Massiver Aufholbedarf

Miriam Veith Redakteurin, Foto: M. Veith

"Dass so viele alte Menschen in Armut leben müssen, ist unserer reichen Gesellschaft nicht würdig", bewertete vor wenigen Monaten Bundesseniorenministerin Anne Spiegel (Bündnis 90/Die Grünen) die harte Realität vieler Senioren in Deutschland. Denn mit 22,4 Prozent ist mehr als jeder Fünfte der über 80-Jährigen in der Bundesrepublik von Altersarmut betroffen. Bei den hochbetagten Frauen liegt der Anteil sogar noch um mehr als neun Prozentpunkte höher als bei den Männern. Obendrein erhalten Frauen laut Zahlen der OECD satte 46 Prozent weniger Rente als Männer. Außerdem gerät die Altersvorsorge aufgrund der demografischen Entwicklung immer weiter unter Druck. Schon heute erhält die deutsche Rentenversicherung eine jährliche Überweisung aus dem Bundeshaushalt in Höhe von rund 100 Milliarden Euro, das entspricht einem Drittel des gesamten Bundeshaushaltes. Hier muss die Politik also dringend handeln! Viel Kreativität beweist sie allerdings nicht und ergreift für gewöhnlich nur die folgenden drei Maßnahmen: Rentenniveau absenken, späteres Renteneintrittsalter oder Steuern erhöhen. Das eine oder andere tritt häufig sogar in Kombination auf, von allen drei Mitteln gleichzeitig Gebrauch zu machen, wäre allerdings politisch nicht vertretbar. Gleichzeitig entwickelt sich das Standardrentenniveau seit 2003 rückläufig. Was ist also die Alternative?

Solange die Probleme in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht gelöst sind, kann nur vermehrte private Altersvorsorge zu einer besseren finanziellen Situation im Alter beitragen. Dafür wäre Finanzbildung eine wünschenswerte Voraussetzung. Je mehr die Bürger ökonomische Zusammenhänge verstehen, desto besser können sie sich auch über ihre eigene Finanzsituation bewusst werden und entsprechend agieren. Hinzu kommt: Mehr Bildung in wirtschaftlichen Zusammenhängen eröffnet meist auch bessere berufliche Perspektiven, was wiederum zu einem höheren Einkommen führen kann und damit das Armutsrisiko ebenfalls senkt. Dieser Zusammenhang wurde wissenschaftlich bereits hinreichend belegt. Transferiert man diesen Gedanken auf die Gesamtbevölkerung, dann könnte sich dies sogar positiv auf Beschäftigungsmöglichkeiten, Wachstum oder den Wohlstand in Deutschland auswirken.

Und obwohl die OECD als Reaktion auf die Finanzkrise 2008/2009 in regelmäßigen Abständen Studien zur Förderung der Finanzbildung bei Erwachsenen mit konkreten Handlungsempfehlungen veröffentlicht hat, denen über 150 Länder in der Welt (darunter auch die Niederlande oder Österreich) gefolgt sind, indem sie nationale Strategien zur Vermittlung von mehr Finanzwissen vorgelegt haben, existiert in Deutschland (als fast einziges OECD-Land!) aber bislang noch keine derartige Strategie im weiteren Sinne. Als Hauptgrund wurde hierfür genannt, dass man Zweifel an der Wirksamkeit habe. Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung e. V. gibt es dafür allerdings keinen triftigen Grund.

Im Rahmen einer umfassenden Untersuchung hat das Institut daher herausgearbeitet, dass finanzielle Bildung einen signifikant positiven Effekt auf das Finanzwissen und das Finanzverhalten hat, Verbraucherschutz nicht ersetzt, sondern ergänzt und bereits sehr viele gut dokumentierte und evaluierte Interventionen existieren würden, an denen sich die deutsche Politik orientieren könne, um mögliche Fehler zu vermeiden und eine angemessene Effektivität zu sichern. Aufgrund dessen spricht sich das Institut klar für die Entwicklung einer Strategie zur Förderung von Finanzbildung in Deutschland aus. Doch das ist (leider) bislang nicht passiert und auch nicht in Planung - dürfte aber angesichts des deutschen föderalen Systems auch keine leichte Aufgabe darstellen. Es erstaunt also nicht, dass die Bildungslücken mit Blick auf Finanzthemen in Deutschland derzeit geradezu alarmierend sind. Laut einer repräsentativen Studie der Finanztip Stiftung weiß nicht einmal knapp die Hälfte der rund 3 000 Befragten Bundesbürger im Alter zwischen 16 und 69 Jahren, dass auf einem Girokonto ab dem ersten Cent im Minus sofort Zinsen anfallen. Rund 25 Prozent der Teilnehmer zeigten sich überzeugt davon, dass der Dispo kostenlos sei, wenn das Konto am Monatsende wieder ausgeglichen werde. Hier fehlt es also massiv an Grundlagenwissen, um Finanzentscheidungen und deren Konsequenzen wirklich zu verstehen. Nur etwa knapp die Hälfte der Befragten konnte mehr als sechs der zwölf Fragen zu diesen Themen richtig beantworten. Rund 22 Prozent hätten nur bei maximal drei der Fragen die richtigen Antworten gewusst. "In Schulnoten ausgedrückt wäre das mindestens mangelhaft", heißt es.

Die Befragung offenbart zudem, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen schlechter abschneiden als andere: Teilnehmer unter 30 Jahren erzielten im Durchschnitt deutlich weniger Punkte als ältere Befragte. Auch beim Einkommen gibt es Unterschiede: Haushalte, die nach eigener Aussage im Monat mit bis zu 1 500 Euro auskämen, erzielten durchschnittlich weniger Punkte als Haushalte, denen mehr als 3 800 Euro zur Verfügung stünden. Finanzbildung scheint also eine Frage des Alters und des Vermögens zu sein. Dabei zeigen gerade junge Menschen Interesse an Finanz- und Wirtschaftsthemen. Laut dem Deutschen Institut für Altersvorsorge wünschen sich 84 Prozent der Schüler in Deutschland ein Unterrichtsfach auf dem Lehrplan, das sich mit Finanzen auseinandersetzt. Auch die Jugendstudie des Bankenverbandes belegt das. Mit 71 Prozent sind nahezu drei Viertel der befragten 14- bis 24-Jährigen davon überzeugt, dass Informationen zu Geldangelegenheiten wichtig (53 Prozent) oder sehr wichtig (18 Prozent) sind.

Eigentlich sollte man meinen, dass dies gute Voraussetzungen dafür sind, um mit einem passenden Bildungsangebot vor allem junge Menschen für das Thema Finanzen zu begeistern. Der einfachste Weg wäre tatsächlich auch, ein entsprechendes Unterrichtsfach "Wirtschaft" flächendeckend in der Schule zu etablieren. So könnte nämlich sichergestellt werden, dass das Thema ökonomische Bildung aus dem sozialen Milieu und dem Dunstkreis der eigenen Familie (sowie deren Erfahrungen) herausgelöst wird, was wiederum die Chancengleichheit fördern würde. Zudem ist es gerade beim Thema Finanzen oder zum Beispiel bei dem Aufbau einer privaten Altersvorsorge wichtig, frühzeitig einzusteigen. Jedoch ist Bildungspolitik föderal organisiert und durch die Beteiligung von Schul- und Wissenschaftsministerien komplex in ihren Strukturen und Prozessen. Aber auch wenn das Ländersache ist, der Bund könnte im Sinne einer oben erwähnten Finanzstrategie entsprechende Signale an die Bundesländer geben, indem zum Beispiel mehr Mittel für Finanzbildung zur Verfügung gestellt werden. Es müsste angesichts des ohnehin schon überfüllten Stundenplans aber auch Einigkeit darüber bestehen, was heutzutage schulische Allgemeinbildung bedeutet. Doch anstatt einen entsprechenden Standard zu erarbeiten, wird sogar jeglicher Vergleich mittlerweile gescheut. So nimmt Deutschland schon seit vielen Jahren bei der PISA- Studie nicht im Bereich Finanzbildung teil.

Die Schule allein kann die klaffende Bildungslücke beim Thema Finanzbildung ohnehin nicht schließen, das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe! Das heißt: Banken, Vermögensverwalter, das Umfeld wie die eigenen Eltern sowie die Gesamtöffentlichkeit sollten ebenso mehr eingebunden werden, damit das Thema tatsächlich in der Breite der Gesellschaft ankommt. Allerdings dürfen sich vor allem die Banken vor dem Hintergrund des starken deutschen Verbraucherschutzes dabei nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, ein direkter Kontakt im Schulalltag beispielsweise ist derzeit leider nicht denkbar. Entsprechend müssen die Häuser, die sich bereits schon viel für Finanzbildung einsetzen, (auch außerhalb der Beratung) überlegen, wie neue und vor allem sinnvolle Kontaktpunkte generiert werden können.

Die über 30-Jährigen könnte man etwa mit informativen Podcasts für Finanzen begeistern, während die Generation Z lieber auf Social-Media- Plattformen wie TikTok unterwegs ist. Einige Institute, darunter die Stadtsparkasse Düsseldorf, haben daher einen eigenen Account eingerichtet, um die Zielgruppe dort zu erreichen, wo sie sich auch tatsächlich aufhält. Dafür müssen Banken aber auch offener und digitaler werden und sich zudem ein attraktiveres Image aufbauen. Das Knowhow und gute Angebote wie auch Netzwerke, die über Finanzthemen aufklären, sind schließlich bereits vorhanden. Dieses Angebot muss aber sichtbarer werden, die sozialen Medien könnten dabei von großer Tragweite sein.

Miriam Veith , Redakteurin , Fritz Knapp Verlag GmbH
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