Redaktionsgespräch mit Dominique Herold

"Singapur verlangt 100 Prozent Transparenz"

Dominique Herold, Foto: German Centre Singapore

Als einer der asiatischen Tigerstaaten erlebte Singapur zwischen den 1960er und 1990er Jahren eine rapide Industrialisierung und einen bemerkenswerten Aufschwung. Heute präsentiert sich der Stadtstaat mit einem der größten Frachthäfen der Welt als wirtschaftlicher Dreh- und Angelpunkt in Südostasien. Trotz oder gerade wegen des begrenzten Raums, der dem Land zur Verfügung steht, vermag es die Wirtschaft Singapurs, ständig zu innovieren und neue wirtschaftliche Potenziale zu erschließen. Dominique Herold erklärt, wie deutsche Unternehmen an dieser dynamischen Wirtschaft teilhaben können und was nötig ist, um in Singapur - und daran angeschlossen im gesamten ASEAN-Raum - Fuß fassen zu können. Veränderungen im politischen Umfeld Asiens und neu gemischte Karten nach der Covid-19-Pandemie könnten Singapur zum neuen Tor nach Asien für deutsche Unternehmen und Investitionen erheben. (Red.)

Die Länder in Asien meistern die Corona-Pandemie besser als viele europäische. Wie hat sich Singapurs Wirtschaft während der Pandemie entwickelt?

Experten erwarten, dass das Bruttoinlandsprodukt 2020 um etwa 6 bis 6,5 Prozent in Singapur zurückgegangen ist. Das ist der stärkste wirtschaftliche Einbruch in der Geschichte des Stadtstaats. Insofern hat die Covid-19-Pandemie die Wirtschaft hart getroffen. Besonders die Bau- und die Tourismusbranche sind fast vollständig zum Erliegen gekommen, auch jetzt gelten dort noch Einschränkungen. Gleichzeitig hat der Staat die Situation gut gemanagt. Zwar wurde den Bürgern viel Disziplin abverlangt, zwischenzeitlich ist es auf den Straßen, in den Büros und in den Shoppingmalls aber fast wieder so lebhaft wie vor der Pandemie. Wir rechnen nicht damit, dass es ähnlich starke Wellen wie derzeit in Europa geben wird. Insofern hat sich die Situation deutlich beruhigt.

Ich beobachte, dass die Pandemie für die wirtschaftliche Entwicklung Singapurs eher ein "window of opportunity" ist als ein "Dealbreaker". Die Regierung nutzt die Gelegenheit, die Wirtschaft noch stärker auf Innovation, Digitalisierung, Neo-Ökologie oder Gesundheit auszurichten. So bietet der Stadtstaat zum Beispiel für Unternehmen aus den Branchen Medtech, Healthtech, Foodtech oder der Industrie 4.0 exzellente Rahmenbedingungen, um in Singapur zu forschen und zu entwickeln, die regionalen Head Offices in Singapur auf- und auszubauen und von hier aus in die gesamte ASEAN-Region zu expandieren. Es lohnt sich also im Moment durchaus, genauer hinzusehen, welche Opportunitäten Singapur für Unternehmen bietet, die dort investieren oder eine Präsenz aufbauen wollen!

Wir als German Centre freuen uns sehr, dass wir eine Plattform für Austausch und Zusammenarbeit sind, damit Unternehmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz von genau diesen Entwicklungen profitieren können. Ein absolutes Highlight dieses Verständnisses ist der Life Science Incubator, den wir gemeinsam mit einem Mieterunternehmen geplant haben und im Sommer starten werden.

Die Idee dazu ist im Gespräch mit einem unserer Kunden entstanden, hat sich verbreitet, weiterentwickelt und konkretisiert. Es war spannend zu sehen, wie die Projektpartner ihre jeweiligen Assets eingebracht haben: Wir als German Centre die Räumlichkeiten und unsere Verbindungen zu genehmigenden Behörden, unsere Mieter die inhaltliche Idee, die technische Ausstattung sowie die Netzwerke zu Start-ups und etablierten Unternehmen. So entsteht ein Ökosystem aus voll ausgestatteten Laboren, Cowork-Spaces, Projektflächen und Expertenwissen.

Start-ups und etablierte Unternehmen können hier voneinander profitieren, ihre Innovationen vorantreiben und entwickeln sowie dabei ihre Geschäftsmodelle zukunftsfähig ausrichten. Ein schöner Nebeneffekt ist zudem, dass Unternehmen die Möglichkeit haben, den Life Science Incubator mit ihren Produkten auszustatten und ihre Zielgruppe damit real arbeiten zu lassen - quasi als Live-Test und Alternative zur Präsentation bei Messen. Wir sind stolz, mit diesem Projekt auch das Interesse der singapurischen Regierung auf uns gezogen zu haben und so einen Betrag zur wirtschaftlichen Entwicklung zu leisten.

Welche Arten deutscher Unternehmen möchten über das German Centre Singapore hauptsächlich dort Fuß fassen?

Gerade eben, im Sommer 2020, haben wir unser 25-jähriges German-Centre-Jubiläum gefeiert. Wir sind also seit 1995 hier. Derzeit gibt es in Singapur etwa 2 000 deutsche Unternehmen. Rund 600 haben unser German Centre seither als Ausgangspunkt gewählt, um die südostasiatischen Länder zu erschließen. Aktuell haben wir 140 Unternehmen im Haus, die bei uns ihr Büro haben und uns als Plattform nutzen, um ihre Produkte und Services einem breiten Publikum zu präsentieren.

An Branchen haben wir die volle Bandbreite. Ganz klassisch natürlich Unternehmen aus der Automobilindustrie, dem Maschinen- und Anlagenbau, der IT und Telekommunikation oder der Chemie. In der letzten Zeit kommen verstärkt Unternehmen aus der Industrie 4.0, dem Advanced Manufacturing und der Medizintechnik dazu. Fast alle sind klassischer deutscher Mittelstand - viele davon " Hidden Champions" in ihrer Branche. Die Ausrichtung der singapurischen Regierung auf Fokusindustrien spiegelt sich also auch in unserer Mieterschaft wider. Gerade jetzt in der Pandemie hat die Regierung einige unserer Mieter aus der Medizintechnik als substanzielle Unternehmen qualifiziert, die dazu beitragen, dass die Gesellschaft, insbesondere das Gesundheitswesen, auch in einem harten Lockdown funktioniert hat.

Wir im German Centre verstehen uns weniger als Bürovermieter, sondern mehr als Sparringspartner und Enabler, damit unsere Mieterunternehmen ihre Herausforderungen besser meistern können. Insbesondere unsere Netzwerke im German Centre und in die deutsche und singapurische Business-Community sind ein großer Mehrwert für unsere Mieter.

Wie einfach oder schwierig gestaltet sich ein Markteintritt in Singapur?

Ein Markteintritt in Singapur ist vergleichsweise einfach. Die staatliche Regulierung ist so transparent und klar im Prozess, dass es tatsächlich möglich ist, innerhalb eines Tages ein Unternehmen zu gründen. Außerdem funktioniert der Stadtstaat selbst wie ein Unternehmen. Man weiß genau, an welche Behörde man sich wenden muss, und jeden bürokratischen Schritt kann man online nachlesen. Salopp gesagt: Es gibt für alles eine perfekte und verfügbare Gebrauchsanleitung.

Zudem hat Singapur ein stabiles politisches System und eines der effizientesten Justizsysteme in Asien. Der Staat unterstützt Multikulturalität und Diversität und wird als eines der besten Länder zum Arbeiten bewertet. Es gibt kaum Sprachbarrieren.

Was sich jedes Unternehmen bewusst machen muss: Singapur verlangt 100 Prozent Transparenz. Es wird erst einmal ein ausführlicher Background-Check gemacht, bevor ein Geschäft aufgenommen werden kann. Dafür müssen sehr viele Informationen und Daten offengelegt werden. Dafür fordert Singapur aber keine Geschäftspartnerschaften mit lokalen Investoren. Das Eigentum kann also zu 100 Prozent bei der deutschen Muttergesellschaft bleiben. In vielen Nachbarländern ist das anders.

Wer in Singapur gut gestartet ist, profitiert in der Regel auch bei der Erschließung der Nachbarmärkte davon. Singapur ist so kompakt, dass einfach und schnell Kontakte mit Verbindungen ins Umland geknüpft werden können.

Wenn es so einfach ist, warum schlagen dann deutsche Unternehmen ihre Zelte bei uns auf? Unsere Mieter schätzen unser gut gemanagtes und funktionales Gebäude mit Büros und Arbeitsplätzen, die wir an verändernde Bedarfe anpassen können. Sie schätzen auch, dass wir ein verlässlicher Partner sind und sie unter einem Dach alles finden, was sie zum Arbeiten, Geschäfte machen und Netzwerken brauchen. Mit der Adresse "German Centre" ist übrigens auch den Kunden unserer Mieter gleich klar, dass sie hier "Made in Germany" bekommen!

Worauf achten Sie bei der Beratung deutscher Unternehmen, die einen Markteintritt in Singapur anstreben?

Wir sind seit über 25 Jahren selbst ein Unternehmen nach singapurischem Recht mit einer deutschen Muttergesellschaft, der Landesbank Baden-Württemberg. Diese ganz praktische Erfahrung, ein Unternehmen hier zu managen und weiterzuentwickeln, teilen wir selbstverständlich gerne. Zudem haben wir ein Netzwerk mit einer Vielzahl verlässlicher Dienstleister, die wir guten Gewissens empfehlen können. Dazu gehört auch die Singaporean-German Chamber of Commerce (AHK Singapur) - eine wichtige Anlaufstelle für alle deutschen Unternehmen und auch bei uns im German Centre ansässig.

Dann fördern wir den Austausch in der deutschen und singapurischen Business-Community. Wir informieren, machen Veranstaltungen - derzeit vor allem online - und vernetzen unsere Mieter miteinander. Gerade im direkten Austausch wird der ein oder andere "golden tip" weitergegeben und letzten Endes profitieren Newcomer wie Old Hands. Wenn wir also selbst mal eine Frage nicht beantworten können, kennen wir in jedem Fall jemanden, der das kann.

Worauf wir in der Beratung besonderen Wert legen, ist das Thema Personal. Wer langfristig gute Mitarbeiter an sich binden möchte, sollte sich an den lokalen Gehaltsvorstellungen orientieren. Wer zudem Mitarbeiter nach Singapur bringen möchte, muss auch die Lebenshaltungskosten inklusive der Mietpreise für Häuser oder Wohnungen berücksichtigen. Zudem empfiehlt es sich, ein Augenmerk auf die Gehaltsabrechnung zu legen. Die Regeln sind zwar transparent, aber doch ziemlich kompliziert. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen ist es oft ratsam, dafür einen Dienstleister in Anspruch zu nehmen.

Wie wirkt sich das neue asiatische Freihandelsabkommen, "Regional Comprehensive Economic Partnership" (RCEP), auf Singapur aus?

Das RCEP kommt für viele der teilnehmenden Länder genau zum richtigen Zeitpunkt. Viele hoffen, dass die wirtschaftliche Erholung nach der Covid-19-Pandemie dadurch ein zusätzliches Momentum erfährt. Das Abkommen ist ein starkes Bekenntnis zu offenen Handelswegen und regionaler Zusammenarbeit. Es geht im Wesentlichen um den Abbau von Zöllen, eine vereinfachte Bürokratie, einen einheitlicheren Rahmen für geistiges Eigentum und Investitionen, Normangleichungen und die Harmonisierung von Herkunftsbestimmungen.

Die 15 teilnehmenden Länder inklusive Singapur und China stellen fast ein Drittel der Weltbevölkerung und etwa 30 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts. Tatsächlich ist das der größte Handelsblock der Welt - und das RCEP dürfte den innerasiatischen Handel deutlich beflügeln!

Deutliche Vorteile bringt das Abkommen also für alle Unternehmen, die in den Mitgliedsländern produzieren und beschaffen. Kleinere Produzenten bekommen einen Zugang zu einem großen Absatzmarkt, bei der Beschaffung steht ein deutlich größerer Lieferantenpool zur Verfügung. Insgesamt schafft das Abkommen gleiche Wettbewerbsbedingungen und unterstützt damit die globale Wettbewerbsfähigkeit vor allem kleinerer und mittlerer Unternehmen.

Das Portfolio mit 20 Freihandelsabkommen, das Singapur bereits hat, wird um RCEP ergänzt. 2018 betrug der Handelswert mit den anderen RCEP-Mitgliedern 393 Milliarden US-Dollar, das sind 51 Prozent des gesamten Handelswerts. Das wird weiter steigen. Zudem dürften weitere Investitionen in den Stadtstaat fließen.

Deutsche Firmen profitieren natürlich genauso vom Abkommen, wenn sie in einem der teilnehmenden Staaten produzieren. Entscheidender Punkt für die Handelserleichterungen ist, dass die Ware in einem Teilnehmerland hergestellt wird unabhängig davon, woher das produzierende Unternehmen kommt. Insofern werden also keine Unterschiede zu den regionalen Wettbewerbern gemacht.

Was wir im Moment auch beobachten, ist eine Wanderungsbewegung von Hongkong nach Singapur. Nicht zuletzt hat die Einführung des nationalen Sicherheitsgesetzes westliche und insbesondere auch deutsche Unternehmen veranlasst, ihren asiatischen (Haupt-)Sitz nach Singapur zu verlegen. Wir gehen davon aus, dass noch weitere Firmen nach Singapur umziehen werden.

Singapur ist und bleibt also ein guter und spannender Standort für Unternehmen! Sehr gerne begrüßen wir weitere Unternehmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz bei uns im German Centre und freuen uns, wenn wir gemeinsam an Lösungen arbeiten können, die für den Erfolg unserer Mieter einen hohen Wert haben!

Dominique Herold Geschäftsführerin, German Centre der LBBW, Singapur
 
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