Gemeinsam allem gewachsen

Philipp Otto, Chefredakteur, Foto: Fritz Knapp Verlag GmbH

"Gemeinsam allem gewachsen!" Dieses Motto des 26. Sparkassentags ist zweifelsohne klug gewählt. Denn die diesjährige Auflage einer der größten Bankenversammlungen in Europa fällt wahrlich in bewegten Zeiten mit vielen Herausforderungen. Für jeden Einzelnen, aber eben auch für Parteien, Unternehmen und Kreditinstitute.

Da sind zum Beispiel die zunehmenden sozialen Spannungen in der Bundesrepublik. Glaubt man all den Studien und Untersuchungen geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. Zwar profitieren die Deutschen insgesamt von den positiven Rahmenbedingungen: Die niedrige Arbeitslosigkeit, die steigenden Löhne und die Wertsteigerungen bei Immobilien haben das Netto-Durchschnittsvermögen je Haushalt laut Deutscher Bundesbank auf rund 233 000 Euro ansteigen lassen. Allerdings ist dieses Vermögen sehr ungleich verteilt. Der Studie zufolge verfügen die obersten zehn Prozent über mehr als die Hälfte aller Vermögen. Die untere Hälfte aller Haushalte muss sich mit einem Gesamtvermögensanteil von mageren drei Prozent begnügen. Da muss man sich nicht weiter wundern, dass sozialistische Ideen wie die Enteignung von Wohnungsunternehmen und die Verstaatlichung ganzer Industrieunternehmen aufkommen und sogar auf fruchtbaren Boden fallen. Denn die Sorgen vor immer weiter steigenden Mieten, immer weniger verfügbarem Einkommen, einem sinkenden Rentenniveau verbunden mit den fehlenden Möglichkeiten zur privaten Altersvorsorge und damit der Altersarmut sind in breiten Bevölkerungsschichten ebenso groß wie das Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge klein ist.

Mit Blick nach vorne kommt man hier natürlich auch am Bildungssystem nicht vorbei. Mangelnde Deutschkenntnisse eines immer größer werdenden Anteils der Schüler machen einen ordentlichen Unterricht schon in der Grundschule, wo die Basis für Lesen, Schreiben und Rechnen gelegt werden soll, schwierig bis unmöglich. Das Niveau der Ausbildung sinkt entsprechend von Jahr zu Jahr. Wer es sich leisten kann, schickt sein Kind auf Privatschulen. Doch führt das nicht einerseits wieder zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft? Die Schnösel von da drüben und wir hier. Und kann andererseits die hier ausgebildete Elite all die Funktionen in einer wie auch immer zukünftig aussehenden Wirtschaftswelt erfüllen? Natürlich nicht. Denn es braucht auch in Zukunft Arbeiter und Beschäftigte, auch wenn Tätigkeiten wie am Fließband von VW vermutlich mehr und mehr von Robotern übernommen werden. Bereits heute wird der Fachkräftemangel als ein enormes Problem von allen politischen Parteien herausgearbeitet. Doch wo sollen diese Fachkräfte herkommen, wenn Zuwanderung nur zu immer neuen Problemen führt. Solide Deutschkenntnisse sind der Anfang und sollten Vorrausetzung für den Schulbesuch sein.

All das führt zu einer Entfremdung und einer Entgemeinschaftung. Entweder fehlt die Zeit oder die Bereitschaft, sich mit anderen zusammen- und/oder auseinanderzusetzen. Das zeigt sich bei Veränderungen im Familienbewusstsein ebenso wie beim Bedeutungsverlust von Institutionen wie Kirchen und Gewerkschaften. Jeder ist sich selbst der Nächste, heißt es so schön.

Ähnliches zeigt sich übrigens auch am Beispiel Europas: Auch hier müssten die Staaten und Bürger eigentlich enger zusammenrücken, um den Herausforderungen eines unberechenbaren US-Präsidenten, eines wachsenden Machtzentrums China und des Russlands eines Wladimir Putin entsprechendes entgegenzusetzen. Doch das Gegenteil ist der Fall, was offensichtlich auch die EU-Kommission mehr und mehr beschäftigt. Denn Kommissionspräsident Jean-Clau de Juncker fand jüngst sehr deutliche Worte: "Die Vertiefung der Währungsunion kommt nicht voran, weil die Niederlande, Österreich und allzu oft auch Deutschland sich in den Weg stellen, wenn es um gelebte Solidarität und gemeinsame Verantwortung geht." Und weiter: "Deutschland ist jetzt noch nicht reif dafür, doch viele deutsche Politiker wollen hier durchaus weiterkommen." Rumms!

Zweifelsohne nimmt die Abneigung gegenüber Europa auch bei den deutschen Bürgern eher zu als ab. Europa wird häufig mit steigenden Kosten, mit Bevormundung und mit Bedrohung des eigenen Wohlstands gleichgesetzt. Dabei profitiert Deutschland mit am stärksten vom europäischen Binnenmarkt: Laut einer Bertelsmann-Studie steigert der Binnenmarkt die Einkommen jedes EU-Bürgers jährlich um 840 Euro. Für Deutschland betragen die Einkommenszuwächse pro Person sogar durchschnittlich 1 046 Euro.

Die Sparkassen sind bei all dem mittendrin. Sie sind nach wie vor die Hauptbankverbindung für mehr als die Hälfte aller Bundesbürger. Sie sind Hauptfinanzierer des deutschen Mittelstands. Sie sind nicht zuletzt ob der öffentlich-rechtlichen Trägerschaft großer kommunaler Kreditgeber. Sie sind einer der größten Steuerzahler. Sie fördern mit ihrem Engagement sportliche, kulturelle und soziale Einrichtungen und sorgen so für ein Mehr an Gemeinschaft. Aber sie stehen auch unter Druck.

Denn es ist ziemlich klar, dass sich Banken und Sparkassen auf weitere Jahre ohne Zinsen einstellen müssen. Das ist mittlerweile zwar zwangsläufig geübte Praxis, angesichts von immer weniger gut verzinstem Altgeschäft in den Beständen, einer wirtschaftlichen Eintrübung mit einer geringen Kreditnachfrage und steigenden Ausfallrisiken wird der Druck auf die Ertragslage aber größer. 2018 zeigten sich erstmals echte Bremsspuren in den Gewinn- und Verlustrechnungen. So ging der Zinsüberschuss der Sparkassen um satte 747 Millionen Euro zurück. Tendenz steigend, denn die Zinswende ist auf weit in die 2020er Jahre verschoben und die geldpolitischen Sondermaßnahmen wie beispielsweise Anleihekäufe und TLTROs bleiben ein willkommenes Instrument der Währungshüter.

Weder über die Provisionsüberschüsse noch über Kostensenkungen konnten die Ertragseinbußen im zinstragenden Geschäft bislang ausgeglichen werden. Das erzürnt auch den stabilitätsorientierten Präsidenten der BaFin, Felix Hufeld. Er könne nicht nachvollziehen, dass die Aufwendungen immer noch genauso hoch wie zu Zeiten der Finanzkrise vor zehn Jahren seien, sagte er bei der Jahrespressekonferenz. Hier fehlt ihm die Bereitschaft, sich sehr viel tiefer mit der CIR-Thematik zu befassen und einerseits Strategien zu entwickeln, Kosten nachhaltig zu senken und andererseits über Veränderungen in den Geschäftsmodellen die Konzentration auf ertragreiche Geschäftsfelder zu verstärken. Welche Rolle spielt da noch die stationäre Präsenz? Was kann standardisiert online angeboten werden? Wo sind Einnahmequellen durch die Wahrnehmung von Beratungsleitungen? Wie groß ist die Gefahr durch Fintechs und Plattformen, die die Wertschöpfungsketten aufbrechen und mehr Volumen auf sich vereinen? Wie sieht die richtige Arbeitsteilung zwischen Primärinstituten und Verbunddienstleistern aus?

All das sind Fragen, auf die die Sparkassen-Organisation Antworten finden muss. Dessen ist sie sich bewusst und dazu ist sie mittlerweile auch bereit. Entsprechend werden heute Veränderungen diskutiert und Ideen Chancen eingeräumt, die vor gar nicht allzu langer Zeit als überflüssig und unmöglich schienen. Ein Ausbau der Bayern-LB-Tochter DKB zu einer bundesweiten Onlinebank im Besitz der Primärinstitute, um Kunden mit anderen Ansprüchen an Bankgeschäft zumindest im Verbund zu halten? Der Aufschrei gegen den Vorstoß des Bundesobmanns hielt sich in Grenzen. Eine "Sparkassen-Zentralbank" in der wesentliche Dienstleistungen der Landesbanken und der Deka gebündelt werden? DSGV-Präsident Helmut Schleweis will auch hier ein "window of opportunity" erkannt haben, gleichwohl das Brett natürlich extrem dick ist. Aber auch bei diesem Thema wird eher konstruktiv gestritten, denn kategorisch abgelehnt.

Sparkassentage sollen der Organisation das Gefühl der Zusammengehörigkeit geben. Sparkassentage sollen Zeichen setzen und Signale senden. Auf Sparkassentagen wird Politik gemacht, wird für eigene Ziele geworben, werden Bündnisse erneuert oder gelöst. Hamburg kann hier Großes bewirken, wenn der Wille zur viel beschworenen Gemeinsamkeit ausgeprägt genug ist. Dann bleibt man weiterhin allem gewachsen!

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