ING-Diba mit Universalbankambitionen

Dr. Berthold Morschhäuser Chefredakteur

An der Bilanzsumme gemessen hat es die ING-Diba schon vor rund zwei Jahren unter die zehn größten deutschen Banken geschafft, künftig will sie noch weiter nach vorne rücken. Entsprechend selbstbewusst wurden die Bilanzzahlen 2017 präsentiert, die Headlines in der Pressemitteilung - Rekordergebnis und Agilität - passen nahtlos in das Bild der vergangenen Jahre. Einmal mehr darf die Tochter der niederländischen ING Group auf ein Wachstum in allen Geschäftsfeldern und Bilanzpositionen sowie in der Ertragsrechnung verweisen. Konkret bedeutet die Entwicklung des Ergebnisses vor Steuern von 691 Millionen Euro im Jahre 2013 über 1,16 Milliarden Euro 2015 zu den knapp 1,27 Milliarden Euro für das Berichtsjahr 2017 eine nur leicht gebremste Fortschreibung der kontinuierlichen Erhöhung. Darüber hinaus gibt die Bank ein eher weiches Ziel vor, für das es in der Branche noch gar keine vergleichbaren Kriterien gibt. Sie will die erste "agile" Bank in Deutschland werden, wie der neue Vorstandsvorsitzende Nick Jue schon kurz nach Amtsantritt Mitte vergangenen Jahres verkündet hatte

Aufhorchen lässt dann aber eine Passage zum Ausblick auf die kommenden Jahre. Dass die Bank ihr ohnehin gutes Wachstum der vergangenen Berichtsperioden noch einmal deutlich beschleunigen will, klingt gewohnt ambitioniert. Und dass sie dabei ihre im hiesigen Branchenvergleich ohnehin schon gute Cost Income Ratio von 44 (40) Prozent dauerhaft senken will, würde bei erfolgreicher Umsetzung die Messlatte an die Effizienz der Wettbewerber noch einmal höher legen - selbst wenn diese Kennziffer bei einer Tochtergesellschaft durch die Erfassung vieler Kostenbestandteile bei der Mutter begünstigt und damit nicht ganz vergleichbar sein mag. Besonders bemerkenswert ist aber die Ansage, zu einer der größten deutschen Universalbanken werden zu wollen. Denn das bedeutet 20 Jahre nach dem Einstieg der niederländischen ING Group bei der damaligen Allgemeinen Deutschen Direktbank und 15 Jahre nach der vollständigen Übernahme endgültig die Verabschiedung aus einem Nischen- oder zumindest Spezialistendasein und die erklärte Hinwendung zur vollen Breite des deutschen Marktes.

Nun mag man im Detail darüber streiten, was in Zeiten der Digitalisierung und des Internetbankings unter einer Universalbank zu verstehen ist und ob eine Neuinterpretation fällig wäre. Eine eher pragmatische Umschreibung dieses Banktypus findet sich auf der Homepage der Bundesbank. Die Notenbank rechnet alle Institute dazu, die im Gegensatz zu Spezialbanken alle oder fast alle typischen Bankgeschäfte im Privat- und Firmenkundengeschäft betreiben. In Deutschland sind die meisten Banken als Universalbanken unterwegs, man spricht von einem Universalbankensystem. Als dessen Vorteile gelten die Chancen der Versorgung der Kunden "aus einer Hand" mit allen Möglichkeiten des Cross-Selling sowie tendenziell eine geringere Störanfälligkeit. Risiken in den einzelnen Geschäftssparten, derzeit etwa im Einlagengeschäft durch die Niedrigzinsphase, können zumindest in der Theorie durch die Streuung der einzelnen Geschäftssparten von Universalbanken besser ausgeglichen werden als von stark spezialisierten Instituten. Dem steht freilich der mögliche Nachteil beziehungsweise die große Herausforderung gegenüber, das volle Leistungsspektrum des Bankgeschäftes mit einer wettbewerbsfähigen Effizienz anbieten zu müssen, um sich nachhaltig am Markt zu behaupten.

Doch jenseits aller akademischen Begriffsdefinitionen dürften die Universalbankambitionen der ING-Diba konkrete Auswirkungen auf den Markt haben. Wer die strategische Fortentwicklung der Bank auch nur einigermaßen verfolgt hat, muss die Ankündigung als Hinweis auf einen nochmals härteren Wettbewerb deuten. Genau diesem Dilemma oder umgekehrt auch der Chance sehen sich hierzulande die Sparkassen und Kreditgenossenschaften gegenüber. Ihrem Selbstverständnis und geltenden Anspruch nach wollen sie die ganze Leistungsbreite des Bankgeschäftes flächendeckend anbieten, und zwar nicht nur stationär, sondern ausdrücklich auch über die diversen digitalen Kanäle. Multikanalangebot lautet hier das Schlagwort. Die ING-Diba hingegen baut darauf, eine möglichst volle Produkt- und Dienstleistungspalette allein über die Onlinekanäle und die Ergänzung um neue Plattformen abdecken zu können, also ausdrücklich ohne ein stationäres Beratungsangebot. Begonnen beziehungsweise weiter vertieft wurden diese strategischen Entwicklungsschritte nach dem Einstieg des Großaktionärs ING mit dem Tagesgeldkonto, das über die Vertriebswege Telefon und später mehr und mehr das Internet über günstige Konditionen forciert wurde.

Besonders nach der vollen Übernahme der Bank durch die ING-Gruppe konnten die Spargelder rasant gesteigert werden. Von 61 Milliarden Euro im Jahre 2007 über 95 Milliarden Euro 2012 auf 133 Milliarden Euro Ende 2017 wurden die Einlagen dann binnen eines Jahrzehnts noch einmal mehr als verdoppelt. Das von der Vorgängerbank übernommene Baufinanzierungsportfolio lag noch 2005 bei vergleichsweise bescheidenen 16 Milliarden Euro. Schon im Jahre 2007 hatte es sich nach Forcierung der Direktvertriebsmethoden auf 36 Milliarden Euro mehr als verdoppelt und ist per Ende 2017 auf 69 Milliarden Euro gestiegen.

Für einen stärkeren Ausgleich des zeitweise massiven Einlageüberhangs sorgen zudem das Verbraucherkreditgeschäft und das Wholesale Banking. Wurden die Verbraucherkredite im Jahre 2007 mit rund 2 Milliarden ausgewiesen, standen sie schon 2012 mit rund 4 Milliarden Euro zu Buche und per Ende 2017 werden nach einer Steigerung um 16 Prozent nun 7,5 Milliarden Euro notiert. Das Wholesale Banking mit einem beim Start 2011 teils von der Mutter übernommenen Startvolumen von 7 Milliarden Euro konnte über 15 Milliarden Euro 2014 auf 31 Milliarden Euro 2017 ausgebaut werden. Im Berichtsjahr meldet die Bank auf der Kreditseite ein stärkeres Neugeschäft als auf der Einlagenseite. Ähnliche Entwicklungsschritte weist das Wertpapiergeschäft auf. Stand im Jahre 2007 noch ein Depotvolumen von 13 Milliarden Euro zu Buche, waren im Zuge der Kursverluste der Finanzkrise 2008 Einbußen auf 10 Milliarden Euro zu verkraften, bevor der kontinuierliche Anstieg auf 18 Milliarden Euro im Jahre 2012 sowie 37 Milliarden Ende 2017 einsetzte.

Wie das Produkt- und Dienstleistungsangebot weiter in Richtung Universalbank ausgeweitet werden soll, hat die Bank ebenfalls schon signalisiert. Die kontinuierliche Arbeit an weiteren Digitalprojekten (derzeit 182) soll dabei genutzt werden, das Angebotsspektrum in den kommenden Jahren noch weiter voranzutreiben. Konkret hat etwa die Kooperation mit dem Fintech Scalable Capital in der durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz gesteuerten Vermögensverwaltung mit ETFs allein seit September 2017 einen Mittelzufluss von 330 Millionen Euro gebracht, für 2018 wird ein Bestand von mindestens einer Milliarde Euro angepeilt. Für die kommenden Jahre wird zudem ein besonderes digitales Angebot für Kunden mit einem Spar- und Wertpapiervolumen über 50 000 Euro angekündigt, also eine Bewegung in Richtung Wealth Management. Und dann hat die Bank schon für das laufende Jahr signalisiert, mit Onlinekrediten an kleinere Unternehmen in einem Bereich Fuß fassen zu wollen, der hierzulande klar von den Sparkassen und Genossenschaftsbanken dominiert und von vielen anderen Instituten forciert wird. Zusammen mit einem Fintech soll für solche Geschäfte eine leistungsfähige Plattform aufgebaut werden. Parallel zu alledem will die Bank in der Stärkung ihrer Hausbankfunktion vorankommen und massiv für die Erhöhung der Zahl ihrer Girokonten werben. Nach einem Plus von 20 Prozent 2017 wird diese derzeit mit 2,1 Millionen angegeben.

Die ING-Diba interpretiert damit die klassische Universalbankfunktion auf ihre eigene Art, sehr wohl flächendeckend, aber nicht stationär, nicht für alle Kunden, wohl aber für die steigende Zahl der Nutzer von Internet- und/oder Mobile Banking, zwar noch nicht ganz in allen klassischen Produkten des Bankgeschäftes für Privat- und Firmenkunden, aber mit einer immer breiter werdenden Palette. Angesichts der insgesamt selbst mit ihren Kernprodukten immer noch vergleichsweise niedrigen Marktanteile dürfte sie mit diesem Konzept gute Chancen auf Wachstum haben, ob man sie nun als Universalbank einstuft oder nicht.

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