Trump und die EZB

Dr. Martin Hüfner, Foto: M. Hüfner

Normalerweise verlaufen die letzten Monate eines Amtsinhabers relativ unaufgeregt. Das gilt für Staats- und Regierungschefs genauso wie für Notenbankpräsidenten. Es werden keine neuen Initiativen mehr angeschoben. Alte Projekte werden so gut wie möglich abgeschlossen. Alle interessieren sich dafür, wer der Nachfolger wird und was der wohl tun wird. In der Institution selbst werden die Abschiedsfeierlichkeiten geplant.

Das hatte man eigentlich auch für die Europäische Zentralbank erwartet. Ihr Präsident Mario Draghi wird Ende Oktober satzungsgemäß nach acht Jahren Amtszeit ausscheiden. Die Staats- und Regierungschefs sind derzeit dabei, einen Nachfolger zu suchen. Und was macht Draghi selbst? Er lächelt Fragen nach seinem Rücktritt charmant weg. Er habe nicht den Eindruck, dass man ihn in der EZB loswerden wolle. Er lässt keinen Zweifel, wer derzeit und in den kommenden Monaten noch der Herr im Haus ist. Von "lame duck" keine Spur. Man kann darin eine Missachtung seines Nachfolgers sehen. Andererseits ist der aber noch gar nicht bestimmt. Was für die Märkte wichtig ist: Es ist eine Versicherung der Handlungsfähigkeit der EZB in einer schwierigen Zeit. Es garantiert Kontinuität. Das ist nichts Schlechtes.

In den letzten Wochen hat Draghi das geldpolitische Ruder angesichts der verschlechterten gesamtwirtschaftlichen Lage und der niedrigeren Preissteigerung grundlegend herumgeworfen. Er hat die für Ende des Jahres geplante Zinserhöhung nach hinten verschoben. Er hat die Details der neuen Liquiditätsspritzen präzisiert. Er hat über mögliche zusätzliche Maßnahmen spekuliert und den Märkten versichert, dass die EZB alles Notwendige tun werde. Er vermittelt den Eindruck, dass alles auch nach seinem Abschied so weitergehen werde wie bisher.

Und jetzt hat er auch noch ein neues Projekt angeschoben. Im gerade erschienenen "Bericht über die internationale Rolle des Euro" kündigt er einen Richtungswechsel an. Er wolle sich von der bisher eher neutralen Haltung zur Internationalisierung der Gemeinschaftswährung verabschieden und auf eine größere Bedeutung des Euro auf globaler Ebene hinwirken.

Das kam vom Zeitpunkt der Bekanntgabe für viele überraschend, folgt aber einer inneren Logik. Letztlich ist es die Antwort der EZB auf die Politik der Deglobalisierung und des "America First" des amerikanischen Präsidenten. Es hat drei Gründe. Einer ist die Marktentwicklung selbst. Der Anteil des Euro an den Weltwährungsreserven, der lange Zeit zurückgegangen war, steigt seit einem Jahr wieder deutlich. Im März 2018 lag er noch bei 19,4 Prozent, Ende Dezember schon bei 20,7 Prozent. Gemessen mit früheren Jahren (siehe Abbildung) ist das immer noch wenig. Er lag zeitweise schon einmal bei 25 Prozent. Wichtig ist aber, dass er sich erhöht. Es scheint eine Trendwende stattzufinden. Das betrifft im Übrigen nicht nur den Euro, sondern auch andere internationale Währungen wie den japanischen Yen, das britische Pfund oder den chinesischen Renminbi. Der US-Dollar ist nach wie vor mit großem Abstand die Schlüsselwährung der Welt (Anteil an den globalen Währungsreserven Ende Dezember 62 Prozent). Seine Bedeutung geht jedoch zurück. Die Verringerung der Arbeitsteilung in der realen Welt führt zu einer Diversifizierung auch im monetären Bereich. Für Volkswirte kommt das nicht unerwartet.

Ein zweiter Grund sind die Fortschritte bei der Stabilisierung der Verhältnisse im Euro. Die innere Struktur der Gemeinschaftswährung hat sich gefestigt. Es gab zwar nicht die großen Reformen, wie sie etwa der französische Staatspräsident vorgeschlagen hatte. Es wurden aber kleine, stetige Fortschritte etwa bei der Bildung der Banken- und der Kapitalmarktunion erzielt. Griechenland wurde aus dem Anpassungsprogramm der Gemeinschaft entlassen und finanziert sich jetzt wieder selbst am Kapitalmarkt. In Italien gibt es zwar neue Probleme. Sie sind aber mit den damaligen Spannungen in der Eurokrise nicht vergleichbar. Es ist klar, dass sich die größere innere Stabilität des Euro positiv auf die Bereitschaft internationaler Zentralbanken auswirkt, Geld in Euro anzulegen.

Schließlich und vielleicht am wichtigsten bei der neuen internationalen Rolle des Euro ist das gestiegene Selbstbewusstsein der EZB. Man spürt das deutlich in den Argumenten, mit denen der Anspruch formuliert wird, international eine größere Rolle spielen zu wollen. Früher hat man auf die Vorteile der Seignorage verwiesen, auf die geringeren Transaktions- und Hedgingkosten sowie auf das "exorbitant privilege", das zu niedrigeren Finanzierungskosten führt. Das ist natürlich alles noch richtig.

Jetzt aber geht es um ganz andere Dimensionen. Die EZB verweist darauf, dass die Wirkung ihrer Geldpolitik steigt, wenn der Euro eine größere globale Rolle spielt. Sie zieht hier Vergleiche mit der amerikanischen Federal Reserve, deren Geldpolitik vor allem für die Schwellen- und Entwicklungsländer so wichtig ist. Die EZB erklärt ferner, dass sie bei einer größeren Rolle des Euro weniger von internationalen Entwicklungen abhängig ist. Ihre geldpolitische Autonomie steigt. Auch von Wechselkurseffekten ist sie weniger betroffen, wenn ein größerer Teil des Handels in Euro fakturiert wird.

Von Trump ist bei diesen Argumenten explizit natürlich nicht die Rede. Das würde sich auch nicht mit dem Habitus einer Zentralbank vertragen. Es ist aber unverkennbar, dass er die Zielrichtung ist. Wenn die Welt durch den amerikanischen Präsidenten immer unsicherer und schwerer kalkulierbarer wird, dann müssen sich die anderen wärmer anziehen und Gegenstrategien entwickeln. Für die Europäische Zentralbank heißt das, dass sie sich nicht versteckt oder von den internationalen Entwicklungen abkoppelt. Das hätte früher die Deutsche Bundesbank getan und tut jetzt noch die Schweizer Nationalbank. Für sie gab es aufgrund ihrer Größe vermutlich auch keine Alternative. Die EZB denkt anders. Sie kritisiert die amerikanische Politik nicht (was auch gar nichts nutzen würde). Sie stellt sich vielmehr den neuen Gegebenheiten und nimmt die Herausforderungen an.

Das klingt sehr schön und ist sicher auch richtig. Man sollte aber auch die damit verbundenen Gefahren und Grenzen sehen. Trump beobachtet das Ganze natürlich. Er könnte daraus seine eigenen Schlüsse ziehen. So könnte er sich ermutigt fühlen, in Zukunft stärker auch auf monetärem Gebiet tätig zu werden und dabei auch vermehrt die Europäer ins Visier zu nehmen. Das könnte zu größerer Volatilität auf den Devisenmärkten führen. Die Bundesbank und die Schweizer Notenbank können ein Lied davon singen, was da alles passieren kann. Die EZB ist sich, wie sie selbst sagt, der Gefahren durchaus bewusst.

Im Übrigen sollte man sich im Klaren sein, dass die größere Autonomie ihre Grenzen hat. Das zeigen die Bemühungen einiger europäischer Regierungen, den Handel mit Iran von amerikanischen Einflüssen abzuschotten. Die neue Gesellschaft "Instex" (Instrument for Supporting Foreign Exchanges) ist ein Versuch, Unternehmen beim Handel mit dem Iran vor amerikanischen Einflüssen zu schützen. Genutzt hat sie bisher aber wenig, nicht zuletzt weil sich die Banken aus Angst vor Repressalien durch die USA aus der Finanzierung des Handels zurückgezogen haben. Der Weg zu einer stärkeren Internationalisierung des Euro wird noch lang sein und viel Geduld erfordern.

Dr. Martin Hüfner Chefvolkswirt, Assenagon Asset Management
Dr. Martin Hüfner , Chefvolkswirt, Assenagon Asset Management

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