Redaktionsgespräch mit Joachim Wuermeling

"Die Frage nach der Profitabilität stellt sich nicht erst seit gestern"

Prof. Dr. Joachim Wuermeling, Foto: Bundesbank, Bert Bostelmann

Im Redaktionsgespräch mit Joachim Wuermeling lobt dieser zunächst die Anstrengungen der Banken in der Corona-Krise und bekräftigt nochmal, dass die Aufsicht Erleichterungen für die Kreditinstitute beschlossen habe, damit diese ihrer Aufgabe in der Krise auch gerecht werden können. Später mahnt er jedoch, dass die Erleichterungen nur temporäre Gültigkeit haben und blockt schon mal jede Forderung nach dauerhaftem Rückbau der Vorgaben ab. Er sieht die deutschen Banken auf der Kapitalseite mit einem Überschusskapital von rund 225 Milliarden Euro ausreichend versorgt, um diese außergewöhnliche Stresssituation überstehen zu können. Mit erhöhten Kreditausfällen rechnet der Bundesbankvorstand aufgrund einiger verzögernder Effekte erst im dritten und vierten Quartal des laufenden Jahres. Von daraus folgenden Bankenpleiten geht Wuermeling derzeit jedoch nicht aus. (Red.)

Herr Wuermeling, mit wie viel Sorge erfüllt Sie die aktuelle Lage in der Bundesrepublik Deutschland - als Mensch, aber auch als Vorstand der Deutschen Bundesbank?

Wir erleben eine Ausnahmesituation, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Einige unserer europäischen Nachbarn sind besonders betroffen. Niemand kann zurzeit seriös sagen, wie sich das Corona-Virus entwickelt und welche Auswirkungen die Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus haben werden. Von daher mache ich mir natürlich Sorgen, arbeite aber im Rahmen meiner Möglichkeiten intensiv daran, die Folgen im Bankensektor so gut es geht abzumildern. Das Ziel ist, dass die Banken ihre wichtige ökonomische Funktion, vor allem die Kreditvergabe, unter den widrigen Umständen weiter erfüllen können.

Wie sehen Sie die Rolle der Banken und Sparkassen in der aktuellen Situation: Machen die Institute einen guten Job und erfüllen sie ihre notwendigen Funktionen für Wirtschaft und Gesellschaft?

Die Anstrengungen der Banken, an vorderster Front zur Lösung der Probleme beizutragen, verdienen Anerkennung. Das gilt nicht nur für die Bankleiter, sondern auch für jeden einzelnen Mitarbeiter, der hier kräftig anpackt. Die Banken spielen eine enorm wichtige Rolle, vor allem bei der Vergabe der KfW-Kredite: Sie sind Ansprechpartner für Unternehmen und übernehmen die operative Arbeit. Dazu zählt auch die Risikoprüfung der Kredite, bei denen die Banken einen Teil der Haftung übernehmen. Damit die Institute auch in Zukunft ihre Aufgaben insbesondere bei der Kreditvergabe an die Wirtschaft und privaten Haushalte wahrnehmen können, hat die Aufsicht erhebliche Erleichterungen beschlossen. Wir sind bei den regulatorischen Anforderungen und in der Aufsichtspraxis, soweit es möglich ist, flexibel. Denn die Institute sollen sich jetzt auf die Aufrechterhaltung des Bankbetriebs konzentrieren können.

Wie stabil ist das deutsche Bankensystem: Kann es die Einschläge abfedern?

Insgesamt verfügen die Banken in Deutschland über ausreichend Mittel, um Ausfälle von Krediten zu schultern: Über die regulatorischen Mindestanforderungen hinaus haben sie rund 225 Milliarden Euro Kapital zur Verfügung, das entweder ohnehin sogenanntes Überschusskapital darstellt oder als regulatorischer Puffer, also Kapitalerhaltungs- oder antizyklischer Kapitalpuffer, in Stresssituationen aufgezehrt werden kann. Dieses Kapital kann und sollte jetzt zur Abfederung von Verlusten und zur weiteren Kreditvergabe genutzt werden. Auch die Liquiditätslage der Institute ist weiterhin ausreichend komfortabel. Die Institute profitieren davon, dass die Notenbanken ihnen über die geldpolitischen Maßnahmen des Eurosystems langfristig und günstig Liquidität zur Verfügung stellen. Hinzu kommen diverse weitere aufsichtliche, fiskal- und geldpolitische Erleichterungen. In der Gesamtschau aller Maßnahmen haben die Institute derzeit ausreichend Spielraum, um die Kreditvergabe zu stärken und künftige Abschreibungen zu tragen.

Wie kann man verhindern, dass aus der heutigen Corona-Krise in einigen Monaten eine Krise für die Banken wird, wenn Kreditausfälle den Kreditinstituten das Leben schwermachen?

Anders als die Finanzkrise 2007 hat die Corona-Krise ihren Ursprung nicht im Finanz- und Bankensektor. Aber die unvermeidliche Rezession birgt natürlich erhebliche Risiken für die Kreditnehmer und damit für die Institute. Während Markt- und Liquiditätsrisiken ohne zeitliche Verzögerung schlagend werden, zeigen sich steigende Kreditrisiken erst später. Auch die staatlichen und privaten Moratorien bis hin zum Aufschub von Konkursen verschieben die Welle nach hinten. Trotz der Maßnahmen der Bundesregierung müssen wir also mit erhöhten Kreditausfällen im dritten oder vierten Quartal 2020 rechnen.

Die Aufsicht reagiert darauf: Wir weisen explizit darauf hin, dass Kapitalpuffer und bis auf Weiteres auch Liquiditätspuffer umfassend genutzt werden können, auch wenn dies mit einer Unterschreitung der kurzfristigen Liquiditätsanforderung (LCR) verbunden ist. Banken sollen in der Rechnungslegung die in IFRS 9 enthaltene Flexibilität nutzen und in ihrer Risikovorsorge unter anderem die staatlichen Maßnahmen zur Milderung der wirtschaftlichen Folgen berücksichtigen. Auch haben wir die regulatorische Ausfalldefinition so angepasst, dass Banken unter bestimmten Voraussetzungen Kredite nicht als notleidend melden und in ihren Bilanzen berücksichtigen müssen. Damit gewinnen die Banken Zeit - nicht mehr und nicht weniger.

Rechnen Sie mit Bankpleiten infolge von Corona?

Die deutschen Banken sind heute stabil und deutlich besser aufgestellt als während der vergangenen Finanzkrise. In Deutschland haben sich die Eigenkapitalquoten der Banken seither fast verdoppelt. Von einer Bankenkrise müssen wir nach jetzigem Stand nicht ausgehen.

Wie muss ich mir Bankenaufsicht in Zeiten von Corona vorstellen?

Die Corona-Lage hat für uns als Aufsicht zwei Gesichter. Wir sind wie in jeder Phase großer Unsicherheit als Aufseher inhaltlich besonders gefordert. Daher führen wir beispielsweise viele Ad-hoc-Gespräche mit Instituten und erheben zielgerichtet zusätzliche Daten, um ein gutes Bild der Lage zu bekommen. Diese Situation kennen wir, das war in der vorherigen Krise nicht anders. Neu ist aber, dass auch wir operativ unmittelbar betroffen sind - so arbeitet der Großteil unserer Aufseher derzeit im Home-Office, Vor-Ort-Prüfungen haben wir ausgesetzt oder, falls möglich, in den Offsite-Modus überführt. Das erfordert ein hohes Maß an Flexibilität. Aber ich kann feststellen: Wir sind dank der hohen Einsatzbereitschaft und des Verantwortungsbewusstseins unserer Mitarbeiter auch unter diesen Bedingungen voll handlungsfähig.

Die Bankenaufsicht hat sich also verändert, aber wir haben auch unter diesen Bedingungen einen klaren Kompass: Bankdienstleistungen müssen kontinuierlich erbracht werden können, die Kreditvergabe durch die Banken muss sichergestellt bleiben, und unser Stabilitätsziel verlieren wir nicht aus den Augen.

Wie funktioniert Ihre Zusammenarbeit mit BaFin und EZB in diesen turbulenten Zeiten?

Bemerkenswert gut, möchte ich sagen und auch die EBA und den Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht dabei einbeziehen. In enger Taktung halten wir in allen Gremien Video- und Telefonkonferenzen ab. Die Arbeit ist konzentriert, professionell und von großem Einvernehmen geprägt. Das ist nicht selbstverständlich, denn der Beschluss solch umfangreicher Lockerungen fällt keinem Aufseher leicht. Aber es stehen alle vor ähnlichen Herausforderungen und verfolgen die gleichen Ziele.

Reicht das Ihnen zur Verfügung stehende Instrumentarium der Bankenaufsicht aus? Inwieweit gibt es aktuell Erleichterungen für die Institute? Oder braucht es in dieser Krise eher weitere Durchgriffsrechte?

Das Aufsichtsrecht eröffnet einen großen und ausreichenden Ermessensspielraum, den wir jetzt extensiv nutzen. Mittlerweile sind auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene in etwa 40 Bereichen krisenbedingte Maßnahmen getroffen worden. Besonders helfen die aufsichtlichen Puffer, die die Institute in der Vergangenheit aufgebaut haben. Der dadurch geschaffene Spielraum sollte es den Banken hoffentlich ermöglichen, ohne größere Kollateralschäden durch die nächsten Monate zu kommen. Was unsere Aufsichtsmöglichkeiten angeht, mache ich mir keine Sorgen. Die Durchgriffsrechte der Aufsicht halte ich auch in diesen Zeiten für ausreichend.

Die Umsetzung von Basel III wurde um ein Jahr verschoben, welche aufsichtlichen Erleichterungen kann oder wird es noch geben?

Ich denke, dass wir mit Blick auf die Erleichterungen unser Soll schon sehr weitgehend erfüllt haben. Und eines muss klar sein: Die getroffenen Maßnahmen sind temporäre Erleichterungen, um die akute Krise zu überstehen. An den Grundfesten der Aufsicht und der Regulierung, besonders bei Eigenkapital, Liquidität und Risikomanagement, haben wir nicht gerüttelt und werden das auch in Zukunft nicht tun. Auch die Transparenz von Risiken muss weiterhin gewährleistet sein, vor allem mit Blick auf die Kreditvergabestandards und die Diagnose von Kreditausfällen.

Forderungen nach Aufweichungen der hohen Standards im Windschatten der Corona-Maßnahmen lehne ich daher entschieden ab. Denn weitreichende Lockerungen wirken, wenn sie nicht wieder zurückgenommen werden, destabilisierend für den Bankensektor. Es ist daher wichtig, auch den Exit aus den Lockerungsmaßnahmen im Blick zu behalten.

Bereitet Ihnen die Marktkapitalisierung der börsennotierten Institute Kopfzerbrechen?

Die aktuelle Entwicklung bereitet mir zwar keine besondere Sorge, ist aber auch nicht erfreulich, da sie die Außenfinanzierung von Banken, beispielsweise in Form von Kapitalerhöhungen, erschwert. Sie spiegelt die niedrige Profitabilität deutscher Banken wider. Das ist allerdings kein rein deutsches Thema, sondern betrifft auch andere internationale und europäische Banken. Natürlich wünsche ich mir, dass deutsche Banken den Markt mit innovativen und erfolgreichen Geschäftsstrategien überzeugen. Wenn das gelingt, wird sich das auch im Aktienkurs niederschlagen.

Für Banken wird es in diesem Umfeld noch schwieriger, Erträge zu erwirtschaften. Was heißt das für ihre zukünftige Profitabilität?

Die Frage nach der Profitabilität stellt sich nicht erst seit gestern und nicht nur aufgrund der aktuellen Situation. Angesichts der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie müssen sich die Banken wohl eher noch längere Zeit auf niedrige Zinsen einstellen. Die Erträge und auch die Provisionen schwinden weiter, und absehbare Verluste müssen absorbiert werden. Immerhin wächst auf der Aktivseite das Kreditvolumen. Teilweise steigen auch die Margen. Für die Institute ist ein Mix aus Maßnahmen auf Ertrags- und Aufwandsseite notwendig. Klar ist: Wer zukünftig noch profitabel agieren will, muss handeln.

Brauchen wir eine Bündelung der Kräfte in Form von Fusionen?

Konsolidierung bleibt ein Dauerbrenner. Fusionen sind kein Allheilmittel, schon gar nicht bei krisenbedingten Schieflagen, aber sie können ein wirkungsvolles Instrument sein, um hohe Verwaltungsaufwendungen aufzufangen. Und sie werden seit Jahrzehnten rege genutzt. Doch Fusionen sind nicht das einzige Instrument von Konsolidierung. Die Effizienz kann auch durch die Bündelung von einzelnen Elementen der Wertschöpfungskette erhöht werden. Das kann innerhalb eines Instituts, in Verbünden, durch Kooperationen oder durch Auslagerung an Dritte, sogar grenzüberschreitend geschehen. Denn innovative Formen der Zusammenarbeit selbstständiger Institute bringen oft mehr als der Zusammenschluss traditioneller Institute.

Viele Banken haben Filialen vorübergehend geschlossen. Und das Bankgeschäft funktioniert trotzdem noch. Ist das mit Blick auf die Kostenstrukturen der Branche eine der positiven Lehren aus der aktuellen Situation?

Trotz teilweise geschlossener Filialen oder verkürzter Geschäftszeiten sind die Institute weiterhin für ihre Kunden über diverse Kommunikationswege erreichbar. Sie bieten die allermeisten Bankdienstleistungen zum Beispiel über digitale Kanäle oder Selbstbedienungsgeräte an. Das war uns auch wichtig; deshalb haben wir Hürden für das digitale Arbeiten beseitigt. Die Grundversorgung ist also gesichert. Aber vermutlich werden wir sehen, dass etwa Provisionseinnahmen teilweise zurückgehen, weil die Kunden manche Abschlüsse erst nach einem persönlichen Beratungsgespräch tätigen wollen. Die aktuelle Situation kann zeigen, welche Bankdienstleistungen von den Kunden auch in digitaler Form angenommen werden - und welche nicht.

Bei den Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung spielt die Kreditwirtschaft eine wichtige Rolle. Wie stehen Sie zum Thema Haftungsübernahme durch den Bund? Wäre es nicht besser, die Banken würden einen kleinen Teil der Kredite selbst verantworten müssen, um einer zu laxen Kreditvergabe vorzubeugen?

Derzeit kommt es bei vielen Unternehmenskrediten vor allem darauf an, den Unternehmen das Geld schnell zur Verfügung zu stellen. Die Aufsicht erwartet aber, dass die Banken keine Kredite ausreichen, die voraussichtlich nicht zurückgezahlt werden können. Deshalb ist der Bund bereit, bei Krediten an kleine und mittlere Unternehmen bis zu einer bestimmten Kredithöhe die Haftung komplett zu übernehmen. Die Rahmenbedingungen des Schnellkredit-Programms wurden von der KfW mit der BaFin und der Bundesbank so abgestimmt, dass die Kredite schnell und ohne bankaufsichtliche Anforderungen zu verletzen an die Unternehmen ausgezahlt werden können. Hier müssen die Banken deshalb nicht selbst, auch nicht mit einem kleinen Teil, ins Risiko gehen, sondern haften nur für die Prüfung der Antragsvoraussetzungen und die ordnungsgemäße Abwicklung der Kredite gegenüber der KfW. Anders sieht es bei den übrigen im Zusammenhang mit der Corona-Krise aufgesetzten Kreditprogrammen der KfW aus, die volumenmäßig deutlich größere Einzelengagements erlauben. Hier übernehmen die Banken 10 Prozent bis 20 Prozent des Risikos, womit aber auch strengere Maßstäbe bei der Kreditvergabe verbunden sind. Das muss so sein, sonst werden die Probleme der Realwirtschaft in die Bankbilanzen verschoben. Dort würden sie sonst womöglich eine Bankenkrise auslösen. Das kann niemand wollen.

Beschleunigt Corona die digitale Transformation der Branche?

Vermutlich überlegen viele Menschen derzeit, ob sie ihre Bankgeschäfte physisch oder online erledigen. Es ist daher nicht auszuschließen, dass die Corona-Krise zu einem veränderten Verhalten von Bankkunden und -mitarbeitern führt. Ich ermutige die Banken, die digitalen Erfahrungen aus der aktuellen Notsituation auch in der Zeit nach der Krise zu nutzen. Für eine Bewertung, ob und wie die Krise die digitale Transformation beschleunigt, ist es meiner Meinung nach aber noch zu früh. Derzeit dürfte das Hauptaugenmerk der Banken auf der angemessenen Versorgung der Wirtschaft mit Krediten liegen und auf der Aufrechterhaltung der Versorgung ihrer Kunden mit Bankdienstleistungen.

Welche Hausaufgaben müssen die Institute in den kommenden Wochen unbedingt erledigen?

Ich denke, es geht darum, einen gewissen "Steady State" in der Krise zu erreichen, damit wir nicht mehr täglich über neue Entwicklungen, Prozesse, Programme und Maßnahmen diskutieren müssen, sondern stabile Rahmenbedingungen haben. Wie erwähnt müssen sich die Institute aber auch darauf einstellen, dass wir die vielen jetzt gewährten Erleichterungen wieder zurücknehmen, wenn die Krise überwunden ist. Auch das sollten die Bankleiter schon jetzt im Blick haben.

Prof. Dr. Joachim Wuermeling Mitglied des Vorstands, Bankenaufsicht, Risiko-Controlling und IT, Deutsche Bundesbank, Frankfurt am Main
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