Plädoyer für eine freie Wirtschaft!

Carsten Englert, Redakteur Foto: Verlag Fritz Knapp GmbH

Bewährte Instrumente werden in der Politik gerne wiederverwendet. Doch "Recycling" muss und sollte nicht immer auch automatisch nachhaltig sein - vor allem nicht im Wortsinn von "sich auf längere Zeit stark auswirken". Doch dazu später mehr. Ein Krisenbewältigungsinstrument, das sich bereits im Jahr 2012 bewährt hatte, wurde in der Corona-Krise daher von der Bundesregierung in abgewandelter Form angewendet: der Draghi-Put ("Whatever it takes"). Unter dem frisch gekürten Kanzlerkandidaten der SPD und der Bundeskanzlerin wurden daraus "Notkredite in unbegrenzter Höhe", ebenfalls um die Unsicherheit aus der Wirtschaft und den Köpfen rauszunehmen. Das ist gelungen, auch dank der fleißigen Mithilfe der Förderbanken dieses Landes. Das war alles auch richtig und wichtig, ebenso weitere Maßnahmen wie das Kurzarbeitergeld, Eigenkapitalbeteiligungen oder das Konjunkturpaket. Dafür hat die Politik - auch an dieser Stelle - bereits einiges an Lob eingesammelt. Doch nun gut ein halbes Jahr nach Beginn der Krise ist es auch mal an der Zeit, die Arbeit der Bundesregierung kritisch zu hinterfragen. Ein wichtiges - wenn nicht das wichtigste - Element einer Demokratie ist der offene Diskurs. Leider wird dieser in Deutschlands Medienlandschaft immer seltener zelebriert.

Die Lage gibt eine kritische Analyse mittlerweile auch her. Die Infektionszahlen sind in Deutschland im internationalen Vergleich eher niedrig, wie auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn jüngst betonte. Die deutsche Wirtschaft zeigt zudem erste Anzeichen von Erholung. So geht auch die Bundesregierung in ihrer Interimsprojektion davon aus, dass das BIP im kommenden Jahr wieder um 4,4 Prozent wachsen wird. In der gleichen Prognose rechnet das Wirtschaftsministerium mit einer Kontraktion des BIP von 5,8 Prozent für das Gesamtjahr 2020, wovon aber einiges schon im zweiten Quartal mit einem Minus von 9,7 Prozent gegenüber dem Vorquartal "abgearbeitet" wurde. Ein zweiter Lockdown würde die Lage allerdings wieder dramatisch verschlechtern, es wäre wirtschaftlicher Selbstmord. Aber davon ist Stand jetzt zum Glück nicht auszugehen. Auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier ging zuletzt davon aus, dass es keinen zweiten Lockdown geben werde.

Es lohnt sich also, nun mal über die längerfristigen Folgen der ganzen Maßnahmen nachzudenken, sozusagen zu diskutieren, wie "nachhaltig" - im oben verwendeten Wortsinn - die Maßnahmen sein sollten. Immer lauter wird die Kritik an der Aussetzung der Insolvenzanzeigepflicht. Auf den ersten Blick paradoxerweise sind die Insolvenzzahlen trotz Krise zuletzt weiter gesunken. Das dürfte und wird sich natürlich ändern, sobald die Pflicht zur Anzeige wieder einsetzt. Ursprünglich war das für Ende September 2020 avisiert. Doch das Bundeskabinett hat beschlossen, dass es zumindest für den Insolvenzgrund "Überschuldung" eine Verlängerung der Aussetzung bis Ende 2020 geben soll. Doch was ist die Folge davon? Die Experten von Creditreform sind nicht die einzigen, die eine Verschärfung der "Zombifizierung" von Unternehmen - schon vor einiger Zeit durch die Nullzinspolitik der Zentralbanken eingeleitet - befürchten. Da hilft es auch nicht, wenn Finanzminister Olaf Scholz diesen Vorwurf auf einer Bankentagung als "blutleere Lehrbuchspekulation" "abzukanzlern" versucht. Es ist nicht von der Hand zu weisen: Wenn eigentlich insolvente Unternehmen per Gesetz künstlich am Leben erhalten werden, kann das dazu führen, dass gesunde Unternehmen dort durch Lieferung und Leistung Außenstände aufbauen, die nicht mehr einbringbar sind und dadurch selbst in die Bredouille kommen. Je länger die gesetzlich verordnete "Insolvenzverschleppung" dauert, desto gravierender wird dieses Problem werden. Und die Zahl der "Zombie"-Unternehmen steigt und mit ihr die "Infektionsgefahr" für bislang noch halbwegs gesunde Unternehmen. Ein Thema, das auch noch für die Banken zu einem großen Problem werden wird und auch schon mit enormen Anstiegen der Risikovorsorge einhergeht. Für die Unternehmen jedoch auch, denn je länger das dauern wird, umso restriktiver werden die Banken bei der Kreditvergabe.

Oder nehmen wir das Kurzarbeitergeld: Ebenfalls ein in der Finanzkrise bewährtes Instrument, das auch diesmal ohne Frage den ökonomischen Sturz gebremst hat. Doch es stellt sich insbesondere hier auch die Frage, wie lange sollte das anhalten? Nun, da die Wirtschaft in weiten Teilen wieder hochfährt, könnte die Unterstützung zumindest sukzessive wieder runtergefahren werden. Doch was macht die Bundesregierung? Sie erhöht die Sätze und verlängert die Bezugsdauer! So sollen die Arbeitnehmer nun ab dem vierten Monat des Bezugs 70 (mit Kind 77) Prozent des Nettoverdienstes und ab dem siebten Monat 80 (87) Prozent bekommen. Zudem soll die maximale Bezugsdauer von 12 Monate auf bis zu 21 Monate verlängert werden - für Unternehmen deren Anspruch auf Kurzarbeitergeld bis zum 31. Dezember 2019 entstanden ist. Da wird ganz klar unter dem Deckmantel der Corona-Hilfe die Staatsalimentierung ausgeweitet für Unternehmen, die vorher schon angeschlagen waren!

Bei der Ausweitung der Maßnahmen könnte sich dem geneigten Leser auch schnell die Frage stellen: Ist das schon der Anfang des Wahlkampfs zur Bundestagswahl im kommenden Jahr? Vieles, wie das verlängerte und erhöhte Kurzarbeitergeld, sind Wohltaten für die eigene Partei-Klientel, aber mit potenziell verheerenden langfristigen Auswirkungen für die Gesamtgesellschaft. Oder kann es sein, dass die zuvor viel gescholtene Regierung angestachelt von dem Lob nun einfach mehr draufpackt, um mehr Lob zu bekommen?

Insgesamt breiten sich die Tentakel des Staats jedenfalls immer weiter aus in der Wirtschaft, auf der Fremdkapitalseite, der Eigenkapitalseite und sogar bei den Löhnen. Sind wir gar bereits auf dem Weg in eine Planwirtschaft? Dafür gab es auch schon Belege vor der Corona-Krise. Stichwort Elektromobilität. Mit aller Macht versuchte da die Bundesregierung die deutsche Wirtschaft auf eine Technologie festzulegen. Zum Glück hat sie allerdings mittlerweile eingesehen, dass auch andere Wege zielführend sein könnten und überlegt auch eine Offensive zum Thema "grüner Wasserstoff" zu starten.

Die ganz große Gefahr bei der Entwicklung eines sich ausbreitenden Staatsinterventionismus ist, dass sich die Unternehmen und die Menschen an die staatliche Einmischung und Alimentierung gewöhnen. Das kann und wird langfristig auf Kosten der Produktivität und Innovationskraft der Wirtschaft gehen - und vor allem auf die Kosten der Freiheit des Einzelnen. Unternehmen könnten angesichts einer als dauerhaft empfundenen Staatsalimentierung versucht sein, dringend notwendige strukturelle Anpassungen vor sich her zu schieben. Ein weiteres Problem: Je länger die Maßnahmen dauern, desto teurer wird das ganze Unterfangen für den Staat. Man muss kein Prophet sein, um zu ahnen, dass dann auf mittlere Sicht (direkt nach der Bundestagswahl?) Steuererhöhungen kommen werden. Finanzminister Scholz hat ja schon angedeutet, dass die Steuern für Gutverdiener steigen werden. Doch angesichts des Ausmaßes der staatlichen Eingriffe dürfte es dabei nicht bleiben. Damit wäre dann der Grundstein für die nächste Wachstumsbremse gelegt.

Ein den Medien zu entnehmender Vorschlag des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder wäre ganz klar die bessere Alternative: Er fordert "massive steuerliche Entlastungen der Unternehmen und eine rasche Senkung der Energiepreise". Damit würden strukturelle Wettbewerbsnachteile der deutschen Wirtschaft aufgehoben! Das wäre nun wirklich mal eine Maßnahme, die dazu geeignet wäre, die Urgewalt der deutschen Wirtschaft zu entfesseln und alle Kräfte der eigentlich starken deutschen Wirtschaft freizulegen! Zudem gäbe es bei diesen beiden Maßnahmen auch keine zu befürchtenden negativen langfristigen Nebenwirkungen.

Einigkeit dürfte darüber herrschen, dass sich vieles ändern wird durch diese Krise bislang nicht gekannten Ausmaßes - ökonomisch wie gesellschaftlich. Doch es dürfen nicht die falschen Dinge sein! Schon Ludwig Erhard wusste, dass die wichtigste Voraussetzung für eine soziale Marktwirtschaft mit "Wohlstand für alle" nur mit einer freien Wirtschaft und nicht mit einer staatlich alimentierten und gegängelten Wirtschaft funktioniert. Auch wenn diese Idee aus einer weit entfernten Zeit stammt: Sie hat nichts an Gültigkeit verloren!

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