Redaktionsgespräch mit Timur Peters

"Die Risikovorsorge ist bei vielen Instituten längst nicht so, wie sie sein müsste"

Timur Peters, Foto: Debitos

Dass die Corona-Krise zu steigenden Kreditausfällen führen wird, bezweifelt eigentlich niemand. In Bezug auf den Umfang gibt es jedoch unterschiedliche Prognosen. Timur Peters erwartet, dass sich das Volumen der Non-Performing Loans in Deutschland auf etwa 100 Milliarden Euro verdreifachen wird, im Euroraum rechnet er mit einer Verdopplung auf eine Billion Euro. Ein mögliches Problem, insbesondere für die Banken, sieht er in dem Insolvenzaussetzungsgesetz, falls es dazu führt, dass später eine große Menge von Krediten auf einmal ausfällt. Bewegung durch Corona sei auch schon auf der NPL-Plattform von Debitos zu erkennen. Doch die Banken versuchen dabei eher Altlasten loszuwerden, um für künftige Corona-bedingte Ausfälle besser gerüstet zu sein. Diese könnten dann vor allem aus dem Mittelstand kommen, da dieser am stärksten von der Krise betroffen sei und auch schlechtere Refinanzierungsmöglichkeiten als Großkonzerne habe. (Red.)

Herr Peters, die Beratungsgesellschaft ZEB erwartet in ihrer European Banking Study eine Versechsfachung der Wertberichtigungen für Kreditausfälle alleine bei den 50 größten europäischen Banken im Worst-Case-Szenario auf 280 Milliarden Euro. Die EBA rechnet in diesem Szenario mit einem Anstieg der Ausfälle auf einen Wert von 3,8 Prozent der Risk-weighted Assets (RWA). Teilen Sie diese pessimistischen Einschätzungen?

Die Kreditausfälle werden im Zuge der Corona-Krise definitiv zunehmen. Wir gehen davon aus, dass die Auswirkungen auf den Kreditmarkt im dritten Quartal deutlich zu spüren sein werden. Die Bundesvereinigung Kreditankauf und Servicing (BKS) rechnet damit, dass sich allein in Deutschland das Volumen der Non-Performing Loans (NPL) von aktuell rund 33 auf etwa 100 Milliarden Euro verdreifachen wird. Und gegenüber den südeuropäischen Ländern wie Italien und Spanien wird es hier vermutlich noch einigermaßen glimpflich ablaufen. Wir schätzen aktuell, dass sich das NPL-Gesamtvolumen im Euroraum von derzeit rund 500 Milliarden Euro auf eine Billion Euro im Jahr 2021 verdoppeln wird.

Es wurde auch schon diskutiert, für den Abbau der ausgefallen Kredite eine European Bad Bank einzuführen. Zuletzt war wieder vermehrt zu hören, dass die Europäische Zentralbank diese Pläne vorantreibe. Was würden Sie von einem solchen Schritt halten?

EZB-Chefaufseher Andrea Enria hat bereits 2017 eine Bad Bank für den Euroraum ins Spiel gebracht. Damals war er noch Chef der Europäischen Bankenaufsicht EBA. Jetzt kommt das Thema aufgrund der Corona-Krise natürlich wieder hoch. Letztendlich haben sich Länder wie Deutschland schon in der Vergangenheit gegen solche Projekte gewehrt, weil sie nicht für die Risiken in den Bankbilanzen in Italien oder Griechenland in Haftung genommen werden wollen. Daran scheitert ja auch schon seit Jahren eine gemeinsame europäische Einlagensicherung. Für einzelne Länder mag es sinnvoll sein, die Kräfte in einer Abwicklungseinheit wie einer Bad Bank zu bündeln. Für den gesamteuropäischen Markt bedeutet das allerdings einen wahnsinnig großen Aufwand und zähe Verhandlungen mit ungewissem Ausgang.

Glauben Sie, dass der Rettungsschirm der Bundesregierung geeignet ist, einen massiven Anstieg der Kreditausfälle zu verhindern?

Der Rettungsschirm der Bundesregierung zögert eine Pleitewelle zumindest hinaus - das kann man definitiv so sagen. Dadurch kommt es auch nicht direkt zu einem sprunghaften Anstieg ausgefallener Kredite. Wie lange das allerdings gut geht, hängt extrem davon ab, wie lange Kontaktbeschränkungen in dem Maße, wie wir sie jetzt erleben, nötig sind oder vielleicht sogar eine zweite oder dritte Welle im Herbst oder Winter auf uns zukommt. Davon sind einige Schlüsselindustrien wie die Gastronomie, Hotellerie und Luftfahrt so direkt betroffen, dass man das über längere Zeit nicht auffangen kann. Wir müssen mit einer steigenden Anzahl von Insolvenzen rechnen - für eine solche Aussage muss man kein Prophet sein. Wie hoch die Zahl der Firmenpleiten in Deutschland und ganz Europa dann sein wird, kann man jetzt natürlich noch nicht vorhersagen. Wir haben allerdings auch schon aus dem Markt gehört, dass es für die Unternehmen oft gar nicht so einfach war und ist, an die staatlichen Kredite zu kommen. Deshalb haben sich ja auch schon einige Firmen wegen Corona in ein Schutzschirmverfahren flüchten müssen wie beispielsweise Hallhuber oder auch die Galeria Karstadt Kaufhof GmbH.

Dann gibt es noch das Insolvenzaussetzungsgesetz. Führt es nicht zu einem Problem, weil sich erst mal alles staut und dann danach eine riesige Menge an Krediten gleichzeitig notleidend wird?

Ja, es kann natürlich zu einem Problem werden - gerade für die beteiligten Banken - wenn eine große Menge an Krediten auf einmal ausfallen sollte. Die Banken im Euroraum und die Aufseher betonen zwar immer wieder, dass die Institute besser gerüstet sind als noch vor der Finanzkrise. Doch man darf nicht vergessen: Das NPL-Volumen in den Bankbilanzen ist heute noch immer deutlich höher als vor Ausbruch der Finanzkrise - und die ist mehr als zehn Jahre her. Wie es auch anders geht, haben übrigens die Geldinstitute in Japan oder den USA vorgemacht. Die Banken dort haben einen harten Schnitt gemacht und sich innerhalb kürzester Zeit von einem Großteil ihrer Altlasten befreit. In Europa ist das leider nicht im dem Maße passiert, wie es nötig gewesen wäre. Auch die Risikovorsorge ist bei vielen Instituten längst nicht so, wie sie sein müsste.

Spüren Sie denn schon einen Corona-bedingten Volumenanstieg für NPL auf der Debitos-Plattform?

Ja, definitiv. Es geht los mit Unternehmenskrediten wie beispielsweise Schuldscheindarlehen, die noch nicht als notleidend eingestuft sind, aber definitiv aus den stark betroffenen Branchen stammen. Zudem haben sich in den vergangenen Wochen Banken besonders im deutschsprachigen Raum bezüglich ihrer Altlasten bewegt. Dabei geht es aber noch gar nicht um Kredite, die wegen Corona ausgefallen sind. Die Banken schauen dagegen, ausgefallene Assets aus den vergangenen Jahren loszuwerden, um für mögliche Kreditausfälle in der näheren Zukunft besser gewappnet zu sein. Wir rechnen aktuell eher damit, dass es im dritten Quartal zu einem Corona-bedingten Anstieg von NPL-Verkäufen auf unserem Marktplatz kommen wird.

Erwarten Sie eher im Segment der kleinen und mittleren Unternehmen oder bei den Großkrediten verstärkte Corona-bedingte Kreditausfälle? Können Sie da schon etwas aus den Daten der letzten Wochen und Monate ableiten?

Der Mittelstand ist von der Corona-Krise massiv betroffen, deshalb wird ein Großteil der Kreditausfälle auch höchstwahrscheinlich aus diesem Bereich kommen. Vor einigen Wochen hatte der Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft befürchtet, dass knapp die Hälfte der Firmen stark unter Druck geraten könnte, wenn der Lockdown so weitergeht. Zwar hat es seitdem einige Lockerungen gegeben, aber von einer Normalisierung sind wir nach wie vor ein ganzes Stück entfernt. Bei Krediten großer Unternehmen dauert es erfahrungsgemäß immer ein wenig länger, bis sie auf den Markt kommen, als bei kleineren Ausfällen. Die Großen verfügen auch über bessere Refinanzierungsmöglichkeiten.

Wie sieht es in Bezug auf bestimmte Branchen oder bestimmte Länder aus?

Der Einzelhandel war schon vor der Corona-Krise gefährdet, ausgenommen der Lebensmittelhandel. Diese Entwicklung hat sich durch den Lockdown aufgrund von Covid-19 jetzt noch einmal massiv verschärft. Dazu kommen wie schon gesagt besonders Hotels, die Gastronomie und die Luftfahrt. Besonders in Mitleidenschaft gezogen sind alle Branchen, die von den Ausgangsbeschränkungen betroffen waren oder sind. In Ländern wie Italien oder Spanien sind die Restriktionen noch deutlich gravierender als hierzulande. Dort ist auch aktuell noch sehr viel "on hold". Von daher werden die Auswirkungen auch erst etwas zeitverzögert erkennbar sein.

Ist eine Krise dieses historischen Ausmaßes ein "Segen" für eine Plattform, die davon lebt, notleidende Kredite zu verkaufen?

Natürlich ist es so, dass ein Marktplatz wie Debitos in oder nach einer Krise ein wertvolles Ventil für den Kreditmarkt sein kann - deshalb haben wir das Geschäft ja auch so ausgerichtet. Es ist aber nicht so, dass wir uns über den Ausbruch der Corona-Krise gefreut haben und uns jetzt im stillen Kämmerlein die Hände reiben. Auch für uns war die erste Phase extrem schwer, weil viele Käufer mit Ausbruch der Krise plötzlich ihre Angebote zurückgezogen haben - teilweise wenige Tage bevor der Deal vor dem Abschluss stand. Wir sind jetzt zwar wieder auf einem guten Weg, aber zu Beginn war bei uns auch viel Unsicherheit zu spüren. Niemand wusste ja, wie es weitergehen würde.

Mit welchen Volumina rechnen Sie nun für Ihre Plattform im laufenden und im nächsten Jahr und was war die Planung für 2020 und 2021 ursprünglich vor dem Ausbruch der Pandemie?

Das Volumen hängt ganz stark davon ab, wie sich die Wirtschaft jetzt weiterentwickelt: Gibt es eine zweite Infektionswelle oder kehren wir langsam, aber sicher in allen Bereichen wieder zur Normalität zurück? Wir glauben schon, dass wir unsere Volumina im zweiten Halbjahr gegenüber dem Vorjahr deutlich steigern können - falls es nicht zu einem erneuten Lockdown kommt. Eine realistische Planung für dieses und nächstes Jahr kann ich Ihnen aber beim besten Willen nicht nennen. Dafür ist es einfach noch zu früh.

Sind die Abschläge auf die Nominalwerte der Forderungen schon größer geworden im Zuge der Corona-Krise?

Die Effekte waren direkt zu erkennen, denn mit Beginn der Krise haben Investoren weniger für die Forderungen geboten. In Deutschland nähern wir uns langsam wieder dem Preisniveau vor der Krise an - aktuell sind wir hierzulande wohl wieder bei 80 bis 90 Prozent des ursprünglichen Preisniveaus. In Italien sind wir beispielsweise von Preisen vor der Corona-Krise noch viel weiter entfernt. Hier liegen wir momentan bei etwa 60 bis 70 Prozent. Dort bekommt man aufgrund der Corona-Krise beispielsweise bei Gerichten keinen Zwangsversteigerungstermin mehr vor Ende 2021. Das müssen die Investoren natürlich einpreisen.

Werden grundsätzlich bei den Versteigerungen von Non-Performing Loans bessere Konditionen erzielt als in bilateralen Verhandlungen zwischen den Kontrahenten?

Definitiv. Jedes Mal, wenn ein Verkäufer mit einem bereits bestehenden Gebot auf uns zukommt, konnten wir das übertreffen. Bei bilateralen Verhandlungen kann man nur den Preis erzielen, den ein Käufer bereit ist, zu bezahlen. Bei einer Versteigerung über unsere Plattform sind meistens mehrere Bieter beteiligt. Und die Verkäufer können sogar selbst bestimmen, welche Investoren sie zur Auktion zulassen wollen. Je mehr Bieter dabei sind, desto höher ist die Konkurrenz. Wir haben schon oft beobachten können, dass sich die Bieter kurz vor Ende der Auktion noch einmal in die Höhe getrieben haben - wie bei Ebay.

Steht Ihr Portal auch kleineren Instituten offen mit kleinen Krediten oder gibt es dafür Mindestgrößen?

Die Mindestgröße liegt bei Debitos bei 500 000 Euro. Große Beratungsgesellschaften machen bei einem so geringen Face Value höchstwahrscheinlich noch nicht mal einen Finger krumm. Dort müssen die Kredite schon ganz andere Dimensionen annehmen. Wir sehen uns von daher schon als Enabler gerade für kleinere und mittlere Institute und Unternehmen, die auf ausgefallenen Krediten sitzen. Diese Firmen und Banken haben natürlich oftmals auch keinen großen Stamm von Investoren im Netzwerk, denen sie die Kredite mal eben so anbieten können. Bei uns treffen sie aktuell auf weit mehr als 800 Investoren aus allen Bereichen.

Wer sind in der Regel die Käufer der notleidenden Kredite?

Die Kredite kaufen typischerweise Hedgefonds, Debt-Fonds oder Investmentbanken, die spezifische Abteilungen für NPLs aufgebaut haben. Aber auch Family Offices und große Kanzleien sind bei uns registriert.

Wo sehen Sie denn noch Potenziale, wenn es um den Verkauf von Forderungen geht - gerade jetzt in den dramatischen Zeiten der Corona-Pandemie?

Wir gehen davon aus, dass in den Bilanzen europäischer Unternehmen noch Forderungen schlummern, die in die Billionen gehen - die möglicherweise sogar bereits abgeschrieben und vergessen wurden. Die 500 Milliarden Euro NPLs in den Bankbilanzen im Euroraum, über die immer wieder gesprochen werden, sind nur die Spitze des Eisbergs. Denn das sind tatsächlich nur die erfassten NPLs von Großbanken, die von der EZB direkt beaufsichtigt werden. Der Rest der Kreditinstitute muss ausgefallene Kredite gar nicht explizit ausweisen. Wir glauben, dass es da eine extrem große Dunkelziffer gibt. Und dazu kommen noch die Unternehmen. Man muss sich nur mal vor Augen führen, was allein noch an offenen Insolvenzforderungen in den Bilanzen deutscher Firmen liegt. Hier gibt es gerade in Krisenzeiten noch viel Potenzial, wie Unternehmen innerhalb weniger Wochen an Liquidität kommen könnten. Zwischen 2015 und 2019 haben sich allein in Deutschland Gläubigerforderungen in Höhe von mehr als 83 Milliarden Euro angehäuft. Es ist davon auszugehen, dass ein großer Teil dieser Summe noch auf den Bilanzen der deutschen Firmen lastet. Denn die Durchschnittsdauer beträgt bei Insolvenzen fünf Jahre. Und die großen Verfahren können durchaus zehn Jahre und länger dauern. Finanzinvestoren sind nach wie vor - auch zu Zeiten der Corona-Krise - sehr an solchen Insolvenzforderungen interessiert.

Timur Peters Gründer und Managing Director, Debitos, Frankfurt am Main
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