Versteuert

Philipp Otto, Chefredakteur Foto: Verlag Fritz Knapp GmbH

Aktuell gibt es in der Bundesrepublik rund 40 verschiedene Steuern. Im vergangenen Jahr wurden Schätzungen des BMF zufolge von Bund, Ländern und Gemeinden rund 793,7 Milliarden Euro Steuern eingenommen. Hochrechnungen zufolge wird das Steueraufkommen bis 2022 auf 877,8 Milliarden Euro spürbar ansteigen. Damit setzt sich der Trend immer höherer Steuereinnahmen nahtlos fort. Zum Vergleich: 2005, im Jahr, als Angela Merkel Kanzlerin wurde, betrug das deutsche Steueraufkommen 452 Milliarden Euro. Der Zuwachs in 12 Jahren Kanzlerschaft: stolze 72 Prozent. Für diese Entwicklung bedurfte es dabei noch nicht einmal neuer Steuern. Das anhaltend gute konjunkturelle Klima mit ordentlichen Wachstumsraten reicht in einem progressiv ausgestalteten Steuersystem wie dem deutschen aus, um zum einen die Unternehmenssteuern kontinuierlich steigen zu lassen und zum anderen auch immer mehr Arbeitnehmer dank steigender Einkommen mit dem Spitzensteuersatz zu belegen. Zwischen 2000 und 2018 hat sich die Anzahl der mit dem Höchstsatz veranlagten Steuerzahler auf rund 3 Millionen fast verdoppelt.

Steuern sollen einerseits solide Staatsfinanzen sichern und es dem Staat damit ermöglichen, seinen (sozialen) Aufgaben nachzukommen. Und andererseits sollen sie zur Umverteilungswirkung zugunsten von Menschen mit geringeren Einkommen führen. Doch nicht jede neue Überlegung scheint ausgereift. Während man für eine stärkere Besteuerung sehr großer Vermögen noch Mehrheiten findet, wird bereits über die von der SPD vorgeschlagene Bodenwertzuwachssteuer, die Spekulationen mit Grund und Boden eindämmen und damit zu mehr bezahlbarem Wohnraum führen soll, bereits heftig diskutiert. Bei anderen neuen Abgaben überwiegen die Nachteile die Vorteile unzweifelhaft. "Völker hört die Signale ..." heißt es in der Internationalen, dem wohl bekanntesten Kampflied der sozialistischen Bewegungen.

Beispiel 1: die Finanztransaktionssteuer. Laut des Ende 2019 vorgelegten Gesetzesentwurfs soll eine Steuer auf Käufe oder Verkäufe von Aktien großer Unternehmen mit einem Börsenwert größer 1 Milliarde Euro erhoben werden. Der Handel mit diesen Aktien soll künftig mit einer Steuer von 0,2 Prozent des Geschäftswertes pro Transaktion belegt werden. Derartige Überlegungen sind keineswegs neu. Sie gehen auf John Maynard Keynes zurück, der 1936 im Aufsatz "The General Theory of Employment" schrieb: "Die Einführung einer nicht unerheblichen Verkehrssteuer auf alle Transaktionen könnte sich als die brauchbarste Reform im Hinblick auf die Abschwächung der Vorherrschaft der Spekulation über Unternehmen in den Vereinigten Staaten, die zur Verfügung steht, erweisen." Bis 1991 gab es in Deutschland die Börsenumsatzsteuer, die Transaktionen mit festverzinslichen Wertpapieren mit 1,5 Prozent des Umsatzes belegte, bei Aktien mit 2,5 Prozent.

So gut die Idee im Kern sein mag, um Spekulationen einzudämmen, so schlecht ist offensichtlich die derzeitige Ausgestaltung. Kritisiert wird zum einen die alleinige Festlegung auf Aktien. Über 90 Prozent der Transaktionen - darunter Derivate auf Rohstoffe oder Indizes - sind ebenso ausgenommen wie der hochspekulative Hochfrequenzhandel. Darüber hinaus wird befürchtet, dass gerade nicht die institutionellen Anleger betroffen sind, sondern vielmehr die Kleinanleger, die mit Aktien für die Altersvorsorge sparen. Es handele sich bei der Finanztransaktionssteuer im Kern um eine Kleinanlegersteuer, die Spekulanten schont, schreiben die beiden Professoren Hans-Peter Burghof und Robert Jung von der Universität Hohenheim in einem Gutachten. Insbesondere Privatanleger, die ihr Portfolio häufiger umschichten oder Geld in aktive Fonds anlegen, sind laut den Ökonomen von der Abgabe betroffen, wodurch ihre Gewinne spürbar geringer ausfallen würden. Von einem geschätzten Handelsvolumen an den Finanzmärkten der Europäischen Union von mehr als 428 Billionen Euro unterliegen gerade einmal 2,2 Billionen Euro der Steuer, so das Gutachten.

Damit würde der Aktienkultur in Deutschland ein Bärendienst erwiesen. Ohnehin investieren aktuell nur rund 16 Prozent der Bevölkerung in Unternehmensbeteiligungen, also Produktivvermögen. Angesichts der Zinssituation muss dieser Anteil aber steigen, was von Politikern aller Parteien ja auch munter gefordert wird. Dies wird mit einer unglücklich ausgestalteten Steuer konterkariert. Es bleibt zu hoffen, dass die Allianz der Willigen aus der Bundesrepublik und neun anderen EU-Ländern, die den Vorschlag von Olaf Scholz unterstützt haben, weiter bröckelt, und die Finanztransaktionssteuer in dieser Form nicht kommt.

Beispiel 2: das Gesetz zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen. Kurz vor Weihnachten nahezu unbemerkt verabschiedet, werden die fatalen Auswirkungen nun deutlich und die Kritik daher zunehmend lauter. Zwar wollte man auch mit dieser neuen Steuer vor allem die "bösen" Spekulanten treffen, belastet aber stattdessen all diejenigen, die mit Derivaten handeln und in Termingeschäfte investieren. Das Problem: Verluste dürfen künftig nur noch mit maximal 10 000 Euro jährlich gegen Gewinne gerechnet werden. So kann es zur paradoxen Situation kommen, dass ein Anleger, der insgesamt Verluste gemacht hat, trotzdem Steuern zahlen muss, weil seine Gewinne die Schwelle von 10 000 Euro übersteigen. Die berechtigte Befürchtung: Diese Transaktionen und Geschäfte werden künftig nicht mehr aus Deutschland heraus gemacht. Damit verliert die deutsche Börsenaufsicht die Kontrolle und dem Fiskus entgehen die Einnahmen. Von der neuerlichen Verunsicherung privater Anleger und dem Schaden für die Aktienkultur in Deutschland einmal ganz abgesehen.

Beispiel 3: Auch die von Frankreich, Großbritannien, Italien, Österreich und Spanien bereits eingeführte und in der gesamten EU diskutierte Digitalsteuer könnte zum Bumerang werden. Zwar ist es sicher richtig, über die Besteuerung global agierender Internetkonzerne wie Facebook, Apple und Google nachzudenken. Allerdings besteht dann auch die Gefahr, dass die Umsatzbesteuerung nicht nur für digitale, sondern auch für analoge Produkte angewendet wird, wodurch die meist im Ausland erzielten Umsätze der exportstarken deutschen Wirtschaft künftig nicht mehr am Unternehmenssitz, sondern am Entstehungsort anfallen würden. Darüber hinaus befürchten Experten angesichts der Expansion digitaler Dienste, dass Einfallstore für umfassende, willkürliche Besteuerung unternehmerischer Aktivitäten entstehen. Dies wäre nicht zuletzt für die deutsche Industrie, die viel in die Digitalisierung ihrer Produkte investiert, problematisch. Zudem regt sich Widerstand gegen eine reine Besteuerung von Umsätzen, da so eine Verrechnung mit angefallenen Aufwendungen nicht möglich ist.

Finanzminister Olaf Scholz muss bei all den Überlegungen den Schaden für die Bürger, aber auch für den Wirtschaftsstandort Deutschland im Rahmen halten. Bereits heute ist die Bundesrepublik ein Hochsteuerland, das räumt sogar das SPD-geführte Finanzministerium ein. So liegt die gesamte Abgabenquote bei 37,5 Prozent, höher ist sie nur in den skandinavischen Ländern, Frankreich, Belgien, Italien und Österreich. Und auch die reine Steuerquote in Deutschland ist konstant auf mittlerweile 23,3 Prozent angestiegen. Auch damit liegt die Bundesrepublik im oberen Mittelfeld, so das BMF. Aktuell werden sicherlich falsche Signale gesetzt. So hat man sich schnell versteuert.

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