Stürmische Zeiten

Philipp Otto, Chefredakteur, Foto: Verlag Fritz Knapp GmbH

Hand auf´s Herz: Was hätten Sie geantwortet, wenn man Sie vor fünf Jahren gefragt hätte, wo die Zinsen zum Jahreswechsel 2019/2020 stehen werden? Wir hätten vermutlich alle falsch gelegen damals. Denn eine so lang anhaltende Niedrigzinsphase verbunden mit einer ultralockeren Geldpolitik mit Maßnahmen, die immer wieder das Mandat der EZB dehnen und strecken, galt als zumindest sehr, sehr unwahrscheinlich. Heute wissen wir es besser. Und dazu brauchte es nicht einmal die jüngste Sitzung des EZB-Rates, mit der sich Mario Draghi als EZB-Präsident verabschiedete und den Zins als Steuerungs- und Risikogröße auf viele Jahre hinaus endgültig beerdigte. Gegen einige Widerstände mag zur Ehrenrettung der fast der Hälfte der EZB-Ratsmitglieder angeführt werden, die vehement gegen das Programm gestimmt haben, sich aber nicht durchsetzen konnten. Aber in vollem Bewusstsein der Folgen, die im festen Glauben an funktionierende Konjunkturspritzen durch die Notenpresse als Kollateralschaden billigend in Kauf genommen werden.

Da ist der fehlende Zwang zu Haushaltssanierungen. Da ist der gefährlich Hang zu übertriebenem Konsum. Da ist der Aufbau von Asset-Preisblasen, wie beispielsweise am Immobilienmarkt, was jüngst vom EZB-Präsidenten in seiner Funktion als Vorsitzender des Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) direkt angeprangert wurde. In zehn europäischen Ländern, darunter Deutschland gebe es ein gefährliches Missverhältnis aus einem zu hohen Verschuldungsgrad der Haushalte, einer zu lockeren Hypothekenvergabe und einer Überhitzung des Marktes durch immer höhere Preise. Wie schön, wenn man sein Handeln entsprechend der jeweiligen Funktion so sauber voneinander trennen kann und keine Rückschlüsse aus der einen auf die andere Tätigkeit zulässt. Da sind natürlich die Auswirkungen auf Sparer und Altersvorsorgesysteme, was Deutschland besonders hart trifft, da von den Bürgern viel gespart und tendenziell wenig in Kapitalmarktprodukte wie Aktien und Investmentfonds angelegt wird. Und da sind natürlich die Nöte der Banken und Sparkassen.

Hierzu heißt es im aktuellen Monatsbericht der Deutschen Bundesbank: "Die Ertragslage deutscher Kreditinstitute hat sich im Jahr 2018 verschlechtert. Der Jahresüberschuss vor Steuern fiel von 27,5 Milliarden Euro im Vorjahr auf 18,9 Milliarden Euro. So ergab sich mit 0,23 Prozent der Bilanzsumme eine Gesamtkapitalrendite, die zuletzt nur in der Finanzkrise unterschritten wurde." Nun kann man den Banken und Sparkassen sicherlich vorwerfen, in den vergangenen Jahren zu sehr gehofft und zu wenig gehandelt zu haben. BaFin-Präsident Felix Hufeld tat das sehr plakativ, sprach gar von einer "Opfermentalität" der Branche und zog einen Vergleich zu anderen, von Umbrüchen erschütterten Sektoren: "Wenn die deutsche Industrie der Realwirtschaft im Bereich Hightech, im Bereich Automobil, im Bereich Energie angesichts der umwälzenden Herausforderungen, die sie heute und in den letzten 20, 30 Jahren zu bewältigen hatte, mit der Attitüde einer Bankenindustrie herangehen würde, dann sähe es in Deutschland schlimmer aus." Aus Sicht des obersten deutschen Bankenaufsehers kann die Antwort nur in raschen und harten Einschnitten bei bestehenden Geschäftsmodellen liegen. Über flankierende Maßnahmen der Bankenaufsicht auf diesem Weg lasse sich reden, so Hufeld.

In der Tat verdienen Banken derzeit und wohl auf absehbare Zeit nichts mehr in der Fristentransformation, nichts mehr in der Anlage eigener Mittel und (zu) wenig im Kundengeschäft. Wobei die Rückgänge 2018 laut Bundesbank primär aus einem um 2,1 Milliarden Euro gesunkenen Handelsergebnis, einem um 3,1 Milliarden Euro schlechterem Bewertungsergebnis, das damit sicherlich aber immer noch über dem langjährigen Durchschnitt liegen dürfte, sowie einem um 3,5 Milliarden Euro niedrigerem außerordentlichen Ergebnis resultieren. Der ob der Zinslastigkeit deutscher Banken und Sparkassen immer wieder angesprochene Zinsüberschuss blieb dagegen stabil bei 87,2 Milliarden Euro, im unmittelbar zinsbezogenen Geschäft konnten die Institute das Ergebnis der EZB und ihrer Politik zum Trotz immerhin um 0,7 Milliarden Euro auf 71,8 Milliarden Euro erhöhen.

Allerdings, dass soll nicht verharmlost werden, zeichnen sich zunehmend harte Zeiten vor allem für Institute mit stark zinsabhängigen Geschäftsmodellen wie die der beiden großen Bankenverbünde ab. Das belegt auch die jüngste Niedrigzinsumfrage von Bundesbank und BaFin. Der Stresstest, für den in den vergangenen Monaten 1412 Banken und Sparkassen befragt wurden, die kumuliert 89 Prozent der Kreditinstitute sowie 38 Prozent der Bilanzsumme in Deutschland repräsentieren, kommt wenig überraschend zu folgenden Kernaussagen: Etwa die Hälfte der Institute hat mit einer positiven Zinswende und damit zu optimistisch geplant. Die Banken und Sparkassen erwarten einen Anstieg der Rentabilität in den kommenden fünf Jahren von 0,42 Prozent auf 0,46 Prozent, was angesichts der jüngsten EZB-Entscheidungen, die in der Umfrage noch nicht berücksichtigt sind, sicherlich zu optimistisch ist.

Die Institute gehen höhere Risiken ein, indem die Kreditvergabestandards aufgeweicht und längere Zinsbindungsfristen eingeräumt werden. Die Zinsergebnisse bleiben unter Druck und werden trotz eines leichten Anstiegs der Konditionen aus dem Aktivgeschäft in den kommenden fünf Jahren aufgrund der sinkenden Erträge aus dem Strukturbeitrag und dem Passivgeschäft auf deutlich unter 1,5 Prozent sinken. Die Banken und Sparkassen beginnen mehr und mehr aus der Substanz zu leben, die Auflösung von Reserven aus § 340 f ist Bestandteil der Maßnahmen. Und die Bereitschaft zur Weitergabe der von der EZB erhobenen Negativzinsen nicht nur an Firmenkunden, sondern auch an Privatkunden steigt.

Fazit der Bankenaufsicht: "Die überwiegende Mehrzahl der deutschen Banken und Sparkassen ist selbst im Stressszenario noch solide kapitalisiert" (Raimund Röseler). "Wir sehen, dass Banken dabei sind, ihre betriebswirtschaftlichen Kennzahlen weiterzuentwickeln" (Raimund Röseler). "Ich würde nicht dazu raten, die Weitergabe von Negativzinsen gesetzlich zu verbieten. Banken würde ein Instrument genommen, um ihre Rentabilität zu stärken" (Joachim Würmeling).

Klar ist aber auch, dass Banken und Sparkassen ihre Strategien weiterentwickeln und an das aktuelle Umfeld, das "ein besonders schlechtes Szenario für deutsche Banken" darstellt, anpassen müssen. Das muss sowohl auf der Ertrags- als auch der Kostenseite geschehen, denn weder den regulatorischen Aufwand noch die Zinslandschaft können die Institute beeinflussen. Allein in den vergangenen fünf Jahren sind bereits 7 430 Zweigestellen und Niederlassungen geschlossen und knapp 68 000 Beschäftigte abgebaut worden. Davon entfiel der Großteil auf die beiden Verbünde, im vergangenen Jahr gab es 4 Fusionen im Sparkassensektor und 40 bei den Kreditgenossen. Dieser Trend wird sich in den kommenden Jahren beschleunigen und für etwas Entlastung auf der Kostenseite sorgen.

Schwieriger wird es bei den Erträgen. Denn entgegen vieler Annahmen und Hoffnungen gelingt es kaum, die Rückgänge auf der Zinsseite durch verstärkte Provisionseinnahmen zu kompensieren. Während bei den Sparkassen der Anteil des Zinsüberschusses an der durchschnittlichen Bilanzsumme in den vergangenen fünf Jahren kontinuierlich von 2,12 Prozent auf 1,73 Prozent gesunken ist, stieg der Anteil des Provisionsergebnisses nur ganz leicht von 0,56 Prozent auf 0,63 Prozent. Bei den Volksbanken Raiffeisenbanken ging der Zinsüberschuss ebenfalls spürbar zurück (von 2,21 auf 1,80 Prozent), allerdings verharrte hier der Provisionsüberschuss bei 0,57 Prozent. Und das obwohl die Genossenschaftliche Finanzgruppe mit nur einem zentralen Verbunddienstleister für die entsprechenden Produkte und Dienstleistungen doch effizienter aufgestellter ist, als die Sparkassenorganisation. Es wird verstärkt über interne Gebühren und Vergütungen zu sprechen sein.

Es sind also wahrlich stürmische Zeiten. Sparkassen und Kreditgenossenschaften, denen diese besondere Ausgabe gewidmet ist, haben zweifelsohne genug Reserven, um dies zu überstehen, und genug Kraft und Ideen, um gegenzusteuern. Leicht wird es aber sicherlich nicht.

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