Wirtschaftsprüfung

Nachdenklich

Olaf Scholz will im kommenden Jahr Bundeskanzler werden. Entsprechend kann er sich kaum negative Presse leisten. Die bekommt er im Fall Wirecard aber zuhauf. Und teilt entsprechend aus. Zunächst kritisierte er die deutsche, ihm unterstellte, Bankenaufsichtsbehörde BaFin und deren Chef, Felix Hufeld. Nur konnte dieser anhand alter Protokolle, gut wenn man so etwas immer griffbereit hat, darlegen, dass das Finanzministerium bereits Mitte Februar 2019 Kenntnis hatte, "dass die Bafin in alle Richtungen wegen Marktmanipulation ermittelt, das heißt sowohl gegen Verantwortliche der Wirecard AG als auch gegen Personen, bei denen Hinweise zur Beteiligung an Marktmanipulationen vorliegen." Also nimmt sich der Bundesfinanzminister nun den Abschlussprüfer EY zur Brust. Die Zeit für eine Reform der Kontrollmechanismen bei Wirtschaftsprüfern sei günstig, sagte Scholz Anfang September in Frankfurt. Man müsse nun den Moment nutzen, denn "wenn alles wieder vergessen ist, werden die politischen Widerstände fast unüberwindbar". Es brauche vor allem Wirtschaftsprüfer, die "richtig" prüften. "Wir müssen dafür Sorge tragen, dass die kontrollierten Unternehmen nicht Druck machen können auf denjenigen, der sie kontrolliert", erklärte er.

Ansatzpunkte für eine solche Reform sieht der Finanzminister gleich zwei. Zum einen müsse man über eine schnellere Rotation nachdenken. Derzeit können Unternehmen laut den geltenden Vorschriften ihren Abschlussprüfer mindestens zehn Jahre und unter bestimmten Voraussetzungen sogar bis zu 24 Jahre engagieren. Dadurch könnten die beaufsichtigten Druck auf die Prüfer ausüben. Und zum zweiten sollten Beratung und Prüfung voneinander getrennt werden. Denn das führe unweigerlich zu Interessenkonflikten.

EY hat zugegebenermaßen keine allzu glückliche Rolle im Fall Wirecard gespielt und sich täuschen lassen, was einem Prüfer in dieser Größenordnung nicht hätte passieren dürfen. Die jetzigen Überlegungen stimmen dennoch nachdenklich. Sicherlich ist es richtig und überfällig, über eine Trennung von Beratung und Prüfung nachzudenken. Doch eine spürbare Verkürzung der Rotation der Abschlussprüfer würde vermutlich keine Verbesserung bringen. Es dauert einige Jahre, bis die Prüfer komplexe Konzerne, wie Wirecard zweifellos einer war, wirklich verstehen. Würde also bei kurzen Fristen die Prüfung nicht unweigerlich noch oberflächlicher werden? Das wäre mit einem größeren Einsatz vielleicht zu verhindern, doch das würde die Prüfung erheblich verteuern. Beides kann im Sinne der geprüften Mandanten nicht wirklich gewollt sein.

Ein weiteres Problem der aktuellen Stimmungsmache: Die Reaktionen von DWS und Commerzbank, die EY plötzlich nicht mehr als Abschlussprüfer engagieren beziehungsweise im Aufsichtsrat beschlossen haben, EY das Mandat zu entziehen, kommen nicht nur einer Vorverurteilung gleich, sie sind zudem ein schlechtes Beispiel. Denn sollte es in Zukunft wieder einmal Ungereimtheiten über die Bilanz oder Erfolge eines Unternehmens geben - sei es gerechtfertigt oder nicht - müssten andere Unternehmen doch in vorauseilendem Gehorsam ihrem Prüfer das Mandat entziehen. Mit Vertragstreue hätte das nicht mehr viel zu tun.

Noch muss EY als Abschlussprüfer und wegen der laufenden Ermittlungen zum Vorfall Wirecard schweigen. Olaf Scholz will diese Zeit offensichtlich nutzen.

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