Redaktionsgespräch mit Hans Joachim Reinke

"Es sind klare, pragmatische und praxisnahe Rahmenbedingungen notwendig"

Hans Joachim Reinke, Foto: Union Investment

Es herrscht Aufbruchsstimmung in Deutschland. Und das ist auch gut so. Denn Themen wie die Dekarbonisierung, die Digitalisierung, die Demografie und die Bekämpfung des Klimawandels werden einen Schwerpunkt der künftigen Regierung bilden müssen - egal, wer sie führt - meint der Autor. Darüber hinaus stellt er diverse Forderungen an die neue Führung in Deutschland wie beispielsweise, dass das System der sozialen Marktwirtschaft, das Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreich getragen habe, im Mittelpunkt bleibe. Auch bei der Regulierung sowie Gesetzgebung wünscht sich der Autor mehr Pragmatismus und Praxisorientiertheit. (Red.)

Herr Reinke, Deutschland hat gewählt. Wie beurteilen Sie das Wahlergebnis?

Mit dem Ausgang der diesjährigen Bundestagswahl betreten wir politisches Neuland. Die Bürgerinnen und Bürger haben mit ihrem Votum sozusagen "europäische" Verhältnisse in Deutschland geschaffen: Keine Partei im neuen Bundestag hat eine dominierende Rolle. Insgesamt wurde die politische Mitte gestärkt und die Ränder glücklicherweise geschwächt. Nun wird es auf geschickte Diplomatie und Verhandlung ankommen, um die parteispezifischen Interessen in einem Koalitionsvertrag festzulegen und diese in den kommenden vier Jahren umzusetzen. Die Zeichen stehen auf Aufbruch. Das ist gut für Deutschland.

Wie wird die neue Bundesregierung ihre Rolle in Europa interpretieren - eher offensiv oder eher defensiv?

Dies lässt sich aktuell noch nicht vorhersagen. Aber eines lässt sich schon sehr sicher sagen, Deutschland wird auch künftig von einer europafreundlichen Regierung geführt. Dies zeigen die Parteiprogramme aller nun möglichen Koalitionspartner. Wie die genaue Ausgestaltung hier sein wird, ist jedoch letztlich von der Koalitionskonstellation abhängig.

Was bedeutet der Wahlausgang für die Union Investment?

In der aktuell sondierenden Ampel-Koalition werden uns vermutlich einige Herausforderungen etwa beim Thema Altersvorsorge oder Wohnungspolitik bevorstehen. Aber auch hier gilt es abzuwarten, was die Koalitionsverhandlungen ergeben werden.

Welche Auswirkungen hat dieses Wahlergebnis für die Finanzbranche im Allgemeinen und die Asset-Management-Branche im Besonderen?

Die Wahl bringt uns Klarheit dahingehend, dass eine rotgrünrote Koalition nicht von den Bürgern gewollt ist. Und dies wäre auch aufgrund der wirtschaftspolitischen Programmatik von Rot-Grün-Rot für viele Investoren ein schwer kalkulierbares Risiko gewesen. Viele weitere entscheidende Fragen für die Finanzund Asset-Management-Branche sind jedoch noch offen. Hier liegt es jetzt an den möglichen Ampel-Koalitionspartnern. Wir sehen insbesondere bei den kapitalmarktrelevanten Themen wie etwa der Schuldenbremse, der Steuer- und auch der Europapolitik großen Diskussionsbedarf bei den möglichen Koalitionären SPD, Grüne und FDP. Eins können wir aber jetzt schon sicher sagen: Themen wie die Dekarbonisierung, die Digitalisierung, die Demografie und die Bekämpfung des Klimawandels werden einen Schwerpunkt der künftigen Bundesregierung bilden - egal, wer sie führt.

Was erwarten Sie von einer neuen Bundesregierung?

Erstens, dass das System der sozialen Marktwirtschaft, das Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreich getragen hat, im Mittelpunkt bleibt. Zweitens, dass man eine Regulierung und Gesetzgebung bekommt, die pragmatisch und praxisorientiert ist. Drittens, dass der Staat nicht versucht, der bessere Unternehmer zu sein, indem man durch viele Regelungen den Wettbewerb, der dieses Land groß gemacht hat, unmöglich macht.

Welche Themen werden Sie nun gegenüber der Politik vor allem adressieren?

Wir beschäftigen uns sehr vorausschauend mit den politischen Inhalten, die uns und unsere Anleger bewegen. Dies umfasst im Zusammenhang mit der neuen Bundesregierung insbesondere die vier Themen Altersvorsorge, Nachhaltigkeit, Wohnimmobilien und die EU-Finanzmarktregulierung. All das hat Einfluss auf unsere Arbeit als einer der führenden Anbieter von Investmentfonds und fondsbasierten Altersvorsorgeprodukten in Deutschland. Als Teil der genossenschaftlichen Finanzgruppe werden wir uns mit all unserer Erfahrung zu diesen Themen in die politischen Diskussionen einbringen und diese aktiv begleiten.

Was ist Ihnen beim Thema Altersvorsorge wichtig? Wie geht es aus Ihrer Sicht mit der Riester-Rente weiter?

Die umlagefinanzierte gesetzliche Rente ist und bleibt der zentrale Baustein der Altersvorsorge in Deutschland. Sie kann allein jedoch keine ausreichende Versorgung im Alter bieten. Daher ist eine zusätzliche private und/oder betriebliche Vorsorge erforderlich und zielführend. Um weiterhin attraktive Produkte anbieten zu können, bedarf es insbesondere aufgrund des Niedrigzinsumfelds einer Weiterentwicklung. Diese betrifft fünf Punkte in der Riester-Rente: Es braucht die Ausgestaltung eines Standardprodukts, welches sich auf die Kerneigenschaften einer ergänzenden Altersvorsorge konzentriert. Zweitens: Die Garantien müssen bei Riester-Produkten flexibilisiert werden, auf beispielsweise 70 Prozent. Drittens: Die Förderung von Riester muss transparent und einfach gestaltet werden. Viertens: Der Personenkreis muss erweitert werden und fünftens sollten wir die Thematik der Zulage deutlich vereinfachen.

Am Thema Nachhaltigkeit kommt niemand mehr vorbei, es wird auch ein Schwerpunkt der künftigen Regierungsarbeit sein. Was ist hierbei aus Sicht der Finanz- und Asset-Management-Branche zu beachten?

Die Debatte rund um Nachhaltigkeit in der Finanzindustrie hat in den vergangenen drei Jahren spürbar Fahrt aufgenommen. Nachhaltigkeit wird das regulatorische Umfeld der Finanzbranche künftig massiv beeinflussen und ist längst kein Nischenthema mehr. Für uns ist daher ganz wichtig: Wir wollen nachhaltige Investitionen nutzen statt bremsen. Deshalb setzt sich die Union Investment, als aktiver Investor mit genossenschaftlicher Prägung, für eine nachhaltige Transformation der Wirtschaft ein. Dafür sind klare, pragmatische und praxisnahe Rahmenbedingungen der Politik notwendig. Die Stichworte sind hier aus meiner Sicht: Transformation fördern, Stabilität wahren, freien Zugang zu ESG-Daten sichern und Privatautonomie erhalten.

Welche Erwartungen haben Sie an die deutsche Politik mit Blick auf die Positionierung in Europa?

Es braucht einen leistungsstarken, kundenorientierten, innovativen und wettbewerbsfähigen Finanzplatz Deutschland und Europa. Zudem hat die Politik der Finanzindustrie im Kontext der Nachhaltigkeit eine Schlüsselfunktion als Kapitalsammelstelle und Kapitalgeber gegeben und ihr damit eine zentrale Funktion zur Transformation der Realwirtschaft zu einem nachhaltigeren Wirtschaftssystem übertragen. Um diese Aufgabe zu erfüllen, sind nun zielorientiert ausgerichtete und praxistaugliche regulatorische Rahmenbedingungen notwendig.

Wie kann die Bedeutung des Finanzplatzes Deutschland im europäischen Vergleich gestärkt werden?

Wir wollen einen starken Finanzplatz Deutschland in Europa. Dafür ist insbesondere wichtig, dass wir die Wettbewerbsfähigkeit unseres Finanzplatzes und der hier ansässigen Finanzindustrie in den Mittelpunkt stellen und dies als Leitmotiv verankern.

Welche Entwicklungen auf europäischer und globaler Ebene betrachten Sie mit Sorge?

Nicht mit Sorge, aber sehr genau beobachten wir das Thema Kapitalmarktunion auf europäischer Ebene. Hier fordern wir von der Politik, mit Blick auf den Aktionsplan der EU-Kommission, zügig die Entwicklung des European Single Access Point voranzutreiben. So können mit einem einheitlichen europäischen Zugangspunkt standardisierte Informationen über Unternehmen an institutionelle und private Anleger geliefert werden und diese bei ihren Investitionsentscheidungen unterstützen.

Wie sieht die Beratung der Zukunft aus?

Die Beratung der Zukunft findet für uns beziehungsweise unsere Kunden in einem Mix aus "analog" und "digital" statt. Dies ist heute schon bei uns der Fall, aber der Mix wird zukünftig ein anderer sein. An einem wird sich aber so schnell nichts ändern: Beim Wertpapiergeschäft ist der persönliche Kontakt durch nichts zu ersetzen. Vielleicht wird künftig statt eines Gesprächs vor Ort eines per Video stattfinden oder durch andere Formate. Aber der Anteil derjenigen, die ein persönliches Gespräch haben wollen, wird sich nicht wesentlich verändern - im Vergleich zu den Selbstentscheidern, die autark ihre Wertpapiergeschäfte tätigen. Die Mehrheit unserer Kunden sind immer noch Beratungskunden. Dies bestätigen uns auch unsere Erfahrungen bei unserem Robo Advisor Visual Vest.

Wie sollten Fintechs reguliert sein?

Der digitale Wandel der Finanzindustrie ist in vollem Gange. Reaktionsgeschwindigkeit, Innovationskraft, Schutz der Kunden und der IT-Infrastruktur sowie faire Wettbewerbsbedingungen sind dabei essenziell. Wir fordern daher die Einführung einer deutschen und europäischen digitalen Ordnungspolitik, die digitale Transformation, Innovation und Resilienz fördert sowie die Marktmacht dominanter, globaler Finanzdienstleister in den Blick nimmt. Dies bedeutet, dass Finanzdienstleistungen und -produkte technologieneutral reguliert werden sollten. Gemäß dem Motto: "gleiches Geschäft, gleiches Risiko, gleiche Regeln".

Hans Joachim Reinke , Vorsitzender des Vorstands , Union Investment, Frankfurt am Main
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