(Noch) zu viel ungenutztes Potenzial

Miriam Veith Redakteurin, Foto: Verlag Fritz Knapp GmbH

Angesichts der anhaltenden Niedrigzinsphase, steigender regulatorischer Anforderungen, immer komplexerer Kundenbedürfnisse, zunehmender Digitalisierung sowie der Präsenz neuer Wettbewerber hat sich der Ertragsdruck auf die etablierten Banken kontinuierlich verschärft. Und auch wenn sich die Zinslandschaft ganz langsam zum Besseren wendet, sind die Institute dazu gezwungen, ihre Geschäftsmodelle weiter anzupassen und nach neuen Ertragsquellen zu suchen. Denn die rückläufigen Zinsdurch (unter anderem) vermehrte Provisionserträge zu kompensieren, ist für viele Häuser überlebensnotwendig geworden. Damit steht die Kreditwirtschaft in der Finanzdienstleistungsindustrie aber nicht allein da. Auch die Versicherungsunternehmen blicken ähnlichen Herausforderungen entgegen und befinden sich derzeit in einer tiefgreifenden Transformationsphase. Während Banken (Berater) und Versicherer (Vermittler) zwar charakterlich große Unterschiede aufweisen, so besteht bei Bank- und Versicherungsprodukten aber glücklicherweise eine gewisse Nähe, etwa beim Vermögensaufbau oder der Altersvorsorge. Wieso also nicht etwas näher zusammenrücken und sich gemeinsam den Aufgaben - und vor allem dem Wettbewerb - stellen? Dieser Überlegung sind viele Banken und Versicherer in den vergangenen Jahren nachgegangen. So haben die Institute - darunter Allianz und Unicredit oder Deutsche Bank und Zurich Versicherung - still und leise an Kooperationsmöglichkeiten gearbeitet und dabei besonders dem Thema Bancassurance wieder neues Leben eingehaucht.

Gut gemacht, scheint das von Erfolg gekrönt: Laut einer Analyse von McKinsey erhöhten sich beispielsweise die Prämien bei Lebensversicherungsprodukten im Bancassurancemarkt zwischen 2012 und 2019 um 3,6 Prozent pro Jahr. Im gleichen Zeitraum stiegen die Prämien für Nicht-Lebensversicherungen mit 5,3 Prozent pro Jahr sogar noch stärker. Die Bancassurance, also der Vertrieb von Versicherungsprodukten durch Banken und Sparkassen beziehungsweise durch Vertriebsmitarbeiter von Versicherern in den Räumlichkeiten der Finanzinstitute, ist aber eigentlich kein neues Vertriebskonzept. In der Vergangenheit wurden hierbei allerdings schon viele massive Fehler gemacht, weshalb einige Akteure jahrelang dem Thema eher mäßige Aufmerksamkeit geschenkt haben. Beispielsweise war die Allianz im Jahr 2001 mit dem Plan angetreten, einen Allfinanzkonzern zu schaffen, der den Kunden vom Baukredit über die Hausrat- bis zur Sterbegeldversicherung alles anbieten sollte, und übernahm dafür die Dresdner Bank. Dies gestaltete sich aber alles andere als günstig: Der Plan wurde aufgegeben und die Dresdner Bank wieder verkauft. Dieses Scheitern kostete die Allianz saftige 14 Milliarden Euro.

Aber es gibt auch jüngere Beispiele, die die Misserfolge bei derartigen Vorhaben veranschaulichen, wie die Zusammenarbeit der Versicherungskammer Bayern mit Clark, welche das Ziel verfolgt hatte, ein digitales Versicherungstool auf den Markt zu bringen und daraus eine gemeinsame Bancassurance-Lösung zu entwickeln, die für alle Sparkassen in Deutschland nutzbar gemacht werden sollte. Auch dieses Unterfangen scheiterte kläglich. Da drängt sich geradezu die Frage auf: Wieso wird Bancassurance eigentlich überhaupt wieder aufgewärmt?

Zum einen floppt die Zusammenarbeit zwischen Banken und Versicherungen nicht zwingend: Besonders bei den Volks- und Raiffeisenbanken in Verbindung mit der R+V Versicherung oder bei den Sparkassen in Kooperation mit der SV Sparkassenversicherung gehört dieser Ansatz schon seit vielen Jahren zur gelebten Praxis - und das mit Erfolg. Das liegt vor allem am Zusammenspiel innerhalb der Finanz gruppen: Die Rollen sind klar verteilt. Zum anderen entwickelt sich das Vertriebskonzept auch weiter, weshalb innerhalb der Banken- und Versicherungsbranche auch verstärkt von Bancassurance 2.0 gesprochen wird. Seit 2017 spielen nämlich auch Kooperationen zwischen Banken (als Vertriebsweg), Versicherungen (als Produktgeber) und Insurtechs (als digitale Anbieter) eine größere Rolle.

Natürlich tragen die fehlenden Margen im Retailbanking sowie die sich verändernden Kundenerwartungen - die Kunden möchten nämlich am liebsten "alles aus einer Hand" - auch dazu bei, dass weder Banken noch Versicherungen vermutlich langfristig an Bancassurance vorbeikommen werden - fraglich ist es aber, ob Versicherer in diesem Zuge nicht noch stärker als bisher zum reinen Produktlieferanten degradiert werden könnten. Andererseits hat die Bancassurance vielleicht das Zeug dazu, die Kundenbindung auch zum Versicherer zu stärken, da gewissermaßen nicht nur die Loyalität zur Hausbank, sondern auch zum jeweiligen Partner gefestigt werden könnte. Das muss aber nicht zwingend bedeuten, dass das klassische Ein-Partner-Modell das vorrangige Modell der Zukunft bleiben wird. Diverse Finanzinstitute haben deshalb mittlerweile eigene Makler gegründet.

Und: Sich verstärkt mit Bancassurance zu beschäftigen, birgt für Banken und Versicherungen die Chance, noch viel ungenutztes Vertriebspotenzial zu heben. So ergab eine Studie der Bankforen, des Bankingclubs und der Versicherungsforen Leipzig in Zusammenarbeit mit Fonds Finanz, dass sich viele Kunden eine umfassende Beratung sowohl bezüglich Finanz- als auch Versicherungsthemen von ihrer Bank wünschen. Aktuell wird laut Beitrag der R+V in dieser Ausgabe aber gerade einmal jeder dritte Bankkunde überhaupt auf Versicherungsprodukte angesprochen. Lediglich im Bereich der Lebensversicherung generierten die Kreditinstitute nach Zahlen des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V., GDV, im Jahr 2019 einen Vertriebsanteil in Höhe von 18,8 Prozent (Zum Vergleich: Private Krankenversicherung 4,2 Prozent; Schaden- und Unfallversicherung 5,0 Prozent). Hier gibt es also noch jede Menge Luft nach oben!

Dass Bankberater, die das Thema Versicherungen seit Jahren nur am Rande begleitet haben, auf einmal in das breite Angebot aller Versicherungssparten einsteigen, ist zugegebenermaßen ein eher unwahrscheinliches Szenario. Aber sofern die Berater wenigstens das Thema beim Kunden entsprechend platzieren und vielleicht sogar einen Folgetermin mit einem Spezialisten vereinbaren, kann schon viel gewonnen werden - natürlich auch für die Versicherer. Der Wille zum Kauf derartiger Produkte über die Bank ist schließlich vorhanden. Daher sollten nicht nur banknahe Produkte wie eine private Rentenversicherung, sondern beispielsweise sogar Produkte aus dem Bereich Komposit fester Bestandteil des Produktportfolios der Banken werden.

Auch mit den aktuellen Entwicklungen rund um den Klimawandel in Bezug auf Elementarversicherungen sollten sich Banken auseinandersetzen. Denn die Naturkatastrophen im vergangenen Jahr haben die Nachfrage nach den Policen, die Schäden bei Naturereignissen wie Hochwasser und Überschwemmungen abdecken, spürbar steigen lassen. Das würde sich auch bestens in den Nachhaltigkeitsgedanken einfügen, wo Banken ohnehin der zuverlässige Ansprechpartner an der Seite ihrer Kunden sein möchten. Des Weiteren genießen die Institute ein enormes Kundenvertrauen, wo gerade die etablierten Häuser anderen Marktteilnehmern nach wie vor weit voraus sind.

Natürlich ist aber auch der Bankvertrieb kein Selbstläufer und wenn die Institute ihre Marktposition im Bereich Bancassurance wirklich stärken wollen, dann müssen sie dringend an ihren Defiziten arbeiten. Das bedeutet, dass sie sich noch stärker in Richtung einer digitalen Bank entwickeln müssen. Die Beratungsqualität darf bei all diesen Neuerungen aber natürlich auch nicht leiden, allein schon wegen der Vorgaben der sogenannten Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD. Hier muss der Fokus viel stärker als bisher auf Onlineberatungstools gesetzt werden und digitale Beratungs- und Abschlussstrecken installiert werden. An dieser Stelle könnten sich Partnerschaften zwischen Banken und Versicherern als nützlich erweisen, da die Versicherer bereits die entsprechende Expertise mitbringen und Onboarding-Prozesse durch bereits bestehende IT-Integration erleichtert werden. Selbstverständlich muss dafür aber nicht nur die technische Lösung, sondern auch der notwendige Bewusstseinswandel in den Instituten vorhanden sein. Dann kann aus Bancassurance 2.0 nicht nur ein Erfolgsmodell für die Kunden, sondern auch für Banken, Sparkassen und die Assekuranz werden.

Miriam Veith , Redakteurin , Fritz Knapp Verlag GmbH
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