Redaktionsgespräch mit Emmerich Müller

"Wir werden definitiv keine Wettbewerber übernehmen"

Emmerich Müller, Foto: Bankhaus Metzler

Die Bewältigung der aktuellen Krise ist auch für die regional verwurzelten und in der Regel mit langjährigen und stabilen Kundenbeziehungen ausgestatteten Privatbankiers alles andere als leicht. Schließlich erlebten wir eine Krise historischen Ausmaßes, wie der Autor anführt. Allerdings sieht er auch kleine Vorteile im Vergleich zu universal aufgestellten Banken. Denn die Privatbankiers seien in der Regel in den hochspezialisierten Geschäftsfeldern vor allem rund um Vermögensverwaltung tätig, und eben nicht im Kreditgeschäft, was von der nahenden Rezession besonders betroffen sein wird. Ein Schärfung der Geschäftsmodelle sei aber dennoch vonnöten. So erwartet der Autor in den kommenden Jahren eine noch stärkere Fokussierung auf bestimmte Zielgruppen und bestimmte Dienstleistungen. Im Bankhaus Metzler ist das die klare Konzentration auf individuelle Kapitalmarktdienstleistungen für Institutionen und anspruchsvolle Privatkunden. Für alle Banken gelte derzeit: Wer kein außerordentliches Bewusstsein für die Risiken habe, die mit seinen geschäftlichen Aktivitäten verbunden sein, werde am Markt nicht erfolgreich sein. An einer möglichen weiteren Konsolidierung innerhalb der Privatbankiers will Metzler aber nicht teilnehmen. Der Aufwand sei schlicht zu hoch. (Red.)

Herr Müller, Ende 2018 sagten Sie: "Die goldenen Jahre sind vorbei!" Was sagen Sie denn heute dazu?

Wir erleben gerade eine Krise historischen Ausmaßes. Durch die Globalisierung sind die Auswirkungen gravierender als bei früheren lokalen Katastrophen. Die Krise wird unsere Wirtschaft, aber auch unsere gesellschaftlichen Systeme wesentlich verändern, wobei keiner weiß, wie unsere Gesellschaft sich in den nächsten Jahren entwickeln wird. Feststehen dürfte aber: Wir werden alle unseren Beitrag leisten müssen. Der sollte es aber wert sein, wenn wir feststellen, dass die Krise gemeistert ist.

Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung an den Kapitalmärkten ein, wird es ein enorm volatiles Jahr bleiben oder sehen wir in der zweiten Jahreshälfte wieder eine gewisse Konstanz?

Die Begleitumstände von Covid-19 belasten die Unternehmen und deren Ertragsaussichten massiv. Genaue Umsatz- und Gewinnprognosen sind allerdings - angesichts der wechselhaften Nachrichtenlage - derzeit kaum möglich. So sind eine erfolgreiche Eindämmung der Pandemie sowie die Entwicklung von Therapeutika und Impfstoffen genauso denkbar wie eine anhaltend dynamische Ausbreitung des Virus beziehungsweise wiederkehrende Infektionswellen. Vor diesem Hintergrund kann es am Aktienmarkt immer wieder zu starken Ausschlägen kommen - sowohl nach oben als auch nach unten. Die Volatilität wird voraussichtlich erst dann spürbar abnehmen, wenn sich ein Erfolg versprechender Ausweg aus der aktuellen Situation abzeichnet, der eine Erholung der Wirtschaft zulässt.

Ist das wieder ein Rückschlag für die Aktienkultur in Deutschland?

Natürlich wirkt die Krise am Aktienmarkt nicht unbedingt wie eine Werbemaßnahme. Dabei sind Aktien ungemein wichtig für den langfristigen Vermögenserhalt - auch und gerade in Krisenzeiten. Dass das Bankhaus Metzler zwölf Generationen nach seiner Gründung immer noch im Familienbesitz ist, verdankt es nicht zuletzt Investitionen in den Sachwert Aktie. Aktien haben geholfen, die Katastrophen des 20. Jahrhunderts zu überstehen. Anleihen und auch Geldvermögen hingegen verloren mehrfach ihren gesamten Wert. Aus den langen Jahren regelmäßiger Aktienanlagen ist heute ein solides Sicherheitspolster gewachsen.

Es heißt, wir alle werden Ende des Jahres ärmer sein: Wie groß schätzen Sie die Effekte der Rezession für die Wirtschaft ein und welche Konsequenzen hat das für die privaten Einkommen und Vermögen?

Die Begleitumstände der Corona-Epidemie stürzen die Weltwirtschaft vorübergehend in eine tiefe Rezession. Je nach weiterem epidemiologischen Verlauf können dabei die Wohlstandsverluste sogar größer ausfallen als während der globalen Finanzkrise. Die Aussichten auf wirtschaftliche Erholung sind jedoch ungleich besser als damals - zumindest wenn nach Ende der Epidemie schnell wieder Normalbetrieb aufgenommen werden könnte und positive Nachholeffekte die Erholung unterstützen würden. Das setzt allerdings voraus, dass die Epidemie unter Kontrolle gebracht wird und negative Folgen mit andauernder Wirkung, wie eine Insolvenzwelle und vor allem Massenarbeitslosigkeit, begrenzt bleiben.

Wie schafft man es in derart turbulenten Marktentwicklungen, das Vermögen der Kunden zu erhalten?

Diversifikation, die Aufteilung des Vermögens in die beiden Anlageklassen Substanzvermögen und Nominalvermögen ist der Schlüssel zum Vermögenserhalt. Zwar wird man in Krisenszenarien wie politischen Verwerfungen, Inflation oder Deflation sicher auch Geld verlieren - aber eben nicht das gesamte Vermögen, sondern nur einen Teil. Den anderen Teil kann man zur aktiven Krisenbewältigung nutzen und behält immer das Heft des Handelns in der Hand. Handlungsfähig zu bleiben, Optionen und Chancen überhaupt nutzen zu können, ist in Krisenzeiten der entscheidende Vorteil.

Ihr Geschäft ist ein persönliches Geschäft: Nun darf man sich gegenwärtig nicht treffen. Wie managen Sie diese Herausforderung. Können Sie Telefonkonferenzen noch leiden?

Bei bestehenden Kundenbeziehungen ist die Kommunikation via Telefon, Skype oder Videokonferenzen unproblematisch, auch wenn es nicht unbedingt die schönste Form des Miteinanders ist. Wir lernen viel - auch für Konferenzen im Haus oder für die moderne Arbeitswelt. Die Krise wird auch hier unsere Arbeitswelt verändern. Skeptisch bin ich bei der Ansprache von Neukunden. Diese lassen sich auf diesem Weg sehr viel schwieriger gewinnen. Hier ist der persönliche Eindruck doch entscheidend.

Wie beurteilen Sie die bislang getroffenen Maßnahmen der Bundesregierung zur Stützung der Wirtschaft?

Bund, Länder und Gemeinden haben gezeigt, dass sie schnell handlungsfähig sind. Das hat mich sehr beeindruckt. Durch die vielfältigen Maßnahmen wird die deutsche Wirtschaft die Krise besser überstehen als viele andere Länder. Auch der Föderalismus, der ja manchmal als eher hemmend empfunden wird, hat sich bewährt und gezeigt, dass die Länder auf unterschiedliche Herausforderungen sehr pragmatisch reagiert haben.

Wie stark wird Corona den wirtschaftlichen Hintergrund für Privatbankiers verändern?

Die meisten Privatbanken sind in sehr unterschiedlichen Bereichen des Bankgeschäfts von der Vermögensverwaltung bis zum Währungs-Overlay tätig, hoch spezialisiert und in der Regel nicht im klassischen Kreditgeschäft aktiv. Das wird uns helfen, gut durch die Krise zu kommen.

Immer mehr der teils sehr traditionsreichen deutschen Privatbankiers werden von Ausländern aufgekauft. Setzt sich dieser Trend fort? Hat sich das Geschäftsmodell "Privatbankier" überholt?

Das Geschäftsmodell Bank wird insgesamt hinterfragt. Für uns gilt mit einer gewissen Zeitverzögerung, was für alle Branchen gilt: Längerfristig erfolgreich sind nur Unternehmen mit einer klaren strategischen Ausrichtung, einer starken Marke und der Bereitschaft, Ziele langfristig zu verfolgen. Und bei Banken kommt noch hinzu: Ohne ein außerordentliches Bewusstsein für die Risiken, die mit geschäftlichen Aktivitäten verbunden sind, werden sie im Markt nicht erfolgreich sein.

Wird das Bankhaus Metzler aktiv an einer weiteren Konsolidierung teilnehmen oder wie bislang eher als Zuschauer?

Metzler ist in den letzten Jahren organisch gewachsen. Aktuell befinden wir uns in einer Phase der Konsolidierung und Fokussierung. Es ist bei einem Unternehmen regelmäßig notwendig, zu überprüfen, welche Geschäftsbereiche noch sinnvoll sind und von welchen Randaktivitäten man sich trennen muss. Wir werden aber definitiv keine Wettbewerber übernehmen. Der damit verbundene Aufwand - sei es die Integration von IT-Systemen oder kulturelle Veränderungen - scheint uns zu hoch.

Wie also sieht eine erfolgreiche Privatbank der Zukunft aus? Welche Veränderungen erwarten Sie?

Es wird eine noch stärkere Fokussierung auf bestimmte Zielgruppen und Dienstleistungen notwendig sein. Wir haben uns zum Beispiel vor Jahren im Private Banking im Wesentlichen auf die Zielgruppe der Unternehmer konzentriert und bieten ausschließlich Vermögensverwaltung und keine Beratung an. Das hat uns geholfen, unseren Weg im regulatorischen MiFID-II-Dschungel weiterzuverfolgen. Oder die Etablierung unseres Geschäfts bereichs Pension Management: Wir haben frühzeitig auf die Herausforderungen der Unternehmen reagiert, ein effizientes System der Altersversorgung für ihre Mitarbeiter zur Verfügung zu stellen.

Welche Kerngeschäftsfelder sehen wir in Zukunft beim Bankhaus Metzler, auch vor dem Hintergrund anhaltend niedriger Zinsen?

Wir konzentrieren uns weiter auf individuelle Kapitalmarktdienstleistungen für Institutionen und anspruchsvolle Privatkunden in den Kerngeschäftsfeldern Asset Management, Capital Markets, Corporate Finance und Private Banking. Das wird sich auch in nächster Zukunft nicht ändern. Die dauerhaft niedrigen Zinsen sind für unsere Geschäftsaktivitäten insbesondere im Asset Management nicht gerade förderlich, aber Gott sei Dank hatte das Einlagen- und Kreditgeschäft bei uns schon immer eine untergeordnete Bedeutung.

Wie digital kann/muss das Geschäft der Privatbankiers werden?

Wir konzentrieren uns weitgehend auf interne Prozesse und die direkte Kommunikation mit Kunden. Das Wichtigste bei all diesen Überlegungen: Die Sicherheit unserer Daten sollte immer oberstes Gebot sein. Die modernste Anwendung nützt nichts, wenn sie damit die hochsensiblen Kundendaten gefährden.

Wie weit sind Sie da bei Metzler?

Wir haben ein Kompetenzzentrum für Digitalisierungsthemen, die Metzler-Digital-Manufaktur, geründet. Hier hinterfragen wir etablierte Geschäftsprozesse und entwickeln Ideen, wie sie verbessert werden können. Zudem wird bereichsübergreifend geprüft, welche Digitalisierungsthemen wirklich Chancen versprechen und wie sie sich am besten für unsere Kunden nutzen lassen.

Da Zukunft aber nicht nur gemacht, sondern auch vorgedacht wird, haben wir schon vor Jahren "Metzler meets Science" ins Leben gerufen. Damit bieten wir unseren Kunden inspirierende Impulse von außen - und die Chance, sich aus erster Hand über Zukunftsthemen zu informieren und mit Experten aus Wissenschaft und Forschung darüber eingehend zu diskutieren. So verschafft die 2014 eingeführte Veranstaltungsreihe "Innovation mit Tradition - Metzler meets Fraunhofer" exklusive Einblicke in gesellschaftlich und wirtschaftlich bedeutsame technologische Prozesse.

Welche Rolle spielen künftig Wettbewerber aus dem Fintech-Bereich? Und was ist mit Vermögensverwaltungsplattformen: Ist das eine stärker werdende Konkurrenz oder zu weit weg von Ihrer Klientel?

Für unsere Zielgruppe im Private Banking spielen diese Anbieter nur eine geringe Rolle.

Wie stehen Sie zum Quasiverbot der Dividenden-Ausschüttung? Für viele Anleger ist das doch sicherlich ein nicht unwesentlicher Teil bei der Anlageentscheidung.

Laufende Erträge - zum Beispiel in Form von Dividendenzahlungen bei Aktien - sind für viele Investoren ein wichtiges Kriterium bei der Anlageentscheidung. Im aktuell herausfordernden Umfeld besteht von regulatorischer Seite allerdings Druck, Ausschüttungen zugunsten einer höheren Unternehmensliquidität zu kürzen oder temporär sogar auszusetzen. Besonders im Fokus stehen hier Banken und Versicherungen oder Unternehmen, die finanzielle Hilfe vom Staat in Anspruch nehmen werden.

Während der Finanzkrise reduzierten sich die Ausschüttungen an Anteilseigner bei europäischen Unternehmen um durchschnittlich 30 Prozent. Angesichts der aktuell schwierigen wirtschaftlichen Lage könnte der Rückgang in diesem Jahr ähnlich hoch oder sogar noch höher ausfallen als 2009. Aus unternehmerischer Sicht ist eine Reduzierung der Dividende immer dann angebracht, wenn dadurch die Bonität - gerade in wirtschaftlich turbulenten Zeiten - gestärkt werden kann. Dies ist jedoch von Fall zu Fall unterschiedlich. Die Dividendenpolitik sollte daher immer die individuelle wirtschaftliche Situation der Unternehmen berücksichtigen.

Emmerich Müller Mitglied des Vorstands, B. Metzler seel. Sohn & Co. Holding AG, Frankfurt am Main
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