Bewährungsprobe in der Lieblingsdisziplin

Dr. Berthold Morschhäuser, Chefredakteur Foto: Fritz Knapp Verlag GmbH

Wenn in- und ausländische Kreditinstitute in den vergangenen Jahren über eine zukunftsträchtige Geschäftsausrichtung am deutschen Markt nachgedacht haben, mündete das auffällig oft in dem Entschluss zum Ausbau des Firmengeschäftes beziehungsweise der Unternehmensfinanzierung. Allein schon die pure Anzahl von Willensbekundungen zur Forcierung des Mittelstandsgeschäftes hat dabei allerdings Zweifel aufkommen lassen, ob alle Wettbewerber in diesem Geschäftsfeld ihren gebührenden Platz finden können. Bei all den diversen Erfolgsmeldungen über Neukundenakquise und/oder Marktanteilsgewinne kam vielmehr bei außenstehenden Beobachtern wie auch innerhalb der Branche immer wieder die Frage auf, auf wessen Kosten das jeweilige Wachstum denn bitteschön gegangen sein könnte.

Es gibt gleichwohl mehrere Gründe, weshalb sich die Unternehmensfinanzierung seit Jahren zur Lieblingsdisziplin der Kreditwirtschaft entwickelt hat. Zum einen locken in diesem Geschäftsfeld angesichts der schon lange anhaltenden Wachstumsphase nach der Finanzkrise immer noch einigermaßen auskömmliche Erträge. Das Geschäft mit Firmenkunden lebt stärker als das Privatkundensegment von der individuellen Beratung, die wenigstens noch einen gewissen Raum zur Margengestaltung lässt. Standardisierte Angebote, beispielsweise auch über Kreditplattformen, schmälern mittlerweile zwar ebenfalls die Ertragsmöglichkeiten, haben aber noch nicht die ganz große Marktrelevanz erreicht.

Zum zweiten hat der lang anhaltende Konjunkturaufschwung zu historisch niedrigen Ausfällen geführt. Begünstigt wird diese Entwicklung durch die teils durch aufsichtsrechtliche Vorgaben forcierte Verfeinerung des Risikomanagements der Banken wie auch ihrer Unternehmenskunden und nicht zuletzt durch eine deutlich bessere Eigenkapitalausstattung vieler Unternehmen. Gerade der Mittelstand hat diese Quote seit der Jahrtausendwende um gut zwölf Prozentpunkte auf rund 30 Prozent gesteigert und durch diese beträchtliche Stärkung der Bonität wesentlich mehr Spielraum für die Eigenfinanzierung gewonnen. Der Nachholbedarf bei Investitionen in neue Möglichkeiten der Digitalisierung verspricht dennoch auf absehbare Zeit und unabhängig von der aktuellen Konjunkturlage auf Jahre hinaus einen hohen Finanzierungsbedarf im gesamten Unternehmenssektor. Und allen aktuellen Störungen und Unsicherheiten zum Trotz eröffnet auch die internationale Vernetzung der Handelsströme (Ertrags )Chancen im Auslandsgeschäft.

Diese Bestandsaufnahme führt nahtlos zu den Herausforderungen für die Unternehmensfinanzierung. Seit Jahren genießt dieses Geschäftsfeld das politische Wohlwollen der nationalen und europäischen Politik. Die Verbesserung der Kapitalmarktfinanzierung von kleinen und mittleren Unternehmen gehört zur Agenda der Weiterentwicklung der Kapitalmarktunion. Auf der Liste der geplanten Maßnahmen steht unter anderem die Erleichterung der Geldaufnahme am Kapitalmarkt für KMUs und die Förderung sicherer und transparenterer STS-Verbriefungen (Simple, Transparent, Standardised). Bereits viele Freunde in der Kreditwirtschaft gefunden hat in den vergangenen Jahren auch ohne politisches Zutun der Schuldscheinmarkt, nicht zuletzt unter den Auslandsbanken. Mit dem Aufkommen zahlreicher Plattformen zum Schuldscheinhandel droht allerdings eine Margenverengung. Nicht den Durchbruch geschafft hat hierzulande das Instrument der Mittelstandsanleihen. Eine Reihe von negativen Praxisfällen und die aufwendigen Berichtspflichten machen es eher zu einem Nischenprodukt.

Neue Zugangswege zur Kapitalbeschaffung versprechen schließlich Kreditfonds und das Crowdinvesting, wobei beide Formen Anforderungen an das Unternehmensrating und die Berichterstattung stellen, die viele kleine und mittlere Unternehmen schon aus Kostengründen nicht erfüllen wollen. Vermögensbasierte Finanzierungsformen wie Leasing und Factoring haben hierzulande längst ihren Markt. Die Einkaufsfinanzierung durch Finetrading stößt insbesondere in Branchen auf Interesse, die von Rohstoffen und Vorprodukten abhängig sind.

Doch wie stehen die Chancen für all diese Instrumente? Eine gute Annäherung an die Dimensionen der Unternehmensfinanzierung in Deutschland bietet das Unternehmensregister, auch wenn die offiziellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes mit einer obligatorischen Zeitverzögerung veröffentlicht werden. Der Statistik zufolge gab es im Jahr 2017 hierzulande insgesamt 3 481 860 Unternehmen. Als Produzenten von Produkten und/oder Anbieter von Dienstleistungen sind diese hinsichtlich der Kapitalbeschaffung allesamt potenzielle Kunden der Finanzdienstleister. Schon der Blick auf die Beschäftigtenzahlen relativiert freilich die Bedeutung dieser Zielgruppe als Ganzes, denn 3 109 261 oder knapp 89,3 Prozent dieser Unternehmen beschäftigen weniger als zehn Mitarbeiter. 293 610 Unternehmen oder gut 8,4 Prozent fallen in die Kategorie mit 10 bis 49 Beschäftigten, 63 928 oder gut 1,83 Prozent der Unternehmen haben 50 bis 249 Mitarbeiter und nur 15 061 oder 0,43 Prozent der Unternehmen weisen eine Beschäftigtenzahl von 250 oder mehr auf. Die dieser Tage veröffentlichten Zahlen für 2018 werden an dieser Grundkonstellation nicht viel ändern. Echtes Potenzial für kapitalmarktrelevante Formen der Unternehmensfinanzierung verspricht nur ein begrenzter, wenn auch durchaus ansehnlicher Teil der Zielgruppe.

Das Gros der gesamten Klientel nutzt allerdings nur einen sehr überschaubaren Teil der am Markt angebotenen Produktpalette - nämlich in erster Linie den klassischen Kredit. Um welche Größenordnungen es dabei geht, zeigt ein Blick in die Bankenstatistik der Deutschen Bundesbank. Rund 1 484 Milliarden Euro an Krediten an Unternehmen und Selbstständigen werden dort per Ende 2018 ausgewiesen. Nach Bankengruppen differenziert entfallen dabei 418,669 Milliarden Euro auf die Kreditbanken. 157,874 Milliarden Euro sind es bei den Landesbanken, 440,230 Milliarden Euro bei den Sparkassen und 281,654 Milliarden Euro bei den Kreditgenossenschaften. Und bei all diesen vier großen Bankengruppen haben die Bestände im ersten Halbjahr dieses Jahres weiter zugenommen, bei den Kreditbanken auf 441,985 Milliarden Euro, den Landesbaken auf 160,007 Milliarden Euro, den Sparkassen auf 453,711 Milliarden Euro und den Kreditgenossenschaften auf 292,503 Milliarden Euro. Über alle Bankengruppen hinweg sind es knapp 1 540 Milliarden Euro - 15,5 Prozent mehr als Ende 2018. Trotz Handelsstreit, Brexit und deutlichen Anzeichen für eine Konjunkturdelle ist die Kreditvergabe hierzulande also noch in Takt. Zum Vergleich: Dem gerade in der Investitionsfinanzierung in den vergangenen Jahrzehnten recht gut angenommen Leasing bescheinigt der Branchenverband für 2018 ein Neugeschäft von rund 70 Milliarden Euro und beziffert die Leasingquote für Ausrüstungsinvestitionen per Ende des vergangenen Jahres auf 23,2 Prozent.

Ob sich die Hoffnungen der Kreditwirtschaft und/ der Politik auf neues Ertragspotenzial beziehungsweise eine wachstumsfördernde Belebung der Unternehmensfinanzierung durch kapitalmarktnahe Produkte erfüllen, bleibt angesichts der aktuellen konjunkturellen Lage und den Anzeichen auf eine weitere Lockerung der Geldpolitik auf absehbare Zeit fraglich. Denn der Tendenz nach bedrohen diese Rahmenbedingungen und all die genannten Instrumente einschließlich der diversen Kreditpattformen die Margen in der bankbasierten Unternehmensfinanzierung. In den Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs haben die hiesigen Unternehmen die Möglichkeiten der Diversifizierung ihrer Unternehmensfinanzierung nur begrenzt genutzt. Aber auch im klassischen Kreditgeschäft sind die Zeiten nicht rosig. Auslaufende Altkredite können vor dem Hintergrund der Geldpolitik und der Wettbewerbsverhältnisse oft nur unter Margeneinbußen verlängert werden. Das Neugeschäft leidet ohnehin unter den niedrigen Erlösspannen. Und die derzeitige Einlagenschwemme beschert insbesondere vielen Ortsbanken der Verbünde einen Druck zur Aufrechterhaltung oder gar Ausweitung ihrer Kreditvolumina. Die hiesige Kreditwirtschaft wird in der Unternehmensfinanzierung wohl auf absehbare Zeit leiden müssen. Die Unternehmen dürfen auf die lockere Geldpolitik und/oder das politische Wohlwollen für kapitalmarktnahe Finanzierungsinstrumente hoffen.

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