"Um das deutsche Bankensystem mache ich mir keine Sorgen"

Dr. Andreas Dombret
Foto: Houlihan Lokey

Die diesjährige Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank fand Mitte April in Washington zu einem spannenden Zeitpunkt statt. Nach wie vor sind die Diskussionen geprägt von den geopolitischen Anspannungen, den hohen Inflationsraten, einer drohenden Abschwächung der Wirtschaft sowie der wachsenden Verschuldungsproblematik vieler Länder. Mit den Turbulenzen auf den US-amerikanischen und dem Schweizer Bankenmarkt ist allerdings ein weiterer Unsicherheitsfaktor hinzugekommen. Die Redaktion sprach mit dem früheren Bundesbank-Vorstand Andreas Dombret, der vor Ort in Washington war. Seine Eindrücke: Es wurde viel über die Wechselwirkung von Geldpolitik und Finanzstabilität diskutiert, wobei der Inflationsbekämpfung nach wie vor eine hohe Bedeutung beigemessen wird. Entsprechend sollten sich die Marktteilnehmer seiner Meinung nach auf weitere geldpolitische Schritte der Notenbanken einstellen. Ein Versagen der Aufsichtsbehörden im Fall der Silicon Valley Bank und Credit Suisse kann er ebenso wenig feststellen wie eine systemische Bankenkrise. Allerdings betont er die Notwendigkeit, die Regularien, die für eine wirksame Einlagensicherung und eine geordnete Abwicklung auch großer Banken stehen, zu überdenken. (Red.)

Herr Dombret, Sie kommen gerade von der Frühjahrstagung in Washington. Wie haben Sie die Stimmung wahrgenommen?

Die Stimmung war alles in allem recht ambivalent. Und nach meiner Einschätzung schwang bei vielen Teilnehmern auch ein wenig Ratlosigkeit mit. Nach außen hin wird allgemein versucht, Zuversicht zu vermitteln und Ruhe auszustrahlen, nach innen war die Verunsicherung dann aber doch zu spüren.

Was waren die beherrschenden Themen?

Neben der aktuellen geopolitischen Situation haben eindeutig die Schieflagen im amerikanischen und im schweizerischen Banksektor die Gespräche dominiert. Welche Schlüsse muss man hieraus ziehen, insbesondere für die Wechselwirkung zwischen Geldpolitik und Finanzstabilität? Was bedeutet all dies für die weitere volkswirtschaftliche Entwicklung? Und wie will man in Zukunft mit der Abwicklung von systemrelevanten Banken umgehen? Viele wichtige und dringende Fragen standen also im Mittelpunkt der Diskussionen.

IWF und Weltbank sind recht skeptisch, was die wirtschaftliche Entwicklung der Welt in den kommenden Jahren angeht. Wie groß sind die Gefahren, wenn vor allem die großen Industrieländer schwächeln?

Nach meiner Erfahrung war der Internationale Währungsfonds in der Vergangenheit oftmals zu optimistisch, was den wirtschaftlichen Ausblick anbetrifft. Ob der Fonds diesmal mit seiner Einschätzung richtig liegt, hängt nicht zuletzt von den anstehenden geldpolitischen Entscheidungen und auch davon ab, ob sich die Ruhe an den Bankenmärkten weiter verfestigt.

Für Deutschland geht der IWF von Rezessionsgefahren in diesem Jahr aus, die Deutsche Bundesbank, mit der Sie ja eng verbunden sind, erwartet dagegen nach einem schwachen Jahresauftakt am Ende ein leichtes Plus. Wie sind diese unterschiedlichen Einschätzungen zu erklären?

Dies im April für das gesamte Jahr 2023 vorherzusagen, fällt angesichts der großen Unsicherheiten ganz besonders schwer. Niemand weiß zum Beispiel, wie sich die Energiepreise weiter entwickeln werden, die nicht zuletzt für die deutsche Industrie von immenser Bedeutung sind. Inwieweit die Lohn-Preis-Spirale in Gang kommt oder nicht, wird ebenfalls einen großen Einfluss auf die Entwicklung hierzulande nehmen. Ob das Glas im Jahresdurchschnitt schlussendlich halb voll oder halb leer ist, das vermag ich Ihnen nicht zu sagen. Auch wenn die Vorzeichen der IWF-Prognose und der der Bundesbank unterschiedlich sind, so liegen die Zahlen doch eng zusammen. Haushaltsdisziplin ist in dieser Phase fraglos sehr wichtig. Jeder, mit dem ich in Washington gesprochen habe, geht davon aus, dass sich seit Jahresanfang die Risiken für ein "hard landing" erhöht haben. Deutschland bildet da keine Ausnahme.

Auch das Thema Schulden wurde intensiv diskutiert, immerhin sind 60 Prozent der ärmsten Länder hoch verschuldet und haben Probleme, ihre Schulden zu bedienen. Gibt es hier aus Ihrer Sicht einen Ausweg?

Keine Frage: Die stark angestiegenen Zinsniveaus erschweren die Situation für hoch verschuldete Entwicklungslänger ganz erheblich. Umso wichtiger sind jetzt effektive Initiativen zur Restrukturierung dieser Schulden und zum Abbau der Schuldenlast. Die Lage hat sich allerdings durch die gestiegene Bedeutung von China als einem bedeutenden internationalen Gläubiger verkompliziert. Es ist daher begrüßenswert, dass die Diskussion über den Einbezug von China in Restrukturierungsprogramme langsam Fortschritte macht.

Wie ist die Einschätzung der Experten in Washington hinsichtlich Inflation und Zinsen? Inflationsbekämpfung ja, aber zu welchem Preis? Wird sich der Zinserhöhungszyklus verlangsamen?

Darüber gab es in Washington lange und leidenschaftliche Diskussionen. Nach meiner Wahrnehmung wird von vielen der Bekämpfung der Inflation hohe Priorität eingeräumt. Und dies, wie ich finde, aus guten und nachvollziehbaren Gründen...

Das heißt, für die Banken ist kaum Entspannung in Sicht? Denn das Thema Zinsänderungsrisiken ist jüngst wieder stark in das Bewusstsein getreten.

Zinsänderungsrisiken machen dieses Jahr zurecht einen wichtigen Teil des vom Fonds vorgelegten Finanzstabilitätsberichtes aus. Bei den weltweit aktuell immer noch sehr hohen Inflationsständen - und dies insbesondere bei der Kerninflation - müssen Banken mit weiteren Zinsschritten rechnen, denn die Zentralbanken haben ihr Ziel der Preisstabilität noch lange nicht erreicht und müssen also Kurs halten.

Besteht die Sorge vor einer neuerlichen Bankenkrise aus Ihrer Sicht zu Recht? Finanzminister Lindner hat hierzu eine sehr klare Meinung, nämlich nein. Aber so ganz gebannt sind die Sorgen noch nicht, denn Vertrauen ist ein zartes Pflänzchen.

Ich sehe dies wie Herr Lindner: Eine strukturelle Bankenkrise kann ich zurzeit ebenfalls nicht erkennen. Bei der Silicon Valley Bank und der Credit Suisse handelt es sich um Einzelfälle, wenn auch um gravierende. Das Problem an den gewerblichen Immobilienmärkten hingegen muss sehr genau beobachtet werden, insbesondere in den USA.

Wie sicher ist vor allem das deutsche Bankensystem mit seiner breiten Diversifizierung?

Um das deutsche Bankensystem mache ich mir keine besonderen Sorgen.

Aber haben Sie denn Sorgen vor einer Kreditklemme und damit direkten Auswirkungen auf die Realwirtschaft, wenn Banken nun zurückhaltender werden müssen?

Dass Banken in der aktuellen Situation weltweit und auch in Deutschland etwas zurückhaltender werden, davon muss man tatsächlich ausgehen. Dies könnte fraglos negative Wachstumseffekte auslösen. Von einer Kreditklemme hierzulande kann allerdings momentan noch keine Rede sein.

Wieder einmal musste eine europäische Großbank gerettet werden. Aber gehen von riesigen Banken mit Monopolstellung wie der UBS nicht sogar noch größere Risiken für die Finanzstabilität aus als von mehreren großen Banken?

Eine Bank mit einer Bilanzsumme des Doppelten des heimischen Bruttoinlandsprodukts ist "too big to everything"... Bei der "too big to fail"-Thematik werden die Aufsichtsbehörden weltweit schnellstens Nacharbeit leisten.

Sie haben viele Jahre eine wichtige Rolle bei der Weiterentwicklung der Aufsichtsregeln gespielt. Haben diese Regeln versagt? Hätten schärfere Regeln, über die nun wieder gesprochen wird, die Schieflagen verhindert?

Es war richtig, das Bankensystem nach der globalen Finanzkrise deutlich sicherer zu machen. Diese höhere Sicherheit hilft uns allen in der aktuellen Situation. Insbesondere die Liquidity Coverage Ratio und die Net Stable Funding Ratio spielen dabei eine bedeutende Rolle. Dass die USA diese Kennziffern bei Banken mit Bilanzsummen bis zu 250 Milliarden US-Dollar nicht umgesetzt haben, ist ganz klar ein Fehler, der sich jetzt bei den großen amerikanischen Regionalbanken bitter rächt.

Dennoch gilt, dass das Bankensystem von heute deutlich besser reguliert ist als das von 2006 oder 2007. Das heißt aber nicht, dass alle Risiken verschwunden sind. Banking bedeutet halt die Übernahme von Risiken. Und man sollte nach meiner festen Überzeugung Banken auch nicht überregulieren. Gegen Panik oder Missmanagement ist kein Haus immun. Aus dem Kollaps der Silicon Valley Bank und der Notübernahme der Credit Suisse müssen nun die richtigen Lehren gezogen werden, die vor allem mit einer wirksamen Einlagensicherung und einer geordneten Abwicklung von Banken einhergehen. Und es ist jetzt auch nicht die Zeit, Regulierungsvorhaben wie Basel III aufzuweichen.

Gestatten Sie noch eine letzte Frage: Ist die Aufstellung und Arbeitsteilung von Weltbank und IWF noch zeitgemäß oder würden Sie hier Anpassungen befürworten? Wenn ja, welche?

Die Weltbank steht mit dem Abgang von David Malpass nicht nur vor einer personellen, sondern auch vor einer inhaltlichen Neuausrichtung. Dem möchte ich nicht vorgreifen. Was den IWF anbetrifft, mache ich mir angesichts der voranschreitenden Fragmentierung in der Weltwirtschaft durchaus große Sorgen um diese wichtige Institution. Wir brauchen vermutlich ein Bretton Woods 2.0, um der Fragmentierung angemessen gerecht zu werden.

Dr. Andreas Dombret , Global Senior Advisor , Oliver Wyman GmbH, München (und Vorstand i.R., Deutsche Bundesbank)
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