Aktienkultur

Plädoyer für die Zwangsbeglückung

Dr. Berthold Morschhäuser

Um einige der Kernergebnisse der jüngsten Studie der Börse Stuttgart und des Deutschen Aktieninstitutes (DAI) hinsichtlich des Verhältnisses der deutschen Bevölkerung zu Aktien zu erkunden, hätte es rückblickend der Fortschreibung der Ergebnisse aus dem Jahre 2015 kaum bedurft. Ernüchternde Erkenntniss: Die Grundeinstellung der Bürger zu Aktien und deren Stellenwert für volkswirtschaftlich so wichtige Dinge wie Vermögensbildung, Altersvorsorge und Unternehmensfinanzierung hat sich auch in den drei weiteren Jahren der Niedrigstzinsen nicht wirklich gewandelt. So haben von den erfassten Nichtaktienbesitzern auch Ende 2018 nur 12 Prozent in den vergangenen Jahren den Erwerb von Aktien oder Aktienfonds überhaupt in Betracht gezogen und lediglich 14 Prozent haben bekundet, in der aktuellen Niedrigzinsphase ein erhöhtes Interesse an Aktien oder Aktienfonds entwickelt zu haben.

Besonders enttäuschend ist der jüngsten Umfrage zufolge die Wirksamkeit von Aufklärungskampagnen zum Aktiensparen, obwohl es solche allem Eindruck nach reichlich gegeben hat und immer wieder gibt. Nur 29 Prozent der Nichtaktienbesitzer wissen demnach um den Renditevorteil der langfristigen Aktienanlage, den nicht nur das einschlägige Renditedreieck des DAI eindeutig vermittelt, sondern auch die Anlageberater aus Banken und anderen Vertriebsorganisationen permanent predigen. Auch um die Möglichkeit einer Aktienanlage in kleineren Beträgen in Sparplänen von beispielsweise monatlich 25 Euro, wie sie viele Onlineanbieter, aber auch viele Berater seit einigen Jahren dezidiert betonen, wissen nur klägliche 19 Prozent der Nichtaktienbesitzer. Dass diese beiden zuletzt genannten Quoten bei den Aktienbesitzern mit 71 beziehungsweise 63 Prozent merklich höher sind, bleibt auf die Masse der Bürger betrachtet wenig tröstlich, weil nach wie vor nur 16 Prozent zu den Aktienbesitzern zählen.

Eine erfreuliche Erkenntnis für die Banken mit Filial- oder zumindest Beratungskonzept bleibt immerhin der vergleichsweise große Anteil von 54 Prozent der Aktienbesitzer, die den ersten Kauf einer Aktie über einen Bankberater tätigten. Bei den Aktienbesitzern unter 40 Jahren liegt dieser Anteil sogar noch 4 Prozentpunkte höher. Dass Aktien und Aktienfonds ein zweckmäßiges Mittel zur Geldanlage und Vermögensbildung sind, haben der Studie zufolge drei Viertel der Aktienbesitzer und 34 Prozent der Nichtaktienbesitzer verinnerlicht. Die Eignung für die Altersvorsorge indes nennen nur spärliche 55 Prozent der Aktienbesitzer und 20 Prozent der Nichtaktienbesitzer. Mit diesem bescheidenen Stellenwert der Aktien für die Altersvorsorge können die Verantwortlichen für den Finanzvertrieb nicht ansatzweise zufrieden sein. Aber die Studie macht nur begrenzte Hoffnung, dies allein durch Vertriebspolitik und Aufklärungsarbeit der Finanzdienstleister ändern zu können. Flankierend gefordert werden vielmehr aktienfreundliche Aktivitäten der Politik, angefangen bei einer Verbesserung der ökonomischen Allgemeinbildung über den Abbau der steuerlichen Diskriminierung der Aktienanlage, die Stärkung der Mitarbeiterkapitalbeteiligung und den Abbau von Hürden in der Anlageberatung bis hin zur konkreten Förderung des Vermögensaufbaus mit Wertpapier- und Aktienanlagen.

Eine solche Interpretation und Gewichtung der Studienergebnisse und der darauf gründenden Anregungen an die Politik ist insofern nicht überraschend, als beide Initiatoren an einer staatlichen Förderung der Aktienkultur ein lebhaftes Eigeninteresse haben. Gleichwohl sollte die Politik sich mit diesem Thema ernsthaft beschäftigen. Denn ein tragfähiges Zukunftskonzept für die Altersvorsorge ist in der Tat nicht zuletzt eine politische Angelegenheit, die unabhängig von aktuellen Regierungskonstellationen über längere Zeit Bestand haben und deshalb im Parteienspektrum von einem möglichst breiten Konsens getragen werden sollte.

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