Altersvorsorge

Von Provisionen und Lobbyisten

Was haben Barak Obama und Tarek Al-Wazir derzeit gemeinsam? Sie denken über solide Formen der nachhaltigen Altersvorsorge nach. Was von Al-Wazir und seinen hessischen Kabinettskollegen Grüttner und Schäfer als "Deutschland-Rente" in die öffentliche Debatte eingebracht wurde, läuft in den USA als Gesetzesinitiative der Regierung Obama unter den Stichworten "fiduciary standard". Beiden Initiativen ist gemeinsam, dass eine private Rente mit hohem Aktienanteil und geringen Kosten geschaffen werden soll. In den USA ist das Arbeitsministerium (DoL) für Fragen der Altersvorsorge zuständig, weshalb dort auch die Federführung für diese wichtige Finanzreform der scheidenden Obama-Administration liegt. In Washington rechnet man damit, dass die Initiative noch in diesem Jahr Gesetzeskraft erlangt, wenn danach auch mit langwierigen juristischen Scharmützeln zu rechnen ist. Denn es gibt viel zu verlieren: das typische Produkt der Finanzbranche, in der Broker als Vertrieb und Versicherungen und Fondsverwaltungsgesellschaften als Produktlieferanten agieren, heißt "variable annuity" und generiert rund 2,4 Milliarden US-Dollar Provisionsertrag (zwischen 7 Prozent und 9 Prozent) pro Jahr.

Zwar verlangt der Investment Advisers Act von 1940, dass Finanzberater die Interessen des Kunden über ihre eigenen stellen, das Gesetz gilt aber nur für wenige Player der Finanzbranche. Es ist also kein Wunder, dass sich Finanzvertriebe und Produzenten zunächst gegen die Initiative Obamas heftig zur Wehr gesetzt haben. Inzwischen scheint sich aber zunehmend die Einsicht zu verbreiten, dass die Reform in einer Reihe mit dem Ende des Kuba-Embargos und der Iran-Verträge steht und letztlich nicht zu verhindern ist. Die Reaktionen reichen vom Verkauf des Retail-Vertriebs (Met-Life und AIG) bis hin zu offensivem Vorgehen von einzelnen Broker-Dealern, die sich von Beratungsgebühren bessere Erträge als bisher erhoffen. Als Gewinner gelten unbestritten die führenden Robo-Advisors wie Wealthfront und Betterment, die als Billig- und Onlineanbieter von wissenschaftlich fundierten Aktienstrategien die Nase vorn haben.

Und wie sieht es in Deutschland aus: Hier wird - gegenüber den USA um die Zeit einer Mars-Reise versetzt - gleich an zwei Fronten gekämpft: Zum einen müssen dem Alterssparer erst einmal die objektiv bestehenden Vorteile einer Aktien-Sparstrategie klar gemacht werden, was in einem Land von Sparbuch-Freaks selbst in Null-Zins-Zeiten nicht so einfach ist, zum anderen ist die Lobby der Anbieter konventioneller Hochpreisprodukte erheblich stärker als in Nordamerika. Symptomatisch ist das gesetzlich verankerte Verbot des Auskehrens von Bestandsprovisionen an Käufer von Versicherungsprodukten, das erst jüngst bestätigt wurde. Auch die Verbände der Kreditwirtschaft scheinen dabei erfolgreich zu sein, bestehende Ertrags biotope so lange wie möglich zu konservieren, wie die Debatte um die MiFID-2-Umsetzung zeigt. Offenbar verhindert die Angst vor der Kanibalisierung des traditionellen Geschäftes eine proaktive Auseinandersetzung mit dem Geschäftsmodell des Robo-Advisors; dieses Feld überlässt man Außenseitern wie den Fintechs. Die Frage, ob man mit Beratungsgebühren in Form von Flatfees für eine ETF-basierte Vermögensverwaltung vielleicht eine angemessene Eigenkapitalrendite verdienen kann, wird nicht gestellt.

Sollten sich in Deutschland die Vorkämpfer einer modernen und soliden Altersvorsorge entmutigt zurückziehen? Bitte nicht! Man denke nur an die Widerstände der deutschen Automobilindustrie gegen den Katalysator oder den erbitterten Kampf gegen den Sicherheitsgurt in den USA. Beharrlichkeit ist angesagt - am Ende ist die Rechnung sehr simpel: Wenn die Produktlieferanten - wie im Beispiel USA - 2,4 Milliarden US-Dollar weniger haben, haben die Sparer 2,4 Milliarden US-Dollar mehr.

Dr. Marcel Morschbach, Mitglied des Vorstands, Quirin Bank AG, Berlin

Dr. Marcel Morschbach , Mitglied des Vorstands , Westend Bank AG, Frankfurt am Main
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