Redaktionsgespräch mit Martin Zielke

"Nur der Euro ist in der Lage, mit den großen Währungen der Welt mitzuhalten"

Martin Zielke, Foto: Commerzbank AG

Die Spekulationen um eine mögliche Großbankenfusion in Deutschland reißen nicht ab. Auch Commerzbank-Chef Martin Zielke sieht die Bundesrepublik als "overbanked" an, meint damit aber in erster Linie die vielen kleinen Banken. Vor allem die mangelnde Profitabilität bereitet ihm Kopfzerbrechen. Allerdings bleiben die Rahmenbedingungen mit Handelskonflikten, Brexit, Niedrigzinsen, Digitalisierung und Regulierung anspruchsvoll. Dem will die Commerzbank mit Wachstum bei Kunden und Assets, verstärkter Digitalisierung der eigenen Prozesse sowie hohem Kostenbewusstsein begegnen. (Red.)

Herr Zielke, mit welchen Gefühlen gehen Sie in das Bankenjahr 2019?

Unsere Branche befindet sich weiter in einem tiefgreifenden Strukturwandel. Dieser wird auch das Jahr 2019 prägen. Wir müssen daher unsere Bank zukunftssicher machen. Und das in einem schwierigen Umfeld, das von politischer Unsicherheit geprägt ist. Denken Sie nur an die derzeitigen Handelskonflikte, an den Brexit, an die populistischen Strömungen auch bei uns. Ich denke, dass Europa bei der Lösung dieser Herausforderungen eine Schlüsselrolle zukommt.

Was werden aus Ihrer Sicht die beherrschenden Themen sein?

Ich befürchte, die politischen Entwicklungen werden auch das Jahr 2019 prägen. Auf politische Entwicklungen können wir als Bank aber nur begrenzt Einfluss nehmen. Das bedeutet, dass wir uns noch entschlossener dem Strukturwandel stellen müssen. Digitalisierung, Cloud-Computing, maschinelles Lernen oder Blockchain sind operative Themen, mit denen wir uns intensiv beschäftigen.

Was erwarten Sie sich für die Commerzbank? Welches sind Stellschrauben, an denen Sie mit Blick auf Verbesserungen noch drehen wollen?

Wir setzen konsequent unsere Strategie um. Das heißt, wir konzentrieren uns auf weiteres Wachstum bei Kunden und Assets sowie auf die Steigerung unserer Erträge. Gleichzeitig senken wir unsere Kosten und digitalisieren unsere internen Prozesse.

Wie sehr schmerzt inzwischen die anhaltende Niedrigzinsphase? Gibt es für eine Fortführung angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung im Euroraum und des Anstiegs der Inflationsrate überhaupt noch eine Berechtigung?

Klar, höhere Zinsen würden uns helfen. Dazu wird es unserer Meinung nach aber nicht so bald kommen. Daher müssen wir die Belastungen aus dem negativen Zinsumfeld mit Wachstum kompensieren. Schließlich trifft das ja alle Banken im Euroraum. Wir konzentrieren uns auf das, was wir beeinflussen können.

Wie würden Sie die künftige Bedeutung des Finanzplatzes Deutschland im europäischen Vergleich einordnen?

Eine exportorientierte Wirtschaft braucht einen international wettbewerbsfähigen Finanzplatz. Und ein starker Finanzplatz braucht starke Banken. Die Chancen für den deutschen Standort stehen damit zwar nicht schlecht. Wir müssen in Deutschland die Rahmenbedingungen aber wieder so setzen, dass der Standort auch in Zukunft für Banken attraktiv bleibt. Denn der Brexit wird zu erheblichem Wettbewerb unter den Finanzplätzen führen. Das ist bereits deutlich spürbar.

Werden international tätige deutsche Banken vom Brexit profitieren?

Der Brexit verursacht erst einmal Kosten. Er ist ein Verlust für alle, egal ob es für die Briten eine weiche oder harte Landung geben wird. Der zu verteilende Kuchen für das Bankgeschäft in Europa wird zunächst kleiner, nicht größer. An der unzureichenden Profitabilität wird auch der Brexit kaum etwas ändern.

Drohen durch die doch recht strenge europäische Regulierung Wettbewerbsnachteile gegenüber Instituten aus anderen Ländern, vor allem aus Amerika und China?

Die Regulierungsmaßnahmen, die im Anschluss an die Finanzkrise ergriffen wurden, waren zum weit überwiegenden Teil richtig und wichtig. Nach 10 Jahren sollte man jedoch innehalten und überprüfen, ob alles die beabsichtigte Wirkung hatte und in sich schlüssig ist. Tatsächlich haben die Amerikaner bereits damit angefangen, ihre Regulierung langsam zu rekalibrieren. Im Vergleich dazu läuft die Regulierungsmaschinerie in Europa noch auf vollen Touren. Ich fordere keine flächendeckende Deregulierung. Deutsche Banken brauchen aber international gleiche Wettbewerbsbedingungen.

Also am Ende doch wieder ein Plädoyer für weniger Regulierung?

Nein, das ist mir zu pauschal. Gut durchdachte Regulierung kann auch eine Chance sein. Europa hat mit der Datenschutzgrundverordnung einen internationalen Maßstab gesetzt. Ich bin der festen Überzeugung, dass der vertrauensvolle und sichere Umgang mit Daten im Zuge der weiteren Digitalisierung zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor werden wird. Datenschutz "made in Europe" hat großes Potenzial!

Wie ernst meinen es die Regulatoren mit der Überprüfung der Vorschriften? Dürfen Sie auf Anpassungen, vielleicht sogar Erleichterungen hoffen?

Bisher kann ich leider nicht erkennen, dass Vorschriften gelockert werden sollen. In den vergangenen Jahren ist aber viel passiert und das System ist sicherlich robuster geworden ist. Es wäre in der Tat klug, die Regeln nun erst einmal wirken zu lassen. Ständig neue Vorschriften einzuführen, erzeugt nur zusätzliche Kosten und weitere Unsicherheit. Einige Regelwerke müssten aus meiner Sicht aber sogar dringend überprüft werden. Denken Sie an MiFID II, ein bürokratisches Monster, dass erhebliche Nachteile für Bankkunden und deren Beratung verursacht hat.

Welche strukturellen oder rechtlichen Weiterentwicklungen für den Finanzplatz Deutschland würden Sie begrüßen?

Wie bereits gesagt: Ein wirklich starker Finanzplatz Deutschland kann langfristig nur mit starken deutschen Banken existieren. Hierfür brauchen wir eine engagierte und nachhaltige Standortpolitik. Zu dieser Politik gehört ein Rückbau übermäßiger Bürokratie und Regulatorik. Auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene sollten wir versuchen, die Koordination zwischen den einzelnen Behörden zu erhöhen, um Belastungen durch Doppelungen und Inkonsistenzen zu reduzieren.

Welche Bedeutung hat die nunmehr 20 Jahre alte Währungsunion für die Zukunft Europas?

Für mich ist ganz klar: Nur der Euro ist in der Lage, mit den großen Währungen der Welt mitzuhalten. Nationale Währungen wären heute nahezu bedeutungslos. Gerade die jüngsten Auseinandersetzungen in der Handelspolitik zeigen, wie wichtig eine international akzeptierte Währung für Europa ist. Der Euro ist eine der größten politischen Errungenschaften der EU und hat eine hohe symbolische Bedeutung für die Menschen. Er ist gewissermaßen ein Stück europäische Integration zum Anfassen. Trotz der Turbulenzen der letzten Jahre hat der Euro nicht an Wertschätzung verloren.

Welche Schritte hin zu einem noch einheitlicheren Europa halten Sie für notwendig?

Die Vollendung von Bankenunion und Kapitalmarktunion sind von zentraler Bedeutung, nicht nur für die Banken. Wir leisten uns immer noch viel zu viel Fragmentierung und Kleinstaaterei. Leider gibt es auf nationaler Ebene nach wie vor viel wechselseitiges Misstrauen, das eine weitergehende Integration behindert. Das hat auch damit zu tun, dass sich innerhalb der Banken- und Währungsunion nicht immer alle an die Spielregeln halten.

Mit wie viel Sorge beobachten Sie die Entwicklung in Italien?

Sollte sich der Handelsstreit zwischen USA und China zuspitzen und es einen harten Brexit geben, könnte der bisherige Kurs der italienischen Regierung zu diesem gefährlichen Mix beitragen. Ich hoffe und glaube aber eher, dass die Regierung in Rom erkennen wird, dass ein Konfrontationskurs mit den EU-Institutionen am Ende nur Nachteile für Italien bringt. Das hat auch die Reaktion der Märkte gezeigt.

Wie sehr beunruhigt Sie das Thema der NPL-Belastung bei Banken in anderen europäischer Länder? Auch mit Blick auf möglichen weiteren Regelungsbedarf durch EBA oder EZB?

Die jüngsten Zahlen dokumentieren, dass die Problemkredite in der EU insgesamt zurückgehen. Insofern haben wir Grund für vorsichtigen Optimismus. Leider sind in einigen Mitgliedsstaaten die Bestände nach wie vor viel zu hoch. Hier müssen Anreize geschaffen werden, die Bilanzen zügig zu bereinigen. Die geplanten Erleichterungen im Falle von Portfoliotransaktionen gehen zwar in die richtige Richtung. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das ausreichen wird.

Ist Deutschland overbanked? Wie würde die Commerzbank von der Konsolidierung in Deutschland profitieren?

Keine Frage, Deutschland ist immer noch overbanked. Wir haben viel zu viele vor allem kleine Banken. Das hat nicht zuletzt mit unserem Drei-Säulen-Modell zu tun. Die Profitabilität ist im Durchschnitt eher schwach. Es ist deshalb dringend erforderlich, dass sich die Politik für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Banken einsetzt. Ansonsten drohen wir im europäischen und internationalen Vergleich weiter zurück zu fallen. Wir haben immer gesagt, dass Konsolidierungsschritte grundsätzlich sinnvoll sind.

Wird es vermehrt zu grenzüberschreitenden Fusionen in Europa kommen?

Das sehe ich kurzfristig nicht: Cross- Border-Fusionen sind sehr komplex. Außerdem ist das rechtliche und regulatorische Umfeld auch in Europa noch nicht hinreichend vereinheitlicht.

Wer werden künftig Ihre Hauptwettbewerber sein - andere deutsche Banken, ausländische Institute, Fintechs oder Technikunternehmen? Kann man eine solche Frage überhaupt noch pauschal beantworten?

Finanztechnologien werden den Bankenmarkt verändern. Die meisten Fintechs setzen dabei aber auf Zusammenarbeit mit den Banken - und wir kooperieren auch. Das weitaus spannendere Thema sind Digital Giants wie Google, Amazon, Apple oder Alibaba. Aber auch etablierte Unternehmen aus anderen Branchen drängen auf den Markt, insbesondere im Zahlungsverkehr. Sie scheuen aber die strenge Bankenregulierung. Es muss daher sichergestellt sein, dass auch diese Tech Giants der gleichen Regulierung wie Banken unterliegen, wenn sie Bankgeschäft betreiben. Die Hürden im Bankgeschäft sind hoch. Und wir Banken haben Erfahrung darin, innerhalb des bestehenden Rahmens zu wirtschaften. Das müssen andere Unternehmen erst noch zeigen.

Können klassische Banken mit Technikunternehmen, die sich Teile aus der Wertschöpfungskette der Finanzdienstleister herauspicken, überhaupt mithalten? Wo sehen sie Vorteile für die Kreditwirtschaft?

Banken haben nach wie vor entscheidende Vorteile: unser spezifisches Finanz-Know-how und umfassendes Produktangebot, die Kompetenz im Umgang mit regulatorischen Anforderungen und vor allem der langjährig erprobte, verantwortungsvolle Umgang mit sensiblen Kundendaten.

Brauchen wir in Deutschland eine eigene Cloud-Lösung?

Mit der DSGVO wurden erstmals weitgehend einheitliche Regeln zur Verarbeitung von personenbezogenen Daten erlassen. Das müssen wir nutzen - zum Beispiel mit dem Aufbau einer europäischen Cloud-Lösung. Mir ist natürlich klar, kurzfristig wird kein europäisches Pendant zu Amazon, Google und Co. herbeizuführen sein. Dennoch ist eine europäische Cloud-Lösung dringend notwendig, um technologisch nicht den Anschluss gegenüber amerikanischen und chinesischen Anbietern zu verlieren. Das ist eine Frage der europäischen Wettbewerbsfähigkeit.

Die Commerzbank arbeitet seit Sommer bei der Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen mit sogenannten "Clustern", in denen Mitarbeiter abteilungsübergreifend zusammenwirken. Wie fällt ein erstes Fazit dieser Vorgehensweise aus?

Wir haben schon vor zwei Jahren mit unserem Digital Campus agiles Arbeiten in fachübergreifenden Teams ausprobiert und viel gelernt. Der nächste Schritt ist die enge und direkte Zusammenarbeit von Fach- und IT-Experten, über den wir aktuell mit den Gremien sprechen. Unsere ersten projekthaften Erfahrungen stimmen mich sehr positiv.

Das Thema Mitarbeiter wird immer wichtiger: Gewinnen Banken immer noch die wichtigen Köpfe, oder fehlt es ihnen dafür an Attraktivität?

Bei der Commerzbank gewinnen wir regelmäßig Talente aus den unterschiedlichsten Fachgebieten und Karrierestufen. Das gilt für klassische Banker wie für andere Berufsprofile. Unser Big-Data-Chef zum Beispiel hat früher bei Google gearbeitet. Für Nachwuchskräfte bieten wir ein digitales Trainee-Programm mit internationalen Stationen an. Ich finde, wir sind ein sehr attraktiver Arbeitgeber.

Um Mitarbeiter noch besser in Strategie und Entwicklung einzubinden, muss eine Kultur des Fehlermachens zugelassen werden. Haben wir in Deutschland allgemein und bei Banken speziell hier noch Nachholbedarf?

Fehler gehören zum kreativen Prozess. Immerhin kann man aus ihnen lernen. Dieser Lernprozess ist für uns sehr wichtig. Wir veranstalten regelmäßig "Fail Nights", bei denen Kollegen vor internem Publikum von Rückschlägen im Arbeitsalltag berichten. Das bringt uns als Organisation weiter.

Spielen finanzielle Anreize für Mitarbeiter immer noch eine ähnlich große Rolle wie in früheren Jahren oder verschiebt sich der Fokus auf andere Themen wie Flexibilität, Arbeitszeiten, Homeoffice und Ähnliches?

Geld ist wichtig, aber längst nicht alles. Unsere Mitarbeiter wünschen sich flexible Regelungen, um ihre Arbeitszeit mit ihrer Lebenssituation in Einklang bringen zu können. Mit verschiedenen Teilzeit- und flexiblen Arbeitszeitmodellen können unsere Mitarbeiter ihre Arbeitszeit individuell gestalten. Wir bauen das kontinuierlich aus und setzen auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und das ist die Grundvoraussetzung dafür, ein attraktiver Arbeitgeber zu bleiben.

Martin Zielke Vorsitzender des Vorstands, Commerzbank AG, Frankfurt
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