Bundesgerichtshof

Kontoüberziehung: Keine pauschale Mindest gebühr

Bundesgerichtshof

Dass die Gerichte nicht nur "ohne Ansehen der Person" zu urteilen haben, sondern auch "ohne Ansehen der streitigen Geldbeträge", hat der BGH wieder einmal in zwei Grundsatzentscheidungen vom 25. Oktober 2016 aufgezeigt (Aktenzeichen XI ZR 9/15 und XI ZR 387/15 - abgedruckt in ZIP 2017, Seiten 73 beziehungsweise 170). Es ging darin um die von einem Verbraucherverband als Kläger behauptete Unwirksamkeit formularmäßig in AGB festgelegter und auf die anfallenden Sollzinsen anzurechnender Mindestgebühren der beklagten Banken für geduldete Kontoüberziehungen von Verbrauchern in Höhe von monatlich 2,95 Euro beziehungsweise vierteljährlich 6,95 Euro. Die Streitfrage wurde in den Tatsacheninstanzen zuvor unterschiedlich entschieden: Das OLG Düsseldorf hatte in dem einen BGH-Fall die Wirksamkeit dieser Mindestgebühren bejaht, das OLG Frankfurt sie in dem anderen verneint.

Man könnte nun den klagenden Verbraucherverbänden angesichts solcher "Minibeträge" und deren Anrechnung auf die Sollzinsen ein Übermaß an - allerdings durch das UKlaG geförderter - prozessualer Streitlust mit Kreditinstituten unterstellen. Schließlich wurden hier - wie in vielen anderen von Verbänden intendierten Streitfragen - jeweils drei Gerichtsinstanzen strapaziert. Und das trotz der Tatsache, dass diese Gebühren bei den meisten Kontenüberziehungen durch automatische Anrechnung auf die höheren Sollzinsen überhaupt nicht relevant werden. Ein wenig lebensfremd wirkt daher auch die Beispielsrechnung des BGH, dass die Gebühr von 2,95 Euro bei Kontoüberziehung um 10 Euro für nur einen Tag einem Zinssatz von über 10000 Prozent (!) entspreche.

Unverkennbar ist, dass Verbraucherverbände (wie von Nitsch in EWiR 2015 Seite 203 beschrieben) die in Entscheidungen der OLG und des BGH zutage tretende Tendenz ausnützen, "flächendeckend gegen die Zulässigkeit von AGB-mäßigen Bearbeitungsentgelten und Kostenpauschalen bei Verbraucherdarlehen vorzugehen". Das mag zwar eine auch europaweit gewollte und politisch geförderte Aufgabe der Verbände sein, die auch durchaus positiv zu sehen ist, sofern sie mit Augenmaß und unter umfassender Interessenabwägung wahrgenommen wird. Ob das hier geschehen ist, mag offenbleiben. In den beiden Verfahren kam es auf die schon seit Jahren in zahlreichen Fällen relevante Frage an, ob es sich bei den Gebühren um eine AGB-rechtlich nicht kontrollfähige "Preishauptabrede" handelt (die unmittelbar den Preis einer vertraglichen Hauptleistung regelt) oder um eine "Preisnebenabrede", die sich nur mittelbar auf den Preis auswirkt oder mit der allgemeine Betriebskosten oder Aufwand für eigennützige Tätigkeiten auf den Vertragspartner abgewälzt werden.

Der BGH hielt die hier streitigen Mindestgebühren für kontrollfähige Preisnebenabreden, weil die beklagten Banken damit neben dem Sollzins - als "Preishauptabrede" für eine Überziehung - ein Entgelt für die bankmäßige Bearbeitung erheben würden. Die Gebührenklauseln weichen nach Meinung des BGH "von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung ab und die Kunden der Beklagten werden entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt". Diese Aussage zu solchen Minigebühren wird unbefangenen Betrachtern wie "ein Kanonenschuss auf Spatzen" erscheinen! Fairerweise muss man aber einräumen, dass der BGH hier nur die gleichen Argumente anwendet, die er bei Streitgegenständen von größerem Gewicht entwickelt hat! Insoweit scheint die aus der Gebühr von 2,95 Euro errechnete Verzinsung mit über 10 000 Prozent bei ein tägiger Kontoüberziehung um 10 Euro die vom BGH erkannte unangemessene Benachteiligung der Kunden durch Wucherverzinsung zu bestätigen.

Aber: Werden einmalige Ein-Tages-Überziehungen um 10 Euro nicht seltene Ausnahmen sein und werden nicht bei geschätzten 99 Prozent aller Überziehungen die Pauschalgebühren durch die Sollzinsen überdeckt und damit "unangemessene Benachteiligungen" des Kunden gegenstandslos werden? Ein tieferes Eingehen auf seine eigene Kontrollfrage, ob die "Vermutung unangemessener Kundenbenachteiligung" bei umfassender Interessenabwägung nicht widerlegt sein könnte, hätte den BGH vielleicht zu einem anderem Ergebnis führen können. Das nun aber rechtskräftige Verdikt der auf anfallende Sollzinsen anzurechnenden Mindestgebühren bei geduldeter Kontoüberziehung wird die Banken veranlassen, ihre betriebswirtschaftlichen Kosten voll in die Sollzinsen "einzupreisen", eine Maßnahme, auf die sogar der BGH selbst in Nebenbemerkungen in seinen Urteilen abgehoben hat. Ob der auf 99 Prozent geschätzten Mehrheit von Mehrfach- und Oft-Überziehern gefallen wird, nun höhere Sollzinsen zur Behebung "unangemessener Benachteiligungen" von "Einmal- oder Selten-Überziehern akzeptieren zu müssen, mag bezweifelt werden.

RA Dr. Claus Steiner, Wiesbaden

Dr. Claus Steiner , Rechtsanwalt, Wiesbaden
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