Private fremdeln immer noch

Hanna Thielemann

Frank Mella gilt als der Erfinder des Dax. Der damalige Redakteur der Börsenzeitung hatte für diese schon einen anderen Index entwickelt, als der Verleger ihn eines Tages bat, sich einen Börsenindex für den Finanzplatz Deutschland auszudenken. Von dem Exposé war man bei der Finanzzeitung so begeistert, dass es einigen Bank- und Börsenexperten vorgelegt wurde - die Geburtsstunde des Dax. Der Name stammt übrigens von Manfred Zaß, damals stellvertretender Vorsitzender der Frankfurter Wertpapierbörse, der die Idee bei einem Spaziergang mit seinem Hund gehabt haben soll, entgegen der Überlieferung übrigens kein Dachshund, sondern ein Labrador. Der Zuschlag fiel schließlich auf Dax, da die ursprünglich geplante Abkürzung DAI schon von Daimler besetzt war.

30 Jahre nach seiner Einführung ist der deutsche Leitindex eines der bedeutendsten Börsenbarometer der Welt. Der Dax, wie er heute geläufig ist, wurde am 1. Juli 1988 bei einem Stand von 1 163 Punkten eingeführt. Seinen bisher höchsten Schlussstand erreichte er am 23. Januar 2018 mit knapp 13 560 Punkten. In den vergangenen Jahren ist der Index nicht nur stärker, sondern auch internationaler geworden. Nach Zahlen der Beratungsgesellschaft Ernst & Young hat das Interesse ausländischer Anleger an den 30 Dax-Konzernen deutlich zugenommen. Besonderer Treiber waren dabei die Globalisierung und die Erfolge der Dax-Unternehmen. Mehr als jede zweite Aktie (54 Prozent) der Dax-Werte ist heute in ausländischer Hand. Im Vergleich zum Vorjahr ist der Anteil ausländischer Investoren dabei um 1,3 Prozentpunkte gestiegen, verglichen mit dem Jahr 2005 sogar um 12 Prozentpunkte. 28 Prozent der Aktien ist Anlegern aus dem europäischen Ausland zuzuordnen, 21 Prozent befinden sich im Besitz von Anlegern aus Nordamerika.

Betrachtet man die Struktur der Aktienbesitzer wird deutlich, wie wichtig der deutsche Leitindex für institutionelle Anleger ist und welch vergleichsweise kleine Rolle er bei Privatanlegern spielt. Die meisten Aktienbesitzer im Dax sind Großanleger wie Pensionskassen, Investmentfonds, Versicherungen und Banken. Sie halten 63 Prozent der Aktien, weitere rund zwölf Prozent liegen bei strategischen Investoren wie Familien oder Unternehmen und nur elf Prozent der Anteile sind währenddessen im Besitz von Privatanlegern.

Richtet man den Blick auf dieses Kundensegment, weg vom Dax und auf das Wertpapiergeschäft in Deutschland insgesamt, ist die Anzahl der Aktionäre und Besitzer von Aktienfonds im Jahr 2017 deutlich gestiegen und lag im Jahresdurchschnitt um 12,1 Prozent oder fast 1,1 Millionen Euro höher als noch im Jahr zuvor. Insgesamt besaßen 2017 rund 10 Millionen Bürger oder 15,7 Prozent der Bevölkerung Aktien oder Aktienfonds, das heißt rund jeder Sechste. Bei näherem Hinschauen entspricht dieser höchste Stand seit zehn Jahren jedoch nur dem Niveau vor der Finanzkrise. Gleiches gilt für den Anteil von Aktien und Aktienfonds am Geldvermögen der Bevölkerung. Auch hier sind die Anteile von Aktien mit 6,7 Prozent und Investmentfonds mit 9,3 Prozent verschwindend gering. Von einem richtigen Sinneswandel im Umgang mit Aktien in Deutschland kann man also noch nicht sprechen. Auch das Deutsche Aktieninstitut (DAI) sieht in den steigenden Zahlen der Aktionäre in Deutschland zu Recht keinen wirklichen Aufschwung, sondern eher das bekannte Muster. Die sehr gute Kursentwicklung sowie die extrem niedrigen Zinsen der vergangenen Jahre hat bei den Anlegern wieder einmal zu einem wachsenden Interesse an der Aktie beigetragen. Es ist aber höchst fraglich, ob der positive Trend auch bei einem Umfeld steigender Zinsen anhält. In der Vergangenheit haben sich die Anleger jedenfalls häufig prozyklisch verhalten.

Woran liegt es nun, dass die Deutschen so offensichtliche und unbelehrbare Aktienmuffel sind? Eine erste Annäherung lenkt den Blick auf die Volatilität. Kurseinbrüche wie in den Jahren 2001, 2002, 2008 oder 2012 haben vielen Anlegern das Vertrauen in Aktien genommen und den Glauben an einen langfristigen Anlageerfolg erschüttert. So fiel der Dax in den Tagen nach den Anschlägen auf das World Trade Center um 8,5 Prozent auf 4 259 Punkte. Am 12. März 2003 kurz vor Ausbruch der Kampfhandlungen im Irak stürzte der deutsche Leitindex bis auf 2 203 Punkte und erreichte damit den Tiefststand im neuen Jahrtausend. Den größten Jahresverlust hatte der Dax 2002, als er um insgesamt 44 Prozent einbrach - mehr noch als auf dem Höhepunkt der Dotcom-Krise. Gründe waren unter anderem ein amerikanischer Bilanzskandal, Sorge um die US-Konjunktur, eine Jahrhundertflut in Deutschland und die Angst vor neuen Terroranschlägen.

Auf lange Sicht betrachtet ist diese panische Angst vor Rückschlägen nachweislich unbegründet. Wirft man nämlich einen Blick auf das Renditedreieck des Deutschen Aktieninstituts mit den Dax-Renditen der letzten 50 Jahre, erweist sich die langfristige Renditeentwicklung bei der Aktienanlage in deutsche Standardwerte als sehr positiv. Die aktuelle Darstellung für Ende 2017 zeigt, nur 13 Mal in den letzten 50 Jahren waren die durchschnittlichen jährlichen Renditen negativ, allerdings neun Mal seit 1987. Und je länger der Anlagezeitraum war, desto geringer waren beziehungsweise sind Verlustrisiken. Ähnlich verhält es sich mit dem Renditedreieck des Euro Stoxx 50. Der Aktienindex, der sich aus den 50 großen, börsennotierten Unternehmen des Euro-Währungsgebiets zusammensetzt, zeigt seit 1986 hauptsächlich positive jährliche Renditen, oft auch in zweistelliger Höhe. Doch ebenso wie der Dax verzeichnete der Euro Stoxx neun Mal negative Renditen seit 1987, sechs davon im negativen zweistelligen Bereich. Die Krisenjahre sind fast identisch mit denen des Dax.

Woran indes scheitert eine bessere Aktienkultur in Deutschland? Wieso haben die Deutschen so wenig Vertrauen in den Aktienmarkt, obwohl sich das Wissen um die Vorteile der Aktie anhand solcher Zahlen doch leicht verdeutlichen lässt? Von Bankern, Versicherern und Politik wird an dieser Stelle gerne die mangelnde Finanzbildung ins Spiel gebracht. Von vielen Interessengruppen wird sie inzwischen als Schulfach gefordert und die Altersvorsorge mit Aktien wird teils in den Rang einer gesellschaftspolitischen Aufgabe gehoben. Doch wirklich erfolgreich sind die praktischen Lösungen nicht. So hält sich die deutsche Politik bei der Förderung der Altersvorsorge über Aktien vornehm zurück. Ähnlich wie die privaten Anleger scheinen auch Politiker unter einer Art Angstsyndrom zu leiden. Niemand will bei dem sensiblen Thema Altersvorsorge mit kurzfristigen Verlusten in Verbindung gebracht werden. Dass es anders geht, zeigen die Beispiele Schweden und Dänemark. Dort kommt die Aktie seit vielen Jahren im teils staatlich verordneten, langfristigen Aufbau von Altersvorsorgevermögen zum Einsatz.

Auch die Banken und Versicherer agieren betont vorsichtig. Jedenfalls scheuen sie sich davor, Anlegern allzu offensiv Aktienempfehlungen zu geben. Stattdessen setzen sie auf Sparpläne als Vehikel, um Sparer unter anderem mit Aktien vertraut zu machen und Vertrauen aufzubauen. Die Union Investment nutzt dieses Instrument seit Jahren und die Deka meldet mittlerweile über vier Millionen Sparverträge, davon allein 2017 rund 600 000 neue. Für Kunden, die eigentlich nur mit Festgeld und Sparbüchern sparen, ist das kontinuierliche Wertpapiersparen ein erster vorsichtiger Schritt, um auch in die Assetklasse Aktien einzusteigen.

Ein eher ungestörtes Verhältnis zum Dax haben hingegen die institutionellen Anleger. Sie sind nicht nur wesentlich stärker in Dax-Werten engagiert, sondern haben auch viele Produkte und Indizes an den Dax gekoppelt.

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