Weichenstellungen für Europa - nicht nur bei den Förderbanken

Dr. Berthold Morschhäuser

"Wir haben gerade die günstigste Wirtschaftslage seit der Einführung des Euro. Daher ist jetzt der beste Zeitpunkt für strategische Überlegungen zu unseren langfristigen Zielen". So hat EU-Ratspräsident Donald Tusk nach dem Euro-Gipfel der Staats- und Regierungschefs im März die allgemeine Lage skizziert. Gleichzeitig hat er den festen Willen bekräftigt, zu den beiden dringendsten politischen Prioritäten, Stärkung der Bankenunion sowie Reform des Europäischen Stabilitätsmechanismus, nicht nur weiter sprechen zu wollen, sondern beim kommenden Gipfeltreffen im Juni möglichst die ersten Beschlüsse zu fassen.

Dass er mit diesem Appell für greifbare Europaaktivitäten Gehör findet, wird seit März in der öffentlichen Wahrnehmung zunehmend deutlich. Die Meinungsbildung mit einem teils kontroversen Austausch von Argumenten zwischen Befürwortern und Gegnern zu diversen Einzelfragen ist voll in Gang gekommen und könnte bis zum Ratsgipfel den Druck auf die politischen Entscheidungsträger noch weiter verstärken. Denn auch diese wissen natürlich um die vergleichsweise gute Verfassung der europäischen Wirtschaft, die eine Einigung über hochgradig budgetrelevante Maßnahmen im Zweifel eher erleichtert denn erschwert. Auch die anstehenden Europawahlen zwingen dazu, möglichst bis Ende 2018 entscheidungsreife Gesetzesvorlagen ausgehandelt zu haben. Und schließlich ist es nach dem langen politischen Vakuum der Berliner Regierungsbildung ganz wichtig, das Momentum der Europainitiative von Frankreichs Staatspräsident Marcon als Impuls für die Entscheidungsfindung zu nutzen und zumindest den kleinen Rest an Vision für Europa nicht zu zerreden.

Doch wie so oft liegen die Schwierigkeiten im Detail und man darf sich in diversen Sachfragen längst nicht sicher sein, ob alle Beteiligten überhaupt das Gleiche wollen. Dabei ist nicht das Bekenntnis zu weitgehend anerkannten Grundprinzipien das Problem, sondern ihre Interpretation für die Auslegung einer Vielzahl konkreter Sachfragen. Wie sind der Subsidiaritätsgedanke und das Proportionalitätsprinzip im Einzelfall anzuwenden? Gibt es einen Gegensatz zwischen Solidarität und Solidität? Diese letztere Frage hat dieser Tage Finanzminister Olaf Scholz bei der Verabschiedung der beiden Bundesbankvorstände Andreas Dombret und Carl-Ludwig Thiele aufgeworfen und dabei angemahnt, nicht immer wieder abstrakt über das "Ob", sondern konkret über das "Wie" der Fortentwicklung der Bankenunion zu reden.

Gehört die Schaffung der gemeinsamen europäischen Bankenaufsicht (EDIS), wie beispielsweise EZB-Präsident Draghi es im März öffentlich vermittelt und EZB-Vizepräsident Vítor Constâncio es dieser Tage noch einmal bekräftigt hat, hier und heute zu den zentralen Bedingungen einer gelungenen zukunftsfähigen Vollendung der europäischen Bankenunion? Oder kann dieses eindeutige Leuchtturmprojekt aller Beteiligten auch glaubwürdig als umgesetzt oder als zumindest unumstößlich auf den Weg gebracht angesehen werden, wenn man auf dem kommenden EU-Gipfel den Status quo auf Basis der seit knapp zwei Jahren bestehenden Roadmap zur Einlagensicherung konkretisiert? Zu den strittigen Punkten gehören der streng geregelte Abbau der Non-Performing Loans in neu abgeschlossenen Geschäften und dem schon bestehenden Altbestand der Banken, eine risikoadäquate Berücksichtigung von Staatstiteln in den Bilanzen sowie eine Anpassung der Insolvenzregelungen.

Dass eine gemeinsame Einlagensicherung eines Tages zu einem einheitlichen europäischen Finanzmarkt gehören kann und sollte, bekräftigen auch die Kritiker einer schnellen Lösung. Aber es ist schon sehr bezeichnend, wenn Präsident Felix Hufeld seine Rede bei der Jahresberichterstattung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht mit der Beteuerung anfangen muss, ein leidenschaftlicher Europäer zu sein, bevor er dann auf einzelne Sachfragen eingeht, die er im europäischen Integrationsprozess lieber mit der notwendigen Behutsamkeit als mit Schnelligkeit gelöst wissen will. Mit Blick auf den vorliegenden Entwurf der EU- Kommission zur Neufassung der ESA-Verordnungen der europäischen Aufsichtsstrukturen beklagt er in die Missachtung des Subsidiaritätsprinzips und hält die Übertragung weiterer Kompetenzen auf die europäische Ebene sogar für schädlich. Der ESA-Review, so lautet sein engagierter Seitenhieb gegen das ausgeprägte Eigenleben der europäischen Institutionen, darf nicht durch die bürokratische Hintertür zu einer tiefgreifenden strukturellen Änderung der Finanzaufsicht führen, die sich politisch derzeit nicht realisieren lässt.

Seine Skepsis vor übereilten Handlungen bei EDIS hat der BaFin-Präsident mit einem Beispiel erläutert: Was passiert, wenn europäische Anleger massenhaft Renditevorteile in einem kleineren Mitgliedsland ausnutzen wollen, dazu in Summe enorme Kapitalbestände transferieren und dann erleben müssen, wie das Geschäftsmodell der Bank oder des Finanzdienstleisters ins Wanken gerät, das Einlagensicherungssystem des betroffenen Landes mit den Entschädigungssummen überfordert ist und schließlich die Systeme der anderen Länder den Schaden ausgleichen müssen? Sollte man sich angesichts eines solchen Gedankenspiels nicht darauf besinnen, erst einmal die Linien für einen Konsens zu suchen? In diese Richtung tendiert übrigens auch der österreichische Finanzminister Löger (siehe Beitrag in diesem Heft), der sich mit Blick auf die anstehende österreichische Ratspräsidentschaft in dieser Sachfrage wie auch darüber hinaus als Brückenbauer innerhalb der EU verstanden wissen und eine politische Akzeptanz in allen Ländern im Auge behalten will.

Gemessen an einer solch großen und in der Sache enorm schwierigen Hürde der Weiterentwicklung der europäischen Strukturen wie EDIS erscheint das regulatorische Anliegen der europäischen Förderbanken eher als kleines Problem. Die Branche drängt auf eine sachgerechte Einbindung ihrer Institute in die Bankenregulierung. Für das Selbstverständnis der Führungskräfte, der Interessenvertreter wie auch aller Mitarbeiter ist es sehr wohl von erheblicher Bedeutung, ob sie sich beim Einsatz ihrer Ressourcen im Fördergeschäft einer angemessenen Regulierung ausgesetzt sehen oder nicht. Wie die Beiträge dieses Heftes unterstreichen will die deutsche Seite bei allen Unterschieden der deutschen Förderbankenstrukturen jeden Eindruck vermeiden, Sonderinteressen durchsetzen zu wollen und zeigt sich offen für eine saubere Lösung anhand klarer Kriterien - sprich einer rechtssicheren Ausnahme von Förderbanken von der Definition der Richtlinie CRDIV/CRR, die auch den Bedingungen in anderen Ländern gerecht wird.

Wie dieses Beispiel zeigt, ist es für die politischen Instanzen klug, auch den vermeintlich weniger wichtigen Regelungsbedarf umsichtig zu bewältigen und auf europäischer Ebene möglichst wenig Betroffene mit Verdruss über als unsachgemäß empfundene Entscheidungen zurückzulassen. Gerade weil in den vergangenen Jahren so viele Wähler zu Parteien an den politischen Rändern gestoßen sind, sollte man die europäische Integration viel stärker als bisher mit machbaren Schritten vorantreiben und bei allem harten Ringen auch unter den kleineren und mittleren europäischen Staaten die Rückendeckung im demokratischen Prozess suchen. Dann wäre es auch vielen glühenden Europäern wohler - selbst wenn das ein wenig Abschied von der ganz großen europäischen Vision a la Macron bedeuten mag.

Dr. Berthold Morschhäuser Chefredakteur

Europäisches System der Finanzaufsicht Anfang 2011 fiel der Startschuss für die drei Europäischen Aufsichtsbehörden (European Supervisory Authorities - ESAs): die Europäische Bankenaufsichtsbehörde EBA (European Banking Authority), ihr Pendant für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung EIOPA (European Insurance and Occupational Pensions Authority) sowie die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA (European Securities and Markets Authority).Kurz zuvor, Ende 2010, hatte bereits der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (European Systemic Risk Board - ESRB) seine Arbeit aufgenommen. Gemeinsam bilden die ESAs und das ESRB das Europäische System der Finanzaufsicht ESFS (European System of Financial Supervision). Dessen Sinn besteht darin, die Aufsichtspraxis in Europa zu harmonisieren sowie die makroprudenzielle Analyse und die mikroprudenzielle Aufsicht besser miteinander zu verzahnen.Quelle: Definition aus dem Jahresbericht 2017 der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)
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