Neue Normalität

Miriam Veith, Volontärin Foto: M. Veith

"In den nächsten Jahren wird sich unsere Arbeitswelt, das ist absehbar, dramatisch verändern", so Bundesminister Hubertus Heil bei der Vorstellung des Unabhängigen Rats der Arbeitswelt Anfang dieses Jahres in Berlin. Die Entwicklung werde dabei nicht nur von technologischem Fortschritt, Veränderungen in der Wirtschaftsstruktur oder politischen Entscheidungen getrieben, sondern auch durch verschiedene Werthaltungen in der Gesellschaft. Diesen Wandel zu begleiten ist eine echte Herausforderung für Öffentlichkeit, Politik und betriebliche Praxis.

Früher waren Arbeitnehmer - frei nach dem Motto "Hauptsache Arbeit" - zufrieden, wenn sie für ihre Anstellung ein angemessenes Entgelt erhielten. Heutzutage haben sich die Karriereziele aber verändert und das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist sehr viel komplexer geworden. Entsprechend reicht ein Unternehmensname allein nicht mehr aus, um am Markt als attraktiver Arbeitgeber zu gelten. Vielmehr spielen sogenannte Soft Skills mittlerweile eine deutlich größere Rolle bei der Jobwahl. Für die Finanzindustrie, bekanntermaßen etwas verstaubt, wird es im Wettbewerb mit innovativen Fintech- und Bigtech-Unternehmen zunehmend schwieriger, junge und digitalaffine Bewerber für sich zu gewinnen.

Doch genau die braucht es einer Studie vom Stifterverband und McKinsey zufolge. Zu den Kompetenzen, die in den kommenden fünf Jahren für das Berufsleben oder eine gesellschaftliche Teilhabe deutlich wichtiger werden, zählt diese Analyse die Gestaltung von transformativen Technologien (künstliche Intelligenz, Smart Hardware, Robotik) sowie digitale und nichtdigitale Schlüsselqualifikationen (digitale Interaktion, Adaptionsfähigkeit, unternehmerisches Denken). Eine der wichtigsten Erkenntnisse ist, dass bis 2023 in Deutschland rund 700 000 Personen mehr als heute benötigt werden, die über technologische Fähigkeiten verfügen, und mehr als 2,4 Millionen Erwerbstätige müssen weitergebildet oder umgeschult werden. Das allein ist schon eine spannende Aufgabe für alle Arbeitgeber. Banken stehen zusätzlich vor der Herausforderung, ihre Geschäftsmodelle angesichts fortschreitender Digitalisierung, Veränderung der Kundenwünsche und sich verschiebenden Ertragsquellen drastisch umbauen zu müssen. So glauben 91 Prozent der Banken-CEOs, dass die KI das Bankgeschäft in den nächsten fünf Jahren nachhaltig verändern wird.

Allein durch die verstärkte Automatisierung und Optimierung von Prozessen werden unzählige einfache Tätigkeiten wegfallen. Doch wo sind die Grenzen dieser einfachen Tätigkeiten? Werden im Zuge der verstärkten Ausbreitung von künstlicher Intelligenz auch in der Finanzwirtschaft verstärkt Roboter die Jobs von Menschen übernehmen? Einer ifo-Studie zufolge verdrängt jeder eingesetzte Roboter zwei Jobs in der Industrie, schafft aber zwei neue Stellen im Dienstleistungssektor. Es finden also Verschiebungen in der Arbeitswelt statt, was möglicherweise auch eine höhere Nachfrage an besser qualifizierter Arbeit nach sich ziehen könnte. Es wird also erwartungsgemäß nicht weniger, sondern komplexere Berufe geben, in der Industrie, im Dienstleistungsbereich und in der Finanzbranche. Dennoch wird sich der Trend zum Personalabbau im Finanzsektor weiter fortsetzen. Im deutschen Kreditgewerbe ist laut dem AGV Banken die Zahl der Beschäftigten im Jahr 2019 um 1,8 Prozent auf 561 450 gesunken (571 700).

All das - etwas angestaubte Branche, unsichere Zukunft, großer Veränderungsbedarf - trägt nicht gerade zur Attraktivität der Bank oder Sparkasse als Arbeitgeber und zur Loyalität der Mitarbeiter bei. Doch gerade die Bindung zum Unternehmen ist neben der Unternehmenskultur maßgeblicher Treiber des Erfolgs einer Unternehmung.

Vielleicht kann man wenigstens an dieser Stelle der Corona-Pandemie vorsichtig etwas Positives abgewinnen. Denn während des Lockdown sahen sich die Geldinstitute dazu gezwungen, ihre Mitarbeiter ins Homeoffice zu überstellen. Diese unfreiwillige Lernerfahrung der Banken führt zu einem echten Paradigmenwechsel in der Gestaltung von Arbeit: Erstmals hat sich ein höheres Maß von virtuellen, neben den im Büro stattfindenden Arbeitsformen etabliert. Und es war auch eine neue Erfahrung für viele Führungskräfte, die mitunter daran glaubten, dass ihre Mitarbeiter zu Hause an Produktivität verlieren würden. Durch Corona konnte den Instituten aufgezeigt werden, dass auch sehr komplexe Vorgänge von zu Hause aus bearbeitet werden können. Daneben gibt es weitere Vorteile, wie die Einsparung von Büro-, Fahrt- und Reisekosten, denn auch Meetings lassen sich problemlos virtuell durchführen. Auch das war für viele eine positive Erfahrung.

Entsprechend wollen laut einer ifo-Studie auch knapp die Hälfte aller Unternehmen in Deutschland Homeoffice künftig stärker etablieren. Das ist begrüßenswert, auch mit Blick auf die Attraktivität von Finanzdienstleistern als Arbeitgeber. Aber: Auch wenn sich gezeigt hat, dass die Heimarbeit flächendeckend gut funktioniert, so sollte sie doch keine Dauerlösung darstellen. Denn soziale Kontakte sind generell wichtig für das Wohlbefinden des Menschen und insofern auch für ein produktives Miteinander auf der Arbeitsebene. Für Neuangestellte beispielsweise ist die Präsenz im Büro essenziell, um Kontakte und Wissen aufzubauen. Aber auch für die zahlreichen Mitarbeiter in den Büros und Zweigstellen ebenso wie die Kundenberater mit ihren Klienten ist der persönliche Austausch sicherlich (noch) nicht zu ersetzen.

Um als Bank zukunftsfähig zu bleiben, müssen also hierarchisch getriebene Organisationsstrukturen dem heutigen Zeitgeist angepasst werden. Aber können die Institute auf ihr starres Korsett überhaupt verzichten, allein schon der hohen regulatorischen Anforderungen an diese Branche mit der Vorgabe nach klaren Verantwortlichkeiten geschuldet? Eine Möglichkeit sind agile Unternehmensformen. Viele glauben, dass es sich bei "New Work" oder "Agilität" lediglich um Kunstbegriffe handelt, die nur reine Kosmetik in Form von Tischkickern, Matetee oder bunten Möbeln darstellen. Hingegen geht es dabei um ein vollkommen neues Mindset, das Unternehmen nicht mehr nur als eine gut geölte Maschine, sondern als ein lebendiges Ökosystem begreift.

Die ING hat hier Pionierarbeit geleistet und sich seit 2018 agil aufgestellt. Die Mitarbeiter arbeiten eigenverantwortlich in sogenannten "Squads", "Tribes", "Expertise Teams" oder "Customer Loyalty Teams" zusammen. Die Teams stehen im engen Austausch zueinander, priorisieren Projekte, legen Teilziele fest und verteilen ihre Aufgaben. Insofern erhalten die Mitarbeiter mehr Verantwortung und können eine direktere Verbindung zwischen ihrer Tätigkeit und dem Unternehmenserfolg erkennen. Das ist auch gut für das Unternehmen, denn wenn Arbeit Sinn macht, dann sind Mitarbeiter produktiver. Das bestätigen auch die Erfahrungen der ING, die nach eigener Aussage nun deutlich schneller und effizienter als vor der agilen Transformation ist. Auch die Attraktivität des Hauses konnte gesteigert werden: Im IT-Bereich habe sich die Anzahl der Bewerber um 50 Prozent erhöht.

Das zeigt: Banken sind also durchaus in der Lage, ihr Mindset sowie ihre Struktur dem heutigen Zeitgeist, der den Sinn der Arbeit sowie die gesellschaftliche Relevanz hinterfragt, anzupassen. Auf diese Weise können die Institute möglicherweise auch den immer noch nachwirkenden Imageschaden, der durch die Finanzkrise 2008/2009 entstanden ist, wieder geraderücken. Wenn die Institute bereit sind, sich von ihrem mechanisch geprägten Weltbild zu trennen und neue Wege in der Arbeitswelt zu gehen, dann werden sie auch für moderne Arbeitnehmer wieder attraktiver werden und somit langfristig erfolgreich bleiben.

Beschäftigte im Kreditgewerbe Quelle: AGV Banken

Linkedin
Xing
Twitter

 

Miriam Veith , Redakteurin , Fritz Knapp Verlag GmbH

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X