Ulrich Netzer

"Die großen Sparkassen brauchen den Verband mit am meisten"

Dr. Ulrich Netzer, Foto: SVB

Dass neben Fitechs und Start-ups insbesondere die großen Technikkonzerne der hiesigen Kreditwirtschaft einen harten Wettbewerb bescheren, steht für Ulrich Netzer außer Frage. Aber er sieht seine Organisation als sehr lernfähig und auch in Phasen der Digitalisierung durch eine zeitgemäße Auslegung der Kundennähe sehr wettbewerbsfähig aufgestellt. Verbesserungspotenzial beziehungsweise Effizienzreserven hat der Präsident des Sparkassenverbandes Bayern im Redaktionsgespräch gleichwohl entdeckt. Aus seiner Sicht darf es innerhalb der Dienstleister bezüglich der technischen Angebote keine Doppelarbeiten mehr geben. Und auch mit Blick auf die Umsetzbarkeit einzelner Entscheidungen und den Rollout sieht er aus Sicht der Primärstufe noch Optimierungspotenzial. (Red.)

Herr Netzer, welcher Ausdruck bezeichnet das aktuelle Umfeld für Sparkassen am treffendsten: hoffnungsvoll, herausfordernd, anspruchsvoll oder dramatisch?

Die Sparkassen sind seit einigen Jahren in einer herausfordernden Situation. Die Rahmenbedingungen durch niedrige Zinsen, erhöhte regulatorische Anforderungen, aber vor allem durch die Veränderung der Prozesse und des Kundenverhaltens in der digitalen Welt erfordern eine klare Weiterentwicklung des Geschäftsmodells. Die Sparkassen haben aber in den vergangenen Jahren bewiesen, dass sie mit dieser Herausforderung umgehen können. Die Betriebsergebnisse sind zwar gesunken, aber keineswegs so stark wie vorhergesagt. Und die Umstellung auf digitale Angebote ist der Sparkassen-Organisation deutlich besser gelungen als anderen Spielern aus der Finanzwirtschaft.

Reicht es, sich an dieser Stelle mit anderen Spielern aus der Finanzwirtschaft zu vergleichen? Kommt der künftige Wettbewerb nicht aus einer anderen Richtung?

Die Benchmarks in der digitalen Welt setzen Start-Ups, Fintechs, aber vor allem die großen Technikkonzerne. Diese haben in den vergangenen Jahren den Zahlungsverkehr bereits deutlich verändert und werden ihr Engagement im Bankgeschäft immer noch weiter forcieren. Damit ist die Wettbewerbssituation künftig natürlich eine noch breitere. Es genügt nicht mehr, nur Finanzdienstleister als Konkurrenten im Blick zu haben.

Auf der einen Seite zwingen die sinkenden Erträge zu strengen Sparprogrammen, auf der anderen Seite muss kräftig in die digitale Zukunft investiert werden. Wie ist dieser Spagat zu schaffen? Was sagen Ihre Mitglieder?

Im Mittelpunkt müssen die Bedürfnisse der Kunden stehen. Diese müssen jederzeit spüren, dass das für ihre Sparkasse jeden Tag aufs Neue Anspruch ist. Der Spagat zwischen notwendigen Einsparungen und weit angelegten Zukunftsinvestitionen darf nicht auf Kosten der Kunden gehen. Aus meiner Sicht haben die Sparkassen das bislang sehr gut hinbekommen. Ich kann mich nur wiederholen: Die Betriebsergebnisse sinken zwar, aber keineswegs so schlimm wie befürchtet - weil die Sparkassen Gegenmaßnahmen ergreifen. Und auch das digitale Angebot für die Kunden stimmt.

Dafür braucht es natürlich das normale Handwerkszeug eines Bankvorstandes: Personaldecke und Verwaltungskosten überprüfen, Prozesse standardisieren, weitere Abläufe optimieren. Denn die Kosten müssen sinken. Absolut entscheidend ist aber die Fähigkeit, die Nähe zu den Kunden, die unsere Organisation über Jahrzehnte und Jahrhunderte ausgezeichnet hat, in die digitale Welt zu übertragen. Nähe hieß früher, mit jedem Thema auf die nächste und nahe gelegene Geschäftsstelle zuzugehen. Dieses Bedürfnis haben die Kunden bei gewöhnlichen Bankdienstleistungen nicht mehr. Alltagsgeschäfte finden nicht mehr in der Geschäftsstelle statt, sondern werden über digitale Kanäle erledigt - einfach, sicher und bequem soll es sein.

Daneben gibt es aber das Bedürfnis nach sauberer und qualitativer Beratung, nach einer Hilfestellung bei all den Bankdienstleistungen und Bankprodukten, die über das Internet allein nicht so einfach zu verstehen sind. Hierfür spielt meines Erachtens die persönliche Ebene nach wie vor eine große Rolle. Soll heißen: Das Grundbedürfnis der Kunden nach Nähe hat nicht nachgelassen, aber es wird heute ganz anders definiert. Und wir sind da und nah, regional genauso wie digital. Unsere Organisation greift diese Herausforderungen aktiv auf und bewältigt sie arbeitsteilig durch Unterstützung der Verbände und Verbunddienstleister sehr gut.

Dem Grundgedanken des politisch motivierten Open-Banking- Ansatzes zufolge sollen viele Bankdienstleistungen künftig von Dritten zur Verfügung gestellt werden. Der Bank oder der Sparkasse bleibt im Idealmodell nur das Konto. Reicht das aus, um in der digitalen Welt erfolgreich Nähe zu demonstrieren?

Es ist zunächst einmal wichtig, dass das Girokonto als zentraler Ankerpunkt bei der Bank oder Sparkasse verbleibt und nach wie vor alle Geschäfte über dieses Konto abgewickelt werden. Nähe wird dann zum entscheidenden Erfolgsfaktor, wenn Kunden einen Berater von Angesicht zu Angesicht brauchen und wissen: "Ja, die Sparkasse ist noch da!" Wenn dann qualitative Lösungen angeboten werden, fühlen sich diese Kunden gut aufgehoben.

Anders ist es im Firmenkundengeschäft. Auch dieses ist vom digitalen Wandel geprägt, der Anpassungsbedarf in den Prozessen nach sich zieht. Aber die Kundenbeziehung ist hier eine sehr viel intensivere und vieles ist weniger standardisierbar als im Massengeschäft. Hier spielt die persönliche Einschätzung des Beraters eine noch wichtigere Rolle. Sowohl die Kundenbetreuer als auch die Marktfolge müssen ein Gefühl haben für das jeweilige Unternehmen, den jeweiligen Firmenkunden.

Das ist insgesamt eine der großen Stärken der Sparkasse: unser Gespür für die Menschen in unserer Region.

Das setzt aber voraus, dass der Kundenbetreuer auch in der standardisierten, digitalen Welt, die zunehmen wird, das System, den Computer überstimmen darf.

Vor dem Hintergrund der regulatorischen Vorschriften die richtige Balance zu finden, ist eine große Herausforderung. Wir geben aber unser Bestes, um unseren Kunden auch in diesem engen Rahmen alle möglichen Spielräume zu eröffnen.

Wo sehen Sie noch Verbesserungsmöglichkeiten hinsichtlich der Aufstellung des S-Verbundes, wo kann Arbeitsteilung noch optimiert werden?

Die Sparkassen-Finanzgruppe hat in den vergangenen Jahren durch Gründung der Finanz Informatik in der IT, Standardisierung und technischen Weiterentwicklung sehr gute Fortschritte gemacht. Wir haben mit der Grundsatzentscheidung, die Weiterentwicklung der Banksteuerung in der S-Rating zu bündeln, den richtigen Schritt gemacht. Es ist uns in der Gesamtorganisation durch eine Überarbeitung der Strukturen und Entscheidungswege gelungen, in einer dezentralen Organisation verstärkt gemeinsame Entscheidungen zu treffen.

Diesen Wegen muss die Sparkassen-Finanz gruppe konsequent weitergehen. Es darf keine Schnittmengen mehr innerhalb der Dienstleister bezüglich der technischen Angebote mehr geben. So weit sind wir heute noch nicht, es gibt noch Doppelarbeiten. Und ich glaube, auch mit Blick auf die Umsetzbarkeit einzelner Entscheidungen und den Rollout gibt es aus Sicht der Primärstufe noch Optimierungspotenzial. Hier kann die Organisation noch effizienter und strukturierter werden.

Nimmt der Unterstützungsbedarf bei den immer größer werdenden Sparkassen nicht ab? Können die nicht immer mehr alleine darstellen?

Seit zwei Jahren zeichnen wir im Sparkassenverband Bayern genau auf, welche Sparkasse welche Dienstleistungen in Anspruch nimmt. Ein Ergebnis hieraus: Die großen Sparkassen brauchen den Verband sogar mit am meisten. Sie fordern uns auch relativ betrachtet stärker als die kleineren Häuser. Es ist also keineswegs so, dass Größe etwas mit der Inanspruchnahme unseres Angebots zu tun hat. Das mag damit zusammenhängen, dass größere Sparkassen zwar vieles selber machen könnten, aber den betriebswirtschaftlichen Nutzen von Eigenarbeit versus Verbandsleistung sehr genau abwägen.

Unabhängig von der Größenthematik verändern sich aber natürlich auch die Anforderungen der Institute an die Verbände und die Art und Weise, wie wir unsere Dienstleistungen zur Verfügung stellen. Ein Beispiel: Früher waren die Sparkassen zufrieden, wenn der Verband verschiedene Lösungsmöglichkeiten für ein Thema aufgezeigt hat.

Heute wollen die Sparkassen eine klare Positionierung des Verbandes für einen konkreten Lösungsvorschlag. Die selbstständigen Sparkassen wollen zwar immer noch selber entscheiden, was sie tun, aber der Wunsch nach klaren Empfehlungen hat spürbar zugenommen. Das betrifft die Verbunddienstleister, die regionalen Verbände ebenso wie den DSGV.

Auch bei den Sparkassen in Ihrem Verbandsgebiet steigen die Einlagen schneller als die Kundenkredite. Überschussliquidität kostet mittlerweile aber sogar Geld. Wird die Passivseite, die ja Ausdruck des Vertrauens in die Sparkassen ist, mehr und mehr zum betriebswirtschaftlichen Problem?

Jede Sparkasse muss sich schon immer und heute erst recht die Frage stellen, ob sie den Vertrieb so aufgestellt hat, dass sie wirklich alle im Markt vorhandenen Geschäftspotenziale im Rahmen ihrer Risikotragfähigkeit ausschöpft. Die Kreditvergabe aus Einlagen ist Grundaufgabe der Sparkassen seit mehr als 200 Jahren. Es gibt sicherlich Institute, die hier noch Möglichkeiten haben.

Man muss fairerweise aber auch festhalten: Wenn die Rahmenbedingungen auf der Zinsseite durch eine Geldpolitik mit Nullzinsen und sogar negativen Einlagezinsen bei den Zentralbanken sich nicht ändern, so ist das für die Finanzwirtschaft ungesund und schädlich. Auf Dauer stoßen die Institute dann an ihre natürlichen Grenzen, weil die Handlungsfelder und die möglichen Maßnahmen eben nicht unerschöpflich sind.

Schlagen sich die unterschiedlichen Erfolge in der Marktbearbeitung denn auch in den Ergebnissen nieder, sprich, sind die besser aufgestellten Institute spürbar ertragsstärker als die weniger gut aufgestellten?

Absolut. Die ertragsstärkste deutsche Sparkasse hat gemessen am relativen Betriebsergebnis pro Milliarde Bilanzsumme ein rund viermal besseres Ergebnis als die ertragsschwächsten Sparkassen. Das hat verschiedene Gründe, kann aber nicht allein an den unterschiedlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten in den Regionen liegen. Positiv formuliert zeigt das: Es gibt noch Potenzial an einigen Stellen.

Welche Rolle kommt bei alldem einem Verbandspräsidenten zu: Ist er Antreiber, Moderator, Mahner oder alles zusammen?

Er hat ganz unterschiedliche Rollen. Er ist zunächst der Moderator und Impulsgeber, der Bündeler und der Antreiber, um gemeinsam mit den Sparkassen und innerhalb der gesamten Finanzgruppe Antworten auf die sich stark verändernden Rahmenbedingungen zu finden. Zweitens trägt der Präsident des Sparkassenverbandes Bayern gemeinsam mit seinem Kollegen die Verantwortung für ein Unternehmen oder eine Organisation von fast 400 Mitarbeitern. Der Vorstand hat den Verband unternehmerisch zu leiten und gerade in der heutigen Zeit weiterzuentwickeln: Hin zu den Bedürfnissen und Leistungen, die eine Sparkasse heute und morgen von einem Verband braucht.

Die dritte Rolle ist, als Bindeglied zur Politik die Sparkasseninteressen zu vertreten. Und über direkte oder indirekte Beteiligungen der Sparkassen an Verbundunternehmen, die häufig beim Verband gebündelt sind, trägt der Präsident an dieser Stelle auch eine operative Verantwortung.

Sie kennen die Kommunal- und Landespolitik aus Ihrer Zeit als Oberbürgermeister in Kempten ebenso gut wie den Finanzbereich aus der Zeit davor und als Verwaltungsratsmitglied der Sparkasse Allgäu: Sind das die idealen Voraussetzungen für den Job als Sparkassenpräsident in Bayern?

Das ist sicherlich nicht pauschal notwendig, um ein guter Sparkassenpräsident zu sein. Aber ich bin schon dankbar für jeden einzelnen meiner persönlichen Entwicklungsschritte. Denn dadurch kann ich zum einen in die Erfahrungsschatzkiste aus meiner Zeit als Oberbürgermeister greifen, ebenso wie in die aus den ersten zehn Jahren meines Berufslebens im Finanzbereich. Denn die Werkzeuge, die ich einmal erlernt habe, helfen mir heute in meiner Verantwortung, die anspruchsvollen Themen anzugehen und auch zu lösen. Es reicht nicht, an den oberen Schichten zu kratzen, sondern man muss ein ganzes Stück tiefer gehen.

"Bleiben Sie der Fläche gewogen", hat die Bundeskanzlerin auf dem Sparkassentag 2019 gebeten. Was aber, wenn das betriebswirtschaftlich keinen Sinn mehr macht? Sind Sparkassen hier ob ihrer öffentlichen Träger nicht frei genug, um notwendige betriebswirtschaftliche Entscheidungen zu fällen?

Ich habe die Aussage der Kanzlerin anders verstanden. Für mich stand nicht der reine Filialaspekt allein im Mittelpunkt, sondern vielmehr ein gesamtgesellschaftlicher Appell, die Entwicklung außerhalb der Ballungszentren positiv und aktiv im Blick zu behalten. Der Trend geht immer stärker in Richtung der Metropolen. Das muss eine Bundeskanzlerin, die die gleichwertige Entwicklung innerhalb eines Landes anstrebt, ansprechen. So ist die Aussage auch zu unterstreichen.

Bleibt die Frage: Wer kann welchen Beitrag zu dieser gleichwertigen Entwicklung leisten? Solange Menschen in den Regionen, auf dem Land leben, solange es dort Arbeitsplätze gibt, solange der Einzelhandel und andere Dienstleister noch da sind und auch die Arztpraxis vor Ort bleibt - so lange ist Geschäft in der Fläche möglich. Und dann ist selbstverständlich auch die Sparkasse vor Ort! Es ist eine gesamt-infrastrukturpolitische Aufgabe, keine einseitige Entwicklung zwischen den Ballungszentren und der Fläche zu begünstigen.

Aber ich möchte noch einmal an das vorhin Gesagte erinnern. Nähe wird im digitalen Zeitalter neu definiert. Wir sind ständig und überall bei unseren Kunden, unabhängig vom Standort.

Aber ist genau das nicht ein Widerspruch zum geltenden Regionalprinzip?

Das Regionalprinzip ist Kernelement des Sparkassenwesens und wird das auch weiterhin sein. Denn die Menschen bleiben Kunden ihrer Sparkasse, auch wenn sie Bankgeschäfte ungebunden von Filialen und Niederlassungen online erledigen. Damit bleibt das Regionalprinzip gewährleistet.

Wie ist die Stimmung in Bayern hinsichtlich wichtiger sparkassenpolitischer Themen, wie einer Sparkassenzentralbank, der Aufwertung des Förderbankwesens oder einem zentralen Onlinebroker?

Die Erfahrungen aus den vergangenen zwei Jahrzehnten haben gezeigt, dass bundesweit immer wieder die Stabilität der Organisation durch Verbundunternehmen gefährdet wurde - von Sachsen über die WestLB bis hin zur Bayern-LB. Daraus haben wir gelernt. Zum zweiten ist auch klar, dass die Sparkassen-Finanzgruppe einen noch höheren Kundennutzen generieren muss, was wir in der jetzigen Aufstellung noch nicht immer optimal darstellen können.

Das beste Beispiel hierfür ist die Begleitung unserer mittelständischen Kunden in das Ausland. Das können wir in der jetzigen Verbund-Konstellation zwar gewährleisten, aber noch nicht so gut, wie wir und unsere Kunden das gerne hätten.

Bei all den Diskussionen geht es also um mehr Stabilität in der Organisation und um eine Verbesserung des Produkt- und Dienstleistungsangebots im Hinblick auf einen höheren Kundennutzen. Aus dieser Motivation heraus hat der DSGV-Präsident das Thema Sparkassen-Zentralbank in die Diskussion gebracht. Fusionen von Landesbanken bringen alleine weder mehr Stabilität noch höheren Kundennutzen. Für diese Überlegungen gibt es viel Zustimmung, auch aus Bayern. Denn es geht auch darum, für das Eigentum von Sparkassen und Freistaat Sorge zu tragen und es auf die Herausforderungen von morgen vorzubereiten.

Ihre Amtszeit endet in eineinhalb Jahren: Wie wichtig wäre eine Zinserhöhung für die Entwicklung der bayerischen Sparkassen noch in Ihrer Amtszeit?

Die bayerischen Sparkassen nehmen die Herausforderungen weiterhin an und meistern sie, auch wenn das immer größere Anstrengungen erfordert. Das wird schlicht und einfach immer schmerzhafter. Es ist aber keine Existenzfrage.

Dr. Ulrich Netzer Präsident, Sparkassenverband Bayern, München
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