Wirtschaftspolitik

Hegel oder Hamilton? Egal!

Noch vor wenigen Wochen war der Aufschrei groß. Da wetterten die europäischen Partner, Deutschland würde die Stabilität und Einigkeit Europas gefährden. Denn gerade erst hatte das Bundesverfassungsgericht in einem bemerkenswerten Urteil auf nationale Mitbestimmung gepocht, die Beschlüsse des obersten europäischen Gerichtes angezweifelt und der Europäischen Zentralbank eine Überschreitung ihrer Kompetenzen vorgeworfen. Es knirschte im europäischen Gebälk und man durfte Sorge um den Euro haben.

Und nun, keine zwei Monate später? Klingt das plötzlich ganz anders. So ist sich der französische Finanzminister Bruno le Maire sicher, dass gerade dieses Urteil maßgeblich dazu beigetragen habe, dass die ansonsten diesbezüglich zum Glück sehr zögerliche Bundeskanzlerin der gemeinsamen Schuldenaufnahme in der Europäischen Union im Wesentlichen zugestimmt hat. Nachdem der deutsche Finanzminister vor Kurzem noch von einen "Hamilton-Moment" sprach, den Europa erlebe, nennt le Maire es einen "Hegel-Moment". Wer recht hat, ist eigentlich egal, denn am Ende kommt es auf dasselbe raus.

Der damalige US-Finanzminister Alexander Hamilton hatte im 18. Jahrhundert angesichts der Krise einzelner US-Bundesstaaten beschlossen, erstmals auf der US-Bundesebene gemeinsame Schulden aufzunehmen. Und darum geht es schließlich auch bei le Maires Hegel-Vergleich, denn der deutsche Philosoph nannte es eine "List der Vernunft", wenn sich in der Geschichte der Menschheit ein bestimmter Zweck verwirklicht, der den handelnden Menschen nicht bewusst ist. So wollte seiner Meinung nach wohl das Bundesverfassungsgericht die EZB und die Europäische Idee in die Schranken weisen, doch genau das Gegenteil sei passiert. Denn Mitte Mai stimmte Angela Merkel erstmals einer gemeinsamen europäischen Schuldenaufnahme in großem Stil zu. Unter dem bedeutungsvollen Namen "Next Generation EU" soll ein 500 Milliarden Euro schwerer Aufbaufonds die Last für von der Corona-Krise schwer getroffenen Staaten lindern. Noch regt sich zwar in einigen Ländern Widerstand, aber die Befürworter aus Brüssel, Paris und Berlin setzen auf einen Durchbruch in der zweiten Jahreshälfte, wenn Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft innehat.

Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Urteil aber nicht nur die Europäische Zentralbank angegriffen, sondern auch die deutsche Politik. Denn sowohl die Bundesregierung als auch der Bundestag seien aufgrund ihrer Integrationsverantwortung verpflichtet, auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durch die EZB hinzuwirken. Dies habe sie versäumt, so die Karlsruher Richter. Doch auch die Politik hat reagiert. Künftig wird Bundesbank-Präsident Jens Weidmann einmal im Quartal dem Finanzausschuss des Bundestags die geldpolitischen Beschlüsse der Europäischen Zentralbank (EZB) erläutern. Bei Experten trifft dies auf breite Zustimmung und werde wohl den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtes genügen.

Vielleicht hat Corona ja doch noch sein Gutes, wenn es am Ende tatsächlich zu einer Stärkung der europäischen Einheit und des europäischen Selbstverständnisses kommt und nicht nur zu einer enormen Umverteilung bis hin zu einem Schuldenerlass.

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