So viele Fragen

Philipp Otto, Chefredakteur, Foto: Verlag Fritz Knapp GmbH

Wären die großen Herausforderungen bei der Verteilung der Fördergelder oder der Umsetzung der Moratoriums- und Stundungshilfen, das anstrengende Umdenken infolge der zwangsweisen Schließung von Filialen oder die enormen Anstrengungen durch die Umstellung der Arbeitsweise auf digital und Homeoffice nicht gewesen - 2020 würde als ziemlich normales Bankenjahr in die Geschichte eingehen. Denn die Trends der Vorjahre setzten sich nahezu nahtlos fort. Einlagen und Kundenkredite sind wiederum gewachsen, die Nachfrage vor allem nach Immobilienfinanzierungen ist stabil auf hohem Niveau, die Null- und Negativ zinsen führten zu neuerlichen Einbußen beim Zinsüberschuss, der Provisionsüberschuss legte ein wenig zu, die Aufwendungen für Personal, Regulierung und die digitale Transformation stiegen weiter, Stellenabbau und Filialschließungen zur Kostensenkung wurden ebenfalls fortgesetzt, das Bewertungsergebnis für Einzelengagements ist immer noch nahezu vernachlässigbar, Gewinne blieben eher mager, die Eigenkapitalrenditen sind nach wie vor furchtbar niedrig. Diese sehr generelle Zusammenfassung gilt natürlich nicht für das eine oder andere Einzelschicksal, das es selbst in normalen oder gar guten Jahren in der Kreditwirtschaft immer geben darf und geben muss.

Doch normal war 2020 gar nichts. Die Corona-Pandemie hatte und hat die Welt fest im Griff und der Politik fehlten und fehlen die Antworten. Zumindest solche, die nachhaltig Hoffnung auf Besseres versprechen. Das wird natürlich Spuren hinterlassen - in der Gesellschaft, aber auch in der Wirtschaft und den Banken. Es wird Unternehmen geben, die einigermaßen unbeschadet aus all dem herauskommen. Es wird solche geben, die es mithilfe von Politik und Banken irgendwie schaffen, durchzuhalten, bis wieder ein klein wenig normale Realität im Alltag angekommen ist. Und es wird natürlich die geben, die es nicht schaffen. Noch kann man nicht sagen, wie groß welche der drei Gruppen jeweils sein wird. Denn natürlich verzerren Maßnahmen wie Kurzarbeitergeld, November- und Dezemberhilfen und vor allem die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht das Bild.

Schaut man auf die bislang vorgelegten Zahlen der Banken und Sparkassen in diesem Land und unterstellt, dass diese ihre Kunden doch recht gut, vermutlich besser als so mancher Ökonom oder Bankenaufseher kennen, kann es so schlimm eigentlich nicht werden. Denn diese Zahlen deuten in keinster Weise auf einen dramatischen Einbruch und eine Pleitewelle hin. Im Gegenteil: Der Umgang mit der Position Bewertungsergebnis Kredit ist fast überall entspannt, mitunter gar zurückhaltend. Und zwar bei Sparkassen und Volksbanken Raiffeisenbanken gleichermaßen. Lediglich die beiden Großbanken Deutsche Bank und Commerzbank haben 2020 zur umfassenden Vorsorgebildung genutzt. Die einen, die Blauen, weil man es sich aufgrund eines guten Ergebnisses leisten konnte, die anderen, die Gelben, weil das abgelaufene Geschäftsjahr ohnehin abgeschrieben werden muss. In beiden Fällen lässt sich das neue Jahr aber gut abgepuffert etwas einfacher angehen.

Die Bankenaufsicht, die deutsche wie die europäische, konstatiert zwar eine Position der Stärke, aus der die Kreditwirtschaft die kommenden Monate angehen kann. "Zu Beginn des Jahres 2021 steht allen von uns beaufsichtigten Banken ausreichend Spielraum für die Verlustabsorption zur Verfügung", sagte jüngst Andrea Enria, der Vorsitzende des Aufsichtsgremiums der EZB, jüngst bei der Vorstellung der Ergebnisse des SREP-Zyklus 2020. Und der gezwungenermaßen scheidende BaFin-Präsident Felix Hufeld schrieb in seinem Neujahrsgrußwort: Selbst wenn das Bruttoinlandsprodukt um 10,8 Prozent einbräche, könnten die weniger bedeutenden Institute im Durchschnitt eine harte Kernkapitalquote von 11,2 Prozent vorweisen. Das ist mehr, als wir gesetzlich verlangen. Eine Systemkrise scheint daher derzeit eher unwahrscheinlich."

Aber die Aufsicht wäre nicht die Aufsicht, wenn sie dem Braten, der schön aussieht, nicht doch misstrauen würde, wenn auch nur ein klein wenig vielleicht. Zu Recht. Zum einen ist es Kernaufgabe von Aufsehern vorauszuschauen und immer ein bisschen pessimistischer zu sein, als vielleicht unbedingt nötig. Das verhindert - manchmal - unliebsame Überraschungen. Zum anderen ist es der aktuellen Situation geschuldet. Wenn man diese mit wenigen, einzelnen Worten zu charakterisieren versucht, treffen es Ungewissheit und Unsicherheit vermutlich am besten. Beschützt von vielerlei staatlicher und geldpolitischer Unterstützung, betroffen von allerlei sozialen Einschränkungen und besorgt wegen des spürbar rückläufige Unternehmer- und Verbrauchervertrauens sind sämtliche Wirtschaftsakteure, auch Banken, kaum mehr in der Lage, halbwegs verlässliche Prognosen für die nächsten ein oder zwei Jahre abzugeben. Das mag eine Aufsicht gar nicht. Denn natürlich werden Kredite ausfallen, vor allem wenn die staatlichen Hilfen ein Ende haben. Ungewiss ist nur, wann genau dies geschieht und wie groß die Löcher sein werden.

Entsprechend vorsichtig agieren die Aufseher. Die europäische Bankenaufsicht hat im Zuge ihrer Überwachung das Kreditrisiko, die Profitabilität und die interne Governance als die wichtigsten Bereiche im Hinblick auf aufsichtliche Bedenken identifiziert und fordert die Institute auf, Kreditrisiken nicht zu unterschätzen und die Profitabilität zu steigern. Und für die deutsche Aufsicht ist klar, dass die bekannten Probleme der deutschen Bankenlandschaft wie die sinkenden Erträge und die mangelnde Flexibilität der Geschäftsmodelle, auf neue, digitale Wettbewerber zu reagieren, immer noch da sind und sich eher verstärkt haben. Man wünscht sich, dass die Institute möglichst vielen Eventualitäten vorbeugen, unter anderem durch einen sehr zurückhaltenden Umgang mit Gewinnausschüttungen. Auf all das will die Aufsicht in den kommenden Monaten verstärkt achten. Auch auf die Gefahr hin, dass eine Erhöhung der aufsichtlichen Intensität zu früh kommt und daraus eine Art selbsterfüllender Prophezeiung wird, denn wenn man beispielsweise intensivst nach möglichen Quellen für Kreditausfälle sucht, wird man welche finden und dann werden als Reaktion die Risikovorsorgen zwangsläufig steigen.

Doch was hat sie für eine Wahl? Zuschauen ist keine Option. Das hat auch Felix Hufeld zu spüren bekommen, dem man genau das unterstellt hat, nur zugeschaut zu haben, und den das, was da kommt, nun alles nicht mehr kümmern muss. Denn der BaFin-Präsident wurde infolge des Wirecard-Skandals Ende Januar von seinem Dienstherrn, Bundesfinanzminister Olaf Scholz, entlassen, nach acht Jahren bei der BaFin, davon sechs Jahre als Präsident. Hufeld war zweifelsohne ein guter BaFin-Präsident, das wird auch aus den Abschiedsworten von Scholz deutlich, und wäre dies sicherlich auch weiterhin gewesen. Doch er war nun nicht mehr tragbar. Spätestens das Eingeständnis, intern nicht richtig aufgepasst zu haben, war zu viel. Die BaFin musste Anfang dieses Jahres einen Mitarbeiter wegen Insiderhandel entlassen und anzeigen, nachdem Hufeld noch wenige Wochen zuvor betonte, interne Untersuchungen hätten keinerlei Anzeichen für ein Fehlverhalten aufgedeckt. Und auch sonst war der BaFin-Präsident im Zuge der Wirecard-Pleite, die er selbst als große Schande für seine Behörde bezeichnete, immer mehr unter Druck geraten. Die BaFin habe trotz vieler Anzeichen nicht gehandelt, so der allgemeine Vorwurf.

Das kann man so sehen. Man kann es aber auch etwas differenzierter betrachten. Die deutsche Bankenaufsichtsbehörde hatte bekanntermaßen nur den direkten Zugriff auf die Wirecard Bank, nicht auf die Wirecard AG. Vielleicht hätte es Möglichkeiten gegeben, sich diesen zu verschaffen. Doch hätten erfahrene Juristen wie Hufeld nicht genau diese Möglichkeiten ausgeschöpft? Also wollte er wohl nicht, so die (vor)schnelle Schlussfolgerung. Der BaFin-Präsident hat bereits Anfang 2019 gegenüber dem Finanzministerium Bedenken hinsichtlich der Situation bei dem Aschheimer Zahlungsdienstleister geäußert. Er wurde vertröstet und beruhigt, nicht zuletzt, weil Staatssekretär Jörg Kukies von einem Geburtstag des Firmenchefs Markus Braun einen guten Eindruck mit nach Berlin gebracht hatte. Natürlich hätte Hufeld trotzdem öffentlich mehr Einblick, vielleicht sogar eine Sonderprüfung einfordern können. Dann würde er heute vermutlich besser dastehen. Aber man stelle sich einmal vor, welche Marktreaktionen dies ausgelöst hätte: Der BaFin-Präsident äußert öffentliche Bedenken hinsichtlich der Unbescholtenheit eines der erfolgreichsten deutschen Finanzdienstleistungsunternehmens - von den juristischen Folgen für Hufeld und die BaFin durch die Wirecard-Anwälte einmal ganz abgesehen. Bankenaufsicht ist immer noch das Agieren in einem gültigen und verlässlichen Rechtsrahmen. Gleiches gilt übrigens für den Vorwurf, Hufeld habe Zockerei im eigenen Haus zugelassen. Kann der BaFin-Präsident tatsächlich per Dienstanweisung den Handel mit Aktien eines gerade in den Schlagzeilen befindlichen Unternehmens für alle Angestellten der Behörde untersagen? Wenn ja, hat er an dieser Stelle tatsächlich versagt.

Die bei seiner BaFin im Zuge der Wirecard-Pleite aufgetretenen Schwachstellen will der Bundesfinanzminister, der für die SPD je auch noch Kanzler werden möchte, nun umgehend ausmerzen und hat dazu kurz nach der Entlassung Hufelds einen 7-Punkte-Plan vorgestellt. Er sieht eine sogenannte Fokusaufsicht vor, die alle Geschäftsbereiche der BaFin umfasst und Unternehmen noch enger beaufsichtigt als bisher. Darüber hinaus soll eine forensisch geschulte Taskforce eingerichtet werden, damit die BaFin künftig Ad-hoc- und Sonderprüfungen in Eigenregie durchführen kann. Die BaFin erhält mehr Zugriffsrechte und mehr kompetentes Personal, insbesondere Wirtschaftsprüfer, um Bilanzen besser überprüfen zu können. Die Erkenntnisse von Whistleblower sollen systematisch erfasst und ausgewertet werden. Die Position des künftigen BaFin-Präsidenten wird dahingehend gestärkt, dass dieser mehr Verantwortung in Fragen der zentralen Steuerung der BaFin erhält. Und eine zentrale Data Intelligence Unit (DIU) sollen das Rückgrat einer IT-getriebenen Aufsicht bilden.

Das klingt natürlich alles gut. Aber es wirft wiederum Fragen auf: Warum erst jetzt? Denn die ergriffenen Maßnahmen zeigen doch, dass viele bei der Behörde im Argen zu liegen scheint und dass Hufeld offensichtlich doch nicht so agieren konnte, wie man es gerne von ihm gehabt hätte. Und natürlich: Was hilft das alles gegen systematisch eingesetzte kriminelle Energie, wie sie bei Wirecard zweifelsohne zu beobachten war? Dem neuen BaFin-Chef kann man in einer immer komplexer werdenden Welt nur viel Glück wünschen, dass er immer das passende Instrumentarium zur Hand hat, frühzeitig immer die richtigen Schlüsse zieht und daraus stets die richtigen Entscheidungen ableitet.

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Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft
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