskutiert werden soll. Die Arbeiten an der Kapitalmarktunion hatten schon lange vor der Corona-Virus-Krise begonnen, im Jahre 2015 bereits. Im Allgemeinen schreibt sich die Europäische Kommission auf die Fahnen, den Zugang zu Informationen zu vereinfachen und die Hemmschwelle, sich als Unternehmen oder Privatanleger am Kapitalmarkt zu engagieren, herabsetzen zu wollen. Da winkt hier eine Initiative zum Abbau von Bürokratie und Informationsflut, dort eine Harmonisierung von Besteuerungsregelungen.

Angesichts der Pandemie ist die Kapitalmarktunion für die Kommission zu einem wahrhaft dringlichen Projekt geworden. Denn umfangreiche Hilfsprogramme der öffentlichen Hände haben Unternehmen zwar geholfen, den infolge von Lockdown-Maßnahmen entstandenen kurzfristigen Liquiditätsengpass zu überwinden. Dies kann aber kein Dauerzustand bleiben: Um auf mittlere und längere Sicht solvent bleiben zu können, so die EU, benötigen die Unternehmen wieder stabile Finanzierungsstruktur. "Marktfinanzierung wird das Lebenselixier sein, das die Erholung und das zukünftige Wachstum langfristig unterstützt", heißt es dazu im gerade vorgelegten "neuen Aktionsplan", der 16 konkrete Maßnahmen vorsieht, um einer "echten Kapitalmarktunion in Europa" näher zu kommen.

Die EU will ganz offensichtlich die Gunst der Stunde nutzen, um endlich Bewegung in die seit 2015 währenden Bemühungen zur Schaffung eines europäischen Kapital-Binnenmarkts. Die erklärten drei Ziele des neuen "neuen Aktionsplans" sind: Die Gewährleistung einer grünen, digitalen, inklusiven und widerstandsfähigen wirtschaftlichen Erholung in der EU, indem europäischen Unternehmen, insbesondere KMU, der Zugang zu Finanzierungen erleichtert wird. Die Ausgestaltung eines EU-Finanzplatzes, an dem Privatpersonen in einem noch sichereren Umfeld als bisher langfristig sparen und investieren können. Und schließlich die Integration der nationalen Kapitalmärkte in einen echten EU-weiten Kapitalbinnenmarkt.

Die nun vorgelegten 16 Maßnahmen sind ein buntes Allerlei ursprünglicher Ideen zur Kapitalmarktunion und aktueller Brüsseler Interessen. Sie reichen von der Schaffung zentraler Sammelstellen von offengelegten Informationen beispielsweise zur nachhaltigen Ausrichtung von Unternehmen oder Altersvorsorgesystemen in den einzelnen Ländern über die Harmonisierung und damit Intensivierung der Finanzbildung der Bevölkerung bis hin zu steuerlichen Vereinheitlichungen bei der Quellensteuer, den besseren Schutz von Investitionen in der EU, den einfacheren Zugang zu öffentlichen Marktplätzen für kleine und mittlere Unternehmen und gleichzeitig die Erleichterung von langfristigen Finanzierungen dieser Gruppe durch Banken und Versicherer bis hin zum dicken Brett der sanften Vereinheitlichung von Insolvenzregeln und Fortschritten bei der aufsichtlichen Konvergenz und gleichen Anwendung des einheitlichen Regelwerks für die EU-Finanzmärkte und der Zertifizierung von Finanzberatern - Wirecard lässt grüßen.

All das liest sich nun nicht besonders innovativ oder durchschlagskräftig. Vielmehr fragt man sich: Warum erst jetzt? Sicherlich hätten einige der Maßnahmen doch schon in den vergangenen fünf Jahren angegangen oder sogar vollendet werden können. Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber spricht denn auch von "altem Wein in neuen Schläuchen". Mit Blick auf die aktuellen Herausforderungen rund um Corona und Brexit betont er aber auch: "Jetzt wäre die Zeit, bei der Kapitalmarktunion endlich messbare Fortschritte zu machen." Ob Brüssel die Gunst der Stunde - und dazu zählt auch die deutsche Ratspräsidentschaft - nutzen kann?

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