Redaktionsgespräch mit Karl Manfred Lochner

"Die Ära der Transformation beginnt gerade erst"

Karl Manfred Lochner, Foto: Landesbank Baden-Württemberg

Zehn Jahre lang kannten Mitarbeiter im Firmenkundengeschäft der deutschen Kreditinstitute nur eine Richtung: nach oben. Die Konjunktur wuchs und mit ihr die Unternehmen und das Geschäft. Das änderte sich mit Corona, wobei schwere Verwerfungen bislang durch das rasche und entschiedene Handeln der Bundesregierung ausgeblieben sind. Nun sorgt der russische Angriff auf die Ukraine für neue, zusätzliche Unsicherheit. Es ist zu befürchten, dass aus dem Konflikt ein länger andauerndes Spannungsfeld zwischen Russland und dem Westen mit all den negativen Folgen für Energiepreise und Lieferketten resultiert, wie der Autor ausführt. Und als wäre das noch nicht genug, zwingt der Klimawandel die Wirtschaft zu einer der größten Transformationen der vergangenen Jahrzehnte. Die LBBW will dabei nicht nur Finanzierer, sondern vielmehr strategischer Partner der Unternehmen auf deren Weg zu nachhaltigen Geschäftsmodellen sein, erläutert der zuständige Firmenkundenvorstand im Gespräch mit der Redaktion. Und sie wird sich eigenen Herausforderungen stellen, die aus sich wandelnden Ansprüchen an das Banking resultieren. Wobei auch künftig der menschliche Austausch und eine gute Marktkenntnis unverzichtbar sind. (Red.)

Corona, Digitalisierung, ESG, Transformation und nun auch noch Krieg in Europa - es ist eine ganze Menge, was deutsche Unternehmen in den vergangenen Jahren und Monaten zu bewältigen hatten und haben: Alles in allem haben die Unternehmen diese Herausforderungen bislang ganz ordentlich gemeistert. Teilen Sie diesen Eindruck, Herr Lochner?

Auf jeden Fall! Wir können zurückblicken auf ein Jahrzehnt mit einer vergleichsweise stabilen konjunkturellen Entwicklung und insbesondere in unserem Kernmarkt Baden-Württemberg auf viele Erfolgsgeschichten herausragender Unternehmerinnen und Unternehmer. Viele Unternehmen haben das positive Marktumfeld genutzt, um Kapitalreserven zu bilden und ihre Geschäftsmodelle kontinuierlich weiterzuentwickeln.

Auf der anderen Seite entwickelt sich das globale Marktumfeld dynamischer als je zuvor - mit allen Chancen und Herausforderungen, die das mit sich bringt. Nicht zuletzt durch die Megathemen Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Auf makroökonomischer Ebene wird der anhaltende Handelskonflikt zwischen China und den USA aktuell überdeckt durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Wie dieser Konflikt sich auch entwickelt: Die politischen - und damit auch die wirtschaftlichen - Machtverhältnisse werden sich weiter verschieben, was auch Auswirkungen auf deutsche Unternehmen haben wird.

Wie groß sind die Gefahren aus dem Ukraine-Konflikt für die deutsche Wirtschaft und damit auch für die Unternehmenskunden der LBBW?

Aufgrund der hohen Dynamik lässt sich derzeit noch nicht abschätzen, wie sich die Situation in den kommenden Wochen und Monaten entwickeln wird. Als Bank müssen wir uns allerdings darauf vorbereiten, dass aus dem Ukraine-Konflikt ein länger andauerndes Spannungsfeld zwischen Russland und den westlichen Ländern resultieren wird.

Erste direkte Auswirkungen auf die Unternehmenskunden der LBBW erleben wir bereits durch den signifikanten Anstieg der Energiepreise. Viele Unternehmen sind zudem gezwungen, bestehende Lieferbeziehungen zu hinterfragen und in Einzelfällen auch unmittelbar neu zu gestalten. Die mittel- und langfristigen Auswirkungen aus den ergriffenen Sanktionsmaßnahmen gegen Russland lassen sich zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht umfassend bewerten.

Was heißt all das für das Unternehmenskundengeschäft der Banken? Wo liegen Herausforderungen, wo schlummern Potenziale und Chancen?

Die Herausforderungen als Corporate Bank liegen insbesondere darin, Transparenz über die im Kreditportfolio vorhanden Risikopositionen zu erlangen. Für das Unternehmenskundengeschäft bedeutet dies, spezifische Risikofaktoren näher zu beleuchten: Wie wichtig ist Russland für unsere Kunden als Absatzmarkt? Wie sehr sind sie abhängig von Rohstoffen oder anderen Importen aus Russland? Wie sieht es mit Geschäftspartnern aus, die in irgendeiner Form stärker abhängig sind von Russland? Wie anlagen- und damit energieintensiv ist die jeweilige Branche? Welche Zahlungsströme sind relevant? Das sind zum Teil sehr komplexe Gemengelagen, die wir - und natürlich die Unternehmen selbst! - zügig bewerten müssen.

Angesichts der kriegerischen Auseinandersetzung und dem damit verbundenen, für uns unvorstellbaren Leid ist es schwer, auch positive Auswirkungen zu benennen. Dennoch zeichnet sich bereits ab, dass der (Energie-)Versorgungssicherheit zukünftig eine noch höhere Bedeutung zukommt. Dies lässt sich in Deutschland und Europa insbesondere durch einen beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien erreichen. Wir als LBBW werden die Unternehmen zukünftig noch stärker als Corporate Bank der Transformation und der Energiewende auf diesem Weg begleiten.

Welche Themen beschäftigen Sie derzeit am meisten: Nachhaltigkeit und die damit verbundene Transformation der Wirtschaft oder die Digitalisierung? Kann man das überhaupt voneinander trennen?

Nachhaltigkeit wird zum neuen Standard, davon sind wir als LBBW unverändert fest überzeugt. Als eine unserer vier strategischen Stoßrichtungen ist Nachhaltigkeit bereits seit einigen Jahren integraler Bestandteil der Konzernstrategie. Wir sind eine der führenden Banken für ESG-linked und Green Finance, wir strukturieren nachhaltige Unternehmensfinanzierungen und bauen zugleich Beratung und Produktangebot für nachhaltige Geldanlagen aus. Zudem ist die LBBW führender Emittent von Bonds und Social Bonds und zählt zu den Topadressen bei der Begleitung von ESG-Anleihen für Finanzinstitutionen und SSAs (Supranationals, Sub-Sovereigns and Agencies).

Gleichzeitig bauen wir unser Sustainability Advisory aus. Dabei geht es nicht allein um nachhaltige Finanzierungen, sondern auch um die Beratung von Unternehmen bei der Transformation hin zu nachhaltigen Geschäftsmodellen. Dabei beweisen wir uns als strategischer Partner, der zudem mit Branchenexpertise punkten kann. Bei allen diesen Transformationen spielen digitale Prozesse selbstverständlich eine unverzichtbare Rolle. Aber: Digitalisierung ist nie Selbstzweck, sondern wird eingebunden in den Transformationsprozess.

Was ist die Strategie der LBBW in Sachen Transformation der Wirtschaft? Wo sind Ihrer Ansicht nach die größten Anstrengungen erforderlich?

In unserem Kernmarkt Baden-Württemberg liegt der Schwerpunkt der Wirtschaft - auch historisch bedingt - auf den Branchen Maschinen- und Automobilbau mit stark positionierten mittelständischen geprägten Unternehmen und gleichzeitig einer Vielzahl an global führenden Unternehmen. Besonders in der Automobilindustrie und den vorgelagerten Produktionszweigen ist bereits seit vielen Jahren im Zusammenhang mit dem rasanten Umstieg auf E-Mobilität ein hoher Innovations- und Transformationsdruck zu erkennen. In der Folge waren viele Unternehmen gezwungen, innerhalb kurzer Zeit ihr Geschäftsmodell neu zu definieren.

Wir als LBBW sehen unsere Aufgabe darin, unsere Kunden - auch aus traditionellen Industrien - als stabiler und verlässlicher Partner zu begleiten und zu unterstützen bei ihrer Transformation zu nachhaltigen Geschäftsmodellen und zur Klimaneutralität. Es gilt aber: Die Ära der Transformation beginnt gerade erst.

Wie verändert sich die Rolle der Banken im Unternehmenskundengeschäft? Werden die Institute vom reinen Kreditgeber verstärkt zum Berater, Begleiter und Ermöglicher von Transformation und Wandel?

Das ist jedenfalls der Ansatz der LBBW. Corporate Banking ist längst mehr als die Vergabe von Krediten. Die LBBW sieht sich als bevorzugter strategischer Partner der Unternehmen. Wir möchten verstehen, welche strategischen Ziele das Unternehmen verfolgt, um daraus abgeleitet gemeinsam die bestmögliche Finanzierung zu entwickeln. Diese Beratungsleistung wird heute von unseren Kunden als selbstverständlich vorausgesetzt - und eingefordert. Und wir liefern. Kundenauszeichnungen als jeweils beste Bank bei nachhaltigen Finanzierungen, im Service für Firmenkunden und im Mittelstand im Banken-Survey 2021 der Zeitschrift Finance bestärken uns auf diesem Weg.

Müssen Kreditinstitute stärker noch in ihre technologischen Kenntnisse und Möglichkeiten und entsprechendes Personal investieren, um insbesondere die digitale Transformation der Wirtschaft begleiten zu können? Wie hoch ist der geschätzte Aufwand bei der LBBW?

Sehen Sie es mir nach, wenn ich keine konkreten Zahlen nenne, aber seien Sie versichert: Die LBBW investiert laufend und umfassend in die Fort- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. So wie sich Technologien entwickeln, bauen wir parallel die dazu erforderlichen Fähigkeiten auf. Wir erweitern ständig unsere Angebotspalette im Digital Banking, um die Abläufe für unsere Kunden so bequem und schnell wie möglich zu gestalten.

Im Internet der Dinge kommunizieren Maschinen mit Maschinen auf Basis der Distributed-Ledger-Technologie: Braucht es dafür noch die klassische Intermediärsfunktion, die Banken ausgeübt haben und ausüben?

Diese Frage treibt viele Banken um und das ist verständlich. Bedingt durch die Digitalisierung stecken Unternehmenskunden in einer Transformation zu neuen Geschäftsmodellen, welche auch das Banking verändern und angepasste Finanzprodukte erfordern.

Tatsächlich erlauben neue Technologien, bei Finanzgeschäften auf Banken als Intermediär zu verzichten. Diese Option wird sich bei weniger komplexen Transaktionen vielleicht sogar durchsetzen, aber das bereitet uns keine schlaflosen Nächte. Die Expertise der LBBW ist gerade dann gefragt, wenn es um komplexere Finanzierungsaufgaben geht, um Vertrauen und um ein tiefes Verständnis des Unternehmens und seiner Ziele. Die LBBW versteht sich eben nicht als bloßer Geldgeber oder Abwickler, sondern als strategischer Partner auf Augenhöhe.

In Bezug auf Distributed Ledger Technology (DLT) konnte die LBBW bereits über verschiedene Transaktionen, welche wir gemeinsam mit unseren Kunden entwickelt und umgesetzt haben, wertvolle Erfahrungen sammeln. So ist es uns beispielsweise gelungen, eine rechtsgültige digitale ABCP-Transaktionen (Asset-backed Commercial Paper) nach irischem Recht auf Basis der DLT über eine dafür entwickelte Plattform abzuwickeln. Vorteil: Für eine schnellere Abwicklung wird die Anzahl der Intermediäre reduziert und die DLT direkt an die klassischen Zahlungsverkehrssysteme der LBBW angeschlossen.

Wie können sich Banken in diesen neu entstehenden Ökosystemen positionieren?

Ich kann nur für die LBBW sprechen. Wer nur standardisierte Finanztransaktionen im Produktportfolio hat, wird sich unter Umständen durch DLT-Ansätze bedroht sehen. Unser Verständnis in der LBBW ist dagegen, diese neuen Technologien nicht als Bedrohung, sondern vielmehr als sinnvolle Ergänzung zu sehen. Aus diesem Grund beteiligt sich die LBBW auch aktiv an der Entwicklung von Plattformen, etwa für Schuldscheine, oder im Rahmen des Trade-Finance-Netzwerks Marco Polo.

Wie verändern sich unter diesen Umständen die Finanzierungsbedürfnisse der Kunden?

Unternehmenskunden erwarten, dass digitale Prozesse bequem, effizient und sicher sind. Darauf reagieren wir. Wir bauen unser LBBW Corporates Portal bereits seit Jahren konsequent im Dialog mit unseren Kunden zu einem digitalen Ökosystem aus, arbeiten an einem noch effizienteren Zahlungsverkehr und kümmern uns heute schon um die Themen von morgen, also etwa Kryptoverwahrung oder den digitalen Euro.

Wie sehen aus Ihrer Sicht passgenaue Services aus, die Banken anbieten können?

Mit dem LBBW Corporates Portal sind wir bereits einen wichtigen Schritt vorausgegangen, um Unternehmenskunden täglich benötigte Services zur Verfügung zu stellen. Unsere Kunden werden weder mit komplexer noch mit komplizierter Technik konfrontiert. Es gibt einen Zugang für alle Leistungen. Wer sich einloggt, hat derzeit Zugang zu sieben verschiedenen Services: Apps für Avale, Zahlungsverkehr, Geschäftsumfangsbestätigung, Firmenkreditkarten sowie Rechte- und Vollmachten, außerdem ein E-Postfach und nicht zuletzt Deri-X Treasury - ein virtueller Risikomanager, um Währungsrisiken zu identifizieren.

Demnächst kommt die E-Signatur hinzu und weitere Apps für Research und die digitale Bestätigung von Finanzgeschäften. All das zeigt: Wir bauen kontinuierlich unser Leistungsangebot aus, um unseren Unternehmenskunden ein umfassendes Banking-Ökosystem zur Seite zu stellen. Gerade auch neue Kunden bestätigen uns, dass sie genau diese Services schätzen.

Wie weit ist Ihr Haus bei diesen Punkten?

Wir reden bei Digitalisierung üblicherweise von "work in progress", denn jedes Produkt- und Serviceangebot muss laufend an neue Sicherheitsanforderungen, neue regulatorische Anforderungen, neue Kundenbedürfnisse und neue Prozesse angepasst werden. Die E-Signatur kommt noch dieses Jahr, ebenso die Apps für Research und die digitale Bestätigung von Finanzgeschäften. Wenn es um die Kryptoverwahrung und den digitalen Euro geht, kommt es vor allem auf die Markentwicklung an und darauf, was die Regierung macht. Das EZB-Projekt zum digitalen Euro wird maßgeblich sein, um einen gewissen Standard zu setzen.

Entscheidend für Erfolg in der Digital Economy ist ein hoher Automatisierungsgrad entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Warum schrecken Banken hiervor immer noch ein bisschen zurück?

Ich glaube, ich spreche auch für viele andere Banken, wenn ich sage: Wir schrecken nicht zurück, ganz im Gegenteil. Wir haben sehr wohl verstanden, wie stark unsere Kunden interessiert sind an effizienten digitalen Prozessen. Doch vor diesem Ziel stehen zwei Hürden: die Sicherheit und die Regulatorik. Der Gesetzgeber macht uns dezidierte Vorgaben, die überwiegend auch aus unserer Sicht sinnvoll sind, aber nicht unbedingt für schlanke Prozesse sorgen. Und die Sicherheit digitaler Prozesse hat für uns oberste Priorität - da nehmen wir uns selbst in die Pflicht. Den regulatorisch höchst komplexen KYC-Prozess beispielsweise durchläuft ein Unternehmenskunde der LBBW mittlerweile nahezu vollautomatisiert und sicher - damit sind wir im Bankenumfeld hinsichtlich des Digitalisierungsgrads im KYC-Prozess führend.

Welche Rolle spielt der Einsatz künstlicher Intelligenz künftig im Unternehmenskundengeschäft?

Der digitale Megatrend "KI & Smart Data" verändert Struktur, Philosophie und den Fokus zahlreicher Unternehmen. Insbesondere Banken könnten durch den Einsatz von KI neue Services für Kunden anbieten. Konsequentere Datennutzung und sich stetig verbessernde Algorithmen führen zudem zu optimierten Geschäftsabläufen und verbesserten Geschäftsbeziehungen.

Erfolgreich implementieren konnten wir bereits die Technologie Robotic Process Automation (RPA). Ziel ist es dabei, strukturierte Geschäftsprozesse zu automatisieren. Hierbei greift der Roboter, ähnlich wie ein Mitarbeiter, auf das User Interface der bestehenden Anwendungen zu und ahmt Benutzereingaben über die Benutzeroberfläche nach. Auch wenn es sich nicht um künstliche Intelligenz im engeren Sinne handelt, ermöglicht uns diese Technologie, in signifikantem Umfang standardisierte Arbeitsabläufe zu automatisieren und dadurch Kosten zu senken.

Stehen regulatorische Vorschriften wie beispielsweise Geldwäsche-Verordnungen den Möglichkeiten der Kreditinstitute entgegen?

Regulatorik und schlanke Prozesse gehen klassischerweise nicht gut zusammen. Aber wie bereits erläutert: Diese Regulatorik ist notwendig. Sie schafft den Rahmen, in dem wir sichere Technologien entwickeln und einsetzen.

Sind die großen Tech-Unternehmen in diesem Bereich die größten Wettbewerber?

Wenn es um standardisierte Prozesse geht, treten vermehrt auch Tech-Unternehmen als Wettbewerber am Markt auf. Aber sobald es komplexer wird und Expertise gefragt ist - und das ist gerade im Umgang mit Unternehmen fast der Normalfall -, ist der menschliche Austausch und die langjährige Marktkenntnis unverzichtbar.

Karl Manfred Lochner , Mitglied des Vorstands , Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), Stuttgart
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