Redaktionsgespräch mit Wolfgang Kirsch

"Die Kohäsion ist größer geworden."

Wolfgang Kirsch, Vorstandsvorsitzender, DZ Bank AG

Quelle: DZ Bank AG

Strategie klar und mit ruhiger Hand ausgerichtet. DZ-Eigenkapital, Verbundkapital und konsolidiertes Jahresergebnis in der Genossenschaftlichen Finanzgruppe verdoppelt. Kapitalerhöhung überzeichnet. Fusion der Zentralbanken endlich bewältigt. Aufräumarbeiten im Konzern bis auf wenige Baustellen wie DVB, VR-Leasing und DZ Privatbank abgeschlossen. Wolfgang Kirsch kann mit seinen 12 Jahren an der Spitze der DZ Bank wahrlich zufrieden sein. Im Redaktionsgespräch lobt er vor allem die Bereitschaft in der ganzen Gruppe zu notwendigen Veränderungen und den spürbar größeren Zusammenhalt. Während er bis zur endgültigen Entscheidung Pro oder Contra Holding noch einige Erkenntnisgewinne voraussetzt, teilt der DZ-Bank-Chef gewisse Befürchtungen deutscher Politiker nicht. Weder hätten Mittelstand und Großunternehmen Mangel an kreditwirtschaftliche Unterstützung, noch gebe es eine Kreditklemme. Das zeige einmal mehr die Bedeutung der Verbünde. Diese dürfe man allerdings regulatorisch nicht überfrachten. (Red.)

Herr Kirsch, die Bankenaufsicht hat jüngst wieder davor gewarnt, dass die deutsche Bankenlandschaft zu zersplittert ist, dass große Banken fehlen, die den Standort stärken. Würden Sie dem zustimmen?

Diese Sorge ist nicht ganz neu. Zunächst einmal gilt: Von all den Befürchtungen der vergangenen Jahre hinsichtlich einer Kreditklemme und einem Schaden für die Realwirtschaft durch die vermeintliche Schwäche des Bankensektors ist keine einzige eingetreten. Das ist ein bisschen wie Loch Ness: Alle reden drüber, aber keiner hat Nessie je gesehen. Es gibt keinen Mangel an Kapital für den Mittelstand und die Industrie. Allein die Genossenschaftliche Finanzgruppe wächst im Kreditgeschäft im Schnitt um etwa 5 Prozent im Jahr. Ähnlich ist es bei den Sparkassen. Lediglich der private Sektor hat sich bei dieser Entwicklung ein wenig zurückgehalten. Das zeigt einmal mehr die Bedeutung der Verbünde.

Aber: Insgesamt sinkt die volkswirtschaftliche Bedeutung der Kreditwirtschaft in Deutschland. Der Anteil des Bankensektors an der nationalen Wertschöpfung ist auf nur noch vier Prozent zurückgegangen. Das kann einem schon Sorge machen. Aber das muss nicht so bleiben. Denn offensichtlich ist Deutschland als Markt für Bankdienstleistungen sehr attraktiv, wie sich an den Ambitionen - und auch dem Erfolg - manch ausländischer Adresse hier zeigt. Wir dürfen uns dadurch angespornt fühlen.

Wäre die kolportierte Fusion von Deutscher und Commerzbank der richtige Schritt?

An solchen Spekulationen möchte ich mich nicht beteiligen. Das ist Sache der Anteilseigner. Jede Fusion bringt Synergien in Form von Einsparungen, jede Fusion bindet aber auch viele Kräfte. Die beteiligten Institute müssen nicht nur Willens, sondern auch in der Lage sein, einen solchen Weg zu gehen. Das sollte man bei solchen Überlegungen nie außer Acht lassen.

Wir bewegen uns in unserer Branche wie ein Fisch in Karamellsauce. Wir haben die Agilität, die man bräuchte, durch Fremdbestimmung ein Stück weit verloren. Und der politische Wille, Veränderungen zu begleiten oder zu forcieren, war bisher nicht sehr stark ausgeprägt, weil immer noch eine große Angst vor möglichen Risiken vorhanden ist. Die Konsolidierung wird sich auch weiterhin innerhalb der drei Säulen abspielen und sie wird getrieben von einer kontinuierlichen Verbesserung im Kundengeschäft, wie auch in den Betriebsabläufen und der Effizienzhebung. Der Traum von säulenübergreifenden Transaktionen ist derzeit unrealistisch, ebenso wie die immer wieder annoncierten Cross-Border-Transaktionen.

Zehn Jahre nach der Finanzkrise haben es zumindest die großen privaten deutschen Banken noch nicht geschafft, ihre Probleme zu bewältigen und nachhaltige Geschäftsmodelle zu entwickeln. Ganz anders die Amerikaner: War der Schritt einer Zwangskapitalisierung vielleicht doch die richtige Entscheidung damals?

Wir reden hier nicht nur über ein unterschiedliches Vorgehen bei der Krisenbewältigung, sondern in erster Linie über zwei komplett unterschiedliche Wirtschaftsräume. Auf der einen Seite ein geeintes Amerika mit einheitlichen Strukturen, die eine konzentrierte Aktion einfacher gemacht haben. Auf der anderen Seite steht ein nach wie vor von Einzelstaaten geprägtes Europa, wodurch Rettungsaktionen vor allem auf nationaler Ebene stattfanden. Hier kann man im Rückblick festhalten, dass ein beherzteres Durchgreifen und ein stärkerer Eingriff in Geschäftsmodelle im Einzelfall wohl besser gewesen wäre. Gleichzeitig gilt: Wir fühlen uns als Genossenschaftliche Finanzgruppe sehr wohl damit, dass wir diese Krise aus eigener Kraft gemeistert haben. Diese Entscheidung war ein Schlüsselmoment im Selbstverständnis unserer Organisation.

Sie haben 2006 den Posten des Vorstandsvorsitzenden bei der DZ Bank übernommen. War das ein ungünstiger Zeitpunkt?

Damals herrschte Goldgräberstimmung. Die Vertreter ausländischer Banken flanierten stolz über die Goethestraße in Frankfurt, nachdem sie vorher ihre strukturierten Produkte an den Mann gebracht hatten. Weder in der Branche selbst noch bei den Zentralbanken war irgendeine Ahnung vorhanden, dass wir kurz vor einer großen Krise stehen. Was dann passiert ist, ist bekannt und begleitet uns bis heute. Das waren schon noch ganz andere Zeiten damals. Unglücklich bin ich über den Zeitpunkt meines Eintritts aber nicht.

Und über was sind Sie glücklich, womit sind Sie zufrieden?

Wenn Sie auf frohe Erlebnisse in meiner Zeit bei der DZ BANK anspielen, sind vor allem drei Ereignisse zu nennen: Erstens, dass wir die Finanzkrise, wie erwähnt, ohne Staatshilfe bewältigt haben. Das hat uns auch dabei geholfen, dass wir mit ruhiger Hand unsere Grundstrategie "Verbund First" weiterentwickeln konnten. Man sollte nicht vergessen: Unsere Finanzgruppe hat ein Ratingupgrade auf AA- in 2011 erhalten. Zweitens die drei Kapitalerhöhungen, vor allem die jüngste über 1,5 Milliarden Euro, die sogar überzeichnet war. Das muss man sich einmal vorstellen und sich daran erinnern, wie wir früher beinahe mit dem Hut in der Hand über das Land ziehen mussten. Und drittens natürlich die Fusion der beiden Zentralbanken und damit der Abschluss der Konsolidierung im genossenschaftlichen Oberbau.

Die Fusion ist ausgesprochen geräuschlos gelaufen.

In der Tat. Das zeigt umso mehr, dass die Zeit reif war und dass die handelnden Personen den Auftrag der Organisation verstanden und entsprechend gehandelt haben. Ich verspüre derzeit eine große Einigkeit, was die zentralen Themen angeht, eine größere, als früher.

Liegt das nur an den handelnden Personen?

Das Entscheidende ist: Die Kohäsion ist größer geworden. Es wird mehr miteinander als übereinander geredet. Das hat viel damit zu tun, dass die Betriebswirtschaft und das Kaufmännische stärker in den Vordergrund gerückt sind. Früher hatten politische "Klassenkämpfe" schon einmal eine höhere Bedeutung. Wir alle wissen heute: Wenn wir die falschen Diskussionen führen und uns an den falschen Themen erschöpfen, fehlen die Kräfte an den wichtigen Stellen.

Es ist auch klar, dass gewisse Rahmenbedingungen, die keineswegs erfreulich sind, nicht geändert werden können. Die Gruppe muss also gemeinsam nach Lösungen in einem solchen Umfeld suchen. Auch dieses Bewusstsein hat spürbar zugenommen.

Was sind die größten Herausforderungen für Banken in diesem Umfeld?

Da kann ich nur für die DZ Bank und die Genossenschaftliche Finanzgruppe sprechen. Es sind die bekannten Themen wie Regulierung, Digitalisierung, aber auch die demografische Entwicklung. Für international agierende Banken kommt die zunehmend selbstbezogene Art der Amerikaner hinzu, die mit dem Dollar über die Leitwährung dieser Welt verfügen. Und solange man um seine Aktiva im Dollarraum fürchten muss, ballt man zwar die Faust in der Tasche, kann aber wenig tun. Am meisten aber müssen die Banken in Europa ein Fortführen der Niedrigzinspolitik fürchten. Wenn das noch fünf Jahre so weitergeht, wird es noch sehr viel schwieriger werden.

Wäre aber ein schneller Zinsanstieg nicht auch eine Gefahr?

Zunächst einmal würden viele Ergebniszahlen positiv beeinflusst werden, beispielsweise die Eigenanlage oder aber wegfallende Negativzinsen, die man derzeit kaum an seine Privatkunden weiterreichen möchte. Andererseits käme es durch die Mark-to-Market-Bewertung zu einiger Unruhe. Hier ist dann die Frage, wie viel die Institute verkraften können. Und da mache ich mir um unsere Bank und unsere Organisation keine Sorgen.

Das bilanzielle Eigenkapital der DZ-Bank-Gruppe betrug bei meinem Amtsantritt 2006 rund 10,8 Milliarden Euro. Ende 2017 liegt dieses bei 23,5 Milliarden Euro - bei gleichzeitig gestiegenen qualitativen Anforderungen an das Eigenkapital. Das Verbundkapital, also die Eigenkapitalausstattung der genossenschaftlichen Säule insgesamt, hat sich von 54,4 Milliarden Euro 2007 auf 104,4 Milliarden Euro Ende 2017 nahezu verdoppelt. Und das konsolidierte Jahresergebnis der Genossenschaftlichen Finanzgruppe hat sich im gleichen Zeitraum von 4,3 Milliarden Euro auf nun 8,9 Milliarden Euro mehr als verdoppelt. Natürlich werden wir bei bestimmten Szenarien wie einem schnellen und starken Zinsanstieg oder neuen Unruhen an den Märkten auch Rückschläge erleiden, die sich bilanziell auswirken werden. Aber wir haben die Substanz geschaffen, das aushalten zu können. Es trifft keinen nackten Mann.

Starke Zahlen in einem herausfordernden Umfeld also: Was macht Ihre Gruppe besser als andere?

Zunächst einmal hat die Gruppe der Volksbanken Raiffeisenbanken eine Historie. Die Institute haben über Jahrzehnte schon vieles erlebt, auch die DZ Bank einschließlich ihrer Vorgängerinstitute. Darauf aufbauend haben wir in den vergangenen Jahren eine von Vertrauen geprägte Zusammenarbeit und ein Geschäftsmodell entwickelt, das nachhaltig ist. Dieses Geschäftsmodell ist der Realwirtschaft, also den Firmen- und Privatkunden, den institutionellen Kunden und - bezogen auf die DZ Bank - natürlich den Primärbanken als unseren wichtigsten Kunden und Eigentümern verbunden. Und natürlich hilft es, dass die Regulatorik solche Geschäftsmodelle etwas begünstigt, unabhängig von den zunehmen den Einschränkungen bei Handels- und Kapitalmarktgeschäften und Derivaten, die von der Aufsicht heute völlig anders angerechnet werden als früher. Ein wichtiger Punkt ist das Vertrauen und die Unterstützung der Aktionäre. Ich habe die Kapitalerhöhungen schon erwähnt. Ohne die se Unterstützung hätten wir unsere Strategie nicht so ruhig entwickeln können.

Und schließlich ist es ein großes Glück, ein Vorstandsteam zu haben, das in dieser strategischen Ausrichtung Gleichklang verspürt. In den Ratinggesprächen gibt es mittlerweile zwischen meiner strategischen Positionierung am Anfang, den vertiefenden Berichten der Kollegen aus den einzelnen Geschäftsfeldern und dem "Wrap-up" am Abend keinen Dissens mehr. Das war auch schon mal anders. Das zeigt: Dies ist kein Vorstandsteam von Einzelkämpfern, sondern ein Vorstand, für den der Erfolg der Finanzgruppe die zentrale Rolle bei der Ausrichtung der DZ-Bank-Gruppe spielen.

Ist es in den vergangenen Jahren schwieriger geworden, eine Bank zu führen, Vorstand zu sein?

Die Rahmenbedingungen sind heute schon anspruchsvoller geworden. Ich spreche da gerne vom "Triple trouble", also der Mixtur aus Zins, Regulierung und der Notwendigkeit zum Umbau des Geschäftsmodells. Keiner konnte sich vor zehn oder zwölf Jahren vorstellen, dass wir in einer Welt mit einer derart lange anhaltenden Niedrigzinspolitik agieren müssen. Die EZB, die eine politische Institution geworden ist, hat die Steuerungsgröße Zins abhanden kommen lassen. Dadurch sind ganz wesentliche Ertragsströme unter Druck geraten.

Vielleicht war aber auch das Bankgeschäft früher schlicht zu einfach. Ganz am Anfang meiner Karriere habe ich auch schon einmal mit dem Posten eines Hypothekenbank-Vorstands geliebäugelt. Die wussten im Januar, wie das Jahresendergebnis werden wird, wenn sie ein bisschen Selbstbeherrschung zeigten, keine zu großen Tickets nahmen und nicht zu viele riskante Staatsanleihen kauften. Das war eine begreifbare, planbare Welt.

Heute ist die Planung sehr anspruchsvoll geworden. Jede Bank arbeitet mittlerweile mit mehreren Szenarien. Es gibt ein Basisszenario, an dem sich die Ergebnisplanung, die Kapitalbeschaffung, die Erfüllung regulatorischer Aufgaben und alles Weitere ausrichtet. Aber man muss immer auch bedenken, was bei Eintritt eines adversen Szenarios - und dazu gehören ja auch disruptive Entwicklungen - passiert. Das Bankgeschäft ist durch die Rahmenbedingungen ein ganzes Stück unberechenbarer geworden.

Welchen Stellenwert nimmt die Regulierung mittlerweile im Leben eines Bankvorstands ein?

Einen sehr, sehr großen. Der Umgang mit all den Vorschriften ist deutlich anstrengender geworden. Der Traffic, den die Institutionen EZB, EBA, Bundesbank und BaFin erzeugen, hat ein enormes Ausmaß angenommen und zuweilen fällt auch die innere Akzeptanz schwer, wenn ich nur an die vom Kunden abgewandten Verbraucherschutzgesetze denke.

Sie haben die Bedeutung des Geschäftsmodells für den Erfolg der Organisation bereits betont: Wie schwierig ist es, in diesem Umfeld und mit dieser hohen Arbeitsbelastung die richtige Gesamtstrategie zu entwickeln?

Das ist zwar auch anspruchsvoll, aber es ist eine unternehmerische Aufgabe, die Freude bereitet. Hier geht es um Wettbewerb, um Produkte und Dienstleistungen für den Kunden, um Schnittstellen. Ich glaube, das haben wir ganz gut hinbekommen - und werden auch weiterhin nicht stillstehen. Für den künftigen Erfolg wird entscheidend sein, wie es gelingt, junge Menschen weiterhin für unsere Organisation zu begeistern. Da ist der Verbund mit seiner VR Banking App, mit Kwitt und anderen Angeboten mit unmittelbarem Kundennutzen auf einem guten Weg. Gerade hier zeigt sich die große Bedeutung der Rechenzentrale. Früher war diese für mich in der Wahrnehmung weiter weg. Heute geht keine strategische Entscheidung mehr ohne dieses Kompetenzzentrum.

Überhaupt steigt die Bedeutung der IT für Banken immer mehr. Werden Banken der Zukunft "andere" IT-Konzerne sein?

Hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, denn derzeit entwickeln sich verschiedene Strömungen im Bankgeschäft. Es gibt große Internetkonzerne, die in den Zahlungsverkehr einsteigen. Es gibt Fintechs - manchmal eher "Techfins", die sich an vielen Stellen breit machen. Und es gibt eben uns als etablierte Banken. Was sich noch finden muss und wird, ist das Zusammenspiel. Die einen haben vielleicht mehr Kreativität, sind schlanker und schneller, haben vielleicht die modernere IT. Aber die Banken haben die Kunden und ihr Vertrauen. Mir ist um die Zukunft unserer Organisation nicht bange. Wenn die Experimentierphase einmal vorbei ist, Schnittstellen definiert sind und sich einheitliche Standards durchgesetzt haben, wird die Genossenschaftliche Finanzgruppe mit ihren mehr als 30 Millionen Kunden vorne dabei sein.

Denn vieles ist schon gut vorbereitet beziehungsweise in Arbeit. Bei der Fusion von DZ und WGZ Bank wurde bewusst die Entscheidung für nur ein IT-System getroffen - wie auch jetzt bei der Fusion von DG Hyp und WL Bank. Ansonsten können viele Themen in den "Center of Competences" weiterentwickelt werden. Zum Beispiel basteln die Bausparkasse Schwäbisch Hall und die R+V Versicherung an einer Lösung für den Vertrieb ihrer Produkte über Plattformen. Hier könnte man reflexhaft sagen: Was soll das? Denn immerhin öffnet sich die Genossenschaftliche Finanzgruppe damit für Drittanbieter und kannibalisiert den eigenen Vertrieb und den über die Volksbanken und Raiffeisenbanken. Der Anspruch muss aber sein, dem Kunden immer dort eine Lösung bieten zu können, wo man ihn antrifft. Und Plattformen sind zusätzliche Wachstumsvehikel für die Zukunft.

Wie werden in einem solchen "Plattform-Szenario" die Erlöse verteilt? Ist das nicht ausgesprochen schwierig, wenn Fremdanbieter ihre Produkte verkaufen dürfen, und auch Nicht-Volksbank-Kunden Produkte erwerben können?

Das gilt es zu erarbeiten. Mit dem Plattform-Gedanken ist die Hoffnung verbunden, mehr Kunden zu gewinnen und somit die Nettogröße der Kunden in der Genossenschaftlichen Finanzgruppe weiter zu erhöhen. Hinsichtlich der Erlösverteilung werden über die verschiedenen Pilotprojekte derzeit Erfahrungen gesammelt und dann den Gremien präsentiert. Wir haben die große Chance, neue Kunden zu gewinnen und neue Kundengruppen besser zu erschließen. Darum muss es uns doch in erster Linie gehen. Die Bereitschaft, etwas auszuprobieren, ist in der Organisation auf jeden Fall vorhanden.

Sie haben das Thema Fintechs bereits angesprochen: Welche Rolle werden diese künftig in der Bank-Kunde-Beziehung spielen?

Fintechs leisten einen wichtigen Beitrag, das Geschäftsmodell von Banken zukunftsfähig zu machen, indem sie sich sehr kundenorientiert meist auf einzelne Dienstleistungen fokussieren und diese technisch unterstützt einfacher, schneller und sicherer machen. Wird das die Wertschöpfung und die Fertigungstiefe der Kreditinstitute nachhaltig verändern? In der Automobilindustrie wird das Verhältnis von Zulieferindustrie und Herstellern seit vielen Jahren immer wieder neu austariert. Für Fintechs und Kreditwirtschaft erwarte ich, dass sich solche Kooperationsmodelle ebenfalls durchsetzen werden. Banken haben die Kunden und die Investitionskraft, Fintechs die technischen Fertigkeiten. Und selbst die großen Internetkonzerne, die sicherlich die Investitionskraft hätten, suchen die Verbindung zu den Banken. Hier kommt es auch im Interesse der Kunden darauf an, die Schnittstellen, sprich den Umgang mit den Daten und die Erlösverteilung so zu organisieren, dass beide Seiten Spaß daran haben - oder auch bewusst Grenzen gezogen werden.

Wie passt Ihre Überzeugung der großen Bedeutung der 100-Prozent-Beteiligung zu diesen Kooperationsüberlegungen?

Das sind zwei verschiedene Dinge: Regulatorisch werden Minderheitsbeteiligungen heute bestraft, von daher bin ich nach wie vor der Überzeugung, dass bei strategischen Beteiligungen im Kerngeschäft auf Dauer nur ein Anteil von 100 Prozent Sinn macht. In der Zusammenarbeit mit Fintechs und den Apples und Googles muss aber auf den ersten Blick keine Kapitalunterlegung erfolgen. Von daher passen die beiden Aussagen sehr gut zusammen.

Es wird immer wieder von der Notwendigkeit einer Überprüfung der regulatorischen Vorschriften und den Wechselwirkungen gesprochen: Wird es dazu kommen?

Es muss dazu kommen und dazu gehört politischer Mut und der Wunsch nach einem starken Bankensektor. Ich gehe davon aus, dass der Gedanke der "Small Banking Box", die für mehr Proportionalität sorgen wird, in irgendeiner Form noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird. Das wäre schon ein wichtiger Schritt.

Kommt für die DZ-Bank-Gruppe eine stärkere Hinwendung zum Kapitalmarkt infrage, beispielsweise durch Börsengänge bei Töchtern?

Nein. Ich bin beseelt von unserem dezentralen Geschäftsmodell, das von verantwortlichen Eigentümern getragen wird, die auch Willens und in der Lage sind, im Bedarfsfall Kapital zur Verfügung zu stellen. Ohne die drei Kapitalerhöhungen in meiner Amtszeit stünden die DZ Bank und die ganze Genossenschaftliche Finanzgruppe heute nicht da, wo sie stehen. Die Fremdbestimmtheit, die mittlerweile der Kapitalmarkt beziehungsweise die Abhängigkeit von bestimmten Investoren mit sich bringt, passt nicht zur Strategie "Verbund First". Dann gäbe es den Zusammenhalt, der diese Organisation auszeichnet, in dieser Stärke nicht.

Sie betonen immer wieder die Geschlossenheit des Verbundes, die Einigkeit der Anteilseigner. Könnte das Holdingmodell an dieser Verbundenheit etwas ändern?

Im Kern geht es bei dem Holding-Projekt darum, eine saubere Trennung von Geschäftsbank- und Holdingaktivitäten und damit eine höhere Sichtbarkeit der Dividendenströme zu erreichen. Bevor aber eine finale Entscheidung pro oder contra Holding im Sinne einer rechtlichen Trennung fallen kann, muss eine ganze Menge an Erkenntnissen gesammelt werden. In einem ersten Schritt haben wir eine Doppelspitze installiert, in der Uwe Fröhlich sich künftig verstärkt um die Geschäftsbankaktivitäten kümmert und Cornelius Riese die Holdingaufgaben abdeckt - beides unter dem Dach der DZ Bank AG. Zudem wurde ein zentraler Beirat eingerichtet. All dies sind wichtige Schritte zu dem angesprochenen notwendigen Erkenntnisgewinn. Und irgendwann muss dann darüber entschieden werden, ob es die eigenständige Holding tatsächlich braucht oder ob die gewünschte Transparenz auch anders hergestellt werden kann, ob der Transparenzgewinn beziehungsweise der Nutzen einer Holdingstruktur den damit verbundenen Aufwand rechtfertigt.

Welche Priorität hat die Holding derzeit?

Wir machen einen Schritt nach dem anderen: Das anspruchsvolle Umfeld haben wir schon angesprochen. Die Fusion der Zentralbanken wie auch der beiden Hypothekenbanken ist gerade erst über die Bühne gegangen. Daneben erarbeiten wir uns kluge Lösungen für die DVB. Hier ist ein Abschmelzen der Bilanzsumme das Ziel. Der Umbau der VR-Leasing hin zu einem spezialisierten Dienstleister im Gewerbefinanzierungsgeschäft beschäftigt uns ebenfalls. Und nicht zuletzt suchen wir nach einer wetterfesten Aufstellung für die DZ Privatbank. All das zeigt, dass es in einer so großen Allfinanzgruppe viele Themen gibt, die es zu lösen gilt und die auch Rückwirkungen auf unsere Holdingüberlegungen haben. Wir haben unseren Eigentümern im Zuge der Fusion zugesagt, dieses Thema sauber aufzubereiten und ihnen zu gegebener Zeit eine Entscheidungsgrundlage zu unterbreiten. Das wird der Vorstand dieser Bank auch tun. Wir machen nur keine Trockenschwimmübungen.

Wozu brauchen immer größer werdende Volksbanken und Raiffeisenbanken überhaupt noch die Zentralbankfunktion der DZ Bank?

Veränderte Strukturen bei den Genossenschaftsbanken in Form größerer Einheiten müssen ihren Widerhall in der Aufstellung und dem Produkt- und Dienstleistungsangebot der DZ Bank finden. Eine größere Risikotragfähigkeit bei den Primärbanken führt im Kreditgeschäft zu höheren Volumina. Das ist auch gut so, denn wir wollen ja gemeinsam wachsen. Und dann wird man die DZ Bank verstärkt im Kapitalmarktgeschäft benötigen, das auch im Mittelstand immer stärker Einzug hält. Im Übrigen glaube ich, dass uns unserer Organisation weitere Aufgaben überträgt, wenn diese unter dem Stichwort "shared services" besser und effizienter erledigt werden können.

Kann eine Volksbank auch zu groß werden, droht dann die Gefahr, die genossenschaftliche Identität zu verlieren?

Diese Frage kann man nicht pauschal beantworten. Eine Genossenschaftsbank sollte nur so groß werden, wie es der Wirtschaftsraum zulässt, den sie abdeckt. Und dieser Wirtschaftsraum wird von vielen Facetten bestimmt, nicht allein von der Größe. Unser Verbund ermöglicht schließlich unterschiedliche Betriebsgrößenordnungen.

Funktioniert die Arbeitsteilung im Verbund, oder sehen Sie hier noch Verbesserungspotenzial?

Ja, sie funktioniert und gerade durch die jüngsten Konsolidierungen auf Zentralinstitutsebene und bei den Rechenzentralen sind wir nicht nur schlanker, sondern auch noch schlagkräftiger geworden. Die Aufgaben sehe ich klar verteilt und gleichzeitig auch eine ebenso große Geschlossenheit, was die gemeinsamen Ziele angeht. Ungeachtet dessen gilt: Die Arbeitsteilung im Verbund wird sich auch immer wieder an den Herausforderungen der Zeit messen lassen müssen. Der für den Verbund so maßgebliche Gedanke der Subsidiarität bleibt auch hierbei die Richtschnur.

Der BVR reklamiert für sich, das Strategiezentrum der Genossenschaftlichen Finanzgruppe zu sein. Sie sprechen von den Verbundinstituten als Competence-Center, in denen die maßgeblichen Entscheidungen getroffen werden. Ist das ein Widerspruch?

Ich kann hier keinen Widerspruch erkennen. Die Zuständigkeiten innerhalb unserer Organisation sind klar definiert, die kontinuierliche Abstimmung durch unser Gremienstruktur sichergestellt. Wir haben vier Kraftzentren: Die Genossenschaftsbanken, den BVR, die Rechenzentrale und die DZ-Bank-Gruppe. Wir vier müssen intensiver zusammenarbeiten und dabei niemals vergessen, wer die Eigentumsrechte wahrnimmt.

Eine letzte Frage: Wenn Sie noch einmal die Wahl hätten, würden Sie wieder Banker werden?

Ich würde sicherlich wieder eine kaufmännische Tätigkeit übernehmen. Das entspricht meinem Naturell. Das könnte in einem Handelsunternehmen sein, das könnte in der Industrie sein, das könnte aber auch wieder in einer Bank sein. Aber auch wenn ich sehr gerne bei der Deutschen Bank und in der Folge in der genossenschaftlichen Familie gearbeitet habe, muss man sich heute schon fragen, ob man noch Organverantwortung in einer Bank übernehmen möchte. Die Arbeitsbelastung ist enorm und die Haftungsrisiken nehmen immer nur zu. Man muss sich sogar die Frage gefallen lassen, ob man "Fit and Proper" ist.

Wolfgang Kirsch Vorsitzender des Vorstands, DZ BANK AG, Frankfurt am Main
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