Redaktionsgespräch mit Sofia Strabis

"Es geht um mehr als nur Chancengleichheit"

Sofia Strabis, Foto: S. Strabis

Themen wie Diversity und Gender haben bei vielen deutschen Kreditinstituten mittlerweile nicht nur Gehör gefunden. Die Institute haben auch begonnen, sich aktiv für beispielsweise Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen mit Blick auf Führungspositionen zu engagieren. So ist auch die Commerzbank schon seit vielen Jahren aktiv und leitet zum Beispiel aus ihrer Netzwerkarbeit auch konkrete Maßnahmen für das eigene Haus ab, um für mehr Verständnis füreinander innerhalb der Unternehmenskultur zu sorgen. Auch die Vorstände und Bereichsleiter bringen sich laut der Autorin aktiv in diese Arbeit mit ein, teilweise sogar als direkte Sponsoren der Initiativen. Es hätten sich darüber hinaus neue Arbeitszeitmodelle wie Top- beziehungsweise Jobsharing bereits fest im Unternehmen etabliert. Und dies sei nicht nur attraktiv für Frauen, auch immer mehr Männer würden sich für Teilzeitangebote interessieren. (Red.)

Frau Strabis, eine Position als "Head of Diversity & Inclusion" ist für viele in der Finanzwelt noch Neuland. Erhalten diese beiden Themenbereiche in der Branche noch zu wenig Aufmerksamkeit?

Wir sind in bester Gesellschaft, insbesondere in der Finanzindustrie, daher würde ich hier nicht von Neuland sprechen. In der Commerzbank beschäftigen wir uns mit dem Thema Chancengerechtigkeit bereits seit drei Jahrzehnten. Wir stellen auch fest, dass sich die Gesellschaft mit dem Thema heute viel stärker auseinandersetzt, was ebenfalls für Aufmerksamkeit sorgt. In einigen Brachen beziehungsweise Unternehmensgrößen gibt es aber noch Luft nach oben, um vom Verständnis hin zu konkreten Maßnahmen zu kommen.

Warum sollten Vielfalt und Chancengleichheit in Unternehmen mehr gefördert werden? Ist das auch aus wirtschaftlicher (und nicht nur sozialer) Perspektive betrachtet sinnvoll?

Wenn wir von Vielfalt sprechen, geht es um mehr als um Chancengleichheit. Es geht vielmehr um Gerechtigkeit, aber auch um den Spiegel der Gesellschaft, in dem wir uns heute befinden. 25 Prozent der Menschen haben multikulturelle Wurzeln, über 7 Prozent ordnen sich dem LGBTIQ-Spektrum zu und in Deutschland leben über 10 Millionen Menschen mit Behinderungen, um nur mal ein paar Beispiele zu nennen.

Unser Ziel ist es, Diversity weiter in unserer Unternehmensstrategie zu verankern, mit ganzheitlichem Blick auf unsere Beschäftigten, Bewerber, Geschäftspartner, Kunden und Investierenden. Denn eines ist Fakt: Wir leben in dieser Vielfaltsgesellschaft. Wie wir damit umgehen, ist aber unsere bewusste Entscheidung und beeinflusst unsere Wirtschaft, unsere Gesellschaft und unser Miteinander nachhaltig.

Wie genau definieren Sie Ihre Rolle, woran wollen Sie gemessen werden?

Mit unseren Maßnahmen und Konzepten möchten wir Rahmenbedingungen für ein vorurteilsfreies Umfeld schaffen, in dem Beschäftigte ihr Talent und Potenzial in den Unternehmenserfolg gut und gerne einbringen können. Dazu gehört zum Beispiel die Inklusion von Menschen mit Behinderungen, der diskriminierungsfreie Umgang miteinander, aber auch Ansprachekonzepte, die unsere gesellschaftliche Realität abbilden. Das Ganze denken wir auf der Kundenseite weiter und daraus entstehen Initiativen auf Geschäftsfeldebene, im Vertrieb, im Marketing und auf der Produktebene.

Mein Motto ist: "Menschen haben kein Label" und "Diversity rocks". Wenn es uns gelingt, Vorurteile, "Label" und Kategorien für Menschen abzubauen, eine Durchlässigkeit zu erzeugen, Diversität nicht nur zu fördern, sondern den damit verbundenen Austausch und die unterschiedlichen Blickwinkel auch aktiv einzufordern, dann sind das Punkte, an denen ich mich gerne messen lasse.

Gibt es schon Erfolge zu vermelden, was haben Sie schon erreicht?

Ja, da gibt es eine ganze Menge, ich würde gerne auf vier Punkte näher eingehen: Wir haben vor zehn Jahren mit dem Projekt Frauen in Führungspositionen gestartet. Mit konkreten Maßnahmen (wie Keep in Touch, Rückkehrgarantie, Mentoring et cetera) ist es uns gelungen, unsere Frauenquote über alle Führungsebenen hinweg auf heute 33 Prozent zu steigern. Zudem haben wir zwei Frauen im Vorstand. Bis 2030 haben wir uns eine Zielquote von 40 Prozent für Frauen auf den Führungsebenen vorgenommen.

Darüber hinaus haben wir bereits 2018 als erste Bank einen Aktionsplan zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen veröffentlicht, den wir mit konkreten Maßnahmen in der Bank umsetzen. Für diese Vorreiterrolle wurden wir vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales gewürdigt. Wir haben in drei Jahrzehnten sieben Diversity-Beschäftigtennetzwerke gegründet. In diesen setzen sich über 1 500 Menschen in den unterschiedlichen Diversity- Dimensionen für Vielfalt am Arbeitsplatz und darüber hinaus ein.

Besonders stolz bin ich, dass sich mein Arbeitgeber im Rahmen einer Betriebsvereinbarung im März dieses Jahres gegen jede Form von Diskriminierung und Rassismus ausgesprochen hat. Hier haben Vorstand, Arbeitnehmerinteressenvertretungen und Personalabteilung klar und vor allem gemeinsam Haltung gezeigt.

Beim Thema Diversity wird in der öffentlichen Diskussion vor allem über die Gleichstellung zwischen Männern und Frauen diskutiert. Wie weit geht hier der Ansatz bei der Commerzbank?

Die öffentliche Diskussion ist in der Tat nur eine Facette. In der Commerzbank betrachten wir Diversity ganzheitlich. Wir sehen Vielfalt als Potenzial, von dem alle profitieren: die Menschen, das Unternehmen und die Gesellschaft. Unter Inklusion verstehen wir eine Unternehmenskultur, die alle einbezieht und in der alle sie selbst sein können. Für eine Atmosphäre voller Offenheit und Respekt mit Raum für Innovation, Kreativität und Mut.

Im Rahmen Ihrer Tätigkeit betreuen Sie diverse Netzwerke. Welche sind das?

Bei der Commerzbank engagieren sich unsere Beschäftigten in sieben Initiativen für Vielfalt und Gleichstellung. Das Beschäftigtennetzwerk "Arco" macht sich für die Belange lesbischer, schwuler, biund transsexueller Mitarbeitender stark, bei "Cross Culture" geht es um kulturelle Zusammenarbeit, das Netzwerk "Ideal" richtet sich an Menschen mit und ohne Behinderungen. "Fokus Väter" verfolgt das Ziel, die Rolle der Väter zu stärken und Familienkompetenzen sichtbar zu machen und "Ichthys" ist unser christliches Netzwerk. Wir haben mit "Courage" zudem seit mehr als 20 Jahren ein Frauennetzwerk. Und das Netzwerk "Pflege" bietet unseren Beschäftigten Gelegenheit, sich zum Thema Pflege von Angehörigen auszutauschen.

Was macht gute Netzwerkarbeit aus, welche Konzepte gibt es?

Firmennetzwerke, genau genommen Beschäftigtennetzwerke schaffen das, wovon Unternehmen träumen, nämlich Siloübergreifende Verbindungen. Während die Beschäftigten in den Funktionen innerhalb von Organisationsstrukturen arbeiten und sich austauschen, erzeugen Netzwerke Durchlässigkeit. Das ist für jedes Unternehmen ein Gewinn, da es um echten und persönlichen Austausch geht, ein Rahmen von Vertrauen die Basis für Offenheit prägt und weniger Hierarchien und Positionierungen im Vordergrund stehen. Netzwerker setzen dies eigeninitiativ um und schaffen damit einen Mehrwert für Unternehmen. Ich nenne so etwas gerne Verbindungskleber für Organisationen. Unser Diversity Management gibt den Netzwerken Raum für eigene Ideen, die Zusammenarbeit sowie den Austausch und liefert dabei strategische Impulse. Darüber hinaus engagieren sich Vorstände und Bereichsvorstände teilweise direkt als Sponsoren dieser Initiativen.

Treffen sich die Netzwerkmitglieder nur ausschließlich in der eigenen Gruppe oder gibt es auch einen übergreifenden Austausch? Welche Themen kommen hier zur Sprache?

Neben der Arbeit in den Netzwerken selbst bieten wir auch übergreifende Formate für einen Austausch an. Schließlich gibt es auch Themen, die für jeden interessant sind. Und so haben auch Beschäftigte die Möglichkeit, gemeinsam ins Gespräch zu kommen, die sonst eher wenig miteinander zu tun haben. Darüber hinaus bieten wir gemeinsam mit unseren Netzwerken und renommierten externen Panelgästen auch Formate an, die sich an alle Interessierten zu einem Thema richten und so das Verständnis füreinander und die Awareness noch weiter fördern. Die Themen, die wir mit einem breiten positiven Echo bespielen konnten, waren zum Beispiel Diskriminierung und Rassismus, Unconscious Bias sowie Chancengerechtigkeit.

Wie sind Ihre Erfahrungen? Herrscht nun in der Unternehmenskultur ein besseres Verständnis füreinander?

In den sieben Netzwerken leisten die Mitarbeiter mit ihrem Engagement einen wertvollen Beitrag zu unserer offenen Unternehmenskultur. Sie repräsentieren sie auch nach innen als Multiplikatoren und nach außen, zum Beispiel in externen Netzwerken. Das führt nicht nur zu mehr Sichtbarkeit von unterschiedlichen Lebensrealitäten und mehr Bewusstsein über diese Themen, sondern baut auch Vorurteile ab, was natürlich auch zu einem besseren Verständnis untereinander führt.

Welche konkreten Maßnahmen leiten sich aus der Netzwerkarbeit ab?

Wir haben unterschiedliche Formate für das interkulturelle Verständnis, von dem insbesondere Menschen profitieren, die an verschiedenen Standorten außerhalb von Deutschland arbeiten. Wir verknüpfen aber auch unsere strategischen Überlegungen mit den Netzwerken und so bieten wir auch Formate gemeinsam mit unseren Vorständen und unseren Netzwerken an, um zu Themen wie unbewusste Vorbehalte aufzuklären und einen aktiven Austausch zu fördern. Vor allem ist es aber so, dass uns die Netzwerke das direkte Feedback der Organisation liefern und wir damit wichtige Impulse für unsere Arbeit erhalten.

Beeinflusst die Arbeit auch die strategische Ausrichtung des Hauses?

Für uns ist Diversity kein Add-on. Wir verknüpfen strategische Ansätze mit der Unternehmensverantwortung, die wir alle tragen, in unseren Funktionen, Rollen und Prozessen. Wenn wir Diversity & Inclusion als integralen Bestandteil unserer Arbeit sehen, beeinflusst es unsere Arbeit nicht nur, sondern wir erhalten Maßnahmen und Konzepte, die sich zielgerichteter auf unsere Kunden ausrichten und nachhaltiger sind. Auch in der Lieferantenbeziehung spielt es eine Rolle. Wir haben beispielsweise im Sommer dieses Jahres, Diversity & Inclusion als Bestandteil unserer Ausschreibungsprozesse für die Beschaffung von Dienstleistungen oder Produkten integriert.

Inwieweit engagieren sich hier auch Vorstände oder Bereichsvorstände?

In der Commerzbank gehört Diversity zur unternehmerischen Verantwortung. Deshalb setzen sich alle dafür ein: Beschäftigte, Führungskräfte und Unternehmensleitung. Seit 2012 gibt es das Global Diversity Council, in dem sich Vorstände und Executives mit Diversitätsthemen befassen und gemeinsam strategische Entscheidungen treffen. Vier Regional Diversity Councils, mit ihren jeweiligen Personalleitern, unterstützen die Umsetzung an den Standorten außerhalb Deutschlands.

Ein anderes Thema: Im August 2021 ist das Zweite Führungspositionen-Gesetz in Kraft getreten. Für Bundesfrauenministerin Christine Lambrecht (SPD) "ein Meilenstein für die Frauen in Deutschland". Eine Ansicht, die Sie teilen würden?

Absolut. Es schafft Verbindlichkeit. Da über 50 Prozent der Menschen in Deutschland Frauen sind, sollte es doch eigentlich selbstverständlich sein, dass ein ähnlich hoher Anteil auch in den Führungsetagen wiederzufinden ist. Mir ist bewusst, dass das nicht von heute auf morgen geht. Aber der gesetzliche Rahmen hilft, dass es nicht beim puren Bekenntnis bleibt, sondern die klare Umsetzung erfolgt.

Ohne das Gesetz hat es ja auf freiwilliger Basis nicht bei allen Unternehmen gereicht, allein auf den "Willen" zu setzen. Ich betone aber auch hier gerne, dass es nicht darum geht, Frauen Jobs zu schenken, sondern Chancengerechtigkeit herzustellen. Das fängt aber auch damit an, Frauen aktiv in einen Kandidatenpool aufzunehmen.

Sie selbst üben Ihre Managerposition in Teilzeit aus. Ist das eigentlich ein reines Frauenthema oder fragen auch männliche Kollegen nach diesem Arbeitszeitmodell?

Die Commerzbank hat das Führen in Teilzeit bereits 2014 zum Gegenstand eines strategischen Projekts gemacht. Dabei richtet sich die Initiative keineswegs nur an Frauen. Auch immer mehr männliche Führungskräfte interessieren sich für Teilzeitangebote und werden dabei von der Commerzbank als Arbeitgeber unterstützt. Der Anteil der männlichen Beschäftigten an der Gesamtteilzeitquote liegt derzeit bei 13,1 Prozent und ist im Vergleich zu 2017 mit 8,5 Prozent kontinuierlich gestiegen.

Persönlich habe ich mich dafür entschieden, meine Führungsfunktion flexibler auszugestalten. Ich kombiniere zum einem Teilzeit und mobiles Arbeiten, treffe aber auch klare Vereinbarungen mit meinem Mann zu Bring- und Abholsituationen unserer Kinder sowie Bankterminen außerhalb der Reihe. Auf diese Weise können wir uns beide beruflich verwirklichen und gleichwertig für unsere Kinder da sein.

Bei Frauen ist oftmals die Familienplanung ein vordergründiger Beweggrund für die Teilzeitstelle. Welche Motive haben die männlichen Kollegen hierfür?

Es gibt immer mehr Beschäftigte in der Commerzbank, die flexible Modelle für sich einfordern. Dabei ist nicht immer die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ausschlaggebend. Der Grund für Teilzeit kann sehr vielfältig sein, insbesondere bei jüngeren Generationen geht es häufig um Selbstverwirklichung neben dem Beruf sowie Freizeit. Aber auch Themen wie Pflege von Angehörigen oder gesundheitliche Aspekte können Beweggründe dafür sein.

Mittlerweile teilen sich in immer mehr Unternehmen Führungskräfte ihre Position im Topsharing-Modell. Welche Chancen ergeben sich hierdurch für die Arbeitgeber?

In der Commerzbank bedeutet Topsharing - Jobsharing. Daher teilen sich zwei Führungskräfte die Führungsrolle, also die fachliche und die disziplinarische Führung. Dank der Tandems ist eine zeitliche 100-prozentige Abdeckung ohne Abwesenheiten gegeben. Die Führungskräfte tauschen sich regelmäßig aus und diskutieren unterschiedliche Perspektiven. Dadurch werden Entscheidungen noch überlegter und reflektierter getroffen.

Ist Topsharing für Sie das Führungsmodell der Zukunft oder nur eine kleine Ergänzung zum althergebrachten Modell?

Topsharing ist kein Ersatz für flexible Arbeitsmodelle und kann daher nur als Ergänzung angeboten werden. Es ist immer eine sehr individuelle Entscheidung, für welches Modell oder welche Form sich Menschen entscheiden. Ein zukunftsfähiges Unternehmen sollte daher eine Bandbreite von Maßnahmen anbieten, um den unterschiedlichen Bedürfnissen Rechnung zu tragen.

Sofia Strabis , Head of Diversity & Inclusion , Commerzbank AG
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