Kreditpolitik

Zu viel Risiko?

Gehen Deutschlands Banken getrieben von einem herausfordernden Umfeld auf der Suche nach einem auskömmlichen Dasein zu hohe Risiken ein? Über die Beantwortung dieser Frage lässt sich trefflich streiten, was allein schon an der Pauschalisierung liegt. Denn was für den einen zu viel, kann der andere sich noch leisten.

Fakt 1: Nach dem längsten Wirtschaftsaufschwung der deutschen Geschichte schwächelt die Konjunktur derzeit ein klein wenig, vor allem weil der Exportmotor angesichts vieler globaler Unwägbarkeiten ins Stottern gerät. So hat jüngst die Bundesregierung ihre Konjunkturprognose für 2020 deutlich gesenkt. Peter Altmaier rechnet nur noch mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 1,0 Prozent. Noch im April ging man in Berlin von 1,5 Prozent aus. Die fünf Wirtschaftsweisen des "Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage" haben mit einer Prognose des Wirtschaftswachstums von 0,9 Prozent ähnliche Erwartungen, rechnen aber auch damit, dass sich die Konjunkturschwäche bis weit in das kommende Jahr ziehen wird. Zuversichtlicher sind da mittlerweile die Unternehmenschefs. Nachdem der Ifo-Index in den vergangenen Monaten eigentlich nur eine Richtung kannte, hat sich die Stimmung in der deutschen Wirtschaft im November wieder aufgehellt. Der vom Münchner Ifo-Institut erhobene Geschäftsklimaindex stieg um 0,3 Punkte auf 95,0 Zähler. Die Unternehmer waren minimal zufriedener mit ihrer aktuellen Geschäftslage. Auch ihre Erwartungen fielen weniger pessimistisch aus als noch im Vormonat.

Fakt 2: Die Banken und Sparkassen in Deutschland scheint das nicht zu kümmern. Denn die Kreditvergabe an Unternehmen wurde zuletzt stark ausgeweitet. Im zweiten Quartal 2019 stieg sie gegenüber dem Vergleichsquartal des Vorjahres um 61 Milliarden Euro oder 5,4 Prozent. Eine Rolle spielen dabei mittlerweile auch wieder die zahlreichen Auslandsbanken, die sich verstärkt im deutschen Firmenkundengeschäft breit machen: Inzwischen stehen ausländische Banken für 11,3 Prozent des hiesigen Unternehmenskreditvolumens. Einer Analyse der Finanzierungsberatung FCF Fox Corporate Finance zufolge haben die Institute insgesamt rund 104 Milliarden Euro an Krediten an Unternehmen ausgereicht. Das ist ein neuer Rekordwert: 2008 hatten die Kreditvolumina laut FCF schon einmal 98 Milliarden Euro erreicht, bis 2014 reduzierten die Häuser die an deutsche Firmen vergebenen Darlehen dann jedoch wieder auf 64 Milliarden Euro.

Auch in Europa zeigt sich ein ähnliches Bild. Hier haben die Geldhäuser im Oktober 3,8 Prozent mehr Firmendarlehen ausgereicht als vor Jahresfrist, wie die EZB mitteilte. Im September hatte das Plus bei 3,6 Prozent gelegen. Doch nicht nur im Firmenkundengeschäft brummt der Kreditmotor: An die Privathaushalte vergaben die Banken im Oktober 3,5 Prozent mehr Kredite als ein Jahr zuvor. Das ist der stärkste Zuwachs seit Januar 2009.

Für die Bankenaufsicht ist ein Szenario aus niedrigen Zinsen, eingetrübter Konjunktur, wachsender Risikovorsorge, die in der jüngeren Vergangenheit praktisch nicht vorhanden war, Preisblasen und globalen Unsicherheiten natürlich besorgniserregend. "Wenn sich mehrere Risiken parallel realisieren, droht der sprichwörtliche perfekte Sturm", warnte BaFin-Chef Felix Hufeld noch im September. Der Finanzstabilitätsbericht 2019 der Deutschen Bundesbank befürchtete eine Unterschätzung der drohenden Kreditrisiken und stellt zwar keine dramatische, aber doch eine schleichende Aufweichung der Kreditvergabestandards fest. Und die Ratingagentur Moody's nahm die jüngsten Entwicklungen zum Anlass, ihren Ausblick für die deutschen Banken von stabil auf negativ zu senken.

Deutet das alles auf einen zu großen, gefährlichen Risikoappetit hin? Bislang zum Glück noch nicht. Hoffentlich bleibt das auch so.

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