Alles schon mal da gewesen

Carsten Englert, Redakteur Foto: Verlag Fritz Knapp GmbH

Stichwort Gamestop: "Demokratisierung der Börse!" Mindestens. Oder noch besser gleich: "Revolution der Finanzwelt". So oder so ähnlich haben geneigte Kommentatoren eine Finanzmarktanomalie der vergangenen Wochen gefeiert, die am Ende doch gar nicht so neu oder anormal ist. Dazu aber später mehr.

Organisiert über das Reddit-Forum Wallstreetbets hatten Tausende, wenn nicht gar Millionen Kleinanleger aus der Generation der Millennials sich verabredet, die Gamestop-Aktie zu kaufen, um den Kurs nach oben zu treiben. Angebliches Ziel: Den bösen Finanzinvestoren (Short Seller) zu schaden, die den Millennials und vor allem deren Eltern durch die Verursachung der Finanzkrise großen Schaden zugefügt hätten. So weit das romantische Narrativ, um das Handeln zu rechtfertigen und auch die Leute zum Mitmachen zu animieren. Es sollte der große Kampf der kleinen Leute gegen das mächtige Finanzestablishment werden.

Zunächst hatten die Initiatoren und die Gefolgschaft auch Erfolg. Und wie! Zum Jahreswechsel schloss die Aktie an der New York Stock Exchange noch bei 17,25 US-Dollar. Vier Wochen später erreichte sie ihr Rekordhoch bei 480 US-Dollar, sackte jedoch schon bis zum Handelsschluss desselben Tages bereits wieder auf 193,60 US-Dollar ab. In den folgenden Tagen fiel der Kurs wieder unter 40 US-Dollar zurück, nur um dann wenige Tage später an der 200-Dollar-Marke zu kratzen. Atemberaubende Volatilität. Auf dem Hoch betrug die Marktkapitalisierung gut 33 Milliarden US-Dollar, zum Jahreswechsel waren es kaum mehr als eine Milliarde US-Dollar. Im vergangenen Sommer brachte die Gamestop-Aktie gerade mal einen Börsenwert von circa 300 Millionen US-Dollar auf die Waage.

Eine beeindruckende Statistik zum großen Gamestop-Zock veröffentlichten die Fondsmanager von HQ Trust. Demnach gehörte Gamestop bislang im Jahr 2021 zu den sieben Aktien im Russel 3000 Index mit dem höchsten Handelsvolumen, das bis zum 1. März in diesem Jahr bei 213,4 Milliarden US-Dollar lag. Vor Gamestop liegen nur die einschlägig bekannten Giga nten wie Apple, Amazon et cetera, die allesamt Marktwerte zwischen 600 Milliarden und 2,1 Billionen US-Dollar haben. Die Fondsmanager haben nachgerechnet: Möglich war das, weil bei Gamestop das komplette Unternehmen 31,78-mal den Besitzer gewechselt hat! Bei den anderen Werten in den Top 7 waren es zwischen 0,16- (Microsoft) und 1,37-mal (Tesla).

Gamestop verkauft in erster Linie Computer- und Videospielkonsolenspiele. Zwar gibt es auch einen Onlineshop, der Schwerpunkt liegt jedoch auf dem stationären Handel. Allein in Deutschland betreibt der Händler 217 Filialen. Schon vor Corona war das also ein auslaufendes Geschäftsmodell. Viele Gamer laden sich heute ihre Spiele aus den Onlineshops der Konsolenhersteller herunter. Das spiegelt sich auch in den GuV-Zahlen wider. Der Umsatz des Händlers sank von 9,2 Milliarden US-Dollar im zum 31. Januar 2018 endenden Geschäftsjahr auf 6,5 Milliarden US-Dollar zum 31. Januar 2020. Dann kam noch Corona dazu. Für das vergangene Geschäftsjahr rechnen Analysten damit, dass der Umsatz weiter auf 5,5 Milliarden US-Dollar zurückging. Das Geschäftsjahr, das im Januar 2020 endete, brachte dem Unternehmen einen Nettoverlust von rund 470 Millionen US-Dollar ein. Die tollen Ergebnisse oder die famosen Geschäftsaussichten dürften es also nicht sein, was zur explosiv ansteigenden Nachfrage nach der Aktie führten.

Es steht zu vermuten, dass das Ganze nichts mit "Demokratiserung der Finanzmärkte" zu tun hatte, sondern dass es sich hier um das klassische "Pump and dump" eines angeschlagenen Unternehmens handelt. Man könnte es auch ein Schneeballprinzip nennen. Die Initiatoren der "Demokratisierung" dürften sich mit Sicherheit vorab ordentlich eingedeckt und dabei den üblichen guten Schnitt gemacht haben. Doch wie immer beißen den Letzten die Hunde. Alles schon mal da gewesen.

Daher haben sich auch die Aufsichtsbehörden der Sache angenommen. Allerdings wird zunächst nicht gegen die Initiatoren wegen Absprache zur Marktmanipulation ermittelt, sondern gegen die Neobroker wie Robinhood. Dieser hatte am Höhepunkt den Handel mit Gamestop-Aktien eingestellt. Robinhood-Gründer Vlad Tenev führte als Grund an, dass der Bedarf an Sicherheiten für den Broker ebenso massiv angestiegen war wie das Handelsvolumen der Aktie. Doch der US-Kongress, das Finanzministerium und die US-Börsenaufsicht SEC gehen dem Vorwurf nach, dass sich Robinhood mit Großinvestoren abgesprochen habe, um die Pleite eines Hedgefonds, der Short-Positionen in Gamestop hatte, abzuwenden. Auch gegen den Neobroker Trade Republic gingen in Deutschland aus dem gleichen Grund rund 4 000 Beschwerden bei der BaFin ein. Natürlich ist es durchaus denkbar, dass der Vorwurf der Wahrheit entspricht. Doch wäre das nicht im Prinzip eine Art Notwehr gegen eine unerlaubte Art der Absprache?

Das Ganze wirft ein Schlaglicht auf die Neobroker, aber auch auf die Aufsichtsbehörden. Dass gegen Robinhood und den Hedgefonds Citadel ermittelt wird, ist selbstverständlich richtig, Ermittlung bedeutet ja noch keinen Schuldspruch. Doch warum sind die Behörden auf dem anderen Auge blind? Von Ermittlungen gegen die Initiatoren des gigantischen Pump-and-dump-Geschäfts ist bislang noch nichts zu lesen. Aber mit Ermittlungen gegen angeblich demokratisierende Normalbürger sind wohl weniger Wählerstimmen zu gewinnen als mit Ermittlungen gegen die sowieso grundsätzlich böse Finanzelite.

Unabhängig davon, wie die Ermittlungen ausgehen, belegt diese Geschichte aber etwas ganz anderes. Die Märkte werden von den Notenbanken massiv mit Liquidität geflutet, die vor allem in Vermögenspreise fließt. Bilden sich Blasen an diesen Märkten, kommt es in der Regel zu Exzessen. Die Gamestop-Story kann man durchaus als einen solchen Exzess bewerten. Doch es gibt auch noch andere Exzesse. Stichwort Bitcoin: Die Kryptowährung hat sich seit Mitte März 2020 beinahe verzehnfacht im "Wert"! Die Marktkapitalisierung hat zeitweise die Marke von einer Billion US-Dollar erreicht. Übrigens auch ein typisches Zeichen von fortgeschrittenen Blasen: Die Jünger des Bitcoins werden aggressiv im Ton und werfen Skeptikern vor, nichts zu verstehen und ewig gestrig zu sein. Auch das waren Randerscheinungen, die in der Dotcom-Blase an der Tagesordnung waren. Alles schon mal da gewesen.

Oder nehmen wir das Thema Special Purpose Acquisition Companies (SPAC). Ein weiterer Hype. Hier wird für leere Börsenmäntel Kapital in mittlerweile dreistelliger Milliardenhöhe eingesammelt und die Kapitalgeber wissen gar nicht, in was sie investieren werden. Kann gut gehen, muss es aber nicht, wie das Beispiel Nikola zeigt, einem Vielleicht-irgendwannmal-Hersteller von elektrisch betriebenen Lastkraftwagen. Aber es ist ein einträgliches Geschäft - für die Initiatoren, aber auch für Investmentbanken. Laut den neuesten Zahlen des Marktforschungsunternehmens Coalition Greenwich haben die zwölf größten Investmentbanken allein mit der Emission von SPACs im vergangenen Jahr 70 Milliarden Euro eingenommen.

Hinzu kommen noch unzählige irrwitzige Kursanstiege und Bewertungen. Als Beispiele seien Tesla, der Big-Data-Spezialist Palantir oder die Varta-Aktie hier in Deutschland genannt - alles schon mal da gewesen. Bei so vielen sich wiederholenden Mustern sollte sich ein Blick zurück lohnen, wie es endete. Damals - ja es gab mal Zeiten, wo Notenbanken die Zinsen nach oben schraubten - begann die Fed im Sommer 1999, mitten auf dem Höhepunkt der Dotcom-Blase, den Leitzins in fünf Schritten von heute kaum vorstellbaren 5,0 auf 6,5 Prozent anzuheben. Das war der Anfang vom Ende der Blase. Im März 2000, als der Leitzins die 6-Prozent-Marke erreichte, platzte die Blase.

Die Erfahrung zu Beginn des Jahrtausends hat gezeigt, dass Zinserhöhungen Blasen zum Platzen bringen können. Das wiederum ist neben den ausufernden Staatsschulden ein weiterer Hemmschuh für die Notenbanken, auf eine anziehende Inflation entschlossen genug zu reagieren. Daher versucht die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen in einem kleinen Schwerpunkt der Frage nachzugehen, ob uns ein nachhaltiger Anstieg des Preisauftriebs droht und damit die Notenbanken in die - selbstverschuldete - Bredouille kommen könnten.

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Carsten Englert , Leitender Redakteur, Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen , Fritz Knapp Verlag
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