Börsen

Vergifteter "Happen"?

An dieser Stelle wurde in den letzten Monaten schon das ein oder andere Mal der Konsolidierungsdruck unter den Börsenbetreibern kommentiert. Nun hat die London Stock Exchange Group (LSEG) notgedrungen - auf Druck der EU - die Borsa Italiana Group als Ganzes oder zumindest deren Repo Fixed Income Handelsplattform MTS öffentlich zum Verkauf gestellt. Nachdem dieser "Happen" ins "Piranha-Becken" geschmissen wurde, schäumte das Wasser schnell über. Die Gerüchteküche sprudelte sofort. Doch auch bis zur ersten offiziellen Meldung dauerte es nicht lang.

Während die Mehrländerbörse Euronext am 11. September 2020 laut einer Pressemitteilung noch gemeinsam mit der Cassa Depositi e Prestiti (CDP) Equity - einer Tochtergesellschaft der italienischen staatlichen Förderbank CDP, die der Aufsicht des italienischen Parlaments unterliegt - darüber diskutierte, ein Gebot abzugeben, machte die Gruppe Deutsche Börse am gleichen Tag öffentlich, dass sie bereits ein Angebot abgegeben habe. Drei Tage später dann hatten auch die CDP und die Euronext ausdiskutiert und bekanntgegeben, dass sie gemeinsam mit der italienischen Großbank Intesa Sanpaolo ebenfalls ein Angebot abgegeben haben. Die Euronext versprach Italien dabei in allen Gremien viel Mitspracherecht. Das wäre allerdings auch angebracht, da Mailand in einem fusionierten Konzern der größte Umsatzbringer wäre. Last, but not least gab es übereinstimmenden Medienberichten zufolge auch noch ein Angebot von der Schweizer Börsenbetreiberin SIX Group, was jedoch bislang noch nicht offiziell mittels Pressemitteilung bestätigt wurde.

Am 18. September 2020 dann verkündeten sowohl die Euronext als auch die LSEG, dass sie in exklusive Verhandlungen getreten seien. Die SIX Group und die Deutsche Börse haben dem Anschein nach also erst mal das Nachsehen. Doch sowohl LSEG als auch Euronext haben betont, dass die Gespräche nicht zwingend auch zu einem Abschluss führen müssen. Einen Spalt weit ist die Tür damit also noch offen. Doch ist das überhaupt wünschenswert?

Dass die Begierde auf den italienischen Happen groß ist, verwundert nicht. Erstens gibt es nicht mehr viele Happen auf dem Börsen-Buffet. Zweitens ist Mailand ein relativ großer Happen, der gerade für die Deutsche Börse gut ins Profil passen würde. Vor allem die Anleihe-Handelsplattform MTS. Diese erreichte im vergangenen Jahr im MTS-Repo-Handel ein nominales Volumen von 113 Billionen Euro und verbuchte somit einem Zuwachs innerhalb von zwölf Monaten von mehr als 30 Prozent. Gerade im Bereich Anleihen ist die Gruppe Deutsche Börse noch eher dünn aufgestellt.

Doch was wäre der Preis für diesen nahrhaften Happen? Klar ist, die Politik in Italien will sich große Mitspracherechte einräumen lassen. Das erklärt auch den Vorteil der Euronext, die sich dafür extra die italienische Staatsbank CDP mit ins Boot geholt hat. Zudem ist seit Juli 2019 bei der MTS Maria Cannata neue Präsidentin. Cannata kann laut LSEG Geschäftsbericht auf 18 Jahre Erfahrung im italienischen Ministerium für Wirtschaft und Finanzen verweisen. Dass die von Links- und Rechtspopulisten in den Schwitzkasten genommen italienische Politik die gebotenen Einflussmöglichkeiten nicht gnadenlos ausnutzen würde - erst Recht, wenn der neue Besitzer aus dem von in beiden Lagern ungeliebten Deutschland käme -, ist eher unwahrscheinlich. Eine erfolgreiche Integration wäre zumindest kompliziert.

Normalerweise wird die Deutsche Börse schnell kritisiert, wenn (mal wieder) ein Happen an ihr vorbei geht. Diesmal könnte es sogar gut sein - es könnte ein "vergifteter" Happen sein.

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