Rechtsfragen

Negativzinsen im "Gegenverkehr"?

Eine neue Variante des Dauerbrenner-Themas "Negativzinsen" war Gegenstand eines am 4. Dezember 2020 vom LG Hamburg (AZ 318 O 367/19) in erster Instanz entschiedenen Rechtsstreits zwischen der (unternehmerischen) Schuldnerin eines Schuldscheindarlehens von 25 Millionen Euro als Klägerin und der WL-Bank beziehungsweise deren Rechtsnachfolgerin, die dieses Darlehen gewährt und später an ein anderes Institut abgetreten hatte. Das Urteil ist in ZIP-Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2021, Seite 456 ff. (Heft 9/2021) veröffentlicht.

Vermutlich war es das erste Mal, dass ein Bankkunde den gerichtlichen Versuch startete, seinerseits Negativzinsen von der Bank zu erstreiten und auf diese Weise eine Art "Gegenverkehr" auf der "Einbahnstraße" zu eröffnen, die bisher nur Banken und Sparkassen in die Richtung ihrer Einlegerkunden zur Erhebung von negativen Zinsen "befahren". Der Versuch scheiterte jedoch; die "abenteuerlich" anmutende, auf den ersten Blick aber nicht unlogische Klage hat das LG Hamburg abgewiesen. Mit guter Begründung.

Eine kurze Darstellung des Sachverhaltes: Die Klägerin vereinbarte 2006 mit der WL-Bank die Aufnahme des Schuldscheindarlehens von 25 Millionen Euro, mit Fälligkeit 2018. Die Verzinsung wurde variabel auf Basis des 6-Monats-Euribor abzüglich 4 Basispunkten vereinbart. Die WL-Bank trat das Schuldscheindarlehen später an die Deutsche Postbank ab; Zinsen und das Kapital wurden danach an diese gezahlt. Der 6-Monats-Euribor fiel am 4. November 2015 zunächst auf 0,00 Prozent und notiert seit dem 6. November 2015 negativ. Infolgedessen ergaben sich ab den Zinsfixing-Terminen vom 28. Oktober 2015 abzüglich des vereinbarten Abschlags von 0,04 Prozent rechnerisch negative Zinssätze, die die Klägerin bis zur (planmäßig erfolgten) Rückzahlung des Darlehens auf etwa 175 000 Euro bezifferte und gegen die ursprüngliche Gläubigerin einklagte (die streitige prozessrechtliche Frage der Passivlegitimation der WL- oder der Postbank kann hier unberührt bleiben).

Das LG Hamburg stellte dazu fest: "Die Klägerin hat gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Zahlung eines Negativzinses bzw. eines Verwahrungsentgelts". Die Parteien hätten einen Darlehensvertrag gemäß § 488 Abs.1 BGB geschlossen, "aufgrund dessen allein die Klägerin der Beklagten Zinsen für die ... Darlehensvaluta schuldete". Aus der Zinsgleitklausel ergebe sich keine Vereinbarung, wonach die Bank im Falle eines mathematisch errechneten negativen Zinses ihrerseits der Klägerin einen Zins beziehungsweise ein Entgelt schulde. Im Rahmen des Darlehensvertrags nach dem gesetzlichen Leitbild des § 488 Abs.1 BGB sei ausschließlich eine Zinszahlungspflicht der Klägerin und "eine Begrenzung des vertraglichen Zinses auf mindestens 0 Prozent ... bestimmt" worden.

Auch sei im Schuldschein geregelt, dass lediglich einseitig der Darlehensschuldner Zins- und Tilgungsleistungen auf ein Konto (der Bank) zu überweisen habe. Bei einem entgeltlichen Darlehen sei die Zinszahlung Hauptleistungspflicht des Darlehensnehmers; ferner stehe die Belassungspflicht des Darlehensgebers und die Zinspflicht des Darlehensnehmers in einem synallagmatischen, also gegenseitig untrennbar abhängigen Verhältnis. Der Zins sei stets von dem zu entrichten, der über das Kapital verfügen könne.

Auch die Zinsgleitklausel sehe keine Zinszahlungspflicht in beiden Richtungen vor. Der Darlehensvertrag entspreche vielmehr dem gesetzlichen Leitbild des § 488 Abs.1 BGB. Deswegen sei auch die Untergrenze des Zinses und damit der von den Vertragsparteien "implizierte Mindestzins" stillschweigend auf 0 Prozent festgelegt. Die Zinsgleitklausel habe nicht den Charakter des Darlehens verändert, sondern nur die Höhe des Zinses, "dessen Zahlungsrichtung feststehe". Andernfalls hätte das eine Umkehr der Zahlungsströme und eine Zahlungsverpflichtung des Darlehensgebers zur Folge. Ein solcher "Gegenverkehr" weicht aber vom Leitbild des § 488 Abs.1 BGB ab und ist auch nicht interessengerecht. Eine Pflicht zur Zahlung von negativen Zinsen widerspricht diesem Leitbild grundsätzlich. Und - so das LG Hamburg wörtlich: "Die Verzinsung infolge einer Zinsklausel kann daher allenfalls auf null abfallen, nicht jedoch dazu führen, dass der Darlehensgeber für die Zurverfügungstellung von Kapital dem Darlehensnehmer seinerseits noch eine Vergütung zahlen muss". Die weiteren Urteilsgründe sollen hier nicht referiert werden, dem juristisch Interessierten seien sie aber zur Lektüre empfohlen.

Lassen sich aus diesem "Gegenverkehrs-Verbot" Rückschlüsse auf die Rechtslage zum aktuellen "Einbahn-Verkehr" des Negativzinsverlangens der Banken und Sparkassen von ihren Einlegerkunden ziehen? Unmittelbare zwar nicht, weil nach herrschender Rechtsansicht Geldeinlagen keine Darlehen der Einleger an ihre Bank im Sinne § 488 Abs.1 BGB sind, sondern rechtlich als "unechte Verwahrungsverträge" gelten. Mittelbar scheint das LG Hamburg aber die Auffassung zu teilen, dass Banken und Sparkassen aufgrund dieses "Verwahrungscharakters" der Giroverträge ihren Kunden Negativzinsen nur zum Ersatz ihres eigenen tatsächlichen Aufwands für solche Zinsen auferlegen können. Zu den Parametern für die Berechnung dieses Eigenaufwands und seiner Umlage auf die Einleger mehr in Heft 24, 2019, Seite 1237 dieser Zeitschrift.

Dr. Claus Steiner, Rechtsanwalt, Wiesbaden

Dr. Claus Steiner , Rechtsanwalt, Wiesbaden
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