Redaktionsgespräch mit Marija Kolak

"Unser Anspruch ist, das leistungsstärkste Ökosystem mit regionaler Prägung zu etablieren"

Marija Kolak, Foto: BVR (Hoffotografen)

Die Präsidentin zeigt sich zuversichtlich. Und das zu Recht. Die genossenschaftliche Finanzgruppe ist gut aufgestellt, auch in anhaltend spannende Rahmenbedingungen ihre Rolle zu erfüllen. Die angestoßene Strategieagenda ist auf gutem Weg und soll innerhalb der Gruppe für noch mehr Effizienz und damit geringere Kosten sorgen. Ein Ziel dabei: Der Aufbau des leistungsstärksten digitalen Ökosystems regionaler Prägung. Eine zentrale Direktbank braucht die genossenschaftliche Finanzgruppe laut Marija Kolak angesichts der dezentralen Strukturen nicht. Alles so weit im Griff also, was auch neuerliche Angriffe aus dem Privatbankenlager auf das Drei-Säulen-Modell unterstreichen. Wenn da nur die EZB nicht wäre: Denn die expansive Geldpolitik mache ihr schon Sorgen, so die BVR-Präsidentin. Aber vielleicht erhört man in Frankfurt den Appell der Präsidentin ja doch noch, wenigstens die Negativzinsen abzuschaffen. (Red.)

Frau Kolak, vor einem Jahr sagten Sie hier an gleicher Stelle, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise bewältigt werden würden: Sind Sie Hellseherin?

Ich war aus gutem Grund zuversichtlich, dass wir die Auswirkungen der Corona-Krise verkraften werden. Mit einer sehr soliden Eigenmittelausstattung - auf Ebene der genossenschaftlichen Finanzgruppe von 115 Milliarden Euro - verfügen wir über genügend Reserven, um erwartete Kreditausfälle abfedern zu können. Aber auch der Staat hat vor allem durch die großzügige Ausweitung der Kurzarbeitregelungen und der milliardenschweren KfW-Nothilfen Anteil daran, dass die Krise weniger stark auf die Wirtschaft durchgeschlagen hat und die wirtschaftliche Erholung schnell wieder in Gang kam.

Gibt es dennoch Dinge im Zusammenhang mit der Corona-Krise, vor denen Sie Respekt haben?

Die Staaten in allen Teilen der Welt haben zur Abfederung der Corona-Krise neue Milliarden-Schulden aufgenommen, die irgendwann zurückgezahlt werden müssen. In Europa sehe ich allerdings eher Tendenzen, den Stabilitätspakt aufzuweichen, um dauerhaft eine höhere Staatsverschuldung zu ermöglichen. Diese Diskussion macht mir Sorgen, denn die nächste Krise wird irgendwann kommen. Ohne eine solide Haushaltspolitik wird es dann ganz schwer. Die europäische Solidarität, die zu dem Hilfsprogramm Next-GenerationEU geführt hat, darf nicht überstrapaziert werden.

Die Kreditwirtschaft ist bei der Bewältigung der Krisenfolgen, bei der Finanzierung der erforderlichen Transformation - Stichwort Nachhaltigkeit - sowie bei der eigenen Transformation stark gefordert: Schafft sie das alles?

Die deutsche Kreditwirtschaft ist im hohen Maße leistungsfähig, um den Transformationsprozess der deutschen Wirtschaft aktiv zu begleiten. Dennoch mahne ich ein realistisches Erwartungsmanagement an. Nicht alles, was derzeit diskutiert wird, kann über den Hebel des Finanzmarktes erreicht werden. Die Politik muss auch die Rahmenbedingungen für die Realwirtschaft weiterentwickeln. Wir brauchen hier mehr Gleichlauf.

Beim Thema ESG spielen Daten und Transparenz ein große Rolle, was gerade für Mittelständler eine Herausforderung darstellt: Was heißt das für die Kreditwirtschaft und wie kann diese die Unternehmen eventuell unterstützen?

Wir haben alle eine Verantwortung dafür, dass unsere Umwelt für die nachfolgenden Generationen lebenswert bleibt. Die genossenschaftliche Finanzgruppe tritt für Nachhaltigkeit in all ihren Ausprägungen ein. Wir haben ein umfangreiches Projekt hierzu aufgelegt.

Zugleich muss die Sustainable-Finance-Regulatorik der EU umsetzbar bleiben. Der Gesetzgeber darf nicht zu kleinteilige Vorgaben machen. Sonst wird die Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft für viele mittelständische Betriebe kaum beherrschbar. Bestes Beispiel ist die von der EU-Kommission vorgesehene Taxonomie. Diese ist wichtig, da so ein EU-weites Klassifikationssystem für nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten mit einheitlichen Begrifflichkeiten geschaffen wird. Aber angesichts der Detailtiefe und Komplexität ist bedauerlicherweise ein "Taxonomiekoloss" entstanden, der für viele Firmen schwer anwendbar erscheint. Da die Banken zunehmend auf die Nachhaltigkeitsdaten der Realwirtschaft angewiesen sind, bedarf es eines engen Austauschs zwischen Bank und den finanzierten Unternehmen.

Wie zufrieden sind Sie mit dem bislang Erreichten im Rahmen des Strategieprozesses? Macht das die genossenschaftliche Finanzgruppe stark genug für die Zukunft?

Die "Strategieagenda - Genossenschaftlich Zukunft gestalten" ist auf gutem Wege. Sie soll uns helfen, die kommenden Veränderungen aus einer starken Position heraus proaktiv anzugehen, in dem wir den digitalen Zugang zum Kunden sichern und auf der Kostenseite sowie in der Zusammenarbeit innerhalb der Gruppe effizienter werden. Im Moment wird mit viel Engagement unter tatkräftiger Beteilung der Genossenschaftsbanken, den Unternehmen der genossenschaftlichen Finanzgruppe, der Atruvia und den Verbänden an den identifizierten Handlungsfeldern gearbeitet.

Die Strategieagenda ist grundsätzlich so angelegt, dass sie uns bei einer notwendigen stetigen Weiterentwicklung unseres genossenschaftlichen Geschäftsmodells unterstützt. Denn so wie sich das Kundenverhalten und die Erwartungen der Kunden verändern, wird sich auch die genossenschaftliche Finanzgruppe kontinuierlich - zum Beispiel hinsichtlich der Zugangswege und des Produkt- und Leistungsspektrums - wandeln müssen. Hier hilft uns, dass wir bereits vor der Entwicklung der Strategieagenda mit dem Projekt Kundenfokus und der Digitalisierungsoffensive bedeutende Aktivitäten aufgesetzt hatten, die wichtige Vorrausetzungen zur Sicherung der Kundenschnittstelle und der Erhöhung der Marktrelevanz schaffen.

Wie weit sind Sie denn schon beim Aufbau eines Ökosystems?

Wir sind noch in der Projektarbeit und haben noch kein abschließendes und in der Gruppe final abgestimmtes Zielbild. Unser Anspruch ist aber, das leistungsstärkste Ökosystem mit regionaler Prägung zu etablieren. Gute Chancen sehen wir darin, wenn wir unser bestehendes auf Banking ausgerichtetes Ökosystem mit einem Ausbau der Plattforminfrastruktur, der Übertragung unserer bestehenden Netzwerke in die digitale Welt sowie dem Ausbau von Partnerschaften und gegebenenfalls Beyond-Banking-Leistungen erweitern.

Wir schauen uns derzeit mehrere sogenannte Lebenswelten an, die für unsere Kunden hohe Relevanz haben und zu denen wir als genossenschaftliche Finanz-Gruppe - oder mit entsprechenden Partnern - Mehrwerte für unsere Mitglieder und Kunden bieten können. Was wir als Erstes sicher sehr gut entwickeln können, ist eine Erweiterung rund um das Geschäftsfeld "Bauen und Wohnen". Dazu nutzen wir das in unserer Gruppe vorhandene Know-how sowie die bereits bestehenden Bausteine der Bausparkasse Schwäbisch Hall und der PSD Banken, die mit ihrem digitalen Assistent PIA einen ersten Nukleus gebaut haben. Wir sehen aber auch Ansatzpunkte bei Themen wie zum Beispiel Gesundheit und Pflege oder Mobilität. Bei der Ausgestaltung werden genossenschaftliche Werte und Aspekte wie Regionalität und Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle spielen.

An den meisten Stellen hat die genossenschaftliche Finanzgruppe bereits einen zentralen Dienstleister für die jeweiligen Aufgabenbereiche. Braucht es auch eine zentrale Direktbank oder reicht ein gutes Multikanalangebot auf Primärbankebene aus?

Volksbanken und Raiffeisenbanken sind in besonderer Weise im regionalen Wirtschaftsleben verwurzelt. Ihre Stärken sind die genaue Kenntnis des Marktes und der persönliche Kontakt zu den Menschen in der Region. Diese Aufstellung wird ergänzt um ein omnikanales Angebot, in dem insbesondere die Lösungen im digitalen Banking derzeit umfangreich ausgebaut werden. Diese dezentrale Fokussierung mit starken und eigenständigen Genossenschaftsbanken vor Ort sowie den Produktspezialisten der genossenschaftlichen Finanzgruppe wie Union Investment, R+V Versicherung oder Teambank bedarf keiner zentralen Direktbank.

Die genossenschaftliche Finanzgruppe hat den Herausforderungen bislang mehr als ordentlich getrotzt und gute Ergebnisse erzielt. Macht das Hoffnung, für das was noch kommt?

Wir hoffen nicht nur, wir arbeiten hart für unseren Erfolg. Bei den vielen Projekten, die derzeit auch durch die Strategieagenda ausgelöst, oft dezentral über digitale Formate mit vielen Kolleginnen und Kollegen aus der gesamten Finanzgruppe laufen, nehme ich hohes Engagement, eine Art Aufbruchstimmung wahr. Wir sind überzeugt davon, dass wir mit unserer exzellenten Wettbewerbsposition eine mehr als solide Basis für die Zukunft haben.

Denn die Herausforderungen werden nicht kleiner. Was ist Ihrer Meinung nach die schwierigste Aufgabe für die Kreditgenossenschaften: Die eigene Transformation vor allem in technischer Hinsicht, die anhaltende Niedrigzinsphase, die Regulierung, die neuen Wettbewerber? Oder etwas ganz anderes?

Sie haben die wesentlichen Herausforderungen für die gesamte Branche genannt. Die Kombination aus allem macht es um einiges komplexer. Niedrigzins und Wettbewerb senken die Erlösmöglichkeiten, Regulierung erhöht die Kosten und Transformation erfordert Investitionen. Das ist schon wie die gern zitierte Quadratur des Kreises. Gleichwohl haben die Genossenschaftsbanken eine hervorragende Ausgangsituation, um diese Herausforderungen mit breiten Schultern anzugehen.

Die Geschäftsmodelle sind intakt, die Geschäfte entwickeln sich gut, der Zuspruch der Mitglieder und Kunden ist groß. Die Genossenschaftsbanken haben gezeigt, dass sie auch in Krisenzeiten für ihre Kunden und Mitglieder da sind und sich sehr schnell anpassen können und Hilfen bereitstellen.

Wie können die Volksbanken Raiffeisenbanken ihre Position als Intermediär auch in einer Welt der Industrie 4.0 behaupten, wenn Maschinen mit Maschinen kommunizieren?

Die Kernaufgabe der Volksbanken und Raiffeisenbanken wird immer der persönliche Kontakt zu unseren Mitgliedern und Kunden sein, aber natürlich bereiten wir uns auf diese Entwicklungen vor. So nutzen wir für die Abrechnung von Maschinen - Stichwort "Pay per Use" - heute bereits Blockchain-Technologie in Verbindung mit dem digitalen Zahlungsverkehr. Ein gerade in der aktuellen Situation attraktives Model, wo der Hersteller die Vorinvestition, den Kredit in einen neuen Maschinenpark, scheut und stattdessen je nach Nutzungsintensität für die Maschine zahlt. Solche Angebote sind kein Zukunftsszenario mehr. Die DZ Bank und auch Atruvia bieten diese Lösung gemeinsam mit einigen Genossenschaftsbanken an. Zukünftig wird die Bereitstellung von tokenisierten Guthaben für Mikropayments und Payment Streams eine Aufgabe für uns sein.

Wo spielt KI heute schon eine Rolle in der genossenschaftlichen Finanzgruppe und wie wird sich das in Zukunft entwickeln?

Künstliche Intelligenz (KI) und die intelligente Nutzung von Daten (Smart Data) sind für die genossenschaftliche Finanzgruppe wichtige Fähigkeiten, um auch zukünftig wettbewerbsfähig zu sein. Wir nutzen KI heute schon für schnellere Prozessbearbeitungen, zum Beispiel zur Dokumentenerkennung, im Risikomanagement und zur Betrugserkennung im Zahlungsverkehr.

Wir arbeiten aber auch daran, mit KI die Erlebnisqualität entlang der digitalen Kundenschnittstelle zu verbessern. Das zeigt sich beispielhaft an unserer neuen VR Banking-App, die Ende des Jahres verfügbar sein wird. Dank komfortabler Sprachsteuerung nennt die App auf Zuruf den aktuellen Kontostand oder führt Überweisungen aus. Mit intelligenter Kundenansprache (next best action) sollen zukünftig Genossenschaftsbanken mit KI nicht nur den Inhalt jedes einzelnen Kundenkontakts passgenau auf den tatsächlichen Bedarf zuschneiden können, sondern auch den dafür jeweils am besten geeigneten Kanal und den richtigen Zeitpunkt dafür auswählen können. Ende des Jahres wird die erste Ausbaustufe in die Pilotierung gehen. KI ist für uns also ganz klar ein Motor für noch mehr digitale Kundennähe.

Ein Wort zur EZB-Politik: Wie kommt es, dass die Volksbanken und Raiffeisenbanken all die Belastungen aus den Nullzinsen immer noch so gut wegstecken? Und wie lange wird das noch gut gehen? Kann man in Zukunft weiterhin auskömmliche Ergebnisse erzielen?

Ja, das stimmt: Die Genossenschaftsbanken sind nach wie vor eine der ertragsstärksten Bankengruppe in Europa und haben sich gleichzeitig in schwierigen Zeiten als sehr resilient erwiesen. Unsere Mitgliedsinstitute verfügen aufgrund ihres Geschäftsmodells vorwiegend im Geschäft mit Privatkunden und dem Mittelstand über eine solide Grundrentabilität im zins- und provisionstragenden Geschäft.

Aber auch wir spüren die Belastungen aus dem Minuszins und der weiter zunehmenden Regulierung. Der Zinsüberschuss der Genossenschaftsbanken ist seit Jahren moderat rückläufig. Noch gelingt es, mit einem lebhaften Kreditwachstum gegenzusteuern. Auch die zweite Ertragssäule, der Provisionsüberschuss, hilft, den Rückgang im zinstragenden Geschäft zu kompensieren. Dass uns diese Strategie in die Zukunft trägt, glaube ich aber nicht. Wir werden noch für viele Jahre mit sehr niedrigen Zinsen zurechtkommen müssen. Daher bin ich fest davon überzeugt, dass wir zukünftig neue Ertragsquellen erschließen müssen und einen neuen Ansatz des Bankbetriebs, hin zu mehr Automation und schlankeren Prozessen benötigen, um zu signifikanten Kosteneinsparungen zu kommen.

Was sagen Sie zur neuen EZB-Strategie und vor allem zum selbst im EZB-Direktorium wohl viel diskutierten Zusatz des "Zinsausblicks", der ein Festhalten an der Nullzinspolitik auch bei Erreichen des Inflationsziels ermöglicht?

Der Ausstieg aus dieser experimentellen Zinspolitik wird zumindest nicht leichter. Ich sehe die von der EZB genannte Option, ein vorübergehendes, moderates Überschreiten des Inflationsziels hinzunehmen, kritisch. Keinesfalls dürfen solche Formulierungen rechtfertigen, dass das aktuelle Zinsumfeld zum Dauerzustand wird. Ohnehin dürfte der geldpolitische "Bremsweg" angesichts der umfangreichen Anleihekäufe und der hohen Schuldenstände in mehreren Mitgliedsstaaten des Euroraums sehr holprig und langwierig verlaufen. Möglichst zeitnah sollte die EZB prüfen, ob sie sich nicht in einem ersten Schritt zumindest von den Negativzinsen wieder verabschieden kann. Dies wäre ein wichtiger Schritt sowohl mit Blick auf die Sparer, als auch auf die Ertragskraft der Kreditinstitute.

Ist die EZB mit ihren vielen Aufgaben überfordert? Und vor allem: Ist der politische Einfluss zu groß? Denn während sich Sparer und Banken höhere Zinsen wünschen und das auch angebracht wäre, käme ein Zinsanstieg für viele Staaten einem Todesstoß gleich.

Der größte Interessenkonflikt, der mir Sorgen bereitet, steht im Zusammenhang mit den massiven Anleihekäufen. Der Abdruck der EZB an den Finanzmärkten ist größer denn je. Die EZB hat seit 2014 für über 4 Billionen Euro Wertpapiere gekauft, davon rund 3,5 Billionen Euro Staatsanleihen. Das ist mehr als ein Viertel der gesamten Staatsverschuldung im Euroraum. Da ist die Frage, ob die geldpolitischen Entscheidungen noch unabhängig von fiskalischen Fragen getroffen werden können, schon berechtigt.

Stichwort AGB-Urteil zu Gebühren. Wird das ein Thema der Kreditwirtschaft bleiben, oder auch auf andere Branchen wie beispielsweise Telekommunikation oder Medien abstrahlen?

Das ist noch nicht klar. Zunächst einmal hat sich der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 27. April 2021 mit Klauseln befasst, die zur Text- und Preisänderung in den AGB-Banken und AGB-Sparkassen vorgesehen waren. Ich halte es aber nicht für ausgeschlossen, dass dem BGH zukünftig auch Änderungsmechanismen anderer Branchen zur Prüfung vorgelegt werden. Das war ja auch schon in der Vergangenheit der Fall.

Wie stehen Sie als Präsidentin generell zum Thema Verbraucherschutz und speziell zum Umgang mit der Kreditwirtschaft: Haben Sie manchmal das Gefühl etwas strenger angegangen zu werden als andere?

Verbraucherschutz ist ein wichtiges und hohes Gut, dem wir uns im Interesse unserer Kunden verpflichtet fühlen. Problematisch wird es aber, wenn Änderungen des Rechtsstandpunktes durch oberste Gerichte nicht nur zukünftig gelten, sondern unbegrenzt für die Vergangenheit. Es ist gerade für die Attraktivität des Rechtsstandortes Deutschland wichtig, auch dem Vertrauensschutz ein stärkeres, gesetzlich verankertes Gewicht zuzuordnen. Der Finanzstandort Deutschland braucht praxisgerechte Vertragsanpassungsmechanismen, die auch eine massengeschäftstaugliche Anpassung von Geschäftsbedingungen ermöglicht.

Wie bewerten sie den Green Deal der EU, nicht nur mit Blick auf das notwendige Thema Klimawandel, sondern vor allem auf die Wettbewerbsfähigkeit und das Level Playing Field für deutsche Unternehmen?

Die genossenschaftliche Finanzgruppe unterstützt das Ziel, dass die EU bis 2050 klimaneutral wird. Mit Blick auf die damit verbundenen Herausforderungen bedarf es jedoch einer Politik mit Augenmaß, um die Unternehmen in Deutschland, aber auch in der EU für dieses große Vorhaben zu gewinnen und sie dabei zu unterstützen. Richtig und wichtig ist der verfolgte Ansatz, durch Förderung von Investitionen in eine CO2-arme Wirtschaft Wirtschaftswachstum und Beschäftigung anzukurbeln und insgesamt eine resiliente und nachhaltige europäische Wirtschaft mit einer langfristig höheren Wettbewerbsfähigkeit zu schaffen.

Haben Sie Sorge, dass europäische Institutionen den Strukturwandel in der deutschen Kreditwirtschaft weiter über Vorschriften und Anforderungen vorantreiben?

Der Wandel der Bankenbranche hat mehrere Ursachen. Einige davon hatte ich bereits angesprochen. Auch Regulierung gehört dazu. Gegen einen Strukturwandel - im Sinne eines aktiven Eingriffs in gewachsenen Marktstrukturen - wehren wir uns aber entschieden.

Welche Gefahren sehen Sie darin?

Der deutsche Bankenmarkt hat sich auch in der Finanzkrise gerade durch seine vielfältige, diverse Struktur bewährt. Wir wehren uns gegen Eingriffe in diese "Dreisäulenstruktur" mit privaten, öffentlichen und genossenschaftlichen Instituten, da sie ein wichtiges, stabilisierendes Element ist.

Bekommen Sie in Brüssel genug Unterstützung seitens der deutschen Politik?

Meine Wahrnehmung ist, dass das vielbeschworene "Brüssel" aus ganz unterschiedlichen Institutionen mit unterschiedlichen Interessen besteht. In meinen Gesprächen mit Abgeordneten des Europäischen Parlaments, der EU-Kommission, des Rates als auch bei den Beamten der Bundesregierung treffen wir mit unseren Anliegen immer auf ein offenes Ohr. Gerade deshalb ist die Positionierung einer kommenden Bundesregierung auch bei europäischen Fragen wie der Einlagensicherung oder den Eigenkapitalanforderungen im Rahmen der Basel-III-Finalisierung so wichtig.

Welche finanzwirtschaftlichen Themen müssen in der kommenden Legislaturperiode unbedingt angegangen werden?

Viele Fragen sind in der Tat von der europäischen Agenda vorgegeben. Es wird eine Auseinandersetzung mit den Themen Bankenunion, Basel, Nachhaltigkeit und Digitalisierung geben müssen, die auf der EU-Seite vorangetrieben werden. Dazu kommen Fragen des Finanzverbraucherschutzes, der Steuern und gegebenenfalls auch der Alterssicherung, die schwerpunktmäßig in nationaler Verantwortung liegen. Aus unserer Sicht ist es wichtig, Banken in diesem Zusammenhang nicht nur als Regulierungsobjekt, sondern auch als innovative Akteure einer Volkswirtschaft zu begreifen. Unsere Leistungen dienen den Kunden und der Realwirtschaft und stellen damit auch einen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wert da.

Marija Kolak , Präsidentin , Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e. V. (BVR)
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