Redaktionsgespräch mit Friederike von Hofe

"Bei weniger liquiden Werten ist 'Handarbeit' gefragt"

Friederike von Hofe, Foto: Börse Berlin AG

Nicht nur in der Bankenlandschaft, auch bei den Börsen ist Deutschland ein dezentral organisiertes Land. Mehrere Börsenplätze existieren hier nebeneinander und experimentieren mit eigenen Geschäftsmodellen, um sich voneinander abzugrenzen. Die Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen widmet den Regionalbörsen eine Interviewserie, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede, Chancen und Herausforderungen für die unterschiedlichen Marktplätze zu ergründen. Nach der Börse Stuttgart in Ausgabe 4/2021 spricht Friederike von Hofe nun über ihre in der Bundeshauptstadt Berlin beheimatete Börse. Diese bedient neben dem Feld der kleinen und mittleren Unternehmen auch den Handel mit internationalen Wertpapieren aus 120 Ländern. Von Hofe gibt im Gespräch mit der Redaktion Auskunft darüber, welche weiteren Spezialisierungsmöglichkeiten es für kleinere Börsenbetreiber gibt und welche zukünftigen Entwicklungen es braucht, damit auch in den kommenden Jahren die Vielfalt der Börsenplätze in Deutschland erhalten bleibt. (Red.)

Das Handelsjahr 2020 hat durch den Volatilitätsausschlag auf der Höhe der Corona-Krise auch bei der Börse Berlin für Rekorde im Handelsvolumen gesorgt. Können Sie weiterhin erhöhte Handelsaktivität berichten oder ist das Volumen wieder auf Vor-Corona-Niveau zurückgefallen?

Für den deutschen Markt sind vor allem die Zahlen für den Marktplatz Xontro interessant. Die Handelsaktivität lässt sich am besten anhand der ausgeführten Geschäfte beurteilen. Hier verzeichnen wir weiterhin ein deutlich höheres Niveau als vor Corona. Wurden im ersten Quartal 2019 insgesamt 37 773 Geschäfte über Xontro abgewickelt, waren es im gleichen Zeitraum 2020 schon 84 678. Das entspricht einem Zuwachs um 124 Prozent. In den ersten drei Monaten des laufenden Jahres setzte sich dieser Trend fort. Es wurden 132 407 Geschäfte abgewickelt, ein Plus von noch einmal 56 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum.

Ähnlich sieht es bei den Umsätzen aus, wenn man die zu Ladenhütern mutierten Anleihen nicht miteinbezieht. Die Umsätze ohne Renten jeweils im ersten Quartal stiegen von 204 Millionen Euro 2019 auf 524 Millionen Euro im Jahr 2020 um 156 Prozent und auf 738 Millionen Euro 2021 um noch einmal 41 Prozent. Eine ähnliche Tendenz zeigt auch unser paneuropäischer Marktplatz Equiduct.

Das zeigt, dass in der Krise - begünstigt natürlich auch durch die anhaltende Null- und Negativzinsphase - viele Privatanleger in Deutschland doch noch den Zugang zu Aktien gefunden haben. Was können die Beteiligten - also die Infrastrukturanbieter, die Unternehmen und die Politik - unternehmen, damit daraus eine anhaltende Entwicklung entsteht?

Auf den ersten Blick scheint die Aktienkultur in Deutschland auf einem erfreulichen Weg. Doch das kann sich schnell ändern, wenn sich die vielen Neuanleger schon zu Beginn ihres Engagements schmerzhaft die Finger verbrennen. Und diese Gefahr ist groß, wenn durch den Lockdown gelangweilte, unerfahrene Börsenneulinge auf Neobroker treffen, die die Geldanlage an der Börse wie ein großes, buntes Videospiel aussehen lassen. Die Finanzmarktakteure, und da schließe ich natürlich auch die Börsen mit ein, sind gut beraten, hier fortwährend aufzuklären. Wann wird ein Investment zur reinen Spekulation? Worauf sollten Anleger beim Kauf von Wertpapieren achten? Wie informiert man sich, welchen Quellen kann man vertrauen? Ich könnte die Aufzählung fast endlos fortführen.

Die Börse Berlin nimmt das Thema Finanzbildung schon lange sehr ernst und geht beispielsweise in Schulen und kooperiert mit studentischen Initiativen zur Förderung der Aktienkultur. Doch das allein reicht nicht. Ergänzend muss darauf geachtet werden, dass ein in jeder Hinsicht verlässlicher Rahmen geschaffen wird, der sicherstellt, dass nicht wieder eine Generation von Anlegern verbrannt wird. Ein warnendes Beispiel ist die Dotcom-Blase 2000/2001. Damals wurde nicht schnell genug gegengesteuert, als sich Fehlentwicklungen abzeichneten. Ein fatales Zeichen setzten auch die quälend langen Prozesse zur Verurteilung von betrügerischen Akteuren. So etwas sollte innerhalb eines halben Jahres erfolgen. Hier sind uns andere Länder deutlich voraus. Wichtig ist zudem eine stabile Infrastruktur, die sicherstellt, dass es keine Ausfälle bei Handelsplattformen oder (Neo-)Brokern gibt. Anleger müssen sich darauf verlassen können, dass sie jederzeit ein- oder aussteigen können.

Der Börsenhandel ist ein Skalengeschäft. Es kommt also auf Größe und Volumen an. Wo finden Regionalbörsen da noch ihre Nische?

Genau in den Bereichen, in denen der Wertpapierhandel eben kein Massengeschäft ist. Es gibt nicht nur die großen Blue-Chips, die zu jeder Zeit rege gehandelt werden. An der Börse sind auch viele mittlere und kleine Unternehmen notiert, die nicht so im Fokus stehen. Sie sind oft weniger liquide. Bei solchen Werten stößt das Massengeschäft der vollelektronischen Handelssysteme an seine Grenzen. Hier ist wieder "Handarbeit" gefragt. An der Berliner Börse bedeutet das, dass ein Skontroführer diese Werte betreut und Liquidität spendet, wenn es keine Gegenseite für eine Privatanlegerorder gibt. Dieser Skontroführer löst über ein Limit Control System auch in illiquiden Märkten oder Werten eine Stop-Loss-Order aus, um Privatanleger vor Verlusten zu schützen und sorgt so dafür, dass es zu keinen unwirtschaftlichen Teilausführungen kommt. Solche Services wissen Privatanleger zu schätzen.

Was ist das Alleinstellungsmerkmal speziell der Börse Berlin?

Es ist vor allem das breit gefächerte Angebot an Aktien, Anleihen, ETFs und Fonds. Insgesamt können Anleger bei uns rund 32 000 Wertpapiere handeln. Bei den Aktien liegt der Fokus auf ausländischen Unternehmen. So werden internationale Blue-Chips, alle Nasdaq-Werte, aber auch Unternehmen aus China oder Südafrika gehandelt. Zudem stehen auch deutsche und internationale Titel aus der zweiten und dritten Reihe auf dem Kurszettel. Im Bereich Anleihen sind Fremdwährungsanleihen eine logische Ergänzung des international ausgerichteten Angebotes, von denen nicht wenige in Deutschland nur in Berlin gehandelt werden.

Bei ETFs verfügen wir über ein Spezialangebot für risikobereite und gut informierte Privatanleger. So sind beispielsweise Länder-ETFs für Ägypten, Kolumbien, Vietnam, Indien oder Afrika handelbar. Möglich ist auch ein Investment in bestimmte Branchen, zum Beispiel in Aktien von Unternehmen, die nach Gold oder seltenen Erden suchen oder im Agraroder Energiesektor tätig sind. Viele dieser Länder- und Branchen-ETFs werden ausschließlich in Berlin gehandelt. Selbstverständlich handeln wir auch die klassischen Index-ETFs. Daneben finden Anleger bei uns eine große Auswahl an Publikumsfonds, darunter Aktienfonds mit unterschiedlichen Anlageschwerpunkten, Immobilien- und Rentenfonds, Geldmarktfonds, Dachfonds, gemischte Fonds sowie Nachhaltigkeitsfonds. Sämtliche Publikumsfonds werden ohne Ausgabeaufschlag gehandelt.

Welche Vorteile bietet eine Notierung an einer Regionalbörse im Vergleich zu einer der großen Börsen?

Zunächst ist eine Börsengang an einer Regionalbörse wie der Börse Berlin sicherlich günstiger als an einer der großen Börsen. Das ist vor allem für kleine und mittlere Unternehmen ein wichtiges Argument. Trotz dieses Kostenvorteils können sich kleinere Unternehmen bei ihrem Börsengang an einer Regionalbörse sicher sein, nicht wegen wichtigerer, weil größerer, IPO-Konkurrenten vernachlässigt zu werden. Sie erhalten die volle Aufmerksamkeit und werden vollumfänglich bei diesem wichtigen Schritt unterstützt. Zudem kann ein Unternehmen mit einem IPO an seiner "Börse vor Ort" regionale Verbundenheit gegenüber seinen Geschäftspartnern und Kunden signalisieren. Regionalität kann durchaus ein wichtiger Wettbewerbsvorteil gegenüber größeren Konkurrenten sein.

Und wo liegen die Nachteile?

Unternehmen, die einen internationalen Investorenkreis suchen, etwa weil sie eine große Anzahl an Aktien "an den Mann" bringen müssen, erreichen wahrscheinlich mit einem IPO an einer der großen, vielleicht auch an einer Börse außerhalb Deutschlands eher ihre Ziele. So gab es in der Vergangenheit durchaus deutsche Unternehmen, die einen Börsengang an der Nasdaq oder der Wall Street vollzogen, weil sie sich in den USA einen Vorteil durch die stärker ausgeprägte Aktienkultur versprachen. Ist auch der Kundenkreis eines Unternehmens international, spricht einiges dafür, einen solchen Weg zu beschreiten. Nicht zuletzt ist auch die mediale Begleitung eines Börsengangs an einer international bekannten Börse wesentlich umfangreicher, ein Effekt, der den Bekanntheitsgrad eines Unternehmens immens steigern kann.

Die Börse Berlin hat sich ja, wie Sie erwähnten, auch gerade auf den Handel mit Wertpapieren internationaler Unternehmen spezialisiert. Welche regulatorischen Herausforderungen innerhalb und außerhalb Deutschlands birgt das Geschäft mit Aktien aus 120 verschiedenen Ländern?

Die von Ihnen angesprochenen internationalen Aktien werden bei uns im Zweitlisting gehandelt. Entsprechend sind diese bei uns gehandelten Werte bereits an einem anderen, anerkannten Markt zugelassen. Für ein Zweitlisting genügt daher der entsprechende Antrag eines an der Börse Berlin zugelassenen Skontroführers mit Angaben zu Namen und Sitz des Emittenten, Wertpapiergattung, ISIN oder Wertpapierkennnummer, eine kurze Beschreibung des Unternehmensgegenstandes und die Benennung der Heimatbörse. Diese muss von uns als solche anerkannt sein. Aktuell gelten alle in Europa zugelassenen regulierten Märkte, alle Mitglieder der Federation of European Stock Exchanges (FESE) und alle Mitglieder der World Federation of Stock Exchanges (WFE) als zugelassene Heimatbörsen.

Anschließend müssen alle von der European Securities and Market Authority (ESMA) geforderten Auskünfte eingeholt werden. Das ist der schwierigste Part, weil manche der geforderten Informationen in einigen der rund 120 Länder nicht zum Standard gehören. Das hat übrigens schon dazu geführt, dass wir bereits im Zweitlisting gehandelte Werte wieder delisten mussten. Wenn diese Hürde genommen ist, bleibt als einzige regulatorische Herausforderung noch, zu prüfen, ob der gehandelte Wert auch weiterhin an der Heimatbörse gehandelt wird. Folgepflichten gegenüber der Börse Berlin entstehen den Unternehmen nämlich nicht. Es gelten die Zulassungsvoraussetzungen und Folgepflichten der jeweiligen Heimatbörse. Das Unternehmen unterliegt dem geltenden Börsenrecht des Landes, in dem die Heimatbörse ihren Sitz hat. Aktienrechtlich gelten die Gesetze des Landes in dem das Unternehmen seinen Sitz hat. Darüber informieren wir auf unserer Internetseite auch die Anleger und weisen explizit darauf hin, dass sie sich vor der Investmententscheidung über die Einbeziehungsvorschriften und Folgepflichten der jeweiligen Heimatbörse informieren sollten.

Würde Ihnen die Vollendung der Kapitalmarktunion in diesem Bereich zusätzlichen Rückenwind verleihen?

Die Ziele und geplanten Maßnahmen der Kapitalmarktunion betreffen nicht die Zweitlistings. Vielmehr geht es bei der Kapitalmarktunion darum, Kapital vom Anleger zu Unternehmen zu leiten, damit diese ihr Wachstum beziehungsweise ihre Nachhaltigkeit finanzieren können. Ein Weg dafür sind natürlich auch IPOs. Diese für kleinere Unternehmen einfacher zu gestalten ist eine richtige Initiative. Schließlich hat die Regulierung infolge der Finanzkrise 2008/9 in ihrem Bestreben, Privatanleger maximal zu schützen, die Verhältnismäßigkeit aus den Augen verloren. Dies soll jetzt "repariert" werden.

Man beachte dabei, dass wir in Deutschland bereits 1987 mit dem damaligen geregelten Markt ein Börsensegment eingeführt hatten, das kleineren und mittleren Unternehmen die Möglichkeit verschafft hat, auf einfachere Art eine Börsennotierung zu erhalten und das berechtigte Interesse der Anleger an den Vorgängen im Unternehmen dennoch ausreichend zu berücksichtigen. Dieses Segment passte leider schon nicht in die Welt von MiFID I und wurde daher 2007 eingestellt. Nun muss im Rahmen der Kapitalmarktunion etwas Vergleichbares wieder neu aufgebaut werden.

Welche Schritte zur Vollendung der Kapitalmarktunion hätten aus Ihrer Sicht zunächst Priorität?

Als Vorstand einer Börse würde ich mich natürlich vor allem darüber freuen, wenn kleinen und mittleren Unternehmen der Gang an die Börse wieder erleichtert würde - praktisch die Rückkehr des geregelten Marktes. Durch die Coronakrise sind gerade auch diese Unternehmen darauf angewiesen, auf möglichst viele Finanzierungsquellen zugreifen zu können.

Einen Punkt möchte ich aus dem Aktionsplan dennoch herausgreifen: Den Rahmenlehrplan für Finanzbildung. Als Börse Berlin werden wir schon seit Jahren nicht müde Anleger darauf hinzuweisen, sich vor einer Investment-Entscheidung zu informieren und nur in etwas zu investieren, was sie verstanden haben. Hierfür ist ein tieferes und breiteres Wissen über die Finanz- und Kapitalmärkte enorm wichtig.

Der technische Dienstleister für ihre europäische Handelsplattform Equiduct sitzt in London. Wie hat sich der Brexit ausgewirkt?

Sie haben das in Ihrer Frage bereits richtig formuliert - Equiduct ist unser technischer Dienstleister. Sie stellen also lediglich die Technik für die Handelsplattform ETS zur Verfügung. Der Börsenplatz ist sowohl für Xontro als auch für ETS die Börse Berlin. Daher hat der Brexit in dieser Hinsicht keinerlei Auswirkungen auf uns.

Wie wirkt sich die Absicht der EU-Kommission, zentrale Kontrahenten innerhalb der EU-Grenzen holen zu wollen, auf das Geschäftsmodell von Equiduct aus, welche unter anderem auch Clearing anbietet?

Das Marktmodell von Equiduct selbst beinhaltet kein Clearing. Vielmehr ist die Börse Berlin für Equiduct an drei Clearinghäuser angebunden: die französische LCH SA, die Schweizer SIX X-Clear und die länderübergreifende Euro-CCP mit Sitz in den Niederlanden. Diese drei dienen Equiduct als zentrale Kontrahenten und sind nicht vom Brexit betroffen. Die Bestrebungen der EU-Kommission haben daher keinen Einfluss auf das Geschäftsmodell.

Wie soll sich der Börsenstandort Berlin künftig weiterentwickeln?

Am Börsenstandort Berlin gibt es aktuell zwei unterschiedliche Betreibergesellschaften für drei Marktmodelle: Tradegate, Börse Berlin und Equiduct. Hier gibt es selbstverständlich Synergien. Es wäre vorstellbar, diese in einer Betreibergesellschaft zu bündeln. Unabhängig davon bedienen alle drei Handelsplätze die Bedürfnisse von Privatanlegern auf unterschiedliche Weise. Man könnte also sagen, am Börsenplatz Berlin findet jeder Privatanleger das für seine Bedürfnisse optimale Marktmodell. Das festigt den Börsenstandort Berlin auch auf europäischer Ebene.

Wie sieht es mit der Digitalisierung der Kapitalmärkte aus? Gibt es irgendwelche Pläne, im Bereich Tokenisierung von Wertpapieren aktiv zu werden oder gar im Handel mit Kryptowährungen?

Es gibt aktuell keine Pläne, in den Handel mit Kryptowährungen einzusteigen. Was die Tokenisierung von Wertpapieren anbelangt, beobachten wir die geplanten gesetzlichen Anpassungen mit großem Interesse. Eigentlich ist es schon verwunderlich, dass sich zwar der Börsenhandel durch Computer in Windeseile verwandelt hat, die Verwahrung von Wertpapieren in Deutschland aber seit dem 19. Jahrhundert quasi unverändert geblieben ist. Noch immer werden beispielsweise Aktien in Urkunden verbrieft, die dann ausgedruckt in einem zentralen Tresor bei einer Verwahrstelle lagern. In diesem Tresor bleiben sie selbst dann, wenn sie den Eigentümer wechseln. Aktionäre bekommen ihre Aktien schon seit Langem nicht mehr physisch ausgeliefert, können aber darauf vertrauen, dass sie in Form der Globalurkunde sicher gelagert sind.

Die sichere Lagerung ist inzwischen aber auch digital über die Blockchain möglich, die nichts anderes ist als eine unveränderbare digitale Datenbank, die lediglich Hinzufügungen erlaubt. Eine Art virtueller Tresor also. Dass dies funktioniert, zeigt sich bei den bereits jetzt möglichen tokenisierten Ansprüchen, Forderungen oder Rechten, die auf diese Weise verwahrt werden. Letztlich ist ein Token ja nichts anderes, als eine digitalisierte Form von Vermögenswerten. Im Token ist der Wert oder die Funktionsweise des Vermögenswertes hinterlegt, vergleichbar mit der Globalurkunde. Allerdings ist die Tokenisierung von Wertpapieren unter der gegenwärtigen Gesetzeslage noch nicht möglich, da es einer Urkunde bedarf, deren Übertragung auf sachenrechtlichen Vorschriften basiert - es gibt ja weiterhin den Bezug zur Globalurkunde in Papierform.

Dieser Bezug fehlt bei einem Token, daher gibt es aktuell keine klare rechtliche Grundlage, wie die Übertragung eines tokenisierten Wertpapiers einwandfrei funktionieren kann. Dazu müsste der Gesetzgeber tokenbasierte Wertpapiere verbrieften gleichstellen. Ein erster Schritt in diese Richtung ist der Gesetzesentwurf der von den Bundesministerien der Finanzen und der Justiz erarbeitet wurde. Er sieht vor, dass Schuldverschreibungen zukünftig von dem papierhaften Urkundenerfordernis gelöst werden können. Emittenten könnten dann wählen, ob sie den traditionellen Weg gehen oder eine tokenbasierte Schuldverschreibung begeben. Die letztgenannte Möglichkeit bietet ihnen vor allem bei der Verwahrung Vorteile. So könnten sie etwa weiterhin eine zentrale Verwahrstelle wählen, es wäre aber auch eine Verwahrung bei der Bank oder beim Emittenten selbst möglich. Die Gleichstellung digitaler Wertpapiere mit verbrieften Wertpapieren hätte also zunächst grundlegende Auswirkungen auf die Verwahrung und weniger auf den Handel.

Wenn Sie zum Abschluss einen Wunsch an die Politik richten dürften. Welcher wäre das?

Dass sich in der Gesetzgebung für den Bereich Finanzen, Börse und Geldanlage der Blick für das große Ganze durchsetzt, dass die Zusammenhänge erkannt werden. Nehmen wir die Börse. Sie ist eine wichtige Säule, wenn es darum geht, die Realwirtschaft mit Kapital zu versorgen. Der Bereich Börse und Finanzen ist sehr komplex. Es hilft deswegen nicht, wenn man mal an diesem und dann wieder an jenem Rädchen dreht, weil es gerade einmal im Getriebe knirscht. Statt bei Finanzskandalen neue Gesetze mit heißer Nadel zu stricken, sollte man das Geschehene analysieren und dann mit Bedacht reagieren.

Gleichzeitig wünsche ich mir aber auch, dass die für die Skandale Verantwortlichen schneller als bisher zur Rechenschaft gezogen werden. Und ich appelliere an die Politik, einen differenzierteren Blick auf die einzelnen Wertpapiergattungen als bisher zu haben. Beispiel Finanztransaktionssteuer: Ursprünglich sollte sie helfen, spekulative Investments einzudämmen.

Zu den Wertpapieren mit sehr spekulativem Charakter gehören Futures sowie Zertifikate und Optionsscheine. Allerdings soll auf den Handel mit diesen Wertpapiergattungen keine Finanztransaktionssteuer erhoben werden, sondern lediglich auf den im Vergleich weniger spekulativen Handel mit Aktien. Und zwar unabhängig davon, ob die Aktienanlage nun langfristig oder kurzfristig getätigt wird. Wie man so Spekulationen eindämmen will, erschließt sich mir nicht. Eine Stärkung der Aktienkultur sieht anders aus.

Friederike von Hofe Geschäftsführerin, Börse Berlin AG
 
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