Redaktionsgespräch mit Dorothee Blessing

"Für Verkäufer in Europa bietet sich durch SPACs eine zusätzliche Option"

Dorothee Blessing, Foto: J. P. Morgan

Volatilität ist gut für das Geschäft, Krise dagegen eher nicht. Das Investmentbanking hat das Corona-Jahr insgesamt überraschend gut überstanden. Nun kommen neue Themen wie SPACs oder auch die Begleitung von Unternehmen bei der Bewältigung der Corona-Folgen hinzu, wenn diese sich fragen, ob sie andere Produkte oder neue Bereiche brauchen. Dorothee Blessing, die von sich selbst behauptet, ihr Puls sei immer niedrig, sieht auch diesen kommenden Herausforderungen gelassen entgegen. SPACs seien eine echte Alternative für das enorme sich im Umlauf befindliche Kapital. Die M&A-Aktivitäten werden sowohl im Unternehmens- wie im Bankensektor an Tempo gewinnen. Und das Thema Nachhaltigkeit werde mit enormer Dynamik die Investmentlandschaft verändern. All dem will sich J.P. Morgan stellen, mit einer klaren Struktur und der Bündelung der Europaaktivitäten in Frankfurt. Und in Zukunft hoffentlich auch wieder mit mehr persönlichen Kontakten, die so wichtig für die richtige " Chemie" seien, so Blessing. (Red.)

Wie steht es um die Wirtschaft in Europa? Sind Sie hinsichtlich einer Erholung optimistisch gestimmt?

In naher Zukunft erwarte ich infolge neuer oder verlängerter Beschränkungen im Zusammenhang mit der dritten Infektionswelle eine geringere wirtschaftliche Aktivität in Europa. Für die erste Jahreshälfte 2021 gehe ich davon aus, dass sich diese kurzfristig verlangsamen und sich das Wachstum vom zweiten auf das dritte Quartal verlagern wird. Dies setzt jedoch ein schnelles Impftempo voraus und dass sich die Situation bis zur Jahresmitte normalisieren wird.

Wenden wir uns dem Investment Banking zu, wo die Aktienkapitalmärkte besonders aktiv waren. Einen nicht unerheblichen Anteil an dem Boom hatten die Special Purpose Acquisition Companies (SPAC). Doch bislang boomt dieser IPO-Ersatz vor allem in den USA. Glauben Sie, dass sich SPACs auch in Europa und vor allem in Deutschland durchsetzen werden?

Es ist in den Märkten viel Kapital im Umlauf, das in dem anhaltenden Niedrigzinsumfeld nach Anlagealternativen sucht. SPACs sind eine solche Alternative. Als Instrument sind sie nicht neu, sondern bereits seit über 10 Jahren bekannt - nur eben nicht in dem Ausmaß, wie wir es heute beobachten. Im Jahr 2020 machten SPACs rund die Hälfte des US-Börsengangvolumens aus. Seit Anfang 2021 ist diese Zahl auf rund zwei Drittel angestiegen.

Aus europäischer Sicht war das Listing des Lakestar SPACs Ende Februar an der Frankfurter Börse nur der Anfang. Bisher wurden in Europa fünf SPACs mit einem Volumen von insgesamt mehr als 1,6 Milliarden US-Dollar in Frankfurt, Stockholm und Amsterdam gelistet und einige weitere SPACs sind an europäischen Börsen in Vorbereitung. Ebenso interessant ist übrigens die eigentliche Zweckbestimmung eines SPAC: Die Suche nach und die Verschmelzung mit einem geeigneten Zielunternehmen. Hier stellen wir fest, dass sich viele SPACs aus den USA auch vermehrt auf die Suche nach Zielunternehmen im hiesigen Markt begeben. Das heißt, für Verkäufer bietet sich nun eine zusätzliche Option: Waren es bisher ein Börsengang, ein Verkauf an einen Strategen oder Private Equity, so ist nun auch eine Übernahme durch ein SPAC denkbar.

Die Zahl der angeschlagenen Unternehmen steigt - nimmt das Übernahmekarussell dadurch an Fahrt auf?

Erfreulicherweise sehen wir bis heute keinen signifikanten Anstieg an "distressed" M&A. Die meisten deutschen Unternehmen sind bisher - auch im internationalen Vergleich - gut durch die Krise gekommen. Allerdings gibt es natürlich Branchen, wie zum Beispiel die Tourismusbranche, die besonders hart betroffen sind. Solide Bilanzen und schnelle Maßnahmen zur Unterstützung der Wirtschaft, wie zum Beispiel das KfW-Corona-Hilfe-Förderprogramm und die Option auf Kurzarbeit, sind sicherlich entscheidende Faktoren gewesen.

Inzwischen widmen sich viele Unternehmen, die die Krise gut gemeistert haben, wieder verstärkt strategischen Fragestellungen, die wiederum zu Übernahmen führen können. Gleichfalls gibt es einen verstärkten Fokus auf die sogenannte "Corporate Clarity" und damit einhergehend die Trennung von Geschäftsbereichen, die nicht mehr zum Kerngeschäft gehören - sei es über einen Verkauf, eine Abspaltung oder einen Börsengang.

Im Vergleich zum ersten Halbjahr 2020 haben wir weltweit und auch in EMEA wieder einen Anstieg an M&A-Aktivitäten beobachtet - im zweiten Halbjahr 2020 stieg das M&A-Volumen global um knapp 40 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Ein Trend, der sich auch 2021 fortzusetzen scheint. Beispiele hierfür in Europa waren Deals wie PPLs Verkauf von Western Power Distribution an National Grid für 20 Milliarden US-Dollar oder der Verkauf der Philips Domestic Appliances für 4,4 Milliarden Euro an Hillhouse Capital.

Viele erwarten eine Konsolidierung unter Europas Banken - Sie auch, wie zu lesen war. Doch warum passiert so wenig? Sind die Hürden für grenzüberschreitende Zusammenschlüsse immer noch zu hoch?

In der Tat gewann die Konsolidierung des Bankensektors im vergangenen Jahr an Fahrt, wobei bisher der Fokus auf Konsolidierung in nationalen Märkten lag, beispielweise in Spanien mit der Fusion der Caixabank und Bankia oder der Übernahme der UBI Banca durch Intesa Sanpaolo in Italien. Die im Januar 2021 veröffentlichte Richtlinie zur Bankenkonsolidierung gibt einen klaren Rahmen vor, an dem sich Banken mit Konsolidierungsbestrebungen orientieren müssen. Sie erlaubt Banken, die Integration nach einer Konsolidierungstransaktion zügig voranzutreiben und somit Synergien zu realisieren, die für die Gesamtattraktivität einer Transaktion treibend sind.

Wir erwarten, dass sich die EZB-Richtlinie auf die Bankenkonsolidierung stimulierend auswirken wird und wir daher künftig weitere Konsolidierungstransaktionen im Bankensektor beobachten werden. Für eine grenzüberschreitende Bankenkonsolidierung bleiben jedoch auf kurzfristige Sicht die Hürden nach wie vor bestehen. Daher ist es wichtig, dass die sogenannte Bankenunion mit einer für alle Seiten durchdachten Ausgestaltung eines EU-Einlagensicherungsfonds (EDIS) weiter voranschreitet.

Während früher die Verschlankung des Filialnetzwerks der größte Synergiefaktor für die Banken darstellte, eröffnet heute die zunehmende und durch Covid-19 beschleunigte Digitalisierung neue Synergiepotenziale von vormals weniger beachteten Bereichen. So kooperieren Banken bereits heute zunehmend grenzüberschreitend mit Fintechs in verschiedenen Bereichen, wie zum Beispiel in der digitalen Vermögensverwaltung. Es ist zu erwarten, dass die Zusammenarbeit zwischen Banken und Fintechs künftig auch durch Übernahmen vertieft wird.

Corona hat uns alle zur Zurückhaltung und zu Abstand gezwungen - funktioniert das M&A-Geschäft auch digital oder sind persönliche Kontakte für einen erfolgreichen Deal immer noch entscheidend?

Mit Blick auf die Entwicklung der globalen M&A- und auch IPO-Volumina stellt man fest, dass die Umstellung auf digitale Kommunikation - sei es bei Verhandlungen oder Investorengesprächen bei IPOs - sehr gut funktioniert hat. Seit Beginn von Covid-19 haben wir Rekordvolumina von Transaktionen digital abgewickelt. In den vergangenen sechs Monaten haben wir das höchste Aktivitätslevel seit 2007 gesehen.

Trotzdem ist natürlich der persönliche Kontakt bedeutsam und und gerade bei wichtigen Verhandlungen wird dieser auch wieder zur Norm werden. "Persönliche Chemie" und gegenseitiges Vertrauen bilden sich am besten im persönlichen Kontakt.

Die Rolle aktivistischer Investoren wird immer offensiver - wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Nach etwas Zurückhaltung, vor allem im zweiten und dritten Quartal 2020, sehen wir in der Tat in diesem Jahr global wieder einen Anstieg von aktivistischen Kampagnen. Die Angriffspunkte der Aktivisten werden dabei breiter - neben vergleichsweiser "Underperformance" und den klassischen strategischen Forderungen stehen nun vermehrt auch ESG-Themen im Fokus der Kampagnen. Wir empfehlen allen Unternehmen, mögliche Angriffspunkte intern zu analysieren und proaktiv zu addressieren, um aktivistischen Forderungen und Angriffen vorzubeugen oder zumindest direkt für den Ernstfall vorbereitet zu sein.

Und was bedeutet der Brexit für Ihr Geschäft, immerhin fällt der zentrale europäische Finanzplatz damit weg? Wie sind die Erfahrungen nach den ersten Monaten?

Die EU und das Vereinigte Königreich konnten sich Ende vergangenen Jahres auf ein Handelsabkommen einigen. Das war wichtig, für die Wirschaft, für die Politik und für die Bürger auf beiden Seiten des Ärmelkanals. Allerdings kam es für den Finanzsektor leider trotzdem zum "harten Brexit". Wir hatten das erwartet, waren dementsprechend gut vorbereitet und konnten aufgrund jahrelanger Planung unseren Kunden einen nahezu reibungslosen Service bieten.

Es ist allerdings noch etwas zu früh, um konkrete Schlussfolgerungen zu ziehen. Im Aktien- und Derivatehandel gab es zu Jahresbeginn keine großen Komplikationen, auch dank der guten Zusammenarbeit mit unseren Aufsichtsbehörden und Kunden. Allerdings hat sich das Gefüge natürlich dadurch deutlich verschoben und es hat sich bewahrheitet, dass der Brexit nicht ohne Ineffizienzen und Fragmentierung erfolgen würde, auf Kosten von Unternehmen und der Gesamtwirtschaft. Nach vorn blickend ist es für den Erfolg nicht nur der EU, sondern ganz Europas als Region wichtig, dass die europäische und internationale Zusammenarbeit und die Vernetzung der verschiedenen Finanzplätze weiter proaktiv intensiviert werden. Profiteur einer solchen Zusammenarbeit wäre insbesondere die EU-Initiative der Kapitalmarktunion.

Deutschland und vor allem Frankfurt werden eine wichtige Rolle einnehmen. Für J.P. Morgan sind die europäischen Standorte Niederlassungen unserer AG in Frankfurt. Wir sind gerade dabei, diese in eine europäische Gesellschaft umzuwandeln, die "Europe Bank", für die in Frankfurt die Fäden zusammenlaufen.

"Wir sind heute genauso Bankdienstleister wie Technologieunternehmen", sagten Sie einmal über das eigene Haus. Wird das klassische Bankgeschäft ebenso wie das klassische Investmentbanking in den kommenden Jahren sich mehr und mehr wandeln müssen und vielleicht sogar verschwinden?

Technologie ist tief in unserer Organisation verankert. Sie ist Kern unseres Geschäfts, Kern unserer Strategie und Kern der täglichen Kundenbetreuung. Weltweit arbeiten mehr als 50 000 Technologieexperten bei J.P. Morgan und wir investieren jährlich über 11 Milliarden US-Dollar in Technologie. Die Digitalisierung und technologische Weiterentwicklung unseres Geschäfts ist für alle Bereiche der Bank von wesentlicher Bedeutung - und dies gilt auch für das Investmentbanking, damit wir für unsere Kunden immer besser werden. Wir müssen traditionelle Praktiken hinterfragen, neue Technologien einsetzen und bereit sein, Prozesse aufzubrechen, um Lösungen anbieten zu können, die genau auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind. Diese müssen schnell, effizient und vor allem sicher bereitgestellt werden.

Immer wieder wird behauptet, der deutsche Kapitalmarkt sei gerade auch in Sachen Private Equity und Wagniskapital nicht gut genug entwickelt - würden Sie diese Einschätzung teilen? Und wenn ja, was müsste passieren, damit sich das ändert?

Auch wenn es Luft nach oben gibt, hat sich in den vergangenen Jahren sehr viel getan. Der Private-Equity-Markt in Deutschland ist seit Jahren ausgesprochen aktiv. Und dass mittlerweile viele deutsche Wachstumsunternehmen verschiedener Branchen erfolgreich an die Börse gehen, ist ein klarer Indikator dafür, dass auch Wagniskapitalinvestitionen entsprechend zugenommen haben und Früchte tragen.

Jenseits des faktisch Beobachtbaren spielen die politischen und regulatorischen Rahmenbedingungen natürlich ebenfalls eine Rolle. Der milliardenschwere Zukunftsfonds der Bundesregierung zur Förderung der deutschen Gründerszene nimmt Konturen an und profitieren sollen vor allem Start-ups in der Wachstumsphase mit einem hohen Kapitalbedarf. Darüber hinaus beschäftigen sich Brüssel und die Mitgliedsstaaten schon eine Zeit lang damit, wie die Rolle der Kapitalmärkte bei der Finanzierung von Unternehmen verschiedener Größenordnungen weiter gestärkt werden könnte, insbesondere im Vergleich zum klassischen Kreditgeschäft der Banken. Wir unterstützen dieses Vorhaben der "Kapitalmarktunion" und denken, dass wir damit auf dem richtigen Weg sind.

Wie sehr, glauben Sie, wird das Thema ESG Ihr Geschäft noch verändern? Spüren Sie bei den Investoren schon eine größere Bedeutung dieses Themas?

In den vergangenen Jahren haben sich ESG-Investitionen immer mehr zum Mainstream entwickelt und dieser Trend hat sich im Jahr 2020 deutlich beschleunigt. Für die breitere Investorenbasis hat die Relevanz von ESG-Kriterien für ihre Anlageentscheidung enorm zugenommen. So verzeichneten zum Beispiel ESG-Aktien und -Rentenfonds im vergangenen Jahr in Europa und den USA Rekordzuflüsse. Für 2021 erwarten wir, dass der Markt für nachhaltigkeitsgebundene Anleihen auf 120 bis 150 Milliarden US-Dollar wachsen könnte, was einer Steigerung um das 20-Fache entspräche.

J.P. Morgan hat bereits 200 Milliarden US-Dollar zugesagt, um die Ziele der Vereinten Nationen für eine nachhaltige Entwicklung zu unterstützen, und sich verpflichtet, die Emissionen der Kunden an den Zielen des Pariser Abkommens auszurichten. Wir haben außerdem das "Centre for Carbon Transition" gegründet, um unsere Kunden bei Geschäftsstrategien und Reporting zu beraten.

Die Themen Nachhaltigkeit und ESG sind ein wichtiger Bestandteil unseres Kapitalmarktdialogs und der strategischen Beratung für unsere Kunden. Es ist unstrittig, dass der Klimawandel ein wichtiges Thema ist - aber die anderen von "ESG" umfassten Dimensionen, das "S" und das "G", sollten wir ebenfalls nicht vernachlässigen.

Welche Branchen werden Ihrer Meinung nach am stärksten von dieser Bewegung betroffen sein?

Fast alle Kunden suchen nach einer Beratung im Bereich ESG, insbesondere zu sogenannten Best Practices, da diese von Unternehmensfinanzierungsstrategien und Investitionsströmen bis hin zu täglichen operativen Entscheidungen und Kapitalallokation relevant sind. Best Practices öffnen auch die Tür zu einer breiteren Investorenbasis. Und wie ich vorhin bereits erwähnte, ist der Klimawandel ein wichtiges Thema - ebenso wie die anderen von "ESG" umfassten Dimensionen.

Dorothee Blessing Co-Head of Investment Banking EMEA, J.P. Morgan, Frankfurt am Main
 
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