Redaktionsgespräch mit Thorsten Pötzsch

"Unser Idealbild ist ein einfacher, klar strukturierter Konzern."

Dr. Thorsten Pötzsch Foto: Bernd Roselieb

Mit der Eingliederung der Bankenabwicklung in die Allfinanzaufsicht sieht Thorsten Pötzsch den notwendigen Austausch von Informationen und Daten mit den Kollegen aus der Bankenaufsicht deutlich erleichtert und sein eigenes Bild über die Gesamtlage durch einen fruchtbaren Austausch in den Sitzungen des Direktoriums über alle Geschäftsbereiche hinweg geschärft. Im Redaktionsgespräch ruft der zuständige Exekutivdirektor nicht gleich nach neuen Instrumenten für seine vergleichweise neue Disziplin, könnte sich aber Instrumente vorstellen, die ihm für die Prüfung mehr Zeit geben, etwa durch ein abwicklungsrechtliches Moratorium zur Verhinderung von Abfluss von Liquidität für einen bestimmten Zeitraum. Mit Blick auf eine vorausschauende Unternehmensführung misst er der Frage nach Abwickelbarkeit die gleiche Bedeutung bei wie der nach Steuerbarkeit. Wenn ein Institut nicht abwickelbar ist, so seine These, muss die Frage nach der Steuerbarkeit gestellt werden. (Red.)

Herr Pötzsch, seit 1. Januar dieses Jahres ist die Nationale Abwicklungsbehörde (NAB) als "eigenständig operierender Geschäftsbereich" Teil der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Welche Veränderungen bringt das mit sich?

Eine ganze Menge. Mein Aufgabenspektrum hat sich enorm erweitert. Neben dem Thema Abwicklung ist mein Geschäftsbereich jetzt auch für die Geldwäsche- und Terrorismusfinanzierungsprävention im Finanzsektor zuständig, die wir von dem Geschäftsbereich Bankenaufsicht übernommen haben. Darüber hinaus fällt uns nunmehr auch die Einhaltung und Durchsetzung des Erlaubnisvorbehalts gegenüber Marktteilnehmern zu, die am Kapitalmarkt tätig werden. Der Geschäftsbereich nimmt damit eine wichtige Rolle bei der Sicherung der Integrität des Finanzsystems wahr.

Mit den neuen Aufgaben müsste Ihr Geschäftsbereich deutlich gewachsen sein, oder?

In der Tat. Die FMSA hatte 115 im Abwicklungsbereich tätige Mitarbeiter; zusammen mit den anderen Abteilungen sind es nun rund 300.

Wie grenzt sich der Bereich Abwicklung von der Bankenaufsicht ab?

Es sind zwei getrennte Geschäftsbereiche, zwischen denen aber ein intensiver Informationsaustausch und eine enge Zusammenarbeit stattfinden. Durch die Integration der Abwicklung in die Ba-Fin ist der Austausch von Informationen und Daten mit den Kollegen aus der Bankenaufsicht heute sehr viel einfacher möglich als zu FMSA-Zeiten. Das gilt auch für die anderen Bereiche der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, beispielsweise die Wertpapieraufsicht. Das Konzept der Allfinanzaufsicht hat sich bewährt und die Eingliederung der Abwicklung in die Allfinanzaufsicht macht sehr viel Sinn.

Sie wirken nicht unzufrieden über die neue Aufstellung.

Ich bin sehr zufrieden. Gerade der Austausch in den Sitzungen des Direktoriums über alle Geschäftsbereiche hinweg ist extrem wichtig und fruchtbar. Das gab es in der alten Aufstellung naturgemäß nicht. Hier findet eine sehr offene und angeregte Diskussion statt. Ich bekomme so ein viel besseres Bild über die gesamte Lage.

Und wie funktioniert die Arbeitsteilung zwischen Bankenaufsicht und Abwicklung konkret? Wann kommt Ihr Bereich ins Spiel, wann ist es Sache der Bankenaufsicht, ein Institut zu schließen?

Hierfür gibt es einen klar festgelegten Prozess. Die Bankenaufsicht ist für die laufende Aufsicht über die Institute zuständig. Sollte sich im Rahmen der Aufsichtstätigkeit ergeben, dass ein Institut bestandsgefährdet ist, neudeutsch "failing or likely to fail", ist es zunächst unsere Aufgabe zu prüfen, ob privatwirtschaftliche Maßnahmen möglich sind, mit denen die Bank gerettet werden kann. Wenn nicht, prüfen wir, ob ein öffentliches Interesse an einer geordneten Abwicklung vorliegt oder ob das Institut in die Insolvenz gehen kann. Diese Entscheidung liegt im Bereich Abwicklung.

Besteht ein öffentliches Interesse an einer Abwicklung, greift der dafür vorgesehene Instrumentenkasten. Besteht dieses nicht, wandert der Fall zurück in die Bankenaufsicht, die dann ein Moratorium über das Institut verhängt beziehungsweise ein Insolvenzverfahren beantragt.

Welche Gründe für eine Abwicklung, also welches öffentliche Interesse muss vorliegen?

Wichtig ist die Frage, welche kritische Bedeutung die Geschäftstätigkeit der Bank für die Realwirtschaft hat. Das können beispielsweise Bankdienstleistungen wie der Zahlungsverkehr sein.

Wie läuft die Abwicklung von Instituten dann ab? Sie haben den Instrumentenkasten bereits angesprochen.

Ja, wir verfügen über verschiedene Instrumente und wägen sorgfältig ab, welche davon wir im jeweiligen Fall einsetzen. Ein wichtiges Instrument ist der Bail-in, bei dem Eigentümer und Gläubiger herangezogen werden. Außerdem prüfen wir, welche Art der Abwicklung für das betreffende Institut die beste ist. Hier sind die Nutzung einer sogenannten Bridge Bank, der komplette Verkauf oder eine Aufspaltung mit Verkäufen einzelner Teilbereiche oder auch die Ausgliederung von Bestandteilen in ein Asset-Management-Vehikel möglich.

Für all das brauchen Sie hoch spezialisierte Mitarbeiter, wenn es an die Abwicklung, sprich Zerlegung, Verkauf oder Teilverkauf geht, oder?

Absolut. Wir können im bestehenden Personalstamm auf sehr viele bestens ausgebildete Mitarbeiter bauen, beispielsweise Ökonomen, Juristen und Naturwissenschaftler mit Bank- und/oder Investmenthintergrund, die den Markt sehr genau kennen. Dabei geht es sowohl um juristische Fragestellungen als auch um die von Ihnen angesprochenen ökonomischen Themen: Wie kann eine Schieflage beseitigt werden? Welcher Teil der Bank ist ökonomisch solide aufgestellt? Wo liegen Werte der Bank, die veräußert werden können?

Reicht für all das der vorhandene Instrumentenkasten aus oder würden Sie sich noch zusätzliche Bausteine wünschen?

Diese Frage ist nicht ganz einfach zu beantworten. Abwicklung ist ein junges Gebiet, das erst seit kurzer Zeit existiert. Wir bewegen uns in großen Teilen auf unerforschtem Terrain. Der Instrumentenkasten ist noch weitgehend unerprobt. Es gibt noch keine über Jahre eingeschliffenen Verfahren. Das ist eine Herausforderung, macht den Bereich Abwicklung aber auch besonders spannend. Wir proben den Krisenfall regelmäßig in möglichst realitätsnahen Übungen.

Wenn Sie nach Wünschen fragen, wäre mein einziger Wunsch der nach mehr Zeit. Abwicklung per se ist zeitkritisch. Um mögliche Verwerfungen an den Märkten durch ein bestandsgefährdetes Institut zu vermeiden, muss sehr schnell gehandelt und sehr schnell entschieden werden. Das ist aufgrund der Komplexität und der Datenlage eine Herausforderung. Hier würde ich mir Instrumente wünschen, die uns für die Prüfung mehr Zeit geben, beispielsweise durch ein abwicklungsrechtliches Moratorium. So könnte der Abfluss von Liquidität für einen bestimmten Zeitraum verhindert werden.

Wie kann man verhindern, dass eine Stigmatisierung stattfindet und der Markt auf das Moratorium reagiert?

Das ist in der Tat eine große Herausforderung, die nur mit überzeugenden Abwicklungskonzepten und intensiver Kommunikation bewältigt werden kann. In allererster Linie geht es um den Erhalt der Liquidität im Abwicklungsfall. Hierfür gibt es verschiedene Möglichkeiten, von Liquiditätsbereitstellung durch einen potenziellen Käufer bis hin zu Liquiditätsspritzen durch die Europäische Zentralbank beziehungsweise Bundesbank. Daher bin ich zuversichtlich, dass ein solches Moratorium zielgerecht durchgeführt werden könnte.

Sind Sie mit der Datenlage bei den Banken und den IT-Systemen zufrieden?

Das ist ein wichtiges Thema. Für den Bereich Abwicklung ist es wichtig, aktuelle und verlässliche Daten über die Kapitalstrukturen und die Gläubiger zu erhalten.

Das heißt, Banken sollten ihre Systeme dahingehend aufstellen, dass sie diese Informationen liefern können. Was übrigens nicht nur in unserem Sinne, sondern auch in dem eines jeden Vorstands sein sollte, der ein Institut steuern muss. Bei einer vorausschauenden Unternehmensführung kommt der Frage nach Abwickelbarkeit die gleiche Bedeutung zu wie der nach Steuerbarkeit. Ein Institut, welches nicht steuerbar ist, ist auch nicht abwickelbar. Und wenn es nicht abwickelbar ist, muss die dringende Frage nach der Steuerbarkeit gestellt werden. Mit dieser Frage befassen wir uns bei der Erstellung der Abwicklungspläne.

Was ist der genaue Unterschied zwischen Abwicklungs- und Sanierungsplänen?

Sanierungspläne werden von den Banken erstellt, Abwicklungspläne von der BaFin. Zudem dienen die erstgenannten Pläne dazu, ein Institut in einer Schieflage, das aber nicht bestandsbedroht ist, zu sanieren. Abwicklungspläne hingegen kommen dann zum Einsatz, wenn eine Sanierung nicht möglich oder gescheitert ist, um Schäden für die Finanzstabilität, die Realwirtschaft und die Allgemeinheit zu vermeiden.

Der dritte Unterschied: Während die Maßnahmen zur Sanierung von den Banken selbst vorgenommen werden, sind die einzelnen Schritte einer Abwicklung hoheitlicher Natur. Dahinter steht immer ein Verwaltungsakt. Wir bewegen uns hier auf juristisch ausgesprochen spannendem Terrain, denn ein Verkauf oder Teilverkauf ist privatwirtschaftlicher Natur, wird aber per Verwaltungsakt angeordnet.

Können Sie aber bei der Erstellung der Abwicklungspläne nicht auf Informationen aus den Sanierungsplänen zurückgreifen?

Natürlich liefern uns die Sanierungspläne wichtige Informationen für die Abwicklungsplanung. Wir müssen herausfinden, wie eine Bank und ihre einzelnen Geschäftsbereiche strukturiert sind und welche Geschäftsbereiche herausgelöst werden können, ohne dass es zu einer Schieflage oder gar zu Verwerfungen am Markt kommt.

Gilt beim Bereich Abwicklung der alte Grundsatz der Proportionalität?

Selbstverständlich. Große und komplexe Banken erfahren eine viel intensivere Betreuung durch die Abwicklungsbehörde. Entsprechend sehen die Abwicklungspläne für große Banken ganz anders aus als die für kleine Institute. Allerdings müssen wir für alle deutschen Institute Abwicklungspläne schreiben, also rund 1 500.

Wie weit sind Sie dabei schon gekommen?

Die Pläne für einen Großteil der bedeutenden Banken liegen bereits vor. Bis 2020 wollen wir dann alle 1 500 Abwicklungspläne erstellt haben. Hier gelten für die kleinen Institute vereinfachte Anforderungen, sodass wir dabei einen standardisierten Prozess nutzen können. Das heißt aber nicht, dass wir dann fertig sind und die Pläne einfach in die Schublade legen. Diese unterliegen einem kontinuierlichen Aktualisierungsprozess.

Wie reagieren die Banken auf Ihre Arbeit, haben Sie schon Feedback bekommen?

Die Erkenntnis setzt sich langsam durch, dass Abwicklung kein Orchideenfach ist. Wir stellen Fragen, die sich ein Vorstand auch im laufenden Geschäft stellen sollte.

Wie muss man sich die Zusammenarbeit mit dem Single Resolution Board vorstellen? Wer entscheidet wann was?

Das richtet sich nach der von der EZB-Bankenaufsicht gewohnten Unterscheidung in bedeutende und weniger bedeutende Banken, kurz SIs und LSIs. Für die bedeutenden und die grenzüberschreitend tätigen Institute ist der SRB zuständig. Als Leiter des Abwicklungsbereichs bin ich innerhalb des SRB sowohl an der Erstellung von Abwicklungsplänen als auch von konkreten Abwicklungskonzepten beteiligt. Darüber hinaus sind wir fester Bestandteil der sogenannten IRTs, der Internal Resolution Teams. Ein solches IRT, das sich aus Mitarbeitern des SRB und der betroffenen nationalen Behörden zusammensetzt, gibt es für jede Bank. Für die weniger bedeutenden Banken sind wir als nationale Behörde direkt zuständig.

Aber selbst bei den großen Instituten erlässt der SRB keine Anordnung direkt an die betreffende Bank, sondern spielt den Ball an uns zurück. Sollte es zu einer Abwicklung bei einem bedeutenden Institut kommen, erstellt der SRB ein Abwicklungskonzept, das Resolution Scheme, und übersendet dieses Konzept an die BaFin, die die Umsetzung per Verwaltungsakt vornimmt. Die betreffende Bank erhält die Abwicklungsanordnung also nicht vom SRB, sondern von der nationalen Behörde.

Schreibt der SRB eigene Abwicklungspläne für die bedeutenden Banken?

Abwicklungspläne werden in den IRTs gemeinsam erarbeitet und vom SRB in "Extended Executive Sessions" verabschiedet. In diesen Sessions bin ich hinsichtlich der deutschen Banken stimmberechtigt.

War es aus Ihrer Sicht richtig oder falsch, bei den beiden venezianischen Banken gleich mit der Ausnahme vom System zu beginnen, anstatt den Instrumentenkasten des Abwicklungsregimes zu nutzen?

So stimmt es nicht ganz. Der Abwicklungsmechanismus wurde angewandt. Der SRB hat entschieden zwischen den beiden Möglichkeiten Abwicklung und Insolvenz. Nachdem er festgestellt hatte, dass kein öffentliches Interesse vorliegt, welches eine Abwicklung erforderlich macht, überwies er den Fall zurück an die nationalen Behörden. In Italien wurde dann auf Grundlage nationalen Insolvenzrechts entschieden, öffentliche Gelder zur Stützung dieser beiden Banken einzusetzen.

Der Fall zeigt aber auch, dass es beim nachgelagerten Insolvenzverfahren ebenfalls einer einheitlichen europäischen Regelung bedarf. Das ist bereits seit vielen Jahren ein Thema. Es stimmt mich aber positiv, dass mit den europäischen Regeln zum Bail-in bereits ein wesentlicher Schritt in Richtung Harmonisierung gemacht wurde.

Unabhängig davon prüft die Europäische Kommission in jedem Fall, ob die jeweiligen Geldspritzen im Rahmen eines nationalen Insolvenzverfahrens konform zu den Beihilferegelungen sind.

Wer sorgt dafür, dass die Abwicklungsregeln bei LSIs in allen Ländern gleich angewandt werden?

In den Plenary Sessions des SRB erfolgt kontinuierlich eine enge Abstimmung aller Chefs der nationalen Abwicklungsbehörden und der ständigen Mitglieder des Boards, welche Grundsätze wann gelten. Darüber hinaus sorgen Leitlinien der europäischen Bankenaufsicht und des SRB für eine möglichst einheitliche Anwendung der Regelungen über Ländergrenzen hinweg.

Wer ist für ausländische bedeutende Banken zuständig, das Heimat- oder das Gastland?

Innerhalb der Bankenunion ist der SRB für die Gruppe zuständig. Bei europäischen Instituten aus Ländern außerhalb der Bankenunion erstellt die jeweilige nationale Abwicklungsbehörde den Abwicklungsplan, die die Gruppe beaufsichtigt.

Welchen Rechtsweg kann eine Bank beschreiten, die mit der Abwicklungsanordnung oder den ergriffenen Maßnahmen nicht einverstanden ist?

Jedem Institut steht der Rechtsweg offen. In Deutschland sind die Verwaltungsgerichte, bei europäischen Entscheidungen europäische Gerichte zuständig. Darüber hinaus gibt es beim SRB einen Beschwerdeausschuss, an den sich die Banken wenden können.

Macht der Bereich Abwicklung mit seiner Arbeit Banken weniger komplex?

Ja. Unser Ziel ist es, Banken abwickeln zu können, ohne die Finanzstabilität zu gefährden und Steuergelder einzusetzen. Das ist umso einfacher möglich, je weniger komplex eine Bank ist und je leichter sie sich separieren lässt. Es gibt ein Spannungsverhältnis zwischen der internen Vernetzung von Bereichen und der Separierbarkeit, das liegt auf der Hand. Daher sind intelligente Lösungen gefragt. Unser Idealbild ist ein einfacher, klar strukturierter Konzern.

Dr. Thorsten Pötzsch Exekutivdirektor Abwicklung, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Bonn und Frankfurt am Main
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